Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Jetzt komme ich daran! Mit diesen Worten schlug Feldmarschall-Lieutenant Hugo von Falbenheim, das strategische Lumen der heiligen Liga, an den Säbelgriff, als die »beschaffte« Depesche entziffert war. Jetzt werden die Herren Oratoren und Deklamatoren zu schweigen und die Skribler den Kiel hinters Ohr zu stecken haben, und die Führung übernimmt der Säbel.
»Nur immer langsam voran!« erwiderte Nornenstein. »Es ist noch ein ganz klein wenig zu früh, mit dem Säbel zu rasseln. › Si vis bellum, para pacem!‹ Wir müssen uns vorerst noch an das Machtwort Josua's, des großen Heerführers, halten: ›Sonne stehe still!‹ bis unsere Staatsmänner das nöthige Geld zu einem Feldzuge herbeigeschafft haben werden. Denn ›ohne Geld keine Hochzeit‹ sagt das Sprichwort. Bis dahin wird jeder Diplomat Stein und Bein schwören müssen: der Friede sei für ewige Zeiten gesichert; es habe gar niemals ein intimeres Einvernehmen unter den Cabineten geherrscht als eben jetzt. Das ist nöthig, damit die Börse die neue Anleihe ›zu nützlichen Investitionen‹ günstig aufnehme. Denn wenn wir im vorhinein ausschreien wollen, daß wir das Geld zu Kriegsrüstungen und Mobilmachung brauchen, so rufen wir eine solche Panique hervor, daß wir nur gleich auf und davon laufen mögen, auch ohne daß uns Jemand jagt; da purzeln wir dann, auch ohne daß man herüberschießt. Es gehört also ganz und gar zu unserem Kriegsplane, daß die Herren, die das Wort und die Feder führen, noch eine Zeit lang unbeirrt reden und schreiben, als ob sie die Weltgeschichte machten. Historice müssen sie obenauf bleiben. Lassen wir nur immer weiter Paris die Rolle des friedfertigen, versöhnlichen, ernst warnenden Nachbars spielen und Berlin seine unwandelbare Freundschaft betheuern. Wir wollen mittlerweile handeln. Die Herren sind dazu da, abzuleugnen, was wir thun – wir hinwieder zu thun, was sie leugnen.«
»Ah, so laß ich mir's gefallen.«
»Meine erste Sorge wird nunmehr sein, Alienor nach Hause kommen zu lassen und seine Verlobung aufzulösen.«
»Und was geschieht mit dem Fürsten Etelvary?«
»Die Zeit der Leute, die nur immer reden, ist herum. Die ungarischen Gesetzgeber fragt Niemand, was auf dem Gebiete der auswärtigen Politik zu geschehen habe. Sie votiren die Soldaten – weiter hat sie nichts zu kümmern.«
»Wie aber, wenn sie einander etwa lieben?«
»Wer das? Die Abgeordneten die Soldaten?«
»Den Teufel auch! die Brautleute.«
»Aber – aber bester Baron! Ist denn derlei irgendwo Brauch in der Welt? – Sie spielen doch Schach? Wenn es Ihnen gelingt, einen Bauer in die erste Reihe zu bringen, – werden Sie ihn wohl als Bauer dort stehen lassen? Werden Sie ihn nicht vielmehr mit der Königin vertauschen? Alienors nächste Aufgabe wird jetzt sein, ventre à terre gen Ehrenbreitenstein zu reiten, um dort die längst projektirte Verlobung mit der Prinzessin zu vollziehen.«
»Und dann?«
»Dann geht Alienor nach Hannover hinüber und theilt im Lager der Welf'schen Getreuen die Ordre de bataille aus. Dies geschehen, geht es bride abattue nach Paris, wo er den maßgebenden Kreisen das entdeckte diplomatische Geheimniß mittheilen wird. Ich bringe mittlerweile mit unserem Bankier-Konsortium unter dem Titel irgend einer großen Industrie- oder Eisenbahn-Unternehmung die Anleihe zu Stande; ist dieses Geschäft einmal im Reinen – dann kommt der Herr Feldzeugmeister von Falbenheim an die Reihe.«
*
Des anderen Tages war Alienor bereits in Baden.
»Was hast Du denn eigentlich vor mit mir, daß Du mich bei Nacht und Nebel nach Hause galoppiren machst?«
Fürst Oktavian zeigte ihm den Brief, den er an den Fürsten von Etelvary geschrieben hatte.
»Das hättest Du mich füglich drei Tage früher wissen lassen können, bevor ich ihr noch die Brautgeschenke gebracht hatte.«
»Pfui! Prinz von Nornenstein! welch weibische Kleinlichkeit das nun wieder ist! In diesem Augenblicke an eine solche Bagatelle zu denken! Sei unbesorgt – man wird Dir Deine Geschenke ohnehin nachwerfen. Nun aber höre, was Du weiter zu thun hast. Ich bitte Dich, gähne mir doch nicht in einemfort ins Gesicht.«
»Du mußt eben amüsanter sein.«
»Will mich bestreben. Also Du machst Dich heute Abends auf nach Ehrenbreitenstein. Der Großherzog ist von Deiner Ankunft bereits verständigt; Er wird Dich mit glänzender Suite am Bahnhofe empfangen. Er trägt die Uniform eines Obersten der Garde von Nornenstein; Du erscheinst in der Uniform eines Majors der Ulanen von Ehrenbreitenstein.«
»Potz Element! Also sogar ein Theaterkostüm bekomme ich?«
»Am Perron wird die Musikkapelle bei Deiner Ankunft die Nornensteiner Hymne spielen.«
»Aha, kenne ich! das ist der ›Hymenäus‹ aus ›Blaubart‹.«
»Ob man denn mit Dir auch nur ein ernstes Wort reden könnte!«
»Warum redest Du denn aber auch immer so urkomisches Zeug!«
»Du wirst Dich in Ehrenbreitenstein mit der Tochter des Großherzogs verloben.«
»Ei? Na das ist nun allerdings über den Spaß hinaus.«
»Hier ihre Photographie.«
»Ein recht beruhigender Anblick das. Mit Eifersucht werde ich mich nicht eben sonderlich zu quälen brauchen – soviel sehe ich auf den ersten Blick.«
»Du bist ein Kind, wenn Du das wirklich glaubst. Aus den häßlichsten Mädchen werden die kokettesten Frauen – unter sonst günstigen Umständen.«
»Du machst mir wahrhaftig bange!«
»Pah! Ich kenne Dich. Wie sagte jener französische Duc, als er den Hausfreund aus dem Zimmer seiner Gemahlin treten sah? › Comment? Sans y être obligé?‹ Der Mann sieht Dir vollkommen gleich.«
»Der Herzog wird Dich mit Empfehlungsbriefen versehen und Dir weitere Instruktionen ertheilen, welche Du mit Deiner gewohnten Pfiffigkeit in Ausführung bringen wirst. Ich finde für nöthig, Dich aufmerksam zu machen, daß der Erfolg oder Mißerfolg der Unternehmungen, mit denen ich Dich da betraue, nicht für die öffentlichen Angelegenheiten allein, sondern auch für Dich persönlich von sehr ernster Bedeutung ist. Ein Erfolg macht Dich zum souveränen Herrn der vereinigten Fürstenthümer Nornenstein und Ehrenbreitenstein. Wie hochernster Natur die Mission ist, mit der ich Dich betraue, magst Du daraus ermessen, daß ich Dir nicht weniger als eine halbe Million zur Verfügung stelle.«
»Das läßt sich hören.«
»Diese Summe mußt Du ausgeben. Du wirst auch noch mehr zur Verfügung haben. Es wird nur von Deiner Geschicklichkeit abhängen, bei der Negotiation einer größeren Anleihe in Brüssel eine oder zwei Millionen zu gewinnen. Ich würde alle diese Geschäfte selber in die Hand nehmen, allein mich lorgnettiren auf Schritt und Tritt tausend Augen und was ich thue, wird ruchbar; von Dir aber weiß alle Welt, daß Du ein Sausewind bist, der nur reist, um sich an irgend einer Jagd oder einem Rennen zu betheiligen und nach Paris eigens deshalb fährt, um seiner Braut Geschenke zu kaufen; gehst Du zu Hofe oder zum Botschafter, so ist Dir's höchstens um eine Partie ›schwarzen Peter‹ zu thun, und klopfest Du irgendwo an die Thür eines Bankiers, so geschieht es sicherlich nur, um den Mann zu Deinen eigenen Gunsten zu schröpfen. Du bist notorisch ein ›verlorner Sohn.‹ Unter dieser Maske kannst Du unbeargwohnt die ernste Mission durchführen. Ueberdenke Dir also Deine Rolle. Die Behelfe sind bereit; hier die Wechsel auf die halbe Million, hier Dein Reisegepäck, fertig geschnürt, desgleichen die Empfehlungsbriefe und die Uniform. Nimmst Du bis Abends die Sachen in Empfang, so magst Du dann reisen; hast Du keine Lust die Mission zu übernehmen, so erklärst Du Dich darüber bis zum Abend; ich werde mir dann einen Anderen suchen, den ich damit betraue, und Du magst nach Budapest zurückkehren und wie bisher Wechselreiterei betreiben, eine Art zu reisen, die ich meinestheils für die möglichst unangenehme halte.«
»Hahaha, Alterchen!« rief Alienor lachend und schlug in die dargebotene Rechte seines Vaters ein. »Unbesorgt! Ich nehme übrigens Alles an mich, sogar das Ulanen-Kostüm, und wenn ich nichts weiter soll, als die Leute auseinanderhetzen, so magst Du ruhig sein: sollst gut bedient werden.«
Fürst Oktavian küßte seinen Sohn.
»Ach so lecke mir doch nicht die Farbe aus dem Gesicht –!«
... Alienor reiste noch desselben Abends mit dem letzten Zuge. Aus purer Behutsamkeit nahm er nicht einmal einen Diener mit sich.
*
»Jetzt komme ich daran ...«
Diesmal sprach diese Worte aber nicht der Herr Feldmarschall-Lieutenant Hugo von Falbenheim, sondern die Baronin Fräulein Pompeja von Falbenheim.
*
... »Schock Schwerenoth! Tausend Millionen Bomben und Granaten!« Das war der haarsträubende Morgengruß, mit dem des anderen Tages Feldmarschall-Lieutenant Falbenheim beim Fürsten Oktavian Nornenstein eintrat, der eben in aller Seelenruhe bei Frühstück und Cigarre saß.
»Ja wozu denn so eine Unmasse von schweren Nöthen –? Ist doch eine einzige schon viel zu viel,« erwiderte der Standesherr und streifte phlegmatisch die Asche seiner Cigarre an dem Rande der Theetasse ab.
»Es ist eine unerhörte Schmach, mein Herr!« schrie der General und rasselte dazu ganz gewaltig mit dem Säbel.
»Ja aber was denn eigentlich?«
»Was? Prinz Alienor ist heute Nacht mit meiner Tochter durchgegangen –!«
Auf diese Neuigkeit fuhr nun auch Fürst Oktavian aus seinem Lehnstuhl in die Höhe. Er schleuderte die brennende Cigarre in den Thee und schrie: »Das ist nicht wahr! Eher ist Ihre Tochter mit meinem Sohne durchgegangen!«
»Das ist ein Teufel! Sie sind eben Beide mit einander auf und davon. Ihnen mag allerdings wenig genug daran liegen, ich aber, ich bin kompromittirt!«
»Wie! nichts daran liegen? Kreuz tausend Element – – für heute Mittag wird Alienor in Ehrenbreitenstein vom Großherzog erwartet, dessen Tochter er heirathen soll!«
»Das geht mich nichts an. Meine Ehre verträgt keinen Makel. Ich lasse mich nicht beschimpfen. Ich reise dem Prinzen nach und bringe ihn um, wenn er meine Tochter nicht heirathet.«
»Und ich bringe ihn um, wenn er sie heirathet.«
»Mein Herr!«
»Nun – und, mein Herr?«
»Da giebt es nur ein Mittel zur Reparation.«
»Kann mir's denken. Doch daraus wird nichts. Ein Prinz von Geblüt kann eine Dame unter seinem Range nur in morganatischer Ehe heirathen.«
»Das ist eine Beleidigung für mich und meine Tochter!« »Gift und Operment! Soll ich etwa noch gar aufgelegt sein Ihnen Komplimente zu machen?«
»Sie müssen sich mit mir schlagen!«
»Wir sind Beide geschlagen genug. Aerger können wir einander gar nicht mehr zurichten. Dieser Skandal zählt mehr, als ein verlorener Feldzug, als eine zersprengte Armee, als eine genommene Festung. Und Alles das haben Sie verloren!«
Den General überwältigte bei diesen Worten tiefe Verbitterung. Er schnallte den Säbel ab und warf ihn vor den Fürsten auf den Tisch hin. »Nun denn,« rief er tief erschüttert, »habe ich den Feldzug verloren, so will ich auch diesen Säbel nicht länger tragen. Suchen Sie sich einen bessern Feldherrn zu Ihrem Kriegszuge. – Ich will zu nichte werden!«
Die väterliche Rührung des Feldmarschall-Lieutenants brachte Nornenstein noch mehr in Wuth. »Am Ende werden Sie mir noch da zu heulen anfangen, während doch nur ich ganz grauenhaft über den Löffel barbirt bin! Ich lasse die Heirath meines Sohnes mit einer Prinzessin, mit der einzigen Tochter eines der reichsten, der mächtigsten Dynasten Ungarns fallen und erziele damit, daß er sich des andern Tages zusammenthut mit einer ... einer ...«
»Mit einer Baronin v. Falbenheim doch hoffentlich –?«
»Jawohl, mit einer Baronin, bei der der Mensch eben erst anfängt ...«
»Je nun, bei Ihrem Sohne hört eben der Mensch auch bereits auf.«
Nun griff Fürst Oktavian seinerseits nach dem Säbel und warf ihn mit Macht auf den Tisch. »Herr, ich pflege Beleidigungen nicht ungerächt einzustecken!«
»Um so besser! So werden wir uns schließlich doch schlagen.«
Die Herren waren nahe daran, ohne Herausforderung, ohne Kartell und Sekundanten einander zu massakriren, als es Wendelin, der selbstverständlich an der Thür gehorcht hatte, an der Zeit erachtete, mit der Präzision eines Schauspielers, dessen Stichwort soeben gefallen ist, im Zimmer zu erscheinen. Er reichte dem Fürsten auf silbernem Präsentirteller einen Brief. Beim Eintritte des Dieners hielten die Herren mit ihrem Gezänke inne. »Ein Brief, Ew. Hoheit,« sprach Wendelin lächelnd.
Fürst Oktavian nahm das Schreiben von der Platte und klemmte das Binocle auf die Nase. »Also; das ist Alienor's Schrift.« Der Brief lautete: »Lieber Papa! Damit Du Dich nicht etwa mit Falbenheim überwerfest, beeile ich mich, Dir anzuzeigen, daß ich mich noch gestern Abends mit Baronin Pompeja Falbenheim in der Alservorstädter Pfarrkirche trauen ließ; meine liebe Frau hatte rechtzeitig für alle gesetzlichen Requisite zur Trauung vorgesorgt. Wir haben als glückliches Ehepaar sofort unsere Hochzeitsreise angetreten und gehen direkt nach Paris; ich hoffe, Dein väterlicher Segen begleitet uns. Ich habe auch an Falbenheim geschrieben. Im Uebrigen werde ich gewissenhaft vollziehen, was Du mir aufgetragen hast. – Ich bin u. s. w.«
»So, nun sind wir fix und fertig,« grollte Oktavian; er zerriß das Blatt in tausend Stücke und warf dieselben in den Kamin.
»Nun? Was ist also?« fragte Falbenheim, dem es überaus sonderbar vorkam, daß der Fürst das Schreiben zerriß, anstatt es ihm vorzulesen.
»Wollen sich Ew. Excellenz nur nach Hause bemühen! Sie finden dort ein Paré dieses Briefes vor. Uebrigens kann ich's Ihnen auch gleich sagen: Der Prinz hat die Baronin bereits geheirathet. Das kluge Geschöpf hielt die Dispens im Schubfache bereit. Dafür hat man Bischöfe unter seinen guten Freunden. Sie war ihrer Sache sicher gewesen, obgleich Alienor noch gestern für den Verlobten der Prinzessin Raphaela galt. Dazu können wir also einander gratuliren. Nunmehr fängt aber die Geschichte erst an, amüsant zu werden. – Mein Herr Sohn, der heillose Narr, geht nicht nach Ehrenbreitenstein, hat also auch keine Ahnung von all dem, was er in Süddeutschland zu besorgen hätte, überbringt den Feldzugsplan nicht nach Hannover und läßt mir keine Zeit, mit den Bankiers zu verhandeln. Er läuft recta via nach Paris, setzt daselbst alle Welt in Alarm und macht alle Minen springen – dann können Sie einem europäischen Kriege entgegengehen – mit den Salinenscheinen unseres liebenswürdigen Finanzministers und mit unseren dreihundertdreiunddreißig pensionirten Generalen. – Jetzt können Sie, Herr Feldmarschall-Lieutenant, in der That sagen: Nun komme ich daran! – Ich aber gehe meiner Wege! – Heda! Wendelin! Leg' einmal mein Jagdgeräthe zurecht; wir gehen in die Marmaros auf die Bärenjagd.«
*