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Arme Frau!
Wir meinen die Frau von Karpáthi.
Mit ihrem Manne war sie zugleich zu ungeheurem Reichtum und zu einem großen Namen gelangt. Beide sind für sie eher eine Last, als ein Segen.
Geht doch für den Reichen die Sonne nicht zweimal des Tages auf, kann er sich doch für all sein Geld keine Befriedigung, kein glückliches Herz, keine Liebe, keine Ruhe, kein süßes Selbstbewußtsein erkaufen.
Und ihr vornehmer Name?
Die ganze Welt weiß, wie sie zu diesem gelangt ist. Ein für verrückt gehaltener alter Mann heiratet, um sich an seinem Neffen zu rächen, ein Mädchen aus einer übelberüchtigten Familie, das ohne ihn vielleicht von dem Neffen verführt worden wäre.
Der alte Herr war entweder großmütig oder ein Narr; das Mädchen war ganz gewiß eitel und hochmütig.
Jeder hält sie für einen Aufdringling. Sie möge nur einmal in den hohen Kreisen erscheinen, in die sie sich gedrängt hat!
Die Damenwelt zählt im voraus auf die Unterhaltung, zu welcher ihre Ungeschicklichkeiten, ihre Mißgriffe, vielleicht auch bald ihre Abenteuer Anlaß geben werden; die Kavaliere denken: dieses Weib ist jung, leidenschaftlich, eitel, voll Verlangen, nichts wird leichter sein, als sie zum Falle zu bringen.
Niemand ist da, von dem sie ein aufrichtiges Wort erwarten kann, den sie um Rat bitten, dem sie sich anschließen dürfte, der ihre Partei nimmt, sie leitet. Ihr Gemahl ist dazu am wenigsten geeignet.
Er glaubt alle seine Pflichten gegen sie zu erfüllen, wenn er für ihre Gemächlichkeit sorgt, wenn er aus allen Teilen der Welt zusammenträgt, woran die Frauen Vergnügen zu finden pflegen, von den Putzgegenständen angefangen, bis zu den Anbetern.
Ja, bis zu den Anbetern.
Denn sobald die früheren lustigen Brüder von Karpáthfalva wegbleiben, mit dem Aufhören der alten Gelage, beginnt dort ein neues Leben, neue Menschen erscheinen dort – nicht mehr von dem guten Wein des Nabobs und von seinen Späßen angelockt, sondern von seiner schönen, jungen Gemahlin, die ihnen doppelten Anlaß giebt, zu Hoffnungen nämlich, weil sie einen alten Mann hat und weil sie aus übelberüchtigter Familie stammt. Man ist ihr um einen Schritt näher, als jeder andern Dame.
Fast täglich sind die bedeutendsten Modelöwen der Umgegend in Karpáthfalva zu sehen: Der junge Darvay, den man für den Führer der liberalen Partei des Komitats hält, weil er einen langen Bart trägt, das damalige Abzeichen der Liberalen.
Der schöne Csendey, der es sehr gern hört, wenn man ihn schön nennt. Er hat ein glattes Gesicht, sorgfältig gescheiteltes und gekräuseltes Haar, kann aber nicht zwei vernünftige Worte sprechen.
Der gefeierte Csepcsi, der privilegierte Vortänzer auf allen Bällen; er erinnert sich nicht, je einer Dame begegnet zu sein, die sich nicht in ihn verliebt hätte, noch einen Mann zu kennen, der besser tanzt als er.
Ein klafterlanger Graf, der selber gesteht, er kenne keinen häßlicheren Mann, als er ist, aber dennoch versichert, daß er überall seine Nebenbuhler verdränge.
Ein blasser junger Mann, der im Verdacht steht, unter einem Pseudonym Gedichte zu veröffentlichen. Man thut ihm aber sehr unrecht, da es im Zweifel steht, ob er überhaupt schreiben kann.
Ferner noch eine Menge anderer, von welchen zwölf auf ein Dutzend gehen und die ebenfalls die schöne, junge Dame umschwärmen.
Arme Frau!
Wie oft möchte sie sich aus dieser erdrückenden, traurigen, langweiligen Umgebung retten! Aber wohin, zu wem? Da ist kein Herz, das sie verstünde, Herr von Karpáthi glaubt, sie sich zu verbinden, wenn er ihr erlaubt, sich in dieser Gesellschaft bis zur Verzweiflung zu amüsieren.
Wie zwerghaft, dumm, geschmacklos, welche Hanswürste sind diese alle gegen das Ideal, das sie im Herzen trägt.
Wie selbstsüchtig, leer und unnütz sind diese alle mit dem Manne verglichen, dessen Bild sie im Heiligtum ihrer Seele bewahrt.
Warum ist nicht wenigstens eine Freundin in der Nähe, der sie ihr Herz erschließen könnte!
Das bevorstehende Vereinsfest war schon nahe. Herr von Karpáthi lud eine große Menge Leute ein und schickte die lange Namensliste derselben durch den Güterdirektor, Herrn Varga, seiner Gemahlin; sie möge nachsehen, ob nicht jemand vergessen worden wäre, dessen Anwesenheit sie etwa wünscht.
Diese zarte Aufmerksamkeit beweist, wie zuvorkommend Herr von Karpáthi gegen seine Gattin war.
Herr Varga klopfte, seinen Ansichten von Höflichkeit gemäß, an die Thüren aller Zimmer, auch derjenigen, in welchen sich niemand befand, bis er in das Heiligtum kam, in welchem sich die gnädige Frau aufhielt. Da blieb er schüchtern auf der Schwelle stehen und wünschte sich in der Angst seines Herzens eine so lange Hand, daß er die Schrift überreichen könne, ohne einen Schritt vorwärts gehen zu müssen.
Fanny fühlte sich zu diesem Alten besonders hingezogen. Manche Menschen haben die glückliche Eigenschaft, daß ihnen ihre ehrliche Seele auf die Stirne geschrieben ist, sodaß man auf den ersten Anblick Vertrauen zu ihnen hat. Fanny wartete nicht, bis Herr Varga es wagte, sich ihr zu nähern; sie ging zu ihm hin, faßte ihn an der Hand und zog ihn trotz seines Bestrebens, bei jedem Schritt stehen zu bleiben und seine Verbeugung zu machen, vorwärts; dann nötigte sie ihn, sich niederzusetzen und hielt ihn eine Weile an beiden Händen, damit er nicht sogleich aufstehen könne. Natürlich war er sogleich wieder auf den Beinen, sobald Fanny ihn losgelassen hatte.
– Lieber Freund Varga, bleiben Sie doch sitzen, sonst stehe ich auch auf.
– Ich wäre dieser außerordentlichen Ehre nicht würdig, stammelte der Alte und ließ sich langsam auf den Sitz nieder, wie um Vergebung bittend, daß er es wage, in Gegenwart der gnädigen Frau zu sitzen.
– Also was haben Sie mir gebracht, lieber Varga? fragte Frau Fanny lächelnd. Wenn Sie mir nichts gebracht haben, dann ist es um so besser, denn dann kommen Sie bloß um mich zu besuchen. Gehen Sie, ich freue mich so sehr, wenn ich Sie sehe.
Herr Varga stammelte, er begreife nicht, wodurch er diese Ehre verdiene; zugleich beeilte er sich, ihr die Liste zu überreichen und seinen Auftrag auszurichten und dann wollte er sich sogleich wieder entfernen.
Aber Fanny, die seine Absicht merkte, kam ihm zuvor und sagte: Ich bitte, bleiben Sie noch, ich werde Sie manches zu fragen haben.
Das war für ihn ein Befehl, er mußte sich wieder setzen; aber so unwohl hatte er sich als Student bei keiner Prüfung gefühlt, wie jetzt. Was wird die gnädige Frau ihn fragen? O säße doch jemand anderer an seinem Platz!
Fanny nahm die Liste in die Hand und durchlas sie. Ihr Herz zog sich zusammen. Wie viele fremde Namen sah sie da, von welchen sie nichts wußte, als daß sie lauter vornehmen Menschen, hochgestellten Männern und tadellosen Damen angehören! Keine einzige dieser Damen ist ihr bekannt, sie vermag nicht zu ahnen, zu welcher sie sich hingezogen fühlen werde, zu welcher nicht. Ihr Mann, der überall bizarr ist, dachte sich auch hier, es wäre zu langweilig, sie bei allen Damen der Umgegend einzuführen und fand dafür den Ausweg, sie alle einzuladen, damit seine Gemahlin mit allen auf einmal bekannt werde. Freundinnen kann sie sich dann nach lieber Lust auswählen. Er dachte, die Frau, die in der Soiree der »feinen Welt« mit so viel Selbstvertrauen, mit solchem Triumph aufzutreten verstand, werde sich auch hier leicht zurechtfinden und die Rolle spielen, zu welcher ihre Schönheit und ihre Stellung sie berechtigen. Aber die Situation war eine so ganz andere. Dort wußte sie wohl, daß sie ihren Feinden entgegentrat, sie wußte, daß sie sie beschämen werde, daß niemand da sei, vor dem sie aus welchem Grund immer die Augen niederzuschlagen brauchte; während sie hier in der Gesellschaft ernster, tugendstolzer Damen erscheinen soll. Tritt sie ihnen kühn und sicher entgegen, so werden sie sie demütigen, erniedrigt sie sich selbst, so werden sie sie verspotten, an ihre Tugend nicht glauben, sie um ihrer Schönheit willen verdächtigen, wie freundlich man immer mit ihr sprechen wird, so werden hinter den süßen Worten doch Anspielungen, berechnete Verletzung stecken. Weh ihr, wenn sie diese nicht versteht und das nicht verbergen kann, weh ihr, wenn sie die Beleidigung nicht zurückgiebt und weh ihr, wenn sie dieses thut.
Arme Frau!
Sie liest alle vor ihr stehenden Namen.
Sie ahnt deutlich, daß es darunter manche gutherzige, sanftmütige Matrone gebe, die sie wie ihre Mutter (nicht ihre wirkliche, sondern eine ideale Mutter) betrachten konnte und gefühlvolle, sympathische junge Damen, die sie wie ihre Schwestern (wieder nicht wie ihre wirklichen Schwestern) lieben konnte. Aber wie soll sie dieselben erkennen, wie sich ihnen nähern, wodurch soll sie ihr Herz, ihr Vertrauen gewinnen? Wie, wenn sie ihr Herz gerade denjenigen erschließt, die mit ihrem Vertrauen Spott treiben werden, wenn sie einem kalten zurückweisenden Blick begegnet, wo sie ein warmes teilnehmendes Herz zu finden hoffte?
Aufs neue durchlas sie die Liste und wollte aus dem Klang der Namen auf den Charakter der Personen schließen; aber bald legte sie das Papier nieder und sah den Güterdirektor mit bittenden Blicken an.
– Lieber Freund Varga, sagte sie, vergeben Sie, wenn ich Sie mit einer Bitte belästige.
Herr Varga beeilte sich, unterthänigst zu bitten, sie möge befehlen.
– Aber es ist eine große, sehr große Bitte.
Herr Varga versicherte, er sei zu allem bereit, er wolle zum Fenster hinausspringen, wenn sie es befiehlt.
– Ich möchte eine Frage an Sie richten, auf die ich aber eine aufrichtige Antwort erwarte.
Herr Varga war zu allein bereit.
– Aber Sie müssen gegen mich sehr aufrichtig sein, nehmen Sie die Frage so, als wären Sie mein Vater und hätten mir, Ihrer Tochter einen Rat zu erteilen, bevor ich in die Welt trete.
Diese Worte waren mit so herzlichem Ton gesprochen, daß Herr Varga nicht umhin konnte, sein großblumiges, buntes Sacktuch herauszunehmen und sich damit eine Thräne abzutrocknen.
Fanny rückte ihren Stuhl näher zu ihm hin und breitete die Liste vor ihm aus.
– Sehen Sie, lieber Freund, sagte Fanny und legte ihren schönen, runden Arm mit unbeschreiblicher Liebenswürdigkeit auf seine Schulter, diese Namen sind mir alle fremd, ich kenne keinen einzigen davon. Ich weiß nicht, vor wem ich mich fürchten, wem ich mich anschließen, wen ich Freund oder Freundin nennen, oder vor wem ich mich hüten soll. Ich weiß, daß ich von Ihnen einen schweren Dienst verlange, aber Sie müssen doch alle diese Leute kennen, Sie müssen am besten wissen, was ich will. – – –
Herr Varga wußte das recht gut; und wieder nahm er sein Sacktuch heraus, aber jetzt mußte er sich damit den Schweiß von der Stirne wischen.
– Sie befehlen? fragte er äußerst zaghaft.
– Ich bitte Sie inständigst, mir die Namen, die hier aufgezeichnet sind, der Reihe nach vorzulesen und mir bei jedem zu sagen, was Sie von der betreffenden Person halten und was die Welt von ihr hält, wen sie für liebenswürdig halten, wen nicht.
Herr Varga hatte noch niemals ein solches Rigorosum zu bestehen gehabt.
Wenn Frau von Karpáthi von ihm verlangt hätte, er solle fünf oder sechs von denen, deren Namen hier aufgeschrieben waren, zum Duell herausfordern, oder er solle zu allen der Reihe nach zu Fuß herum laufen und ihnen Posten ausrichten, oder er solle ihr von allen die Genealogie erzählen, so wäre das alles eine Kleinigkeit gewesen gegen das, was sie von ihm verlangte.
Er, der demütigste, artigste Mensch, der mit solcher Ehrfurcht erfüllt ist gegen jeden, der den höheren Kreisen angehört, der sich unglücklich fühlte, wenn er den Namen eines Vornehmen nicht mit allen möglichen dazu gehörigen Titeln aussprechen würde, er soll jetzt über so viele Herrschaften eine Meinung, ein Urteil aussprechen!
Herr Varga rieb sich verzweifelt die Stirne mit seinem bunten Sacktuch. Er litt heute sehr stark am Husten und fing an zu wünschen, eine wohlthätige Fee möge ihn mit jemand austauschen und ihn in der Kornkammer so gut verbergen, daß niemand ihn finden könnte.
Auf dem Höhepunkt seiner Verzweiflung schien es ihm endlich, Frau von Karpáthi hätte jetzt etwas gesagt.
– Sie befehlen?
– Ich habe ja nicht gesprochen, lieber Freund, sagte Fanny und blickte den ehrlichen Alten lächelnd an.
Dieser sah ein, daß er sich doch endlich an die Lösung seiner Aufgabe machen müsse, nahm die Liste in die Hand, hielt sich dieselbe bald nahe an die Augen, bald weit weg davon und schmeichelte sich mit der Hoffnung, er werde indes das Lesen völlig vergessen haben.
Fanny merkte die Verlegenheit des Alten und wandte sich wieder mit ermunternder Freundlichkeit an ihn.
– Lieber Freund, sehen Sie mich so an, als wären Sie mein Vater, der allein mir in dieser fremden Welt raten könnte. Ich kann nicht dafür, daß ich Sie wie meinen Vater betrachte; warum waren Sie immer so gut, so freundlich gegen mich?
Durch diese tiefgefühlten Worte fühlte der Alte sein Herz gestärkt, mit einem entschlossenen Anlauf warf er seine Zaghaftigkeit von sich und antwortete: Gnädige Frau, Ihre grenzenlose Gnade ehrt mich über Verdienst und ich halte mich für unaussprechlich glücklich, wenn ich Ihnen einen geringen Dienst erweisen kann. Obwohl es für einen Menschen, wie meine geringe Person, höchst peinlich ist, über die vornehmen Herren und Damen, deren Namen hier verzeichnet sind, eine Meinung auszusprechen, so will ich doch aus Liebe – ich will sagen aus Achtung für Eure Gnaden – –
– Sagen Sie nur aus Liebe.
– Ja so ist's; ich habe gesprochen, wie ich es fühle. Auch ich habe eine Tochter gehabt. Es ist schon lange her. Sie war gerade in Ihrem Alter, zwar nicht so schön, aber sie war gut. Sie ist sehr jung gestorben. Ach, sie hat mich sehr geliebt; ich bitte um Vergebung, daß ich von ihr zu sprechen wage.
– O wir wollen noch viel von ihr sprechen; nicht wahr, es ist ihr Porträt, welches in Ihrem Zimmer über Ihrem Schreibtisch hängt?
– Wie, Sie waren so gnädig gewesen, meine arme Wohnung zu betreten?
– Ach, ich habe mich verraten. Kommen wir auf unsern Gegenstand zurück!
– Nein, nein, gnädige Frau, vergeben Sie mir; aber ich muß Ihnen erst meinen heißen Dank ausdrücken. Jetzt wird es mir klar; als ich neulich schwer am Fieber darniederlag, kam es mir vor, meine längst verstorbene Tochter stehe an meinem Bett und jetzt weiß ich, daß Sie es gewesen sind, daß Sie so gnädig waren, mich während meiner Krankheit zu besuchen; o wo finde ich Worte, um Ihnen meinen Dank auszudrücken?
– Kommen wir auf unsern Gegenstand zurück, alter Freund! sagte Fanny, befürchtend, der Alte werde jetzt anfangen, sie mit Lob und Dank zu überschütten.
– Also gnädige Frau, ich will es versuchen, Ihnen auf Ihre Frage mit aller Aufrichtigkeit, mit dem besten Willen zu antworten. Ich halte es nicht für notwendig, vor allem von jenen Personen zu sprechen, welchen – wie soll ich mich ausdrücken – Eure Gnaden nicht mit vollem Vertrauen entgegen zu kommen brauchen; denn obwohl mich Gott bewahren möge, daß ich in dem Leben so hoher Herren und Damen etwas Tadelnswertes zu finden wagte, so kann es doch Gründe geben, die es wünschenswert machen, daß Eure Gnaden sich ihnen nicht vertraulich anschließen. Hingegen werde ich diejenigen Personen hervorheben, die imstande sind, Ihre Güte mit gleicher Güte zu vergelten. Die ich dann unterthänigst verschweigen werde, über diese mögen Eure Gnaden die Beruhigung hinnehmen, daß ich in den geschätzten Personen derselben bei allen ihren guten Eigenschaften nichts gefunden habe, was ihre Freundschaft für Eure Gnaden wünschenswert macht.
– Richtig, sehr richtig, lieber Freund. Sie lehren mich mir diejenigen kennen, die ich lieben muß, von den übrigen schweigen Sie, O, Sie müssen die Welt gut kennen, Ihr Rat ist weise.
Herr Varga wandte sich mit einem bittenden Blick an Fanny, als ob er sie ersuchte, sie möge ihn nicht so sehr loben, denn sonst komme er wieder in Verlegenheit und vergesse, was er sagen wollte.
Dann nahm er die lange Liste vor und begann mit dem Finger neben den Namen hinzufahren, bei Leibe nicht über dieselben, damit er die hohen Eigentümer nicht durch seine gemeine Berührung verletze.
Hm, hm! er räusperte sich und scharrte mit dem Fuße, denn er fand viele Namen nacheinander, über welche er es für besser hielt zu schweigen.
Hm, hm! manchmal blieb der Finger bei einem Namen stehen. Herr Varga blickte auf und schickte sich an zu sprechen, aber während er sich räusperte und auf den Namen zurückblickte, neben welchem er den Finger hielt, überlegte er sich's wieder und schob den Namen zu denjenigen, deren anerkannte, gute Eigenschaften er nicht für genug wünschenswert hielt.
Wir bemerken jedoch, daß er beinahe schon am Ende der Liste ist und er selbst bemerkt erschrocken, wie viele er schon mit Schweigen übergangen habe. Seine Stirne bedeckt sich mit Schweiß, wie er immer wieder auf neue Namen stößt, gegen deren Eigentümer er zwar mit unbegrenzter Ehrfurcht erfüllt ist, die er aber seiner Tochter dennoch nicht empfehlen könnte.
Und er betrachte jetzt Fanny als seine Tochter. Die gnädige Frau hat es doch selbst gewünscht und als er fieberkrank war, bildete er sich ein, sie sei sein liebes Kind. Er war genötigt, seinem väterlichen Herzen diese Illusion zu erlauben.
Ah! endlich glättete sich sein Gesicht. Seine Hand zittert auf dem Papier, sobald er zu dem Namen gelangt. Endlich findet er jemanden, den er nennen, den er mit Lobeserhebungen überhäufen kann, den er dem Vertrauen seiner Tochter – der gnädigen Frau empfehlen darf.
– Da, gnädige Frau, sagte er, ihr die Liste hinreichend. Diese wackere Dame ist gewiß eine von denjenigen, denen Eure Gnaden mit Liebe und Vertrauen entgegenkommen dürfen.
Fanny las den Namen, den er ihr zeigte.
– Flora, Gräfin von Szentirmay, geborene von Eßéki.
Sie erinnerte sich, daß sie schon vorher beim Lesen dieses Namens von freundlicher Ahnung ergriffen worden sei.
– Was ist das für eine Dame? fragte sie den guten Alten.
– Ich bedürfte wirklich einer großen Beredsamkeit, um sie ihrer würdig beschreiben zu können. Sie ist reich an allen Tugenden, die man bei einer Dame suchen darf. Sanftmut ist bei ihr mit Klugheit gepaart; jeder Bedürftige, jeder Leidende findet in ihr eine Wohlthäterin, sie verheimlicht zwar ihre Wohlthaten, aber wer kann den Dankbaren wehren, sie zu nennen? Sie läßt nicht nur diejenigen die Güte ihres Herzens fühlen, die es hungert und friert, die an allem Mangel leiden; nicht nur verwendet sie sich oft für unglücklich Verurteilte, sie pflegt auch Kranke, welche die Welt verdammt hat, gefallene arme Mädchen, die von Verführern unglücklich gemacht wurden, Frauen, die ein schweres Hauskreuz tragen, kurz alle, denen ihr Leiden im Herzen sitzt, finden in ihr eine Trösterin. Ich bitte um Vergebung, daß ich sie so sehr erhebe, obwohl auch andere vornehme Personen recht viel Gutes thun! aber diese lindern nur körperliche Leiden, wahrend sie auch in leidende Herzen Balsam träufelt. Sie findet ihre Trostbedürftigen nicht nur in den Hütten der Armen, sondern auch in den Palästen der Vornehmen. Ich bitte tausendmal um Vergebung, daß ich es wage, so zu sprechen.
– Fahren Sie nur fort, sprach Frau von Karpáthi mit lebhaftem Interesse.
Und in der That kennt jedermann sie von dieser Seite. Beliebe es Ihnen nur, andere zu fragen, alle werden mit Mund und Herzen bestätigen, daß diese Dame Glück und Zufriedenheit um sich verbreitet und Segen in jedes Haus bringt, das sie betritt, denn sie macht da häusliches Glück und Tugenden heimisch, zu welchen sie selber das Beispiel giebt. Ich kenne wirklich nur eine einzige Dame, die mit ihr verglichen werden dürfte und es wäre meine größte Freude, wenn ich diese beiden Freundschaft schließen sähe.
Die Rührung in Fannys Gesicht bewies, daß sie die zarte Anspielung des Alten verstand.
– Ich bitte tausendmal um Vergebung für meine Worte, aber ich konnte mich nicht enthalten, so zu sprechen.
– Ist diese Dame jung?
– Sie ist eben in Ihrem Alter.
– Und ist ihre Ehe glücklich? sagte sie mehr für sich, als daß sie fragte.
– Das ist sie, antwortete Varga. Weit und breit könnte man kein so passendes Paar finden, wie sie und den Grafen Rudolf von Szentirmay. O, der ist ein großer Mann; jedermann bewundert seinen Verstand, seinen Geist, im ganzen Land spricht man mit Lob von ihm. Er hat im Ausland große Reisen gemacht und seine Gemahlin auf einer derselben kennen gelernt. Er war, wie man sagt, des Lebens überdrüssig und soll sich um sein Vaterland wenig gekümmert haben, aber sobald er seine Gemahlin, die damalige Comtesse Flora von Eßéki kennen lernte, ging plötzlich eine große Veränderung mit ihm vor; er kam mit ihr nach Ungarn zurück und nächst dem Grafen Stephan Széchényi, dem Gott in allen seinen Bestrebungen beistehen möge, giebt es kaum noch einen Mann in Ungarn, der so viel Gutes und Nützliches stiftet. Aber Gott hat ihn dafür auch belohnt, denn er genießt des größten Glückes auf Erden, des häuslichen in solchem Maße, daß er beinahe zum tröstenden Sprichwort geworden ist und wenn jemand ihn und seine Gemahlin beisammen sieht, so ist man geneigt zu glauben, daß für sie die himmlische Seligkeit schon auf Erden begonnen habe.
Unwillkürlich entwand sich ein Seufzer aus Fannys Brust.
In diesem Augenblick wurde im Hof Kutschengerassel gehört. Mitten durch das Laufen und Lärmen, das hierauf auf der Flur entstanden war, hörte man die Stentorstimme des Herrn von Karpáthi, der jemanden mit großer Freude zu begrüßen schien. Gleich darauf trat bei der Frau von Karpáthi ein Diener ein und meldete: Die Frau Gräfin Flora von Szentirmay.
Zitternd vor Freude und Überraschung erwartet Fanny den gemeldeten Gast. Als hätte die gepriesene junge Gräfin nur auf das Losungswort gewartet, gerade als Fanny mit freudigem Herzen deren Lob hörte, langte sie an. Wie mag sie aussehen?
Wie pochte der armen jungen Frau das Herz, als die Schritte näher kamen, als sie hörte, wie Karpáthi mit jemandem lebhaft sprach. Jetzt wird die Thüre geöffnet und hereintritt – nicht das Gesicht, die Gestalt, die Fanny sich vorstellte, sondern eine hohe, dürre Dame von unbestimmtem Alter, mit falschen Haaren, falschem Teint, falschen Zähnen und ganz nach der neuesten Mode herausgeputzt. Ihr ungeheurer Hut mit großem Blumenaufputz benimmt einem die Aussicht auf alles, was hinter ihr ist. Ihr Mantel ist ihr halb von der Schulter geglitten, was ihr einen amazonenhaften Ausdruck verleiht; diese Wirkung wird von dem tief ausgeschnittenen Kleide vermehrt, das ihre zum Erschrecken dürren Schultern und das stark hervortretende Schlüsselbein sehen laßt. Sie lächelt und läßt nicht bloß die obere Reihe ihrer Zähne (Atelier: Paris, Rue Vivienne, Nr. 11, Doktor Legrieux), sondern auch das ganze Zahnfleisch sehen.
Einen Augenblick erschrak Fanny, die auf eine liebenswürdige, angenehme Gestalt vorbereitet war, die zu umarmen und zu küssen sie sich schon im voraus freute. Wie ganz anders aber war diejenige, die sie vor sich erblickte!
Hinter dieser, die als Gardedame voraus marschierte, kam die gemeldete Dame mit Karpáthi schäkernd.
– Fräulein Marion von Szentirmay, Gräfin Szentirmay – meine Gemahlin! – sagte Karpáthi, sich beeilend, die Damen einander vorzustellen.
Fräulein Marion Szentirmay begrüßte die Hausfrau mit einem über jeden Tadel erhabenen Knix und erwartete dabei, wie letztere den Knix erwidern werde. Aber diese wußte kaum, was sie sagen sollte; sie war so verlegen, so befangen, so sehr war sie ins Anstaunen des alten Fräuleins versunken, daß sie kaum Zeit gewann, Flora zu sehen.
Indes war es nicht nötig, daß sie oder jemand anderer nach Worten suchte; Fräulein Marion hatte deren in solcher Fülle, daß sie eine ganze belebte Gesellschaft damit versorgen konnte.
Dem vortrefflichen Fräulein muß auch das noch zugestanden werden, daß nichts, was sie sagte, leeres Geschwätz war, sondern aus lauter wohl berechneten Anspielungen bestand.
Und was das Beißen betrifft, so gleicht das ehrenwerte Fräulein nur insofern nicht der Nessel, daß diese nur diejenigen verletzt, die ihr nahe kommen, während sie die Menschen aufsucht und sie durch jede Hülle hindurch bis ins Herz trifft.
– Nehmen Sie Platz, meine verehrten Damen. Frau Gräfin, ich bitte Sie, nehmen Sie neben meiner Frau Platz; Fräulein Marion, ich bitte tausendmal um Vergebung. – –
Ein Blick auf das Gesicht dieser Dame überzeugte den Herrn von Karpáthi, daß sie viel zu gut wisse, welcher Platz ihr gebühre, als daß man es ihr erst zu sagen brauchte. Sie ließ sich in das Fauteuil nieder, von welchem Herr Varga soeben auf unmerkliche Weise verschwunden war.
– Vergeben Sie, liebe Nachbarin, sagte Fräulein Marion mit spitzer Stimme, vergeben Sie, chère voisine, denn wir wohnen in der nächsten Nähe des Karpáthischen Familiengutes (das heißt, das ist nicht dein Gut, es gehört auch nicht deinem Manne, sondern der Familie), daß wir so frei waren, Sie in Ihren Beschäftigungen zu stören (womit könntest du dich beschäftigen?). Obwohl wir hätten warten sollen, bis Herr Johann von Karpáthi uns seine liebenswürdige Gemahlin vorstellt, denn das ist so üblich (du weißt nicht einmal, was sich schickt, woher solltest du's auch wissen), so kommen wir doch her, da uns unser Weg gerade vorüber führt (also glaube nicht, daß wir uns direkt deinetwegen herbemühten); eigentlich kommen wir, weil ich mit dem Herrn von Karpáthi einen alten Prozeß habe (also mir und meinem Prozeß verdankst du es, daß du uns siehst, nicht der Güte der Frau Gräfin, wie du glaubst); der Prozeß ist schon sehr alt, ich war noch sehr jung, ich war noch ein Kind, als er begonnen wurde. Man hatte uns geraten, dem Prozeß dadurch ein Ende zu machen, daß wir uns heirateten, aber ich war damals noch jung, beinahe noch ein Kind und konnte mich nicht dazu entschließen; ich habe gefehlt, wie reich wäre ich jetzt – eine gute Partie, aber Sie sind ein glücklicher Schelm, Herr von Karpáthi, Sie können sich nicht beklagen. Eine so liebenswürdige Gemahlin, wie die Ihrige, ist ein Schatz, den Sie niemals verdient haben.
Hier hielt das gesprächige Fräulein zum Glück inne, wodurch Flora Gelegenheit erhielt, sich zu Fanny hinzubeugen und ihr mit zartem, ermunterndem Ton ins Ohr zu flüstern: Ich habe schon längst gewünscht, mit Ihnen zusammen zu kommen und war jeden Tag bereit, herüber zu fahren.
Fanny drückte ihr dankbar die Hand.
Ein wohlthätiger Anfall des Katarrhs verhinderte Fräulein Marion das Gespräch wieder aufzunehmen und Herr von Karpáthi gewann dadurch Zeit zu sagen: Wie sehr es mich freut, meine schöne kleine Nachbarin bei mir zu sehen, ebenso betrübt es mich, daß ich Sie allein, ohne Rudolf sehen muß. Das ist, glaube ich, ein so außerordentlicher Fall, wie wir ihn noch gar nicht erlebt haben; mein Freund Rudolf muß durch etwas ganz Ungewöhnliches zurückgehalten sein, daß wir sein Weibchen ohne ihn sehen; man muß ihn entweder eingesperrt, oder in einem Duell verwundet haben.
Flora lachte herzlich über diesen schmeichelhaften Verdacht und bemühte sich, ihn mit ihrer lieben, wohlklingenden Stimme zu widerlegen.
– Von dem allen ist nichts wahr; er hat plötzlich nach Wien reisen müssen.
– Ah, ich habe mir's gleich gedacht, daß er weit von hier sein muß; aber ich bedaure das sehr, denn er hat mir versprochen, uns bei Gelegenheit unseres Festes mit seiner Anwesenheit zu beehren.
– O, bis dahin wird er zurück sein, er hat mir sein Wort darauf gegeben.
– Nun, dann kommt er gewiß; es ist ja unmöglich, ein schönen Damen gegebenes Wort nicht zu halten.
Fräulein Marion hatte sich indes von ihrem Husten erholt und ergriff nun wieder das Steuer der Konversation.
– Das muß man wirklich zugeben, daß es in der ganzen Welt keinen so zartfühlenden, gebildeten, liebenswürdigen Mann giebt, wie Rudolf. Um Vergebung, lieber Nachbar, ich weiß daß ich Sie verletze, wenn ich so was sage, aber es ist wahr; Sie sind gewiß auch ein zuvorkommender Mann, aber Rudolf hat seinesgleichen nicht, er ist ein wahrhafter Engel, er behütet seine Gemahlin wie ein Cherub, nicht wie ein Mann; so einer kommt in einem Jahrhundert nur einmal zur Welt.
Flora konnte nicht umhin, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben.
– Wo immer ich in der letzten Zeit war, hoffte ich Ihnen zu begegnen; wir Frauen der Umgegend leben in ziemlich gutem Einvernehmen und wir freuten uns schon lange, daß sich unsere Gesellschaft um ein Mitglied vermehrt hat, aber wir sahen Sie hier nirgends; indes haben wir uns verschworen, Ihnen das Leben hier angenehm zu machen.
Fräulein Marion beeilte sich, die gute Wirkung dieser Worte mit ihren stechenden Bemerkungen zu vereiteln.
– Freilich, Herr von Karpáthi verbirgt seine schöne Gemahlin, er versteckt sie, damit niemand sie sehen könne. (Der alte Narr ist eifersüchtig, er hat auch Ursache dazu.)
– O mein Gemahl ist sehr zuvorkommend, beeilte sich Fanny ihn zu entschuldigen, aber ich muß gestehen, ich fühlte einige Zurückhaltung, einige Furcht, in so hohen Kreisen zu erscheinen. Ich bin sehr einfach erzogen worden und bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit zu großem Dank verbunden, denn sie macht mir Mut.
Das nützte ihr nichts. Vergebens sprach sie so demütigen Tones, vergebens bemühte sie sich zu behaupten, sie sei dankbar, wo sie eigentlich keinen Dank schuldig war; sie hatte es mit einem geschickten Fechter zu thun, der die Blößen des Gegners leicht auffindet.
– Freilich, freilich, entgegnete Fräulein Marion, das kann auch nicht anders sein. Eine junge Frau hat die schwierigste Stellung, wenn sie das erste Mal in die Welt tritt, besonders wenn sie die notwendigste, die sicherste Stütze, nämlich den mütterlichen Rat, die mütterliche Leitung entbehren muß; die Sorgfalt einer Mutter ist für eine junge Frau ein unschätzbares Gut.
Fanny glühte vor Scham. O, es war der schrecklichste Schmerz, die beschämendste Verletzung, die größte Grausamkeit, wenn man vor ihr von der Mutter sprach.
Flora drückte der jungen Frau krampfhaft die Hand und sagte: Das ist wahr; eine Mutter kann niemand ersetzen.
In den dunkeln auf sie gehefteten Augen konnte Fräulein Marion deutlich lesen, daß der Hieb stark war und jetzt ließ sie ihr Geschütz direkt gegen Flora spielen.
– O da haben Sie recht, liebe Flora! Besonders eine so gute, sanfte Mutter, wie die selige Eßéki war, vermag niemand zu ersetzen. Niemand, niemand. Ich gestehe, daß auch ich es nicht vermag. O in mir ist viele grausame Strenge; den Müttern steht die Nachgiebigkeit gut, sie ziert sie, aber die Tanten sind auf eine unangenehmere, undankbarere Rolle angewiesen. Sie müssen fortwährend Prozeß führen, achtgeben, zur Last fallen. Es ist umsonst, das ist einmal unser Los. Sie haben recht, liebe Flora.
Das sagte sie mit einem Ton, als hätte sie recht oft Veranlassung, mit Flora Prozeß zu führen.
– Weil Sie gerade von Prozessen sprechen, redete Herr von Karpáthi drein, der selbst die Verlegenheit seiner Frau bemerkte. Sie beliebten mein Haus Ihres Prozesses wegen zu beehren; wollen Sie vielleicht die jungen Damen mit unseren Alten bekannt machen?
– O nein, nein! Ich verstehe, lassen wir sie allein. Sie werden miteinander viel zu reden haben. Junge Damen haben sich immer viel zu sagen. Wenn es Ihnen beliebt, Herr von Karpáthi, so können wir uns in Ihrem Archiv miteinander besprechen. Ich hoffe, Frau von Karpáthi, Sie werden meinethalben auf Ihren Gemahl nicht eifersüchtig sein.
Herr von Karpáthi reichte der Amazone seinen Arm und führte sie ins Archiv, wo der Fiskal und Herr Varga bereits in ehrfurchtsvoller Stellung warteten. Letzterer dachte, als er Fräulein Marion betrachtete, daß auch sie zu denjenigen Personen gehöre, die er trotz all ihrer guten Eigenschaften seiner Herrin nicht empfehlen konnte.
Die beiden jungen Damen waren nun allein. Kaum hatte Fräulein Marion die Thüre hinter sich zugemacht, als Fanny mit beiden Händen und voll leidenschaftlicher Glut Floras Hand erfaßte, um sie, bevor jene es verhindern konnte, mit Küssen zu bedecken.
– Ach, mein Gott, was thun Sie? sprach Flora, und umarmte Fanny und küßte sie. So schön waren die beiden jungen Damen, als sie sich umarmt hielten, so legendenhaft schön! Die eine weinte vor Freuden, weil die andere lächelte und diese lächelte, weil sie im Auge der andern Freudenthränen sah.
– Sagen Sie, sprach Fanny mit vor Entzücken bebender Stimme, sagen Sie mir's: nicht wahr, keine alte Gerichtsangelegenheit hat Sie in dieses Haus hergeführt, sondern Sie wußten, daß da eine arme, verlassene Frau trauert, die in einigen Tagen unbekannt und ohne Stütze in der großen Welt dastehen wird; Sie dachten sich, gehen wir zu der Armen, geben wir ihr ein gutes Wort, ermuntern wir sie.
– O, mein Gott! – Flora wußte nicht, was sie antworten sollte, Fanny sprach ja die Wahrheit.
– O ich weiß es wohl, Sie sind der Schutzengel der Gegend. Eben als Sie ankamen, hörte ich von Ihnen sprechen und nach dem, was ich von Ihnen hörte, machte ich mir sogleich eine Vorstellung von Ihnen. Sie ahnten wohl, daß Sie auch an mir eine Arme finden, an der Sie Ihre Wohlthaten ausüben können; die Größe dieser Wohlthat kann nur ich ermessen.
Die Aufregung machte diese Frau, die sonst so melancholisch und schweigsam war, gesprächig.
– Sagen Sie nicht, daß dem nicht so sei, lassen Sie mir diesen Glauben, der mich glücklich macht, erlauben Sie mir Sie zu lieben, rauben Sie mir nicht die Überzeugung, daß es ein Wesen giebt, welches an mich gedacht, mich bemitleidet und glücklich gemacht hat.
– O Fanny! rief Flora mit sanfter bebender Stimme aus. Sie bemitleidete dieses Weib wirklich.
– So, so! nennen Sie mich nur so! sagte Fanny, Floras Hand an ihr Herz drückend, die sie nicht losließ, als ob sie fürchtete, die liebe Erscheinung werde ihr sonst wieder verschwinden.
Flora drückte ihre Lippen auf Fannys Stirne. Es war ein Siegel zur Bestätigung der Freundschaft, die sie ihr zusagte.
Fannys Herz vermochte die Last der Freude kaum zu ertragen. Zum erstenmal in ihrem Leben fand sie, wonach sie sich immer gesehnt hatte, ein Herz, das sie verstand, eine aufrichtige, schlackenlose Seele, wie die ihrige; o, eine noch bessere, reinere Seele, als die ihrige. Wie wohl that ihr diese Berührung in ihrer Verlassenheit; sie hatte ein Vorgefühl himmlischer Seligkeit.
– Möge der Himmel Sie so glücklich machen, wie Sie mich gemacht haben.
– Liebe Fanny, ich spreche Sie schon mit Ihrem Namen an, sprechen Sie mich ebenfalls mit meinem Namen – Flora an.
Nur durch die größte Vorsicht gelang es der Frau von Szentirmay zu verhindern, daß ihr Fanny nicht zu Füßen falle; als diese daran verhindert wurde, fiel sie Flora um den Hals und weinte vor Seligkeit.
Flora aber lächelte und freute sich über die Freudenthränen dieses armen Weibes.
– Jetzt, liebe Fanny, haben wir das hinter uns. Wenn du mir versprichst, davon nicht mehr zu sprechen, so bleibe ich bei dir – eine ganze Woche.
Dadurch war Fanny wieder genötigt, Freudenthränen zu vergießen.
– Dann helfe ich dir bei den Vorbereitungen zu dem Fest, welches dein Mann geben will. O du hattest ohnedies so viel zu thun, daß du allein es nicht erzwingen könntest, außerdem würdest du dieser Sachen überdrüssig werden; wenn wir aber beisammen sind, dann werden wir uns schon amüsieren.
Fanny wollte eine sentimentale Bemerkung machen, aber sie kam nicht dazu, wenn sie das heitere Gesicht ihrer Freundin sah.
– Glaube nicht, sagte diese, daß ich das nicht aus Eigennutz thue; es ist der berechneteste Egoismus. Mein Mann ist jetzt zum Vicegespan ernannt worden; in zwei Monaten wird er das Amt antreten und dann mußt du mir wieder bei unserem Fest behilflich sein. Siehst du, wie berechnend, wie schlau ich bin?
Fanny war noch nie so glücklich gewesen. Sie lachte und weinte und bewunderte dabei ihre Freundin, diesen schalkhaften Engel, der sie lachen und weinen zugleich und dabei so glücklich machte.
Fanny nahm erst jetzt Flora Hut und Mantel und alle möglichen Pfänder ab, die man lieben Gästen wegzunehmen pflegt.
Als Fanny ihr den Hut abnahm, bewunderte sie natürlich das schöne Haar und die geschmackvolle Frisur der Freundin. So kamen sie auf die gewöhnlichen Gesprächsgegenstände der Damen, Toilette, Schmuck, Handarbeiten und dergleichen, sodaß, als Fräulein Marion mit Herrn von Karpáthi aus dem Archiv zurückkam, an den beiden jungen Damen keine Spur mehr ihrer früheren leidenschaftlichen Scene zu sehen war. Sie sprachen miteinander, wie gute alte Bekannte.
– Ah, ah! sagte Fräulein Marion, ihren Kopf in die Höhe werfend, als sie Flora ohne Hut und Mantel sah; Sie haben sich es ja ganz bequem gemacht.
– Ja, Tantchen, ich bleibe noch eine Weile bei Fanny, Fräulein Marion blickte überrascht umher, in die Ecken des Zimmers, dann auf den Plafond, als ob sie nicht wüßte, wer diese Fanny sei.
– Ah, mille pardon, Madame! jetzt fällt es mir erst ein, daß dies ihr Taufname ist; ich bin ganz konfus von den vielen Namen, mit welchen man mir soeben im Archiv die Ohren vollgelesen hat; wahrhaftig, diese Karpáthische Familie hat außerordentlich zahlreiche Verbindungen, sie ist auf der weiblichen Seite mit allen vornehmen Familien verschwägert; ich glaube, man findet in ihr alle Kalendernamen.
Diese bissigen Worte verfehlten jetzt die Wirkung. Flora sagte lachend: Jetzt befindet sich auch schon der Name »Fanny« im Karpáthischen Kalender.
Nun mußten auch Fanny und der Herr von Karpáthi lachen und Fräulein Marion stand, den Sonnenschirm mit langem Stiele in der langen Hand und langem Gesicht da und begriff nicht, wie diese Leute guter Laune sein konnten, während sie sich so bemühte, sie zu ärgern.
– Und wie lange wird diese Weile noch dauern? fragte sie mit pikantem Tone.
– Bagatelle, Tantchen! nur eine Woche!
– Eine Woche! wiederholte Fräulein Marion schaudernd, eine Woche!
– Versteht sich, wenn man mich so lange duldet! sagte Flora scherzend; worauf Fanny sie zärtlich umarmte, als ob sie sie ewig hier behalten möchte.
– Ah so? sagte Fräulein Marion, die Nase rümpfend; bei jungen Damen ist die Freundschaft schnell fertig. Na, gut. Ich freue mich, daß Sie sich so schnell ineinander verliebt haben, das beweist, daß Ihre Naturen zu einander passen, das ist sehr erfreulich. Meine Nichte wird mir indes doch wohl erlauben, nach Szentirma zurückzureisen?
– Obwohl Fanny es für ein großes Glück halten würde, sich Ihrer Anwesenheit noch ferner zu erfreuen –
– O bitte, bitte! ich habe zu diesem außerordentlichen Glück gar keinen Anlaß gegeben.
– Sie eilen so sehr von uns weg! sagte Fanny; warten Sie, wenn wir nach Szentirma kommen, so werden wir es auch so machen.
Auf diese Worte bewaffnete sich Fräulein Marion mit einem ihrer würdevollsten Blicke; dieser sollte beweisen, sie merke, daß gewisse Leute mit ihr zu vertraut würden. Statt aller Antwort zog sie ihr Gesicht in sehr ernste Falten, deren sie übrigens in ihrem Antlitz genug hatte und sagte zu Herrn von Karpáthi: Ich hoffe, Sie haben mir nicht meine Räder herausgenommen, wie Sie es sonst Ihren Gästen zu thun pflegen.
– Euer Gnaden Räder? rief er, Gott bewahre! – Ich pflege nur die Räder von meinen Wagen wegzunehmen; aber es ist noch nicht der Fall gewesen, daß ich mich so weit an meinen Gästen vergriffen hätte. Hahaha! hahaha!
Herr von Karpáthi konnte über diesen Einfall lachen, bis ihm die Thränen in die Augen traten; als er wieder Ruhe hatte aufzublicken, war Fräulein Marion bereits auf dem Weg zur Thüre, ohne sich nur umzusehen; die beiden jungen Damen begleiteten sie Arm in Arm, hatten aber Mühe, ihre Gesichter in ernster Ruhe zu erhalten.
Herrn von Karpáthi fiel es schnell genug ein, welche große Unschicklichkeit er begangen habe; er eilte dem sich entfernenden Fräulein nach und es gelang ihm, sie zum Stehen zu bringen, freilich nur dadurch, daß er ihr auf die Schleppe trat.
Erschrocken bat er nun für die gehäufte Schuld um Vergebung.
– Macht nichts, sagte das Fräulein, auf ihre Worte bedeutsamen Nachdruck legend, so kleine leichtsinnige Streiche müssen wir den – jungen Eheleuten schon verzeihen.
Und hiermit ließ sie sich, mit würdevoller Haltung vorwärts schreitend, über die Treppe hinabbegleiten; und da sie es unter ihrer Würde hielt, auf den Boden hinabzublicken, so trat sie einem im ebenerdigen Flur liegenden Windhund so heftig auf den Schwanz, daß er heulend davonsprang.
Fräulein Marion erschrak selber; wie aber die Schlange auch noch in ihrem Schreck nicht vergißt zu zischen, so wandte sie sich zu Herrn von Karpáthi.
– Vergebung, daß ich unwillkürlich an einem Ihrer Protegés Revanche genommen habe. Ich wollte die von Ihnen so geschätzte Person nicht beleidigen. Wissen Sie, daß auf dem großen Windhundekongreß, der unter Ihrem Vorsitz stattfinden soll, ein geistreicher Mann den Vorschlag machen wird, die Windhunde nicht mehr zu den Hunden zu zählen? Das wird eine wahrhafte Emancipation der Windhunde sein. Ich empfehle sie ferner Ihrem sorgsamen Schutz. Ich trete doch nicht wieder auf einen Ihrer Lieblinge?
Jetzt hatte sie nur noch einen Schritt bis zum Kutschenschlag. Aber es war noch viel zu thun; die Schleppe mußte noch so placiert und drapiert werden, daß beim Einsteigen nicht irgendein neues Unglück geschehe; dann schwebte sie von allen Anwesenden unterstützt in den Wagen.
Zur Freude aller saß sie schon da, aber sie hielt es doch noch für gut, den Zurückbleibenden noch etwas Liebes zu sagen. – Ich hoffe, daß ich meine Nichte unter gutem Schutz lasse, obwohl ich nicht weiß, ob nicht Szentirmays Eifersucht dem Karpáthischen Kastell noch Unglück bringen wird. Adieu, lieber Nachbar, chère voisine, adieu! chère niece, adieu! – Kutscher, gieb acht, daß du nicht irgendeinen Windhund niederfahrest.
Endlich fährt sie ab.
Herr von Karpáthi steht noch immer da und verneigt sich vor der sich Entfernenden und diese winkt mit ihrem langen Sonnenschirm und bedauert, daß ihre Opfer schon außerhalb ihres Bereiches sind.
Die beiden jungen Damen aber fassen, nachdem der Alp sich entfernt hat, voll guter Laune, den Herrn von Karpáthi an beiden Armen und führen ihn tänzelnd und singend über die Treppen hinauf.
Er lacht, sein Gesicht strahlt vor Freude; er denkt, wie prächtig es wäre, wenn diese beiden Damen seine Töchter wären und wenn sie ihn Vater nennen könnten.
Die großen Säle wiederhallen von dem Jubel der beiden jungen heiteren Damen. Der alte Herr Varga hört ihren Gesang bis ins Archiv und er geht so freudig auf und ab und reibt sich die Hände, daß er tanzen möchte, wenn er wüßte, mit wem; es fällt ihm nur schwer, daß er niemandem die Ursache seiner Freude mitteilen kann. Dem Fiskal kann er es nicht sagen; dieser ist noch immer voll Ärger, weil er sich täglich waschen muß.