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Ich spreche nicht von etwas Idealem; die Dichter lügen, das Leben spricht die Wahrheit.
Die Künstlerin, über deren Leben ich spreche, war einer der glänzendsten Geister ihrer Zeit; sie war von der Natur mit einem großen Herzen, einnehmenden Zügen, einer hinreißenden Stimme begabt und vom Genius der Kunst geweiht; das launische Schicksal hatte ihr seine Gaben erschlossen, damit sie wähle.
Ihr Ruhm war verbreitet von Moskau bis Venedig, von Wien bis Paris und London. Man sprach von ihr als von einer Wundererscheinung; die Dichter, welche die Helden der Weltkriege besangen, sangen auch zu ihrem Preise und ihr Triumph war sogar vollkommener als der Napoleons, denn sie besiegte nicht bloß eine oder die andere Nation, sondern ganz Europa zugleich und in England hielt man sie für eben so groß, wie in Rußland, in den Tuilerien erkannte man ihre Hoheit eben so gut an, wie im Kreml. Wie später der Name Jenny Linds, so war auch der ihrige in der ganzen Welt bekannt – und doch, obwohl seit damals kaum dreißig Jahr verflossen sind, erinnert sich ihrer jetzt niemand mehr.
Der Name dieses Weibes war Josephine Fodor. Ihr Großvater, Karl Fodor, wanderte im vorigen Jahrhundert als Husarenhauptmann, mit drei Söhnen nach Holland aus. Der jüngste derselben, Joseph, verlegte sich auf Musik, heiratete und wurde vom Herzog von Montmorency zum Hofkapellmeister gewählt. Eine Frucht dieser Ehe war Josephine; ihre kindliche Schönheit bewies, wie sehr ihre Eltern sich einander liebten und ihre mit ihrem Wachstum sich mehrende Schönheit bewies, wie sehr sie ihre Eltern liebte. Vielleicht ist's ein Aberglaube, was ich da sagte, aber ich glaube, daß ein Kind, dessen Eltern sich nicht lieben, häßlich zur Welt kommt und daß ein Kind, welches seine Eltern nicht liebt, häßlich wird, denn die Liebe schafft das Schöne.
Als der Herzog von Montmorency beim Ausbruch der französischen Revolution floh, kehrte Joseph Fodor nach Holland zurück und da starb seine Gattin. Damals wurde er mit dem Fürsten Kurakin bekannt, dem russischen Gesandten in Holland; von diesem wurde er nach Rußland berufen, wo ihn der die schönen Künste vergötternde Aristokrat als Kapellmeister anstellte, während er Josephine mit seinen eigenen Töchtern zusammen von europäisch berühmten Meistern erziehen ließ. Das kleine Mädchen sprach schon im Alter von zehn Jahren alle gebildeten Sprachen der Welt, die vaterländische süße barbarische Sprache hatte sie in traulichen Stunden von ihrem Vater erlernt.
Schon im zarten Kindesalter spielte sie die Harfe, welche damals vor dem noch nicht vervollkommneten Klavier noch viele Vorzüge besaß, mit so großer Fertigkeit, daß ihr Vater keinen Anstand nahm, sie vor der vornehmen Welt Moskaus in einem Konzert auftreten zu lassen, in welchem sie alles zur Bewunderung hinriß.
Zwei Jahre darauf hörten sie die Kunstfreunde Moskaus singen. Diesem Konzert wohnte selbst der Zar Alexander bei, der von ihren Tönen so hingerissen wurde, daß er dem Mädchen angesichts aller Anwesenden die Hand drückte – und kaum war eine Woche verflossen, so schickte er einen seiner Kammerherrn zu ihrem Vater, um Josephine für die Hofoper mit einem Gehalt von drei Tausend Silberrubel zu engagieren.
Sie wurde bald der Liebling des Publikums. O unter jenem kalten Klima fühlen die barbarischen Menschen, von welchem wir unter einem wärmeren Himmel Geborenen glauben, daß sie in Bärenhäuten gehen und zur Trommel tanzen, sehr warm für die Kunst.
Zu jener Zeit besaß Moskau auch ein französisches Theater, als dessen gefeiertester Held Herr Tharaud-Mainvielle genannt wurde.
Der Künstler hatte eine hohe, ideale Gestalt, edle, männliche Züge, an welchen gewöhnlich nur der Ausdruck der Ehrlichkeit und Offenherzigkeit sichtbar war und das war sein Charakter; aber auf der Bühne konnte er seine Physiognomie in tausend Arten ändern. Aufregung, Wut, schrecklicher Zorn, unwiderstehlicher Zauber, tödliche Rache, Humor. – Alles konnte er ausdrücken und das war seine Kunst.
Man sprach von Mainvielle eben so rühmlich, wie von Josephinen. Der Ruf, der so geschickt Liebesbündnisse anzuknüpfen versteht, kam von ihm zu ihr und von ihr zu ihm; jeden Tag mußten sie von ihren wechselseitigen Siegen hören. Nicht einmal ist es dem Ruf gelungen, zwei berühmte Menschen miteinander zu verbinden, die sich einredeten, daß sie einander lieben, während sie nur einer des andern Ruhm liebten.
Aber die Regel hatte hier ihre Ausnahme. Die beiden größten Künstler der Zeit liebten einander mit einer Liebe, die auch dann noch fortdauerte, als ihr Ruhm bereits verschollen war. Denn wisset, meine Lieben, die ihr nach Ruhm geizt, daß der Ruhm des Künstlers vergänglich ist, dieser braucht nicht erst zu sterben, er braucht nur alt zu werden; er lebt noch und ist schon begraben.
Also die beiden berühmten Künstler wurden Mann und Weib und seitdem hatten beide doppelten Ruhm; das applaudierende Publikum kannte eben so gut den Namen Mainvielle, wie den Namen Fodor und brauchte sich nicht erst an einen neuen Namen zu gewöhnen, wenn es seinen Liebling als verheiratete Dame auf der Bühne sah.
Indes brach der russisch-französische Krieg aus und Kaiser Alexander verwies plötzlich aus seinem Reiche alle französischen Schauspieler, unter ihnen auch Mainvielle. Josephine brauchte ihrem Manne nicht zu folgen, denn sie traf die Ausweisung nicht; sie war beim russischen Hoftheater engagiert und es wäre nichts außerordentliches gewesen, wenn sie ihren Mann hätte fliehen lassen und selbst in ihrem glänzenden Engagement verblieben wäre.
Aber sie handelte nicht so, sie verließ ihre gute Stellung und folgte ihrem Manne in Armut und Elend. Sie organisierten eine Wandertruppe und bereisten mit derselben Stockholm, Kopenhagen und Hamburg; eine Oper hatten sie nicht und Josephine spielte in Dramen mit. Das wird, glaube ich, jeder für das größte Opfer halten, der die glänzende Laufbahn der Opernsänger mit der bescheidenern des Schauspielers vergleicht.
So kamen sie nach Paris zurück.
Eine Kunsthalle dritten, vierten Ranges, das Feydautheater, bewilligte nach vielen Bitten, daß Josephine auftreten konnte. Seit dem Tage wurde sie der Liebling von Paris. Sogleich wurde sie an der italienischen Oper als Primadonna engagiert und als sie in der Griselda auftrat, wurde die frühere Primadonna, Signora Barilli, zu ewiger Vergessenheit verdammt.
Von Paris kam sie nach England und dann nach dem zauberischen Venedig. Hier in der Heimat der Musik erreichte sie den Gipfel ihrer Berühmtheit. Selten ist der Künstler, der seine anderswo erworbenen Lorbeeren nach Italien bringt, wem es aber gelingt, sie von dort unverwelkt zurückzubringen, auf dessen Haupt grünen sie ewig.
Die Begeisterung der Venetianer für die ungarische Künstlerin stieg so hoch, daß sie dieselbe in der Fenice feierlich krönten und zu ihrem Andenken goldene, silberne und Bronzemedaillen prägen ließen, auf deren einen Seite das Brustbild der Künstlerin mit ihrem Namen und auf der andern Seite ein Lorbeerkranz mit den Worten zu sehen war: » Te nuova Euterpe Adria plaudente onora.« (Dich, neue Euterpe, rühmt Adria applaudierend.)
Damals wurde sie nach Paris zurückberufen. Den Wert dessen, was wir besitzen, erkennen wir gewöhnlich, nachdem es im Ausland gerühmt worden. Josephine kehrte zurück. Zu derselben Zeit probierte Rossini sein Glück mit seinen Erstlingswerken, aber in Paris erntete er einen schlechten Erfolg. Sein Barbier von Sevilla wurde bei der ersten Aufführung ausgezischt, bei der zweiten ausgelacht, bei der dritten blieb das Publikum aus; und endlich wurde er vom Repertoir gestrichen. Josephine wurde mit dem Werk bekannt und ihr Genie erkannte dessen Schönheiten. Sie wünschte darin aufzutreten. Als sie die Rosina sang, war das Pariser Publikum außer sich vor Entzücken; überall kamen neue, unbekannte Schönheiten zum Vorschein. Rossini wurde plötzlich der Mann des Tages und das Publikum hörte die Mainvielle im Barbier und überhäufte sie mit Beifall achtzig Mal hintereinander.
Das gute Publikum! Das Publikum ist ja an und für sich so gut; wen es einmal liebgewonnen hat, den läßt es sobald nicht mehr fallen; wenn nur das Publikum nicht aus einzelnen Menschen bestünde!
Möge eine Künstlerin noch so groß sein und das Publikum noch so sehr bezaubern, wenn sie lange an einem Orte bleibt, so wird man allmählich kalt, man gewöhnt sich an ihre Vorzüge und bemerkte sie nicht mehr, während man ihre Fehler aufzeichnet. Wenn sie bloß der Kunst lebt, wenn sie sich dem Treiben der Welt nicht hingiebt und im Leben nicht dieselben Rollen spielt, wie auf der Bühne, wenn sie gar ihr Glück nur zu Hause findet und immer am Arme ihres Mannes erscheint, den sie jahrelang standhaft liebt, dann vermindert sich die Zahl der Anbeter, später auch die der Verehrer, die Kränze wirft man mit vollen Händen den unfähigen, wohlfeilen Schönheiten und sie muß alles kennen lernen, wodurch das Publikum seine Erkaltung an den Tag legt, das stumme Schweigen, während sie fühlt, daß sie den Anforderungen der Kunst entspricht, absprechende Kritiken und leere Logen. Später muß sie sogar hören, daß sie schon zu lange spiele, zu lange lebe, man zählt ihre Jahre, man sagt, daß sie für diese oder jene Rolle nicht mehr geeignet sei, man fragt schon, wer sie ersetzen werde und endlich sagt man ihr rund heraus, daß sie schon zu alt sei. Und kommt eine glückliche Nebenbuhlerin, die zwei große Vorzüge hat, nämlich daß sie neu ist, und daß sie sich um die Gunst des Publikums nicht bloß auf der Bühne, sondern auch außerhalb derselben bewirbt, dann ist der frühere Liebling des Publikums, ohne etwas verbrochen, ohne an Kraft und Kunst abgenommen zu haben, gestürzt; alles ist gegen sie, der Tadel der Kritik, die Kälte des Publikums, die Intriguen der Kollegen, man giebt ihr verhaßte Rollen und endlich wird sie ausgezischt.
Die Catalani war nicht schöner, noch jünger, noch eine größere Künstlerin, als Josephine, aber sie hatte einen Talisman, der in der Künstlerwelt mehr bedeutet, sie führte keinen Mann mit sich. Um den armen Schiffskapitän, der Gott weiß in welchem Meere seinen Ruhm trank, kümmerte sie sich nicht so viel, daß sie vor dem Publikum seinen Namen geführt hätte. Wie hätte sie den so wohlklingenden, mit den Erinnerungen so vieler Triumphe verknüpften Namen mit dem barbarischen Namen aus der Bourgogne vertauschen sollen? Die Hälfte derjenigen, die ihr applaudierten, hätte geschwiegen, wenn sie anstatt Catalaui hätte Valabregue rufen müssen.
Der ehrliche Valabregue stand der Kunst seiner Gattin nicht im geringsten im Wege; er hätte am gelben Fieber, dem Skorbut, den Blattern und an anderen Geschenken des tropischen Klimas krank liegen, er hätte nach Belieben sterben und ins Meer sinken können, deshalb wäre im Repertoir keine Veränderung vor sich gegangen, das bestimmte Stück hätte deshalb doch nicht unterbleiben müssen.
Ist es nicht schon ärgerlich genug, daß ein angekündigtes Stück unterbleiben muß, weil die Trägerin der Hauptrolle krank geworden ist? Kann man so was glauben? kann man es verzeihen? Ein gewöhnlicher Mensch kann schlecht gelaunt sein, wenn er sich den Magen verdorben, er kann husten, wenn er sich erkältet, er kann ärgerlich sein, wenn sich ihm die Galle ergossen hat, er darf sich niederlegen, wenn er sich nicht mehr auf den Füßen erhalten kann; aber ein Künstler, dessen Pflicht es ist, das Publikum zu unterhalten, welches Recht hat er zu husten, unpäßlich zu sein, sich niederzulegen?
Und hat man schon einmal gehört, daß sich eine Künstlerin der Bühne entzieht, weil ihr Mann krank ist? Möge sie ihm in Gottes Namen einen Arzt rufen, sie selbst kann ihn doch nicht heilen; sie aber gehe spielen, singen, lächeln, kokettieren.
Schon seit mehreren Tagen cirkulierte in der Stadt das skandalöse Gerücht, die Mainvielle wolle nicht auftreten und fühle sich unfähig zu singen, weil ihr Mann sterbenskrank ist; sie habe die qualvollsten Sorgen, wenn sie sich einen Augenblick von ihm entfernt. – Larifari! Wer könnte das glauben? Sie will bloß deshalb nicht auftreten, weil die Catalani da ist und sie den Triumph der Catalani nicht mit ansehen kann.
Der Direktor wird von allen Seiten mit der Frage bestürmt, warum er die Mainvielle nicht auftreten lasse. Der Direktor läßt ihre jede Stunde Posten sagen, endlich droht er ihr, er werde sie zwingen; die Künstlerin bittet endlich um Urlaub, denn ihr Mann könne nur dann gesund werden, wenn sie mit ihm ins Bad reist. Sie muß aber früher noch einmal auftreten, denn so steht's im Kontrakt – sie willigt ein, nur daß man sie entlasse; dann schickt man ihr die unausstehlichste Rolle, sie nimmt sie mit Resignation an und macht sich darauf gefaßt, durchzufallen.
Schon sieben Nächte hat sie am Bette ihres leidenden Mannes gewacht und sie selbst ist so blaß wie er. Lange Nächte saß sie dort am Bette des Kranken, sie lauschte jeder Bewegung seiner Lippen, zählte die Minuten, um nicht das Eingeben der Medizin zu versäumen, linderte ihm die brennende Stirn mit ihrer kühlen Hand und verscheuchte seine bösen Träume mit beruhigendem Flüstern. Die Besucher, die guten Freunde blieben aus, denn man sagte, Mainvielles Krankheit sei ansteckend. Das Weib umarmte den Mann, legte ihren Kopf neben ihn auf seine feuchten, heißen Kissen, küßte seine brennenden Lippen, legte seinen glühenden Kopf an ihre Brust und dachte, wenn sein Fieber ansteckend ist, so möge auch sie davon angesteckt werden und wenn er stirbt, so wolle auch sie mit ihm sterben – und in solchen Momenten war die Coulissenwelt samt ihrer Eintagsglorie vergessen.
In Mainvielles Krankheit trat eben während der Nacht die Krisis ein, er sank in ruhigen Schlaf und nach der Versicherung der Ärzte war er jetzt außer Lebensgefahr.
Josephine sitzt neben ihm am Bette, in ihren edlen, bleichen Zügen sieht man das Glück der Beruhigung. Sie hat nur einen Gedanken und der ist, daß ihr Mann genesen wird.
Sie hält die Noten der unausstehlichen Rolle in der Hand und durchläuft sie, um sich sie wieder ins Gedächtnis zurückzurufen und um darin neuen Glanz, neue Schönheiten zu suchen. Vergebens. Es ist eine undankbare Rolle, eine derjenigen, an welche der Künstler seine geistigen und leiblichen Kräfte verschwendet, ohne den geringsten Erfolg zu erzielen, welche der Dichter ohne Lust, ohne Gedanken geschaffen hat und die er dem Künstler anvertraut, damit dieser ihr die Seele einhauche, die ihr fehlt. Hundertmal müßte sie die Rolle zur Erde werfen, die Blätter zerreißen und mit den Pantoffeln zertreten; aber Josephine zürnt nicht, der Groll der Bühnenwelt dringt nicht bis zu ihrem Herzen und jetzt fühlt sie nur, daß ihr Mann genesen wird.
Manchmal verdüstert sich ihr Gesicht, wenn sie an die glänzende Hälfte ihres Lebens denkt und sich daran erinnert, daß sich im Abendrot des Künstlerlebens die Schatten verlängern – aber ein Blick auf das Gesicht ihres schlafenden Mannes, und ihre Augen beginnen wieder zu lächeln. Das alles ist doch nur Komödie! – das Glück wohnt zwischen den vier Wänden und hat mit dem schillernden Lampenlicht nichts zu thun. Wofür sie zum Himmel gefleht hat, das erfüllt sich, ihr Mann wird genesen, möge dafür ihr Künstlerruhm verloren gehen; denn, wenn sie den Mann verlöre, so könnte aller Ruhm in der Welt ihn ihr nicht ersetzen.
Einmal öffnet sich leise die Thüre und vorsichtig tritt auf den weichen Fußteppichen Mademoiselle Jeannette herein, Josephinens älteste vertraute Dienerin, welche sie in letzter Zeit von aller Arbeit befreite und bloß als Gesellschafterin, Freundin bei sich behielt.
Das Mädchen schien einen Kummer zu haben, den sie nur schlecht verbarg.
– Warum kommen Sie, Jeannette? fragte Josephine diese, ihr mit der Hand zuwinkend, sie möge kein Geräusch machen, denn ihr Mann schlafe.
– Ah, Madame, wie freue ich mich, daß Herr Mainvielle genest und wie würde ich mich freuen, wenn Sie heute plötzlich krank würden.
– Jeannette, Sie wünschen mir Böses!
– Durchaus nicht, Madame, nicht etwa eine dauernde Krankheit, sondern nur so eine Bühnenkrankheit.
– Sie wissen doch, Jeannette, daß ich daran nicht zu leiden pflege? warum wünschen Sie es jetzt?
– Ah, Madame, Sie wissen vielleicht nicht, daß heute auch die Catalani in der Zelmira auftreten wird.
– Ich weiß es, Jeannette.
– Sie werden ihr applaudieren und Kränze zuwerfen.
– Und Sie glauben, Jeannette, daß mir das weh thut? Die Catalani verdient das alles, denn sie ist eine große Künstlerin.
– Groß, wo Sie nicht sind. Mein Gott, welch ein Gedanke ist dies! wenn sie neben Ihnen in l'Italiana aufträte! – Das Publikum wird kalt sein.
– Es hat mich schon daran gewöhnt.
– Aber es wird nicht nur kalt sein, sondern auch Zeichen des Mißfallens geben.
– Ich werd' es ertragen.
– O, Madame, Sie wissen nicht, was man gegen Sie im Schilde führt; es ist schon Stadtgespräch.
– Was? was spricht man?
Jeannette schien zu zögern, als ob sie neue, zartere Ausdrücke suchte, aber endlich sagte sie doch das rechte: Man wird Sie auszischen.
Josephine wurde einen Augenblick blaß wie die Wand, die Rolle fiel ihr aus der Hand, ihr Kopf sank nieder und Thränen traten ihr aus den Augen.
– O Madame, wenn es möglich ist, so treten Sie heute nicht auf, treten Sie hier niemals wieder auf; man wird Sie beschimpfen.
Josephine erhob auf diese Worte ihr Haupt ruhig.
– Mögen sie's thun. Was kümmert es mich mehr!
Ihre Blicke fielen auf ihren schlafenden Mann.
– Sprechen wir nicht mehr davon, Jeannette, mein Mann könnte erwachen und etwas hören.
Mainvielle öffnete in diesem Augenblick die Augen und seine dürre Hand ausstreckend, ergriff er die weiße, glatte Hand Josephinens, zog sie zu sich und flüsterte: Ich habe alles gehört. O die Kranken sind schlau; oft schließen sie die Augen, als ob sie schliefen, nur um zu hören, was man im Zimmer spricht. Also so weit sind wir gekommen?!
Josephine beugte sich zu ihm nieder und küßte ihm die Stirne.
– Mache dir darüber keine Sorgen, Tharaud; man spricht immer mehr, als wahr ist; ich glaube nicht, daß sie mir das thun werden und thun sie es auch, was schadet's mir? Ich verliere meinen Ruf? Ich werde glücklich sein, wenn ich ihn vergessen habe; du bleibst mir doch.
– Du hättest mich doch nicht so sehr lieben sollen, seufzte Mainvielle. Die Künstlerin gehört der ganzen Welt und wer sie dieser vorenthält, der ist ein Dieb und man bestraft ihn dafür.
– Sei ruhig und denke nicht wieder daran.
– Ich soll nicht wieder daran denken? sprach der kranke Schauspieler, ich, der es weiß, wie weh es thut, nur ein einzelnes Zischen zu hören, welches man selbst mitten in der höchsten Begeisterung vernimmt und das schmerzhafter berührt, als der Zahn der Schlange? Ich soll ruhig schlafen können, wenn ich weiß, daß du, mein Ideal, mein Altarbild, auf der Schandbühne stehst und elende Buben dir den Kranz abreißen, den Gott dir selbst um die Stirne gewunden. Bis hierher werde ich das Zischen hören, als käme es aus meinem Becher. Ach gieb ihn her diesen Becher, damit ich ihn in Stücke breche.
– Tharaud! bat das Weib, rege dich nicht auf. Kann ein reines Gemüt von einer solchen Beleidigung berührt werden? Wenn ich zurückkomme, so wirst du an meiner Stirne keine Spur von Schamröte sehen.
– Und ich soll bis dahin im Bette schmachten. Das glaubst du? Nein. Halb tot lasse ich mich hintragen. Ich will sehen, ob jemand den Mut haben wird, mich zu töten, mich mit Füßen zu treten! Ich, ich allein fordere die ganze Welt heraus!
– Lege dich nieder, Tharaud! sprach Josephine ruhig. Diese Aufregung nützt dir nichts. Vor einem kranken Menschen fürchtet sich niemand. Selbst wenn du gesund wärst, könntest du mich nicht schützen, denn du bist mein Mann. Wärst du mein Geliebter, so könntest du für mich alles thun; aber überlege nur, welch eine lächerliche Rolle es ist: der Mann einer Sängerin, der mit den Leuten zankt, weil sie ihr nicht applaudieren wollen.
Mainvielle bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen.
In diesem Augenblick wurde geläutet und Jeannette eilte aufzumachen.
– Wenn ich gesund werde, ächzte Mainvielle, so werde ich ein Seiltänzer; ein Cirkus, Hunde, die springen gelernt haben, Taschenspieler, schamlose Ballettdirnen, das alles gehört hierher, nicht die Kunst! Wenn ich ein neues Leben beginne, so werde ich Direktor einer Kunstreiterbude, nicht eines Schauspielhauses. Fare well, Othello! jetzt kommt Bamboche an die Reihe.
Josephine bat ihren aufgeregten Mann, der mit seinen Reden seine letzte Kraft zu erschöpfen schien, vergebens, sich zu beruhigen, als Jeannette mit einem geöffneten Brief zurückkehrte.
– Um Vergebung, Madame, daß ich es wagte, diesen Brief zu öffnen; aber da der Überbringer seinen Namen nicht sagen wollte, kam ich sogleich auf den Gedanken, es sei vielleicht ein böswilliges Schreiben, irgendein Pasquill, o diese Menschen sind alles im Stande.
– Also was ist das?
– Gerade das Gegenteil von dem, was ich gefürchtet habe. Sie können es lesen.
– Ein anonymer Brief? Wer kann ihn geschrieben haben?
– Wahrscheinlich kein großer Herr, denn er ist sehr schön geschrieben; ein einfach gekleideter Mann hat mir ihn übergeben, lesen Sie ihn, lesen Sie ihn laut, damit ihn auch Herr Mainvielle höre.
Josephine nahm den Brief und las: »Unsterbliche Künstlerin! Möge Sie die Nachricht nicht überraschen, daß gewisse Menschen, die nichts anderes zu thun haben, zu Ihrem heutigen Auftreten Vorbereitungen treffen, die Sie betrüben können; ich kann Ihnen mit Bestimmtheit sagen, daß der Teil des Publikums, der nicht um zu schwatzen, sondern um zu hören ins Theater geht, daß alle diejenigen, die in Ihnen die Kunst und nicht Ihre persönlichen Reize bewunderten, für Sie warm fühlen und ihre Gesinnungen nicht bloß mit Worten, sondern gewiß auch durch die That beweisen werden. Treten Sie daher mit jenem Mut vor das Publikum, der einem Liebling desselben zukommt. Vergeben Sie mir meine schlechten Zeilen, ich, der ich sie geschrieben habe, bin ein einfacher Handwerker und das ganze Interesse, das mich drängt, Ihnen zu schreiben, ist, daß auch ich in Ungarn geboren und daß ich auf Sie, meine Landsmännin stolz bin.«
Die einfachen, schmucklosen Worte thaten der Künstlerin wohl. Also dort, wo man bloß die Kunst selbst genießt und von der Künstlerin nichts verlangt, stirbt die Gunst doch nie ganz.
– Sieh, sagte sie zu ihrem Manne, diese Worte erheben mich. Dieses anonyme Schreiben ist für mich ein größerer Triumph, als ein ganzer Haufe jener parfümierten Briefe, deren Siegel zehnzackige Kronen enthalten; das Siegel dieses Briefes stellt eine Biene, das Zeichen des Fleißes, vor, o heute werde ich stark sein.
Man läutete abermals.
Jeannette kam mit zweifelndem Gesicht zurück.
– Der Austräger des Direktors ist mit einer Botschaft da; soll ich ihn einlassen?
– Er komme! möge er mir was immer zu sagen haben. Heute wird mich nichts erschüttern.
Sie ging hinaus, damit ihr Mann nicht durch die etwa unangenehme Nachricht wieder aufgeregt werde.
Der Direktor ließ ihr mit aller Hochachtung sagen, er bitte Sie um Vergebung, daß er anstatt der Italiana in Algheri eine andere Oper aufführen muß; denn Seine Majestät der König habe eben jetzt befohlen, daß auf den Wunsch der gestern angelangten Herzogin von Nemours, welche die Mainvielle in der Semiramide hören will, letztere Oper vorgenommen werde. Wenn übrigens die geehrte Künstlerin durch Familienangelegenheiten gehindert wäre, so ist der Direktor so gut, ihr das Auftreten zu erlassen, auch wollte er es für den Fall übernehmen, die Künstlerin bei der Herzogin zu entschuldigen.
Der liebe, nachgiebige Direktor! Wie gutherzig er auf einmal geworden ist! Gewiß weil die Semiramide eine Rolle ist, in welcher sie das Publikum bezaubert und wenn sie darin nach der Zelmira auftritt, der Catalani sicher die Palme aus den Händen windet. Ah, welch ein Strich durch die Rechnung der jungen Riesen! Vor Schreck gaben sie dem Deboureux den Rat, er möge der Mainvielle das Auftreten erlassen, die sich ohnedies fürchten wird, diesen Abend zu spielen.
Josephinens Gesicht erglühte, ihre Lippen bebten und ihr Busen wogte.
– Ich grüße Herrn Deboureux, sprach sie schnell entschlossen, ich werde spielen!
Der Theaterdiener eilte mit der Botschaft zurück, welche die Schar der jungen Riesen völlig in Wut brachte. Das war ein kühner Trotz und eine offene Herausforderung; sie gaben ihr Gelegenheit, sich zurückzuziehen und sie benützt dieselbe nicht und tritt ihnen entgegen. Der Austräger hatte es gut durch die Thüre gehört, wie Josephine ihrer Gesellschafterin mit lauter Stimme befahl, ihr für den Abend ihr schönstes Diadem und ihr prächtigstes Kostüm zurecht zu legen.
Also ein Kampf auf Leben und Tod.