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5.
Gefährliches Experiment

Am andern Tag kam Rudolf erst beim Mittagmahl in Gegenwart einer zahlreichen Gesellschaft mit seiner Gattin zusammen. Im Gesicht der schönen Dame war keine Spur von Verdruß, sie war reizend wie immer und gegen ihren Mann voll unerschöpflicher Herzlichkeit und Zuvorkommenheit.

Rudolf dachte sich: Ich habe es ja gleich gewußt, daß sie ihren Zorn ausschlafen wird! Und er lächelte vergnügt.

Als sich die Gäste am späten Abend zerstreut hatten, blieben die beiden wieder allein.

Sie war noch schöner und liebenswürdiger, als je. Nie war ihr Gespräch so voll Witz und Schmeichelei, wie in dieser Stunde und was von diesen Lippen mehr wert ist, als Schmeichelei, ihre Küsse waren nie glühender, leidenschaftlicher gewesen, nie hatte ein solcher Freudenrausch aus ihren Augen gestrahlt.

Rudolf dachte dankbar an das Sprichwort: was sich neckt, das liebt sich. Er glaubte den Sieg des gestern begonnenen Streites vollkommen zu genießen und war großmütig genug, sich jetzt dieses Sieges zu rühmen.

Als er endlich freudetrunken Flora mit seinen Armen umschlungen hielt, als ob er sie ewig nicht loslassen wollte, entwand sie sich sanft seinen Armen und flüsterte auf seine Schultern gelehnt, ihm ins Ohr: Nun, lieber Rudolf, behüte dich Gott. Wünschen wir uns gute Nacht.

Rudolf staunte.

– Du siehst, daß ich nicht so leichtsinnig bin, wie du denkst, ich bin nicht schwach, selbst dir gegenüber nicht, aber ich liebe dich und niemand verwehrt mir's dich zu lieben.

Hiermit warf sie ihm eine Kußhand zu und entfernte sich in ihr Schlafzimmer; Rudolf hörte, wie sie zweimal den Schlüssel umdrehte.

Das war denn doch zu viel, wenigstens genug, um ihn zu ärgern.

Rudolf riß sich vor Ärger vielleicht zehn Knöpfe ab, als er sich auskleidete und nahm dann, um sich zu zerstreuen, das Corpus juris vor; aber ärgerlich schleuderte er es zur Erde, er verstand kein Wort davon, seine Gedanken schweiften anderswo.

Den andern Tag wiederholten sich die heutigen Scenen.

Flora war unerschöpflich an Liebenswürdigkeit. Gleich einer verlockenden Sirene umspann sie ihren Mann mit reizenden Schmeicheleien, sie war die Güte und Sanftmut selbst. Und als sie sich nachts in ihr Schlafzimmer begab, schloß sie sich wieder allein darin ein.

Das ist die grausamste Folter, die man sich vorstellen kann. Mit diesem liebenswürdigen Weibchen verglichen, ist ein Caligula oder ein Nero ein wahrhafter Philanthrop.

– Wie lange wird diese Kontumaz dauern? fragte Rudolf eines Tages.

– So lange, bis du dein erniedrigendes Urteil zurücknimmst.

Das hätte er mit einem Wort abmachen können; aber dieses eine Wort kommt dem männlichen Stolz teuer zu stehen. Das Weiberjoch kann auch einem wahrhaften Manne angenehm sein und warum sollte er seinen Nacken nicht darunter beugen, wenn es ihm so gefällt, wenn er es freiwillig thut, warum sollte er der liebenswürdigsten Tyrannin nicht huldigen? Aber gezwungen, besiegt, wird er es nie thun!

Dieses Wort, mit welchem er um Vergebung bitten sollte, dieses Wort der Huldigung würde er nur dann aussprechen können, wenn alles verloren wäre.

Er wird seine Gattin zum Nachgeben zwingen; in den einsamen, schlaflosen Nächten hat er Zeit genug gehabt, einen dazu gehörigen Plan zu ersinnen.

Er wird sich auf eine Woche vom Hause entfernen und seiner Gattin nicht sagen, wohin er gehe.

Karpáthis sind jetzt in ihrem Kastell zu Nagykunmadaras. Diese Woche wird er dort zubringen.

Es ist unmöglich, daß die junge Frau ihn nicht gern sehe, er wird ihr den Hof machen. Des Erfolges ist er gewiß. Er hat früher schon über sprödere Frauen triumphiert, wenn er sich es einmal in den Kopf gesetzt hatte, sie zu besiegen. Der alte Karpáthi wird sich darum nicht kümmern und sich noch freuen, wenn seine Frau sich unterhält. Es wird keiner großen Zauberei bedürfen, um die genußsüchtige Frau zu bewegen, daß sie ihn mit irgendeinem Zeichen ihrer Gunst beschenke. Mehr braucht er dann nicht. Wenn er nur einmal einen Beweis von der Schwäche dieses Weibes in Händen hat und sagen kann: »Schau, das ist die Dame, für deren Tugend du gutgestanden bist, um derentwillen du deinem Manne gram sein und ihn von deinem Herzen, dem größten Schatz, den Gott ihm gegeben, verstoßen konntest. Sieh, es bedurfte nur noch eines Wortes und eines Blickes und dieses Weib, welchem du der Warnung deines Mannes zum Trotz dein Herz geschenkt hast, wäre fähig, dir das Herz deines Mannes zu rauben. Nicht wahr, dieses Weib ist schwach?«

Mit diesem Plane, mit dieser Absicht rüstete er sich am folgenden Tag zur Abreise. Mit dem freundlichsten Gesicht, den zärtlichsten Ausdrücken und dem liebevollsten Herzen nahm Flora von ihm Abschied. Das war nicht geheuchelte Liebe, sondern ein Sieg über ihre glühendsten Gefühle.

Rudolf flüsterte ihr zärtlich ins Ohr: Ist der Krieg zwischen uns beiden auch jetzt noch nicht zu Ende?

– Ich fordere unbedingte Ergebung, sprach Flora mit unerbittlichem Lächeln.

– Gut; er wird zu Ende sein, sobald ich zurückkomme. Aber dann werde ich die Friedensbedingungen diktieren.

Flora schüttelte zweifelnd ihr schönes Köpfchen und küßte ihren Mann einmal über das andere und als er schon im Wagen saß, sprang sie hinauf zu ihm, um ihn noch einmal zu küssen; dann ging sie auf den Erker hinaus und sie winkten sich noch, sie mit dem Tuch, er mit dem Hut Lebewohl zu.

So reist der ehrliche Mann vom Hause weg, mit der Absicht, die Gattin eines andern zu verführen, bloß damit er dadurch seine eigene Frau versöhne.

Wenn er wüßte, was er thut! ...

*

Karpáthis hielten sich seit der Installation in ihrem Kastell zu Madaras auf; der alte Karpáthi hatte hierdurch dem Verlangen seiner Gemahlin nachgegeben, die ihn bat, dort mit ihr einige Zeit zu verweilen, obwohl dieses Kastell ihr lange nicht ein so angenehmer Aufenthaltsort war, als dasjenige zu Karpáthfalva.

Fanny wollte nur fern von Szentirma sein, und in Pest zu wohnen, verlangte sie nicht zu sehr, seit sie von Kecskerey gehört hatte, daß Szentirmays dort den Winter zubringen werden.

Bis die an Karpáthfalva gewöhnten Besucher nach Madaras kamen, verflossen ihr die Tage in ziemlicher Einsamkeit.

Sie war mit dieser Einsamkeit zufrieden und wenn wir sagen, daß sie den ganzen Tag in der Nähe Karpáthis zubrachte, so können wir kühn behaupten, daß auch er sich nach keiner andern Gesellschaft sehnte.

Eben promenierte er mit seiner Frau im englischen Garten. Die sanften Rehe, die hier herumliefen, kannten schon die Herrin, sie hatte immer Zuckermandeln in der Tasche; sie liefen zu ihr hin, aßen ihr das süße Geschenk aus der Hand und folgten ihr überall nach. Plötzlich hört sie Kutschengerassel auf der Straße und Karpáthi, der über die Umzäunung blickte, rief: Sieh da, das sind ja Szentirmays Pferde.

Fanny fuhr zusammen, Karpáthi, der sie am Arm hielt, fühlte es.

– Wärst du da nicht bald gefallen?

– Ich bin auf eine Schnecke getreten, sagte sie, und erblaßte.

– Du Närrchen, wie du erschrocken bist. Ich wußte es, daß Flora dich hier aufsuchen wird; o, diese Frau liebt dich sehr. Aber wer sollte dich nicht lieben?

Fanny bemerkte von weitem, daß in der Kutsche, die sich näherte, nicht eine Dame, sondern ein Mann saß. Karpáthi hatte schon schwache Augen. Die Pferde konnte er wohl erkennen, aber nicht den, der im Wagen saß.

– Komm', gehen wir ihr entgegen; sagte er zu seiner Frau, als der Wagen in den Park einbog.

Fanny blieb wie eingewurzelt stehen. Vielleicht wäre es für sie besser gewesen, wenn sie auf der Stelle in eine Trauerweide verwandelt worden wäre, in deren niederhängenden Zweigen es so melancholisch säuselt und flüstert.

– Nun, so komme doch deiner Freundin entgegen, drängte der Alte.

– Das ist ja nicht Flora, stammelte sie zitternd.

– Also wer denn? fragte Karpáthi. Jeden andern hätte das ungewöhnliche Benehmen seiner Frau jetzt überrascht, aber er war weit entfernt von jedem Verdacht. – Also wer kommt denn?

– Das ist Floras Gemahl, sagte Fanny und zog ihre Hand aus Karpáthis Arm.

– Was du für ein Närrchen bist; du mußt ihn ja empfangen, du bist ja die Frau vom Hause.

Auf dieses Wort kam ihr die Besinnung wieder; sie war aber schon nahe daran gewesen, sie zu verlieren.

Sie sprach kein Wort mehr; verhärtete ihr Herz, zwang ihr Gesicht zu einem ruhigen Ausdruck und eilte dem Ankommenden am Arm ihres Mannes entgegen.

Was ist die Angst des zum Tode verurteilten Verbrechers gegen die Gefühle, die jetzt in Fannys Herzen tobten.

In ihrer eigenen Wohnung mußte sie den empfangen, den sie bis zum Wahnsinn liebte, ihn allein mußte sie empfangen, ohne daß seine Frau zugegen war. Sie muß ihm freundlich begegnen, denn die Pflicht, der Anstand gebieten es. Vielleicht muß sie ihn auch unterhalten – unterhalten!

Sie gelangten eben in dem Augenblick in die Vorhalle des Kastells, als Rudolfs Wagen vorfuhr. Kaum erblickte sie der junge Magnat, so eilte er zu ihnen hin. Karpáthi reichte ihm schon von weitem die Hand entgegen, welche Rudolf freundschaftlich schüttelte.

– Na, gieb ihm doch auch die Hand, sagte Karpáthi zu seiner Frau; er ist ja der Mann deiner Freundin, du blickst ihn gerade so an, als hättest du ihn niemals gesehen.

Fanny glaubte, der Boden bebe unter ihr, der alte Palast mit seinen Säulen und steinernen Figuren tanze um sie. Sie fühlte, daß eine warme Hand die ihrige berühre und unwillkürlich legte sie ihren schwindelnden Kopf auf ihres Mannes Schulter.

Rudolf betrachtete sie aufmerksam und hatte sonderbare Begriffe von dieser Frau; er hielt dieses Senken des Kopfes, diesen umschleierten Blick für berechnete Koketterie und dachte, er werde leichte Arbeit haben.

Als sie die Treppe hinaufgingen, sagte er dem Alten, weshalb er gekommen sei. Er hatte eine Grenzstreitigkeit zwischen zwei Komitaten in Ordnung zu bringen und dieses Geschäft werde ihn nötigen, einige Tage hindurch hier zu verweilen.

Die Qual wird also nicht nur groß sein, sondern auch lange dauern.

Die Vormittagsstunden brachten die beiden Männer zusammen zu und nur beim Diner kam Fanny mit ihnen zusammen.

Natürlich sprach man nur von gleichgültigen Dingen, Rudolf hatte wenig Gelegenheit, seine Worte direkt an Frau von Karpáthi zu richten und einer Dame in Gegenwart ihres Mannes Komplimente machen, ging nicht an.

Nach dem Diner pflegte Karpáthi zu schlafen und das war bei ihm eine so unumgängliche Gewohnheit, daß er sie keinem Gast zuliebe einmal aufgegeben hatte.

– Unterhalte dich, während ich schlafe, nach Belieben, geh zu meiner Frau hinüber und plaudere mit ihr, sagte er zu Rudolf, oder wenn es dir lieber ist, so benutze indes meine Bibliothek.

Die Wahl war nicht schwer.

Gleich nach der Mahlzeit hatte sich Fanny entfernt, um in den Garten zu gehen.

Wie flehte sie diese düstern Bäume, diese farbenprächtigen Blumen an, sie möchten ihr die Sorgen abnehmen und ihr andere Gedanken geben; sie dachte, ihre Lieblingsblumen würden ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, hinter den Lieblingsgesträuchen werde sie sich vor ihrer eigenen Seele verbergen können. So wandelt sie mutterseelenallein auf den gekrümmten Pfaden, ohne etwas zu sehen, oder zu denken, unter der schweren Last eines nicht eingestandenen, nicht gesuchten Gedankens, als sie Schritte hörte, die immer näher kamen – und wie sie aufblickte, sieht sie Rudolf näherkommen.

Wenn ein aus seinem Käfig entsprungener Tiger plötzlich vor ihr erschienen wäre, so wäre sie weniger erschrocken.

Nirgends konnte sie sich vor ihm verbergen. Wenn sie ihn wenigstens früher erblickt hätte, damit sie hätte fliehen können, fliehen, so weit sie es vermocht hätte. Jetzt stehen sie sich einander gegenüber.

Freundlich grüßend tritt der junge Mann ihr näher und das Gespräch beginnt mit den allgemeinen Eingangsformeln; dann sagte er, wie wunderschön diese Blumen seien, als ob sie die Nähe ihrer Herrin fühlten und mit ihr wetteifern wollten.

– Ich liebe die Blumen, stammelte Fanny, da sie doch etwas antworten mußte.

– Erst wenn Sie mit ihnen genauer bekannt wären!

Fanny blickte ihn fragend an.

– Ja, wenn Sie die Blumen nicht allein dem Namen nach, sondern auch die ganze Traumwelt kennten, die mit dem Leben der Blumen verknüpft ist. Jede Blume hat ebenso gut ihr Leben, ihre Wünsche, ihre Neigungen, ihren Schmerz und ihre Freuden, ihr Sehnen und ihre Liebe, wie wir. Die Phantasie der Dichter hat einer jeden ihre Bedeutung gegeben, an jede ein Märchen geknüpft und viele dieser Märchen sind sehr schön. Im Geistesleben der Blumen findet man in der That recht viel Interessantes.

Hiermit pflückte Rudolf eine Iris ab.

– Das ist eine glückliche Familie. Drei Männer und drei Frauen, jeder Mann ist hier dicht neben seiner Frau; zusammen erschließen sie sich, zusammen welken sie dahin. Das ist das Glück der Blumen. Das sind lauter glücklich Liebende.

Hiermit warf er die Iris weg und brach eine Amaranthe ab.

– Das sind Aristokraten. Der Mann befindet sich im obern Stockwerk und die Frau im untern; das ist vornehmes Familienleben. Indes zeigt das samtartige Aussehen der Blume, daß sie ein glückliches Leben führt.

Jetzt zerrieb Rudolf die Amaranthe und zahllose kleine schwarze Samenkörner fielen ihm daraus auf die Hand.

– Das sind schwarze Perlen, sagte Rudolf.

– Jawohl Perlen, stammelte Fanny und fand es ganz natürlich, daß er ihr die Körner in die Hand schüttete, denn es wäre schade gewesen, eines davon verloren gehen zu lassen. Sie hätte diese schwarzen Körner für keine indische Perle hingegeben.

Rudolf wirft die Amaranthe weg.

Fanny blickte der weggeworfenen Blume nach, als wollte sie sich merken, wohin sie fällt.

– Belieben Sie jetzt die beiden Ahornbäume anzusehen. Welche prächtigen Exemplare. Der eine scheint heller grün zu sein, als der andere, der hellere ist die Frau. Auch diese beiden sind glücklich Liebende. Aber blicken Sie dorthin, dort steht ein einsamer Ahornbaum. Wie gelb ist sein Laub, der arme! Er findet keine Liebe, der grausame Gärtner hat ihn neben einen Nußbaum gepflanzt, aber der ist nicht seinesgleichen; wie blaß, wie gelb ist der arme!

O, wenn er wüßte, wie schreckliche Qualen er der armen Frau verursacht, indem er diese scherzhaften Märchen erzählt.

– Das ist die unglückliche Liebe. – Aber mein Gott! Sie sind so blaß, Sie sind unwohl.

– Nichts, nichts, mein Herr, sagte Fanny, ich leide nur zuweilen am Schwindel und hiermit hielt sie sich mit beiden Händen an seinem Arm.

Rudolf glaubte sie zu verstehen, aber er verstand sie nicht.

Es war die Verzweiflung, welche das Schoßhündchen veranlaßte, mit dem Löwen zu spielen.

Sie schmiegte sich an ihn und legte ihren Arm in den seinigen; möge ihr jetzt das Herz brechen.

So entsteht in einem Menschen, der von einem hohen Turme hinabsieht, der wahnsinnige Wunsch hinabzuspringen und sich zu zerschmettern.

Bald gelangten sie zu dem reich ausgestatteten Glashaus, in welchem sich eben eine schneeweiße Dalie mit rosigem Anflug im Kelch erschloß. Sie gehörte damals noch zu den Seltenheiten in Europa. Rudolf fand das Exemplar sehr schön und versicherte, daß er bisher nur in Schönbrunn ein schöneres Exemplar gesehen habe.

Sie sprachen wieder von gleichgültigen Sachen und spazierten im Garten auf und ab, Rudolf glaubte, er habe das Weib schon gewonnen und sie glaubte, sie habe schon so viel gesündigt, um auf ewig verdammt zu sein.

Vor wem? Vor der Welt? Nein. Auch weder vor ihrem Manne noch vor Rudolfs Gattin; aber vor sich selbst. Sie ist ja nur Arm in Arm mit Rudolf eine ganze Stunde auf und ab gegangen und sie haben von unbedeutenden, gleichgültigen oder scherzhaften Dingen gesprochen. Aber dennoch fühlte sie während dieser Zeit das verbrecherische Glück im Herzen. Und was nützt es ihr, daß niemand es weiß; wenn sie nur selbst weiß, daß dieses Glück ein gestohlener Schatz ist! Was nützt es ihr, wenn derjenige, der bestohlen wurde, den Wert dieses Glückes nicht kennt, aber um so schwerer lastet es ihr auf dem Herzen.

Endlich gingen sie ins Kastell hinauf.

Fanny ließ den Gast einen Augenblick mit ihrem Manne allein. Dann blieb sie mit ihnen bis zum späten Abend beisammen.

Als Rudolf schlafen ging, fand er im Vorzimmer seines Schlafgemachs einen prächtigen Blumenstrauß auf dem Tisch in einer schönen chinesischen Blumenvase, in welcher er zugleich die von ihm bewunderte Dalie sah.

Er glaubte, sie zu verstehen.

Am andern Tag waren die beiden Männer wieder bis Mittag mit amtlichen Angelegenheiten beschäftigt. Sie machten Pläne, stritten über Landesinstitute, langweilten sich einander mit politischen Diskussionen; wer hätte dabei an die Frau gedacht?

Nachmittag stellte sich Regenwetter ein, woraus das zweifache Übel folgte, daß Karpáthi noch einmal so schläfrig war als sonst und Fanny sich nicht in den Garten flüchten konnte, wo sie der Schutz des freien Himmels vor der gefürchteten Gefahr besser bewahrte.

Ein Fieber durchglühte ihren ganzen Körper. Sie bemerkte, sie wußte, daß dieser Mann, den sie bis zum Wahnsinn liebte, von ihr geliebt sein wollte. Spielt er mit ihr, so ist dies ein schreckliches Spiel, meint er es aber im Ernst, dann ist es noch schrecklicher.

Man klopft an ihre Thüre; kaum wagt sie es, herein zu sagen, als Rudolf auch schon eintrat.

Fanny ist jetzt nicht blaß; ihre Wangen glühen, wie sie Rudolf erblickt, sie springt aus ihrer ruhenden Lage auf und bittet um Vergebung, daß sie sich auf einen Augenblick entfernt; er möge indes Platz nehme. Sie wollte ihre Gesellschafterin rufen. Sie eilt durch drei, vier Zimmer, nirgends findet sie jemanden. Gott weiß, wo alle hingekommen sind; nicht einmal ein Diener ist zu sehen. Mit diesem beunruhigenden Bewußtsein ist sie genötigt zurückzukehren.

In dem Augenblick, in welchem sie sich entfernte, legte sie ein Buch auf die Seite, in welchem sie eben gelesen hatte und legte ein Sacktuch darauf, damit Rudolf es nicht sehe. Er bemerkte dies.

Rudolf interessierte es, einen tiefern Blick in den Charakter dieses Weibes zu werfen; er mußte wissen, was das für ein Buch sei, das sie sich zu verbergen bemühte. Diese modernen Weiber, dachte er, lesen die moderne jeunesse und die nouvelle Messaline und wollen dabei für sittenstreng gehalten werden.

Er hob das Taschentuch vom Buch und öffnete dieses; es war ein Gebetbuch. Das Buch öffnete sich leicht an zwei Seiten; zwei gepreßte Blumen lagen darin, die Iris und die Amaranthe.

Rudolf wurde plötzlich ernst. Sein Herz zog sich zusammen. Erst jetzt fiel es ihm ein, welch ein gefährliches Spiel er begonnen habe.

Die beiden Blumen verwirrten ihn so sehr und nahmen seine Aufmerksamkeit derart in Anspruch, daß er die Dame erst gewahrte, als sie fieberhaft zitternd vor ihm stand.

Beide schauderten zurück.

Das Geheimnis war verraten.

Sprachlos blickten sie sich beide an: sie war so zauberhaft schön in ihrem stummen Schmerz, als sie langsam, wie unbewußt die Hände faltete und an die Brust drückte, wie um den ausbrechenden Schmerz gewaltsam zurückzuhalten.

Rudolf vergaß seine Rolle und stammelte gerührt: Mein Gott!

Jetzt erst verstand er alles.

Auf diesen Ton des Mitleids brach Fannys Kraft, mit welcher sie ihre Thränen bisher zurückgehalten hatte; stromweis flossen ihr die Thränen über die Wangen und sie selbst sank in einem Lehnstuhl zurück.

Rudolf sagte mit gerührter Stimme, indem er ihre Hand zärtlich erfaßte: Warum weinen Sie?

Aber er wußte, warum sie weinte.

– Warum sind Sie hergekommen? fragte sie mit von Leidenschaft bebender Stimme. Ich habe täglich zu Gott gebetet, er möge mich Sie nie mehr sehen lassen, ich habe den Ort vermieden, wo ich Ihnen begegnen könnte und Sie kommen her! Ich bin verloren, denn Gott hat mich verlassen. Nie habe ich das Bild eines andern Mannes im Herzen getragen, als Ihres. Aber es war begraben. Warum wecken Sie es wieder? Haben Sie nicht bemerkt, daß ich überall vor Ihnen geflohen bin? Haben nicht Ihre Arme mich zurückgehalten, als ich mich vor Ihnen in den Tod stürzen wollte? O, damals hatte ich schon viel gelitten Ihretwegen. Warum mußten Sie herkommen und meine Verzweiflung, mein Elend sehen?

Und sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und weinte.

Rudolf bereute seine That sehr.

Nach einer Weile trocknete sich Fanny die Thränen ab und sprach mit festem Ton: Was haben Sie jetzt davon, daß ein unvernünftiges Weib mit der Verzweiflung kämpft, indem sie an Sie denkt? Werden Sie jetzt glücklicher sein? Ich bin unglücklicher geworden, denn jetzt muß ich auch vor dem Gedanken zittern, der mir Sie vor die Seele bringt.

Wie that es ihm in der Seele weh, daß er ein so schönes Herz verwunden mußte.

Was hätte er ihr zum Troste sagen können? Konnte er etwas anderes thun, als ihr die Hand reichen und sie nicht hindern, als sie dieselbe mit ihren Küssen und Thränen bedeckte? In der Verzweiflung der Leidenschaft sank sie ihm an die Brust und schluchzte, von Qual und unaussprechlicher Seligkeit erfüllt.

Und als sie sich an seiner Brust ausgeweint hatte, beruhigte sie sich, hörte auf zu schluchzen und sprach mit festem Ton: Ich schwöre Ihnen jetzt vor Gott, der mich für meine Sünden verdammen wird, daß ich in derselben Stunde sterbe, in welcher ich Sie wieder sehe. Darum meiden Sie mich, wenn Sie mit mir Mitleid haben. Ich flehe Sie nicht um Liebe, sondern nur um Mitleid an. Ich werde schon irgendwie meinen Tod finden.

Rudolfs schöne Augen füllten sich mit Thränen. Arme Frau, sie hätte verdient, glücklich zu sein. Nur einen Augenblick in ihrem Leben war sie glücklich – als sie schluchzend an seinem Halse hing.

Rudolf verließ sie und kaum erwartend, bis Karpáthi erwachte, nahm er Abschied und fuhr nach Szentirma zurück.

Er war während der Fahrt sehr traurig.

Immer fühlte er die heißen Thränen der armen Frau an seinen Händen, an seinem Gesicht, in seinem Herzen, immer klang ihm ihr Schluchzen in der Seele.

Zu Hause eilte ihm die heitere, lebhafte, liebe Frau entgegen und küßte ihm die Spuren von Fannys Thränen ab.

– Ach, du bist in Madaras gewesen, sprach sie mit neckischem Plaudern; mein kleiner Finger hat mir es gesagt, daß du dort spioniert hast. Na, was hast du erfahren?

– Du hast recht, sagte er ernst, die Frauen sind nicht schwach.

– Nun, dann ist der Friede zwischen uns hergestellt. Was läßt Fanny mir sagen?

– Sei dieser Frau gut, denn sie ist sehr unglücklich.

Floras Freude war grenzenlos und die kleine Wolke, die sie an der Stirne ihres Mannes bemerkte, verscheuchte sie bald mit ihrer freudigen Stimmung. Rudolf schwamm in Seligkeit; aber selbst mitten in der Freude der glücklichsten Stunde glaubte er jene brennenden Thränen zu fühlen und die Worte der Unglücklichen zu hören, die er nimmer vergessen konnte.

Ob die kluge Frau etwas ahnte? Wenigstens ließ sie es nicht merken.


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