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3.
Der Fluch einer Familie

Zu jener Zeit wohnte in Preßburg eine wegen ihres traurigen Schicksals viel genannte Familie.

Wir wollen sie Mayer nennen, dieser Name kommt oft vor.

Der Vater war der Verwalter einer öffentlichen Kasse und hatte fünf schöne Töchter.

Eine hatte eine idealischere Gestalt als die andere.

Welch ein Gottessegen sind fünf schöne Kinder! Zwei dieser Mädchen waren schon im Jahre 1818 erwachsen, die gefeierten Schönheiten der Redouten, die Königinnen der Bälle; elegante Herren und selbst Magnaten tanzten gern mit ihnen, man nannte sie nicht anders, als »die schönen Mayerschen Mädchen.«

Wie freuten sich die Eltern über diesen Ruf. Die schönen Mädchen pflegten ihre Schönheit in entsprechender Weise; sie gaben sich nicht mit niedriger Arbeit und häuslicher Beschäftigung ab, sondern lebten, als ob ihrer ein glänzenderer Beruf wartete, als die Erfüllung häuslicher Pflichten, auf großem, glänzendem Fuß. Anstatt in gewöhnliche Strickschulen hatte man sie in die vornehmsten Erziehungsinstitute geschickt, wo die eine ausgezeichnet sticken, die andere hübsch singen lernte und auch die übrigen schöne Fähigkeiten entwickelten. Der Vater dachte damals: diese wird eine berühmte Künstlerin werden, jene wird sich durch Modewarenhandel bereichern, alle werden die Frauen der reichen Grundbesitzer und Banquiers, von welchen sie fortwährend umschwärmt sind. Vielleicht hatte er dergleichen in einem alten Roman gelesen.

Zu einer so herrschaftlichen Erziehung gehörten auch herrschaftliche Einkünfte; aber wir wissen, daß ein Beamter ein beschränktes Einkommen hat. Die Haushaltung kostete weit mehr als ausgegeben werden sollte; der Vater sah das wohl ein, zerbrach sich auch ganze Nächte den Kopf, welchen Zweig der Ausgaben er beschränken könne, allein er fand keinen Ausweg; die Mädchen durfte und konnte er nicht aus der Welt zurückziehen, damit er ihnen ihr Glück nicht verscherze. Der Ältesten machte damals eben ein Grundbesitzer den Hof, der sie auf einem Balle hatte kennen lernen; der wird sie vielleicht heiraten und dann ist es ihr ein Leichtes, dem Vater mit einigen tausend Gulden aus seiner Verlegenheit zu helfen.

Die Bekanntschaft mit Grundbesitzern kostet aber viel, die öffentlichen Unterhaltungen, der Putz, der Glanz verzehren außerordentlich große Summen; bei dem gedeckten Tisch sind die Schneider, Schuhmacher, Putzwarenhändler, Friseure, die Seiden- und Blumenhändler unsichtbar zugegen und helfen die Kräfte der Familienhäupter verzehren.

Außerdem war die Frau auch unverständig, sie war, wie ein ungarisches Sprichwort sagt, das Feuer im Hause, dessen Rauch man nicht sieht.

Sie war die schlechteste Wirtin, die man sich denken kann. Sie verstand nichts und mußte alles den Dienstboten überlassen; wenn es knapp ging, so machte sie Schulden und dachte dabei nie ans Zahlen; oft machte sie den Spaß, daß sie mit dem letzten Geld, das sie zur Haushaltung brauchte, zum Gärtner ging und dafür eine Ananas kaufte.

Eines Tages hielt die Oberbehörde, ohne es vorher angezeigt zu haben, eine Kassenuntersuchung und fand in der von Mayer verwalteten Kasse ein Defizit von sechstausend Gulden.

So weit brachte es der Leichtsinn.

Mayer wurde plötzlich abgesetzt und was er an Vermögen besaß, wurde mit Beschlag belegt; es war auch die Rede davon, daß man ihn einsperren werde. Zwei Wochen hindurch sprach man in der Stadt von nichts anderem, als von seinem Fall.

Indes hatte Mayer eine Schwester in Preßburg, eine in Zurückgezogenheit lebende alte Jungfer, die in glücklichen Zeiten die Zielscheibe der Familie war; sie that den ganzen ganzen Tag nichts anderes, als in die Kirche gehen und beten, mit ihren Katzen spielen, oder mit ihresgleichen das junge Volk verlästern, weil sie die Freuden der Jugend nicht mehr genießen konnte, nebstdem trieb sie vielleicht ein Wuchergeschäft und hatte auf niemanden einen erbittertem Haß, als auf die Familie ihres Bruders, auf die sie zürnte, weil sie so geputzt ging, so gut lebte und so viel Bälle mitmachte, während sie selbst den ganzen Winter hindurch hinter dem Ofen bleibt, zwölf Jahre hintereinander ein Kleid trägt und von Woche zu Woche nichts anderes ißt als Wassersuppe mit Semmelbrocken. Wenn die Mädchen lachen wollten, fragten sie sich nur: »Gehen wir nicht zur Tante Therese speisen?«

Also als diese teils lächerliche, teils böse Jungfer hörte, was ihrem Bruder passiert sei, raffte sie ihre auf gesetzliche Zinsen ausgeliehenen Gelder, die Früchte ihrer vieljährigen Entbehrungen zusammen, band sie in ihr buntes Sacktuch ein, ging damit nach dem Stadthaus, ersetzte den in der Kasse vorgefundenen Schaden und ruhte nicht eher, als bis sie es durch Bitten und Weinen dahingebracht hatte, daß man ihren Bruder nicht einsperrte und das gegen ihn eingeleitete Kriminalverfahren aufhob.

Als Mayer hörte, was seine Schwester für ihn gethan, eilte er Thränen vergießend zu ihr, küßte ihr unzähligemal die Hände und fand nicht Worte genug, um ihr seine Dankbarkeit auszudrücken; ja er bewog sogar seine Töchter, zu ihr zu gehen und ihr die Hand zu küssen und es war von seiten der Mädchen genug Selbstaufopferung, daß sie es sich nicht verdrießen ließen, ihre Rosen- und Kirschenlippen mit der runzeligen Hand der alten Tante in Berührung zu bringen, und daß sie die altmodischen Locken und die Kleidung der alten Jungfer ohne zu lachen ansahen.

Mayer beschwor Himmel und Erde, er werde sich es zur einzigen Lebensaufgabe machen, der lieben Schwester für ihre Wohlthat dankbar zu sein.

– Das kannst du dadurch erreichen, sprach die abgelebte Dame, wenn du mit deiner Familie ein anderes Leben beginnst. Ich habe sozusagen mein Alles hingegeben, um deinen Namen vor Schande zu bewahren, jetzt achte du darauf, daß du ihn vor einer noch größeren Schande bewahrst; denn es giebt eine noch größere Schande, als die ist, eingesperrt zu werden. Du verstehst mich wohl. Suche dir eine Beschäftigung, gewöhne deine Kinder an Arbeit. Schäme dich nicht, bei irgendeinem Kaufmann als Buchhalter einzutreten, du verstehst das und hast dann etwas, worauf du dich stützen kannst; deine Töchter sind schon erwachsen genug, um sich selbst helfen zu können, Gott bewahre sie davor, daß ihnen andere helfen müssen. Die eine kann sich als Marchande de Modes ihr Brot verdienen, denn sie versteht feine Handarbeiten zu machen; die andere kann in irgendeinem Herrschaftshause als Erzieherin eintreten, auch die übrigen werden mit Gottes Hilfe irgendeine Beschäftigung finden und gewiß werden alle noch glücklich sein.

Der gute Mayer kehrte von seiner Schwester völlig getröstet zurück. Er dachte nicht mehr an Selbstmord, sondern trat schnell genug in einem Handlungshause als Gehilfe ein, teilte seinen Töchtern den heilsamen Lebensplan mit und diese verstanden sich dazu unter vielem Weinen. Elise fand bei einer Näherin Beschäftigung, Mathilde hielt es für geratener, anstatt die Laufbahn einer Erzieherin, die einer Künstlerin zu betreten und da sie eine hübsche Stimme hatte und ein bißchen zu singen verstand, so war es ihr leicht, ihrem Vater den Glauben beizubringen, daß ihrer auf der Bühne eine glänzende Zukunft warte, und daß sie sich als Opernsängerin Reichtum erwerben könne; sie nannte auch einige große Künstlerinnen, die aus zu Grunde gegangenen Familien stammten und ihre Eltern reichlich unterstützten.

Mayer gab der Künstlerneigung seiner Tochter nach und erlaubte ihr, sich dem erwünschten Beruf zu widmen. Anfangs wurde sie zwar nur als Choristin engagiert, aber man tröstete sich, haben doch die berühmtesten Künstlerinnen so angefangen; dieser Trost kam von fachkundigen Menschen, denen wir aber nicht glauben wollen.

Das band man der Tante Therese freilich nicht an die Nase, man redete ihr ein, Therese sei eine Erzieherin; das ehrenhafte Fräulein pflegte ja nie ins Theater zu gehen und wenn ihr jemand zuflüstern sollte, daß Mayers Tochter beim Theater sei, so wird man ihr leicht weismachen können, daß dies die Tochter eines andern Mayer sei, nicht die ihres Bruders; Schauspielerinnen, die Mayer heißen, findet man ja im Theateralmanach wenigstens dreihundert und Therese wird das lieber glauben, als in das von ihr verdammte Institut zu gehen, um daselbst das Wahre zu erfahren.

So glaubte denn Mayer, daß er jetzt ein völlig neues Leben beginnen werde, in seiner Familie werde eine neue Hausordnung herrschen, jedermann werde seine Pflicht erfüllen und das Glück werde bei ihm durch Thür und Thor einströmen.

Frau Mayer mußte sich ans Kochen gewöhnen, Herr Mayer aber an die Wassersuppe – und die ganze Familie arbeitete, Mayer war vom Morgen bis zum Abend im Comptoir beschäftigt, Frau Mayer in der Küche, die Kinder nähten, strickten, die größeren waren auswärts beschäftigt, die eine verfertigte außerordentlich viele Hüte und Hauben und die andere vermochte kaum die vielen Rollen zu lernen; wenigstens redeten sie sich das einander ein. Das Wahre von dem allen aber war, daß sich der Herr während dieser Zeit im Kaffeehause aufhielt und die Zeitungen las, was der wohlfeilste Genuß im Kaffeehaus ist; die Frau überließ ihre Töpfe dem Feuer und plauderte mit den Nachbarinnen, die Kinder lasen versteckt gehaltene Bücher oder spielten blinde Kuh, die älteste Tochter wurde in dem Modemagazin, in welchem sie arbeitete, von eleganten jungen Herrn amüsiert und von den mühsamen Studien der Choristin wollen wir lieber gar nicht sprechen. Nur beim Mittagmahl kam die Familie zusammen und dann setzten sich alle murrend und mit verdrießlichen Gesichtern zu Tische, die jüngeren ärgerlich über die mageren Speisen, die älteren mit einem durch Leckereien verdorbenen Appetit, alle schweigsam, gelangweilt und kaum erwartend, bis sie wieder aufstehen und ihren mühsamen Beschäftigungen nachgehen können.

Es giebt glückliche Menschen, die niemals das glauben können, was ihnen nicht behagt; die nicht glauben können, daß ihnen jemand zürne, bis er ihnen auf den Fuß tritt; die es nicht bemerken, wenn ihre Bekannten auf der Gasse mit Verachtung auf sie herabsehen, denen keine selbst im Innern ihrer Familie vor sich gegangene Veränderung auffällt, bis man es ihnen nicht sagt; die endlich ihr Gewissen einem schläferigen Teufel überlassen und für ihre deutlichsten Fehler auf allerlei Entschuldigungen sinnen, anstatt sich zu einer Besserung anzustrengen.

Das ist unstreitig sehr bequem und man kann dabei lange leben.

Die Familie Mayer verbrachte so einige Monate hindurch ein zurückgezogenes, man kann sagen, trauriges Leben.

Die Vorsehung pflegt Menschen, die genötigt sind, von ihrer Hände Arbeit zu leben, aus zarter Sorgfalt den Trieb zu verleihen, daß sie in der begonnenen Arbeit ihre Freude, ihren Stolz finden; wenn dann die Familie zusammen kommt, so wird gerühmt, wie weit jeder in seiner Arbeit fortgeschritten sei und das thut so wohl.

Dieser Trieb fehlte der Familie Mayer; auf ihrer Arbeit ruhte ein Fluch, niemand rühmte sich seiner Fortschritte, niemand erkundigte sich nach den Fortschritten des andern, sie hüteten sich, irgendein Gespräch anzufangen, als ob sie fürchteten, es werde mit Klagen endigen, denn es ist schauderhaft, Familienklagen anhören zu müssen.

Es giebt aber Klagen, die auch stillschweigend sprechen; alle Mitglieder der Familie begannen in ihrem Äußeren jene gewisse Nachlässigkeit zu zeigen, welche denjenigen eigen ist, die nur dann nett aussehen, wenn sie neue Kleider anhaben und den ganzen Tag vor den Spiegel stehen können; sonst hängt und schlottert alles an ihrem Leibe, ihre Kleider sehen abgetragen aus und verraten Armut, ohne noch schlecht zu sein.

Die Mädchen waren genötigt, ihre vorjährigen Kleider hervorzusuchen und auszubessern; der Fasching kam, überall wurden große Bälle angekündigt und sie mußten zu Hause bleiben, weil sie die Ausgaben zu einem Balle nicht erschwingen konnten.

Wohin immer Mayer blickte, sah er verdrießliche, niedergeschlagene, trotzige Gesichter, aber er kümmerte sich gewöhnlich nicht viel darum; nur Sonntags Nachmittags, wenn das Glas Wein seine Nerven magnetisiert hatte, ergoß sich der Strom seiner Rede und dann gab er den Töchtern fromme Lehren; er sagte ihnen, wie glücklich er sei, daß er seinen ehrlichen Namen bewahrt habe, wenn er auch arm sei und einen zerrissenen Rock trage (was für die erwachsenen Töchter freilich kein großer Ruhm war), aber er sei stolz auf diese Fetzen und wünsche, daß auch seine Töchter auf ihre Tugenden stolz seien u. s. w.

Jene gingen freilich von dieser Predigt nacheinander weg und ließen ihn allein.

Auf einmal indes begann in die Familie eine bessere Laune, ein heiterer Geist zu kommen; Herr Mayer, der einmal aus seinem Bureau, oder Gott weiß von wo kam, überraschte seine Töchter beim Singen, die Frau hatte sich neue Hauben gekauft, alle trugen neue Kleider, die Speisen begannen besser zu werden und Herr Mayer hatte jetzt nicht bloß am Sonntag, sondern an allen Tagen der Woche sein Glas Wein. Ihm wäre das alles nicht aufgefallen, ebensowenig wie den Vögeln des Himmels das volle Kornfeld, die auch nicht fragen, wer das alles für sie gesäet habe, wenn ihm nicht eines Tages die Frau ins Ohr geflüstert hätte, Mathilde habe in der Kunst so schöne Fortschritte gemacht, daß der Direktor sich bewogen fühlte, ihre Gage bedeutend zu verbessern; nur müsse das noch geheim bleiben, damit die andern nicht auch eine höhere Gage verlangten. Herr Mayer fand das sehr natürlich.

Es überraschte ihn zwar, daß er an Mathilden immer prächtigere Kleider sah, daß sie die modernsten Shawls und Hüte trug, die sie auch bald wieder der Schwester schenkte; er nahm auch wahr, daß man, sobald er ins Zimmer trat, das Gespräch plötzlich unterbrach, und wenn er fragte, wovon gesprochen wurde, sahen sie sich einander an, damit sie keine widersprechenden Antworten gäben; das alles beunruhigte ihn so sehr, daß er seine Frau einmal fragte, warum Mathilde so teure Kleider trage.

Die gute Frau beruhigte den sorgsamen Familienvater hierüber vollständig. Erstens seien das keine teueren Waren, sie sähen nur so aus, außerdem kaufe Mathilde diese Kleider von der Primadonna um einen Spottpreis, wie das schon beim Theater so zu gehen pflegt.

Herr Mayer lernte jetzt viel; denn was er da hörte, war ihm neu.

Auch erfuhr er von dem Tage an von seiner Familie sehr viel Liebe und alles war bestrebt, ihm seine Wünsche an den Augen abzusehen. Wie gut sind doch meine Töchter, sagte der glückliche Familienvater.

An seinem Geburtstag wurde er von jeder besonders mit Geschenken überrascht. Mathilde selber erfreute ihn mit einer kostbaren Meerschaumpfeife, auf welcher Jagdhunde abgebildet waren. Das Stück war, die Silberbeschläge abgerechnet, fünfundzwanzig Gulden wert.

Teils aus Freude hierüber, teils der Schicklichkeit wegen nahm sich Mayer vor, an diesem Tag auch Therese zu besuchen, wozu er um so mehr Lust hatte, da sein Rock jetzt mit einem neuen Samtkragen versehen war; er nahm seine schöne Meerschaumpfeife mit und ging zu Theresen.

Die fromme Jungfrau saß am Ofen; bei ihr wurde jetzt noch geheizt, obwohl es schon Mitte Frühling war. Herr Mayer grüßte sie, ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.

Therese hieß ihn setzen. Sie behandelte ihn außerordentlich kalt, dreimal hustete sie, ehe sie ein Wort sprach. Herr Mayer wartete nur, sie werde ihn fragen, wieso er zu der schönen Pfeife gekommen sei, wobei er den Nebengedanken hatte, daß sie, sobald sie den feierlichen Anlaß erfahren wird, sich beeilen werde, ihm auch ein Geschenk zu machen. Endlich mußte er selbst sprechen.

– Schau, Schwester, was für eine schöne Meerschaumpfeife ich da habe.

– Schön, sagte sie, ohne nur darauf zu sehen.

– Meine Tochter hat mir sie zu meinem Geburtstag gekauft, schau sie nur an.

Mit diesen Worten reichte er Theresen das schöne Kunstwerk hin.

Diese faßte die Pfeife und schlug sie mit solcher Heftigkeit an den eisernen Fuß des Ofens, daß sie in Stücke sprang.

Herrn Mayer stand der Mund weit offen; das ist eine schöne Geburtstagsgratulation.

– Schwester, was soll das bedeuten?

– Was das bedeuten soll? Daß du ein dummer Mensch bist, mit so großen Hörnern, daß du nicht mehr zur Thüre herein kannst und doch bemerkst du's nicht. Die ganze Welt weiß, daß deine Tochter die Maitresse eines reichen Magnaten ist und du entblödest dich nicht allein, mit ihr zu wohnen, sondern auch ihren schmachvollen Erwerb mit ihr zu teilen, ja kommst sogar zu mir her, um dich dessen zu rühmen.

– Was! welche Tochter? schrie Mayer. Plötzlich fiel ihm so vieles ein, daß er sich nicht mehr auskannte.

Therese zuckte die Achseln.

– Wenn ich nicht wüßte, wie leichtsinnig du bist, so müßte ich dich für sehr verworfen halten. Du glaubtest mich zum besten zu halten, als du mir sagtest, deine Tochter sei eine Erzieherin geworden, während sie zum Theater gegangen war. Ich will dir nicht sagen, welche Ansichten ich über diesen Beruf habe, ich will zugeben, daß meine Gedanken veraltet sind; aber so viel setze ich doch von einem Menschen voraus, der rechnen gelernt hat, daß er wissen muß, man könne von einer Monatsgage von sechzehn Gulden nicht Hunderte für Luxus ausgeben.

– Ah, ich bitte, Mathildens Gage ist verbessert worden, sagte Mayer, der es gern gehabt hätte, daß auch andere etwas von dem glaubten, was er glaubte.

– Das ist nicht wahr; du kannst es beim Direktor erfahren, wenn du willst.

– Und das ist kein so großer Luxus, wie du meinst. Die alten Kleider, die sie trägt, kauft sie von Primadonnen.

– Das ist auch nicht wahr, sie hat alles neu gekauft; bei »Fleß und Huber« allein hat sie dieser Tage für mehr als dreihundert Gulden Spitzen eingekauft.

Darauf wußte Mayer nichts zu antworten.

– Aber warum gaffst du, wie die Kuh vor dem neuen Thor! rief Therese endlich zornig; Hunderte, Tausende haben sie mit dem gewissen Herrn im Fiaker, in seiner Equipage gesehen, nur du allein bist so blöde und siehst deine Schande nicht, die jeder sieht. Mich wundert nur, daß man noch keine Posse geschrieben hat, in welcher du vorkommst. Ein Familienvater, der jeden Sonntag, wenn er betrunken ist, seinen Töchtern, die ihn hinter dem Rücken auslachen, Moralpredigten hält, und dann mit den Meerschaumpfeifen prahlt, die ihm der Verführer seiner Tochter zum Geburtstag geschenkt hat. Wenn ich glaubte, daß du nur eine Ahnung von allen den Schlechtigkeiten hast, so würde ich dich mit dem Besen, mit welchem ich diese Pfeifentrümmer zusammenfege, aus meinem Zimmer jagen – und wenn man deine Seele für eine Pfeife kaufen kann, so gebe ich nicht ein Stückchen Zündschwamm dafür.

Herr Mayer war sehr betroffen, stand ohne ein Wort zu sprechen auf, nahm seinen Hut und ging vor allem in den Laden der Herren Fleß und Huber, um sich zu erkundigen, wie viel seine Tochter dort eingekauft habe. Das machte in der That mehr als dreihundert Gulden aus, Therese war gut unterrichtet. Es ist umsonst; man hat doch immer gute Freunde, die einem alles sagen, wovon sie wissen, daß es einen betrüben werde.

Von da ging er zum Theaterdirektor und fragte, welche Gage seine Tochter bekomme.

Der Direktor wußte es auswendig, er sagte, sie erhalte sechzehn Gulden, verdiene aber auch die nicht, weil sie nachlässig studiere und gar keine Fortschritte mache; übrigens scheine es, daß ihr nichts daran gelegen sei, denn sie erscheine niemals zu den Proben und die Hälfte ihrer Gage gehe in Strafen auf.

Das war zu viel.

Herr Mayer kannte sich vor Wut nicht aus. Er eilte heim. Zum Glück stürzte er mit solchem Getöse ins Haus, daß die Familie Zeit hatte, Mathilde vor seiner Wut zu verbergen; aber er nahm sich doch die Genugthuung, daß er die verworfene Tochter verleugnete, enterbte und ihr verbot, seine Schwelle zu übertreten, sonst werde er ihr den Hals umdrehen, ihr den Kopf spalten, sie in Stücke zerreißen u. s. w.

Der brave fromme Mann hatte plötzlich ein Tigerherz bekommen. Er war wütend und unerbittlich, wollte von der verfluchten Tochter nichts mehr hören und befahl, daß man es nicht mehr wage, sie zu nennen, denn wer sie nenne, müsse auch aus dem Haus.

Dieser grausame Ausspruch gab zu vielem Weinen Anlaß, aber Herr Mayer nahm sich vor, hartherzig zu bleiben und er achtete gar nicht darauf, als seine Frau und seine Kinder beim Essen fortwährend seufzten. Zu seufzen erlaubte er ihnen; wem's beliebt, der möge seufzen, aber er fragte niemanden nach der Ursache.

Eine ganze Woche hielt er es aus, so grausam zu sein; manchmal hätte er sogar gewünscht, daß sie von der Verstoßenen wieder zu sprechen anfingen, bloß damit er wieder gegen sie wüten könne. Zuweilen schwebte ihm das Wort schon auf der Zunge, aber er würgte es wieder hinab und schwieg. Endlich, als er sich eines Tages zu Tische setzte und niemand etwas aß, konnte es Herr Mayer nicht länger aushalten.

– Also was fehlt euch? Warum eßt ihr nicht? Warum weint ihr?

Die Mädchen nahmen die Schürzen vor die Augen und weinten noch mehr; die Frau antwortete schluchzend: Das Mädchen stirbt mir.

– Freilich, sagte der Mann und stopfte sich einen so großen Löffel voll Mehlspeise in den Mund, daß er beinahe erstickte; man stirbt nicht so leicht.

– Es wird ja für die Arme besser sein, wenn sie stirbt; wenigstens leidet sie dann nicht mehr.

– Warum schickt man ihr keinen Arzt?

– Ihre Krankheit vermag kein Arzt zu heilen.

– Hm, murmelte Mayer und stocherte sich die Zähne. Die Frau schwieg eine Weile, dann fuhr sie in weinerlichem Tone fort: Immer spricht sie nur von dir, nur ihren Vater möchte sie sehen und ihm noch einmal die Hand küssen, dann will sie gerne sterben.

Auf dieses Wort fing die ganze Familie an zu weinen; Herr Mayer that, als ob er sich das Gesicht abtrocknete.

– Also wo liegt sie? fragte er mit erzwungener Ruhe.

– Auf dem Zuckermandel (eine Vorstadt Preßburgs), in einem ärmlichen Monatszimmer, von aller Welt verlassen.

Also in einem erbärmlichen Zustande, dachte Herr Mayer. Therese hat also vielleicht doch nicht ganz recht gehabt. Möglich, daß sie jemanden geliebt und von ihm Geschenke angenommen hat; das ist noch kein so großes Verbrechen; daraus folgt noch nicht, daß sie sich verkauft habe. Diese alten Jungfern, welche niemals die größten Freuden der Welt genossen haben, sind doch der Jugend so neidisch.

– Hm, also auch von mir spricht das schlechte Mädchen.

– Sie glaubt, dein Fluch habe es ihr angethan. Seit sie von da fort ist – –

Hier wurde die Rede wieder vom allgemeinen Weinen unterbrochen.

– Seit sie von da fort ist, fuhr Frau Mayer fort, ist sie noch nicht vom Bett aufgestanden, ich weiß, daß sie es auch nicht mehr verlassen wird, als bis man sie in den Sarg legt.

– Nun, führt mich also nachmittags zu ihr hin, sagte Herr Mayer endlich gerührt.

Auf dieses Wort fiel ihm die ganze Familie um den Hals, küßte und umarmte ihn und auf der ganzen Welt gab es keinen so guten Vater.

Kaum konnten sie's erwarten, daß der Tisch abgeräumt sei; sie kleideten das fromme Familienoberhaupt an, gaben ihm den Stock in die Hand und gingen alle nach dem Zuckermandel, wo Mathilde in einer ärmlichen Dachstube lag, in welcher sich im strengsten Sinne des Wortes nichts befand, als ein Bett und zahlreiche Medizinflaschen.

Den guten Vater überlief's bei diesem Anblick eiskalt. Also Mathilde hat nichts! Armes Mädchen! Wer hätte denken können, daß sie binnen einer Woche alle ihre Spitzen und Seidenkleider in Medizin vertrunken habe.

Das Mädchen wollte aufstehen, um den Vater zu sehen, aber sie vermochte es nicht; Herr Mayer ging mit einem Armensündergesicht zu ihr hin, als hätte er ein Verbrechen begangen. Das Mädchen ergriff seine Hand, preßte sie an die Brust, bedeckte sie mit Küssen und bat mit gebrochener Stimme um Vergebung.

Das Herz des guten Vaters hätte wirklich aus Stein sein müssen, wenn er ihr die Vergebung versagt hätte. Er verzieh ihr. Sogleich ließ er einen Fiaker kommen und brachte sie nach Hause. Möge die Welt reden, was sie will, Blut ist nicht Wasser, ein Vater kann sein Kind wegen eines kleinen Vergehens nicht umbringen.

Er konnte das um so weniger thun, da er nicht einmal eine Ursache dazu hatte; denn noch an demselben Tag erhielt er einen Brief, den ein Livreebedienter überbrachte und in welchem der oft erwähnte Grundbesitzer ihm eigenhändig schrieb, wie sehr es ihn schmerze, daß seine unschuldige Annäherung, mit welcher er nur gute Absichten verband, zu solchen Mißverständnissen Anlaß gegeben habe. Er hege gegen seine ganze schätzbare Familie die größte Achtung und was er für Mathilde fühle, sei nichts anderes, als Verehrung für die Kunst; daß aber die Tugend seiner Tochter unerschütterlich sei, das könne er mit den gültigsten Zeugnissen beweisen und er sei bereit, diese mit seiner eigenen Handschrift auszustellen.

Ah, das ist ein wackerer, ehrenhafter Mann.

Mayer, Mayer, wo war dein Verstand, daß du urteiltest, ohne die andere Partei anzuhören? du verdientest, daß du deine Familie um Vergebung bitten müßtest.

Bei einem andern Mädchen würde man einem solchen Anbeter antworten, er möge sie heiraten, wenn er reine Absichten hege, aber eine Künstlerin ist eine Ausnahme, sie darf man auch bloß verehren; man darf der Kunst huldigen und das ist keine Verführung, sondern nur Achtung, Auszeichnung, Würdigung, und aus dem allen folgt nicht, daß man sie heiraten müsse.

– Nun gut, sagte Herr Mayer, welchen dieser Brief vollkommen beruhigte, das ist ganz was anderes; aber wenigstens soll er sich nicht bemühen, Mathilde auf öffentlichen Spaziergängen und hinter den Coulissen aufzusuchen, denn das kann sie kompromittieren; wenn er ehrenhafte Absichten hat, so möge er ins Haus kommen.

Dummer Mensch! er füttert die Ratten, damit sie nachts keinen Lärm machen, anstatt für sie eine Katze zu halten.

Binnen zwei Tagen war Mathilde natürlich so gesund wie ein frisch vom Baum gefallener Apfel und der Grundbesitzer kam jetzt ins Haus.

Wir wollen uns nicht bemühen, ihn zu beschreiben, denn wir werden uns ohnehin nicht viel mit ihm abgeben; nach einigen Monaten reist er ab, nach ihm kommt ein junger Bankier, dann wieder ein Grundbesitzer, dann ein vierter, ein fünfter, und wer weiß, wie viele noch. Und alle diese sind große Verehrer der Kunst, wackere anständige Leute, von welchen man kein unschickliches Wort hört, die der Mama die Hand küssen, mit dem Papa über ernste Dinge sprechen und sich vor den Mädchen, wenn sie kommen und gehen, mit solcher Bescheidenheit verneigen, als ob sie's mit Gräfinnen zu thun hätten. Manche unter ihnen sind lustige, geistreiche junge Herren, bei deren Scherzen man sich zu Tode lachen muß, die in die Küche gehen und mit der Mama einen lustigen Streit beginnen, den Kuchen stehlen, kurz liebe närrische Jungen.

Vier Mädchen waren schon erwachsen, eine war schöner als die andere und im Alter waren sie kaum voneinander verschieden. Als sie aufwuchsen und ihre jungfräuliche Schönheit sich entwickelte, wurde Herrn Mayers Haus immer geräuschvoller, immer besuchter; der alte Luxus, der Leichtsinn und die Verschwendung kehrten wieder zurück, ewige Heiterkeit herrschte im Hause, die gewähltesten Gesellschaften versammelten sich da, in welchen Grafen, Barone, Edelleute, Bankiers und andere große Herren zusammen kamen.

Herr Mayer bemerkte zwar, daß diese Grafen und Bankiers, wenn er ihnen auf der Gasse begegnete, sich anstellten, als ob sie ihn nicht sähen, ja sogar, wenn sie seinen Töchtern begegneten, stellten sie sich so; aber er pflegte sich über Dinge, die ihm nicht gefielen, nicht den Kopf zu zerbrechen. Er dachte, das sei schon die Manier großer Herren.

Auch das jüngste Mädchen begann schon heranzuwachsen, sie war bereits zwölf Jahre alt und man konnte an ihrer Entwicklung sehen, daß sie alle ihre Schwestern an Schönheit übertreffen werde. Sie trug noch kurze Kleidchen und Höschen, ihr dichtes, langes Haar hing in zwei Zöpfen herab und die Verehrer des Hauses fragten sie schon scherzend, wann denn auch sie lange Kleider tragen werde, wie ihre Schwestern.

Eines Tages erhielt Herr Mayer einen ungewohnten, überraschenden Besuch. Eben unterhielten sich einige heitere junge Herren mit den Mädchen und sogar auf die Mama kam ein Elefant, der sie lachen machte; Papa Mayer aber erschlug Fliegen an der Wand. Da klopfte jemand an der Thür und als niemand herein sagte, so wurde wieder geklopft und endlich auch ein drittes Mal; nun sprang ein lustiger junger Herr hin und riß die Thür auf, in der Erwartung, es werde einer seiner Genossen sein, der die Gesellschaft überraschen wolle.

Die Gestalt einer alten, dürren Dame in abgetragenen schwarzen Kleidern stand vor der Gesellschaft.

Herr Mayer erschrak heftig, es war Therese.

Ohne die Anwesenden nur der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, ging die alte Jungfer gerade auf Herrn Mayer los.

Der gute Familienvater war in einer unerhörten Verlegenheit; er wußte nicht, ob er die ehrsame Jungfrau solle sitzen heißen? wohin? neben einen der Merveilleux? soll er sie der heitern Gesellschaft als seine Schwester vorstellen, oder thun, als ob er sie nicht kenne? oder soll er einen der Gäste nach dem andern Theresen als Hausfreund vorstellen?

Therese half ihm selbst aus der Verlegenheit. Sie sprach ruhig und kalt: Ich hätte mit dir ein paar Worte zu reden und wenn du Zeit hast, deine Gäste auf einige Augenblicke zu verlassen, so führe mich irgend wohin, wo wir die Gesellschaft nicht stören.

Papa Mayer nahm den Antrag, seine Schwester aus diesem vornehmen Kreise zu entfernen, gern an, öffnete vor ihr eine Thüre und führte sie in ein entlegenes Zimmer.

Kaum hatte er die Thüre hinter sich geschlossen, als er die Gesellschaft laut lachen hörte; Papa Mayer beeilte sich, Therese vor sich herzutreiben. Sie hätte sehr einfältig sein müssen, um nicht zu erraten, daß man jetzt über sie, die altmodische Jungfrau, gelacht habe.

Papa Mayer bemühte sich, gegen Therese so freundlich, wie nur möglich, zu sein.

– Setze dich, liebe Schwester, o wie glücklich bin ich, dich wieder einmal sehen zu können.

– Ich bin eben nicht gekommen, um dir Höflichkeiten zu sagen, sprach Therese trockenen Tones und zu den paar Worten brauche ich mich nicht erst zu setzen, ich kann meine Sache stehend vorbringen. Seit zwei Jahren haben wir uns nicht gesehen und seit der Zeit hast du dich so sehr von mir entfernt und führst eine solche Lebensweise, daß es für ewig unmöglich ist, uns einander wieder zu nähern. Ich denke, daß dich das nicht sehr betrüben wird und deshalb habe ich den Mut, es dir zu sagen. Deine vier Töchter haben nacheinander alle denselben Beruf gewählt. Ich will nichts weiter sagen; es ist besser, wenn man über solche Dinge gar nicht spricht, ich bitte dich, mich nicht zu unterbrechen; ich will dir damit keine Vorwürfe machen. Du bist Herr deiner Handlungen. Du hast noch eine Tochter, sie ist zwölf Jahre alt und heute oder morgen ein erwachsenes Mädchen. Ich bin nicht gekommen, um dir eine theatralische Scene vorzuspielen, ich will dir keine Lektion halten über Sitten, Religion, Gott, weibliche Tugend, lauter Dinge, über welche große Herren und große Geister spotten; ich will mich nicht mit Bitten an dein väterliches Herz wenden, daß du an der fünften Tochter rettest, was du an den vier andern verabsäumt hast; denn ich weiß, daß du dazu nicht den Willen hast und hättest du ihn schon, so würde es dir an Kraft fehlen und hättest du auch diese, so fehlte es dir an Verstand dazu.

Herr Mayer war ein so guter Mensch, daß er nur zu lächeln pflegte, wenn man ihm solche Dinge sagte.

– Um dir weniger ungelegen zu sein, will ich dir kurz sagen, weshalb ich gekommen bin. Ich bitte dich, nein, ich fordere von dir, daß du mir deine jüngste Tochter übergebest. Ich werde sie rechtschaffen erziehen, wie es sich für ein ehrsames Bürgermädchen schickt. Ihre Seele ist noch unverdorben, sie ist noch in Gottes Hand, ich werde mich auch bis zu meinem Lebensende bemühen, ihre guten Sitten zu bewahren und verlange von dir nichts weiter, als daß weder du, noch irgendein Mitglied deiner Familie sich um das Mädchen weiter kümmere. Gott wird mir in meinem Vorhaben beistehen. Ich halte es übrigens für gut, zu bemerken, daß ich vorhin nicht umsonst gesagt habe, daß ich es »fordere«; denn wenn du meinen Antrag zurückweisest, so werde ich mich an die höchsten Behörden wenden, um zum Ziele zu gelangen und das könnte dir viele Unannehmlichkeiten bereiten. Ich bin imstande, bis zum Fürst-Primas zu gehen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, die mich zu diesem Schritt nötigen. Eigentlich wäre an meinem Antrag nichts zu überlegen; indes lasse ich dir bis morgen früh Zeit; wenn du mir aber bis dahin das Mädchen nicht bringst, so kannst du in mir auf deine erbittertste Feindin zählen. Die Gnade des barmherzigen Gottes sei immer mit dir!

Hiermit entfernte sie sich.

Herr Mayer begleitete seine Schwester und so lange er sie vor sich sah, stand ihm der Verstand still, er war nicht Herr eines einzigen Gedankens. Er begann erst zu sich zu kommen, als sie ihm aus den Augen schwand. Die Mädchen und die jungen Herren begleiteten das Erscheinen der alten Jungfer mit spaßhaften Bemerkungen und diese Späße gaben dem Papa Mayer seinen Mut wieder. Er begann ihnen zu erzählen, was das alte Fräulein hergeführt habe.

– Sie wollte nichts anderes, als Fanny entführen und für immer bei sich behalten.

Ho! – oh! – ah! erscholl es von allen Seiten.

– Und warum? ich möchte wissen weshalb? Erziehe ich sie nicht honett? Kann jemand etwas gegen mich einwenden? Kann man mir etwas vorwerfen? Achte ich nicht auf meine Töchter, wie auf meinen Augapfel? Hat schon jemand von mir ein böses Wort gehört? Bin ich etwa ein bekannter Betrüger, der seinen Kindern ein schlechtes Beispiel giebt und dem die Behörden deshalb seine Kinder wegnehmen dürfen? Nun, meine Herren, sagen Sie, was Sie über mich wissen. Bin ich ein Dieb, ein Räuberhauptmann, ein Falschmünzer? Hört man von mir Gotteslästerungen, oder kann man mir Verschwendung vorwerfen?

Bei diesen Worten ging er hitzig und mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, wie ein Theaterheld, und ließ sich von seinen Gästen anstaunen.

Was er sprach, das machte auch endlich eine große Wirkung, nämlich die, daß die jungen Herren sich nacheinander davonmachten. In Theresens Drohung war etwas, was für sie unangenehm sein konnte.

Als die Familie sich allein befand, da brach erst das Gewitter gegen Therese los; diese alles übertreffende Keckheit empörte die Gemüter, es gab keine so böse, hinterlistige Person auf der Welt, wie das alte Fräulein; sie soll es nur nicht wagen, noch einmal einen Fuß ins Haus zu setzen, sie werfen die häßliche Hexe gewiß hinaus.

Herr Mayer selbst begann auch in Wut zu kommen. Er konnte vor Empörung nicht ruhen, er mußte fortgehen, um seinem Gemüt Luft zu machen.

Er hatte drei gute Bekannte, noch von jener Zeit her, da er Beamter war; diese waren berühmte Juristen, auf deren Rat er bauen konnte. Er hatte sie zwar schon lange nicht gesehen, aber jetzt fiel es ihm ein, sie aufzusuchen und Theresen zuvorzukommen, falls sie etwa ihre Drohungen ausführen wollte.

Der erste, den er antraf, war Herr Schmerz, Magistratsrat, ein lediger Vierziger mit glattem Gesicht und sanftem Gemüt; er fand ihn eben im Garten, wo er Nelken setzte.

Er sagte diesem, was ihn hergeführt habe, womit Therese ihm drohe und daß sie ihn sogar beim Primas angeben wolle.

Herr Schmerz lächelte während der ganzen Rede, nur zuweilen bedeutete er Herrn Mayer, er möge ihm nicht in die Blumenbeete treten. Als Herr Mayer geendigt hatte, antwortete er ganz ruhig darauf: Therese wird das nicht thun.

Sie wird es nicht thun? dachte Herr Mayer bei sich; das ist nicht genug. Er wollte hören, Therese könne und dürfe das nicht thun, und wenn sie es wagen sollte, so würde sie sich lächerlich machen.

Herr Schmerz hatte sich vorgenommen, an diesem Abend unendlich viele Nelken zu setzen, sodaß Herr Mayer es für besser hielt, mit seiner Klage zu dem zweiten Bekannten zu gehen, in der Hoffnung, er werde hier eine bestimmtere Antwort hören.

Dieser war Herr Chlamek, ein berühmter Advokat, ein geschätzter Charakter, ein außerordentlich trockener Mensch, voll praktischen und gesunden Menschenverstandes und Vater von drei Söhnen und zwei Töchtern.

Herr Chlamek hörte die ganze Geschichte mit Advokatengeduld an und antwortete ruhigen und aufrichtigen Tones: Lieber Freund, fangen Sie mit Ihrer Schwester über eine solche Angelegenheit keinen Streit an, wenn es ihr beliebt, eine Ihrer Töchter zu sich zu nehmen, so geben Sie sie in Gottes Namen hin, Ihnen bleiben dann noch Töchter genug. Ich weiß es an mir selbst, daß man mit einem Mädchen mehr aussteht, als mit drei Knaben. An Ihrer Stelle würde ich ihr dieses Verlangen nicht abschlagen.

Herr Mayer antwortete keine Silbe; dieser Rat gefiel ihm noch weniger. Er ging zum dritten.

Dieser schien ihm der wackerste Mann; er hatte einen ungarischen Namen und hieß Bardácsi. Er war Assessor des Kriminalgerichts, schrecklich grob mit denjenigen, auf welche er zürnte und wickelte sich das ganze Gericht um den Finger.

Herr Mayer fand den würdigen Kriminalassessor vor einer Menge staubiger Papiere. Derselbe war gewohnt, daß, wenn er mit irgendeiner verwickelten Angelegenheit beschäftigt war, diese so sehr zu seiner eigenen zu machen, daß er völlig darin lebte; er war zornig, wenn er eine Rechtsverdrehung, auffallende Exceptiven sah und beruhigte sich nicht eher, als bis die gerechte Partei gewonnen hatte. Außerdem war er wegen seiner Unbestechlichkeit bekannt; wer ihm Dukaten brachte, den warf er hinaus und wenn schöne Frauen zu ihm kamen, um auf sein Urteil durch ihre Reize von Einfluß zu sein, so betrug er sich gegen sie so unhöflich, daß sie gewiß nicht ein zweites Mal kamen.

Sobald Herr Bardácsi Herrn Mayer eintreten sah, nahm er das Augenglas ab, legte es in die geöffneten Akten, um später zu wissen, wo er unterbrochen wurde und schrie mit außerordentlich grobem Ton: Na, Freund Mayer, was giebt's? Herr Mayer freute sich über das Wort »Freund«, aber das war beim Assessor nur Redensart; so pflegte er auch seinen Schreiber, seinen Heiducken und die streitenden Parteien zu nennen, wenn er sie zornig anfuhr.

Mayer brachte seine Klage mit Zuversicht vor, er setzte sich auch nieder, ohne daß ihm ein Sitz angeboten wurde, wie in den früheren glücklichen Zeiten, als sie noch Klubkollegen waren.

Herr Mayer pflegte, wenn er sprach, niemals dem ins Auge zu sehen, an den er seine Worte richtete; durch diese Feigheit war er des Vorteils beraubt, die Wirkung seiner Worte an den Gesichtern abzulesen. Es mußte ihn daher sehr überraschen, als ihn am Ende seiner Rede Herr Bardácsi außerordentlich zornig anschrie: Wozu sagen Sie mir das alles?

Herrn Mayer sank plötzlich der Mut, er konnte nicht antworten, sein Mund bewegte sich nur, wie bei gewissen Gipsfiguren.

– Was! rief Herr Bardácsi mit noch größerer Anstrengung der Lunge, indem er vor den unglückseligen Klienten nahe hintrat und ihn mit weit geöffneten Augen ansah.

Der unglückliche Mann sprang in seinem Schrecken vom Stuhl auf, auf welchem er unaufgefordert Platz genommen hatte und bemerkte: Ich bitte ergebenst, ich bin gekommen, um mir Ihren Rat zu erbitten, um Ihre Unterstützung.

– Was? Sie glauben, daß ich Ihre Partei nehmen werde? rief der Assessor mit einer Stimme, als ob er einen Tauben vor sich hätte.

– Ich glaubte, stammelte der unglückliche Familienvater, die alte Herzlichkeit, welche Sie früher meinem Hause erwiesen –

Bardácsi ließ ihn nicht zu Ende reden.

– Was? Ihr Haus! Damals war Ihr Haus ehrenhaft, jetzt aber ist es ein Sodom und Gomorrha, das den Narren der ganzen Welt offen steht; Sie haben Ihre vier Töchter der Hölle verlobt und sind jedem Menschen von gutem Gewissen ein Greuel; Sie verderben die Jugend der Stadt; wo es nur einen ausschweifenden Sohn und einen leidenden Vater giebt, dort nennt man Ihren Namen.

Da brach Herr Mayer in Thränen aus und stammelte, daß er davon nichts wisse.

– Mit was für einer schönen Familie hat Gott sie gesegnet und wie haben Sie dieselbe zum Gespötte der Welt gemacht. Sie haben mit der Unschuld, mit der Liebe und dem Seelenheil Ihrer Töchter Handel getrieben; Sie haben sie den Meistbietenden verkauft, versteigert, Sie haben sie gelehrt, wie sie auf der Gasse die Leute mit ihren Blicken fangen sollen, wie sie zu lachen, zu lächeln und den Leuten Liebe zu heucheln haben, die sie zum erstenmal sehen, wie sie lügen und Geld erpressen sollen.

Der Unglückliche brachte schluchzend und mit erstickter Stimme einige Worte hervor, daß er das nie gethan habe.

– Jetzt haben Sie noch eine Tochter, die jüngste, die schönste, die liebenswürdigste; als ich noch in Ihr Haus kam, war sie ein kleines Wickelkind, jedermann trug sie herum und liebte sie am meisten. Erinnern Sie sich noch daran? Und jetzt wollen Sie auch diese verkaufen? Und Sie sind bös und widerhaarig, wenn eine ehrenhafte Person das unglückliche Kind retten will, damit ihre Unschuld nicht beschmutzt werde, damit ihre Seele nicht in den Krallen junger Wüstlinge, Pflastertreter, nichtsnutziger Laffen dahinwelke, damit nicht ihr ganzes Leben unglücklich und schmachvoll, damit sie in ihrer Todesstunde nicht verlassen sei und dem Feuer der Hölle entgegensehe! Dagegen machen Sie noch Einwendungen? Freilich, man will Sie eines großen Schatzes berauben, den Sie teuer verkaufen können, dessen Preis Sie sich schon im voraus berechnet haben. Ist's nicht so?

Herrn Mayer klapperten die Zähne vor Schrecken und Schauder.

Mit strengem Tone fuhr der Assessor fort: Wenn Sie noch fähig sind, einen guten Rat anzunehmen, so sage ich Ihnen, geben Sie Ihr Kind Ihrer ehrsamen Schwester Therese; denn wenn Sie die Sache auf einen Prozeß ankommen lassen und noch fernere Einwendungen machen, Donnerwetter, dann lasse ich Sie einsperren.

Mayer fragte in seinem Schrecken, »in welches Gefängnis?« Den Assessor überraschte diese Frage einen Augenblick, aber schnell fand er eine Antwort.

– Ins Zuchthaus, wenn Sie wissen, was in Ihrem Hause vorgeht und ins Narrenhaus, wenn Sie's nicht wissen.

Herr Mayer hatte genug. Er empfahl sich und ging. Kaum fand er sich zur Thüre hinaus und taumelnd gelangte er auf die Straße hinab, sodaß ihn die Leute für einen Betrunkenen hielten.

Also von anderen mußte er erfahren, daß er kein ehrlicher Mensch sei; von fremden Lippen mußte er hören, daß man ihn verachte, verspotte, verfluche, daß man ihn für einen Kuppler halte, der seine eigenen Töchter verkauft, daß man sein Haus für das Verderben der Jugend halte.

Er aber hatte geglaubt, er sei der beste Mensch von der Welt, dessen Haus man schätzt, dessen Freundschaft man sucht. Er überlegte, ob er wohl noch den Fuß in jenes Haus setzen dürfe.

Tieftraurig schlenderte er bis zum Teich in der Mühlau; wie schön ist dieser Teich, dachte er, wie viel schlechte Töchter könnte man da ertränken, man könnte gar selbst hineinspringen.

Hiermit kehrte er um und eilte nach Hause.

Zu Hause klagte und jammerte man noch immer über Theresens Forderung.

– Arme Fanny, bei uns hat es die Dienstmagd besser, als du es bei Theresen haben wirst.

– O, wie angenehme Tage wirst du verleben, den ganzen Tag stricken, nähen und abends bis zur Andachtsstunde der Tante vorlesen, bis sie einschläft.

– Ich weiß, daß sie vor dir über uns fortwährend schlecht reden wird, du wirst uns so fremd werden, daß du uns gar nicht mehr anschauen wirst.

– Arme Fanny, der alte Knochen wird dich sogar auch schlagen.

– Arme Fanny!

– Armes Mädchen!

– Arme Schwester!

Das Mädchen wurde durch dieses viele Seufzen mit Schreck erfüllt; endlich kam man überein, Fanny möge dem Vater – wenn dieser Theresen nachgeben sollte – sagen, sie wolle nicht hingehen, die übrigen werden dann schon ihre Partei nehmen.

Eben hörte man Herrn Mayers Schritte auf der Treppe; den Hut auf dem Kopf trat er ein – in einem solchen Hause pflegt man ja nicht den Hut abzunehmen.

Er wußte, daß ihm alle ins Gesicht sahen, er wußte auch, sein Gesicht sehe so verwirrt aus, daß alle erschrecken mußten, die ihn anblickten.

Er schaute niemanden an und sagte bloß zu Fanny: Nimm Mantel und Hut und mache dich bereit.

– Wozu Papa? fragte Fanny nach der Gewohnheit schlecht erzogener Kinder, die immer, wenn man ihnen etwas befiehlt, fragen: Wozu?

– Du wirst mit mir gehen.

– Wohin, Papa?

– Zu der Tante.

Alle bestrebten sich, Staunen auszudrücken, Fanny sagte furchtsam, mit niedergeschlagenen Augen und mit einem Bande spielend: Ich will nicht zur Tante gehen.

Auf dem Tisch lag ein auseinander gelegter Stickrahmen.

– Was hast du gesagt? fragte Mayer, sich zu dem Mädchen neigend, als ob er es nicht gehört hatte.

Fanny blickte auf ihre Mutter und ihre Schwestern, und als sie den ermunternden Blicken derselben begegnete, sprach sie mutig und entschlossen: Ich will nicht zur Tante Therese gehen.

– Wie? du willst nicht?

– Ich will hier bleiben bei der Mutter und den Schwestern.

– Bei deiner Mutter und deinen Schwestern? – und das werden, was sie sind?

Hiermit ergriff er die Hand des Mädchens und einen Teil des Stickrahmens und bevor sie Zeit hatte, sich zurückzuziehen, schlug er sie so, daß ihm selbst das Herz brach.

Die Schwestern warfen sich alle dazwischen, aber sie kamen ihm recht, den ganzen Stickrahmen zerbrach er an ihnen. Endlich kam auch die Frau hinzu. Vom Rahmen war schon kein Stück mehr ganz, darum schlug er sie mit der Faust, bis sie zusammensank.

Diese Lektion mit gehörigem Maß hätte vor einigen Jahren noch von Nutzen sein können, jetzt verursachte sie nur Schmerzen.

Herr Mayer sprach während der ganzen Scene kein Wort, er befriedigte nur seine Wut, wie ein seinem Käfig entkommenes wildes Tier.

Hierauf faßte er Fanny bei der Hand und ohne daß er sie von jemandem Abschied nehmen ließ, schleppte er sie zu Theresen.

Die geschlagenen Mädchen wünschten in ihrem Zorn, der Vater möge nie mehr zurückkehren. Dieser Wunsch ging auch in Erfüllung, denn Herr Mayer kehrte nie mehr zurück. Von der Stunde an war er aus Preßburg verschwunden. Niemand erfuhr, was mit ihm geschehen sei. Einige behaupteten, er sei in die Donau gesprungen, andere, er sei entflohen; und nach Jahren brachten Reisende die Nachricht, bald daß sie jemanden, der ihm ähnlich sah, in der Türkei, bald daß sie einen solchen in England gesehen hätten.


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