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Zauberische Nächte.

Leon brachte die Octobertage im Schlosse zu Etelvar zu.

In Raphaela's Gemüth war eine große Veränderung vor sich gegangen. Aller Stolz war verschwunden; sie war leutselig und sanft und anhänglich. Und all das hatte sich durchaus nicht gewaltsam also in ihr gestaltet; man wurde eben nur gewahr, wie sie sich der unwiderstehlichen Gewalt ergab, welche ein willensstarker Mann auf die Frau übt. Ihre Seelenstimmung entfaltete in diesen Tagen die volle regenbogengleiche Farbenpracht ihres poetisch angelegten Wesens. Aus der kalten, Huldigung gebietenden Gestalt (die Eisjungfrau hatte Pompeja sie genannt) war ein Vertrauen lispelndes Geschöpf geworden; ihre Verschlossenheit war aufgethaut und hatte einer gewissen, echt weiblichen, mit naiver Neugierde verbundenen Mittheilsamkeit Raum gegeben. Sie fand Vergnügen und Wonne in der Natur, in den Kleinlichkeiten des häuslichen Lebens, die sie sonst gar nicht beachtet hatte. Sie konnte sich über abstracte politische Begriffe erwärmen, welche die Frauen insolange gar nicht beachten, als sie nicht als die Staffage einer geliebten Mannesgestalt in concreter Form vor sie hintreten.

Leon mußte sie mit seinem ganzen bisherigen Leben bekannt machen und sie duldete in dieser Schilderung keine Lücke; andererseits enthüllte auch sie ihm all das Wenige, was sie bisher an Herzensgeheimnissen bewahrt hatte, insbesondere all Dasjenige, was auf Leon selbst Bezug hatte. Die mondhellen Herbstnächte sind so lange! Der Vollmond ist Sommer und Winter so gütig, immer gerade dann aufzugehen, wann die Sonne untergeht. Sie wandelten Arm in Arm um die große Blumenrotunde herum, deren Peripherie Raphaela eines Tags abgeschritten hatte.

Die Nacht war still und mild und die Prinzessin sprach:

»Jemand könnte es bezeugen, – wenn sie hier wäre – wie viel, wie oft wir von Ihnen gesprochen haben, Tag für Tag; wie wir Ihre Tollkühnheit verlästert, wie sehnlich wir Ihren Triumph gewünscht haben! Wie wir Prophezeiungen ausgesprochen und dann ängstlich geharrt haben, ob sie denn auch in Erfüllung gehen werden? Wie wir an dem großen Altarteppich gestickt und dabei von dem Ideale eines Mannes gesprochen haben, wie es nirgends zu finden sei, von einem Manne, vor dem ich – Furcht haben könnte. Wie wir in Madame Corysandens Album Ihre vier verschiedenen Portraits betrachteten und riethen, welches wohl das wahre sei? Wie wir dann Ihre berühmte Polemik mit dem Verfasser des ›Mene Tekel‹ lasen und mit einem Male den Verfasser der gegnerischen Flugschrift erkannten. Das ist der wahre, der richtige Leon! Der andere ist nur eine Maske! O ich habe damals sofort herausgefunden, wer Sie sind und wer Sie sein werden. Und dann, als wir die Fahne für den Wahlumzug stickten und eine Probe-Abstimmung in Scene setzten, wer gewählt werden würde. Von vier Stickerinnen stimmten drei für Sie; und die Eine, die gegen Sie stimmte – war wahrhaftig nicht ich. Und als Sie dann ankamen, an jenem unbeschreiblich erscheinungsreichen Abende, und gleich einem Zauberer ein ganzes Heer von Volk nach sich hereinzogen, das sie mit dem Glanze abgöttischer Verehrung umwob! Wie erbebte ich vor Ihnen schon damals! Und dann, an der Bahre meiner armen guten Mutter, als ich nicht weinen konnte und bei dem Rollen jedes anlangenden Wagens lauschte, ob der nicht komme, der mir meine Thränen brächte? Und dann kam er – aber nicht Derjenige, den ich erwartete ...«

Hier unterbrach Raphaela ihre süßen Geständnisse; was da weiter gefolgt war, konnte nur schmerzliche Erinnerungen erwecken. Und dann sahen sie noch nach den Sternen, die vom Firmamente niederfielen.

An einer Stelle der Rotunde blieb Raphaela stehen. Hier war es, wo sie die erschütternde Nachricht empfangen hatte, ihr Vater liegt im Sterben. »Und deshalb habe ich meinen guten Vater verloren!« – seufzte sie tief auf. »Und noch Jemanden habe ich verloren! Mein liebes, kleines, blauäugiges Mädchen! Warum hat sie uns denn nur verlassen! Was konnte sie nur so sehr erschrecken? Warum ist sie doch jetzt nicht hier, damit sie unsere Freude theilen könnte? Damit ich nicht Alles und Jedes allein sagen müßte, damit ich mich auf sie berufen könnte: »Nicht wahr, Kleine, so ist's gewesen?« – Meine arme Kleine! Wo sie wohl jetzt leben mag? Wohin ist sie doch gerathen, was ist aus ihr geworden? Ob sie nur auch das tägliche Brod hat? Und – wie gewinnt sie dasselbe? Sie war gewohnt, mit mir von einem Teller zu essen und bei jeder Mahlzeit verwechselten wir unsere Bestecke –!«

Es war gut, daß der Mond eben durch eine Wolke verdeckt war, so daß Raphaela während dieser Rede Leons Gesichtszüge nicht sehen konnte. Was mußte er leiden!

»Oh forschen Sie ihr doch nach, Leon, finden Sie sie auf, Sie sind ja so gewandt. Sie wird zu Ihnen vielleicht mehr Vertrauen haben, als zu mir. Fragen Sie sie, was sie denn schmerzt? Was sie von hinnen getrieben hat? Wenn sie Jemanden liebt, und Sie erfahren, daß er ihrer würdig, aber vielleicht erst am Beginne seiner Laufbahn, materiell nicht in der Lage ist, sie glücklich zu machen, so machen Sie Mittel und Wege ausfindig, ihn vorwärtszubringen. Sie haben bereits gewaltigen Einfluß, Sie verstehen es, Jemanden mit Zartsinn zu fördern, ohne sein Selbstgefühl zu verletzen. Und wenn der Mann unglücklich sein sollte, wenn er vielleicht eines Jugendfehltrittes wegen – ich habe von ähnlichen Fällen schon gehört, – etwa einer leichtsinnigen Fälschung wegen, zu vieljährigem Gefängnisse verurtheilt wäre, – ich habe auch daran schon gedacht; ich erinnere mich eines Falles, daß der Geliebte eines jungen Mädchens wegen Banknotenfälschung zu zehnjähriger Kerkerhaft verurtheilt wurde, und heute ist er ein ausgezeichneter, ein wackerer Staatsbeamter und seine Familie ist glücklich. – Wie wenn Livia ein ähnliches Geheimniß hätte? Befreien Sie ihn. Sie dürfen jetzt an höchster Stelle um Alles bitten. – Man liebt Sie. – Erwirken Sie seine Begnadigung. Ich will Ihnen sagen, wie ich auf den Gedanken verfallen bin, daß sie vielleicht einen Mann liebt, der sie aus einem derartigen Grunde nicht heirathen kann. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß sie vor ihrer Entfernung früh Morgens zur Beichte gegangen war. Das hat der Probst selber erzählt; was sie ihm aber gebeichtet hat, das kann er nicht offenbaren. Selber hat dieses Mädchen keine Sünde begangen; sie kann nur gebeichtet haben, daß sie einen Sünder liebe. Meinen Sie nicht auch?« »Jawohl ...«

»Sollte aber der Grund ihres rätselhaften Verschwindens derjenige sein, den meine gute Mutter von ihr angenommen hat: Schwärmerei für das Ueberirdische, jungfräuliche Scheu vor der irdischen Glückseligkeit, so sagen Sie ihr, sie möge getrost wiederkehren; Derjenige, dessen Liebe sie von hier vertrieben hat, ist todt ...« (Wäre er doch lieber todt!)

»Sagen Sie ihr, daß die Stellung, die meine gute Mutter in ihrem Testamente für sie bestimmt hat, die Würde einer Aebtissin, noch immer aufbewahrt sei, daß ihr die Bahn offen stehe, wenn sie ihr Glück nur im Himmlischen suchen wolle. Sagen Sie ihr das.« (»Er« sollte ihr das sagen!)

»Sie werden jetzt häufig in Budapest und in Wien verweilen; forschen Sie ihr nach. Ein Mädchen wie Livia kann ja nicht spurlos verschwinden. – Und dann lassen Sie mich auch das leiseste Anzeichen wissen, welches auf ihre Spur führt, lassen Sie mich Alles wissen, was Sie über sie erfahren, selbst wenn es traurig, wenn es niederschlagend wäre. Nur Eines, Eines nicht – wenn Sie etwas von ihr erfahren würden, was – Gott verhüte es! – ich mag es nicht aussprechen, was für mich eine bösere Kunde wäre, als die Nachricht, daß sie gestorben sei. Ich weiß nicht, was es ist, aber man sagt, es gäbe Frauen in der Welt, die – nicht stolz sind. Ich begreife die Möglichkeit dessen nicht, ich sehe die Ursache nicht ab. Wenn Sie sie dessen unwürdig fänden, daß ich mich ihrer erinnere, dann ... sagen Sie mir nichts davon; antworten Sie mir auf meine Erkundigung: ich habe sie nicht gefunden!«

Welch eine entsetzliche Aufgabe! Wenn er Raphaelen antworten würde, er habe die Verlorene nicht gefunden, so würde das so viel bedeuten, als Livia sei jener Reinheit verlustig gegangen, die sie würdig macht, daß die stolzen Frauen ihrer gedenken. Sein Schweigen würde dieses Mädchen verdammen!

»Doch, nicht wahr, das ist ja unmöglich? Unmöglich! Sagen Sie doch, daß es unmöglich ist.«

Die Uhr des Schloßthurmes antwortete an Leons Statt.

Zwölf tief dröhnende Schläge zitterten durch die Luft. Als sie verklungen waren, gab der Carillon des Uhrwerkes nochmals die vier Viertel auf fünf harmonisch gestimmten Metallglocken an. Es war Mitternacht geworden. Die Stunden der Glückseligkeit schwinden so rasch.

»Morgen besprechen wir Weiteres über die Sache. Jetzt wollen wir einander gute Nacht sagen.«

Leon blieb noch lange an der Stelle stehen und blickte der rasch dahinschwebenden Gestalt nach. »Dir, Du reine Seele, gute Nacht!«

An der Treppe des Schlosses angelangt, blickte Raphaela zurück und sah Leon noch immer an der Stelle stehen. Sie eilte zu ihm zurück. Sie reichte ihm die Hand. Leon warf den Hut vom Kopfe, beugte das Knie und küßte diese Hand wie die einer Heiligen.

Raphaela aber küßte den Jüngling auf die Stirn. »Das hatten wir vergessen, nicht wahr?«

*


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