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»Lieber Leon, auf Dein Geheiß habe ich mir den Schnurrbart stehen lassen und sehe nun aus, wie ein vacirender Provinz-Schauspieler, der sich, so lange er ohne Engagement ist, nicht rasirt. Weiter habe ich mich auch dazu verstanden, ein Pantalon collé avec beaucoup de soutaches, und darüber ein Paar hochschäftiger Stiefel anzuziehen: wenn ich mich so vom Kopf bis zu den Füßen besehe, ist mir immer, als ob alle Gamins das Pariser Couplet aus dem Jahre Neunundfünfzig hinter mir her singen müßten: › Il a des bottes, il a des bottes bastien! – Pour battre les Autrichiens!‹ – Befiehlst Du sonst noch Etwas?«
»Das ist vorerst nur das Kostüm.«
»Nun und was ist denn dann noch weiter vonnöthen?«
»Ein ganzes Volksstück, weiter nichts.«
»Glücklicherweise singst darin Du die Hauptpartie; ich habe blos eine stumme Rolle.«
»Etwas mußt Du aber denn doch sprechen, damit die Leutchen nicht etwa meinen, Du leidest an der Bräune. Du wirst den verschiedenen Deputationen, die Dich begrüßen – es steht deren eine an der Gemarkung eines jeden Dorfes in Positur – etwa Folgendes sagen: »Ich bin hocherfreut über die ehrende Auszeichnung, die Sie mir bereitet haben« – oder aber: »Sie sehen mich durchdrungen von den Gefühlen des tiefinnigsten Dankes« – und einer dritten: »Ich gelobe Ihnen, daß ich Tag und Nacht nur für Ihre Wohlfahrt thätig sein will.«
»Du, das bringe ich ohne Lachen nicht fertig.«
»Wenn wir in ein Dorf mit slavischer Bevölkerung kommen, mußt Du auf die Begrüßungs-Ansprache erwidern: › Za zwlastni stesti si drzim, vám slauziti moci.‹«
»Du hör' einmal, laß' mich da nicht etwa Dinge reden, die uns die Ehre eintragen, hinausgeworfen zu werden –«
»Unbesorgt. Der Satz lautet zu deutsch: ›Ich erachte es für ein außerordentliches Glück, zu Ihren Diensten sein zu dürfen.‹ An der Grenze des Bezirkes kommen wir in ein walachisches Dorf; dort wirst Du rumänisch antworten: › Primesce multiemirea mea cea mai ferbinte, din launtru pentru acea‹ – das heißt: ›Nehmen Sie meinen wärmsten, innigsten Dank.‹«
»In Gottes Namen! Du sollst dafür verantwortlich sein, ich sage es her.«
»Auf der Station Etelvar aber mußt Du Dich ein wenig zusammen nehmen; ich habe Dir da eine Antwort von zehn Zeilen aufgeschrieben, die mußt Du Wort für Wort auswendig lernen, denn dort wartet die Intelligenz des ganzen Bezirkes.«
»Ja aber wie kann ich denn im vorhinein die Antwort auswendig lernen auf eine Ansprache, deren Inhalt noch gar Niemand kennt?«
»Ich kenne ihn. Der Sprecher ist Herr Dumka, der Parteiführer. Er hat schon bei zwei Wahlen den Kandidaten der Partei empfangen und zwar beidemale mit derselben Rede; eine neue wird er Dir zu Liebe auch nicht lernen. Er wird folgendermaßen anheben: ›O Du, der Du von Deiner zartesten Jugend an Deine Tage dem Wohle des Vaterlandes gewidmet hast ...‹ Und schließen wird die Diktion: ›daß günstige Winde es (nämlich das von den schwellenden Wogen des Geschickes hin und her geworfene Schifflein Deines Lebens) dem sichern Hafen zuführen mögen, das ist unser Aller innigster, sehnlichster Wunsch.‹«
»Und dabei darf ich die ganze Zeit über auch nicht mit einem Muskel des Gesichtes zucken?«
»Beileibe nicht! Du mußt hübsch bescheiden den Kopf gesenkt und die Augen unverwandt auf die Spitze Deiner Stiefel gerichtet halten.«
»Und wie lange wird denn die ganze Unterhaltung eigentlich dauern?«
»Wenn wir überall pünktlich auf die Minute eintreffen, drei Tage, bei etwaigen Verzögerungen vier Tage lang. Etelvar ist der Ausgangspunkt; von dort aus bereisen wir zunächst die Gemeinden, die uns anhangen. Haben wir uns ihrer Begeisterung versichert, so ziehen wir aus, die gegnerisch gestimmten Ortschaften für uns zu gewinnen, dann nehmen wir mit einem konzentrirten Sturmangriffe das Centrum und schließlich kehren wir im Triumph wieder nach Etelvar zurück.«
Die Nacht vor der Abreise schlief Leon in Alienors Wohnung, damit nicht etwa die Abfahrt versäumt werde. Des Morgens war er selber dem Prinzen behülflich, das Nationalkostüm anzulegen. Der Kammerdiener verstand davon nichts. Man nahm ihn auch garnicht mit. Der Kortesführer vertritt auf der Reise sogar den Kammerdiener. Alienor fühlte sich durch den Umstand nicht wenig beruhigt, daß man sehr früh Morgens aufbrach; es gingen noch keine Leute auf der Gasse, die ihn wegen der bunten Kranichfeder auf seinem Hute hätten auslachen können. Leon hatte ihn wohl rechtzeitig gewarnt: er solle von den Vorbereitungen ja nichts ausplaudern. Allein bei Alienor war ein Geheimniß herzlich schlecht geborgen. Er hatte schon mehrere Tage lang nichts Angelegentlicheres zu thun gehabt, als den ganzen Spaß im Kasino, in allen Salons und Boudoirs, im Klub, am Turf, kurz allenthalben aller Welt zu erzählen. Die Folgen konnten natürlich nicht ausbleiben. Als sie am Bahnhofe vom Wagen stiegen und sich, wie das so üblich ist, in der Trafik mit Zeitungen zur Reiselektüre versehen wollten, war das erste Blatt, welches man ihnen zur Erheiterung anbot, das Witzblatt der Gegenpartei: es brachte von Beiden haarsträubende Karikaturen. Und dabei waren die Bilder noch immer erträglich; aber der begleitende Text! Ein wahrer Giftbecher, aus dem Spinnen zu trinken und Kröten hervorzukriechen scheinen! Alienor war außer sich über die infame Persiflage.
»Was werden wir denn nur dagegen thun?«
»Dagegen? O dafür ist gesorgt. Ich habe in unserem Witzblatte ihren Kandidaten karikiren lassen; wir führen eine hübsche Anzahl von Exemplaren zur Vertheilung mit uns.«
»Ist denn das aber auch eine Satisfaktion? Diese Menschen treten ja die Ehre des Gegners mit Füßen.«
»Ehre? Ja lieber Freund, der Artikel ist dermalen nicht vorhanden. Während der Wahl-Agitationen ist jeder Begriff von Ehre, jede Norm in Sachen derselben suspendirt; Dehonestationen aller Art sind freigegeben und der Verleumdung ist ein dreiwöchentliches Moratorium zugestanden. Während dieser Zeit ist es erlaubt und üblich, den Kandidaten und ihren Anhängern alle erdenklichen Arten von Schandthaten und Schlechtigkeiten anzudichten und der Angegriffene darf sich darüber nicht aufhalten. Es giebt während dieser Zeit kein Duell und kein Gericht. Wenn man Dir nachsagt, Dein Vater sei ein Raubritter, Du selber seiest ein Beutelschneider, so mußt Du andererseits einfach behaupten, Dein Gegner werde soeben wegen Einbruchdiebstahls oder Wechselfälschung kurrentirt. Auch er wird sich's durchaus nicht einfallen lassen, die Sache krumm zu nehmen. Von jetzt ab bis zur Wahl sind wir Alle mit einander Spitzbuben; nach den Wahlen sind wir wieder ehrliche Leute wie zuvor. Wer wird zur Fuchshatz reiten und den Morast scheuen? –«
Auf der letzten Station vor Etelvar harrte unserer Argonauten bereits eine starke Deputation mit Fahnen und einer Zigeunerbande an der Spitze. Begeistertes Eljen empfing die Helden des Tages, als sie den Waggon verließen.
Erst als der Eilzug in vollständiger Theilnahmslosigkeit gegenüber den Ereignissen des großen Tages davongebraust war, begann Prinz Alienor einige Unruhe zu empfinden. Er sah sich allein und verlassen inmitten von etwa sechzig wildfremden Gesichtern, die ihn alle neugierig anstarrten; Einer von der Deputation, ein Landmann von herkulisch breiten Schultern und kurzem Halse, trat vor ihn hin, streckte ihm die wuchtige Rechte entgegen und hub mit dröhnender Stimme an: »Sei uns gegrüßt, Prinz Alienor, Du Sproß eines ruhmreichen Geschlechtes!«
Alienor fühlte instinktiv, daß es wohl passend sein dürfte, in die dargebotene Rechte seine eigene Hand zu legen. Und nun bekam er sie auch nicht wieder los. Der Redner hatte die Gewohnheit, die Hand eines Gefeierten, wenn es ihm erst gelungen war, dieselbe zu fassen, nicht wieder frei zu geben; er hielt sie die ganze Diktion über fest und nach jedem Satze erfolgte ein Ruck, daß der »Gefestredete« jedes Knöchelchen knacken fühlte und mit je einem leisen Stoßgebete bald den einen, bald den andern Fuß vom Boden hob. Zum Schlusse, als er ihn endlich los ließ, drückte ihm dann der Redner einen Schmatz ins Gesicht, breit und fühlbar, als ob man ihm einen Bundschuh an die Wange geklebt hätte.
»Meine armen Handschuhe sind von dem Händedrucke in Fransen gegangen!« seufzte Alienor, als er mit Leon in den bereitstehenden, mit fünf Parade-Rossen bespannten Wagen stieg.
»Es wird auch angezeigt sein, ein andermal, wenn Du Jemandem die Hand reichst, den Handschuh auszuziehen; die Leute halten es für Hoffart, wenn man nicht mit der bloßen Hand einschlägt.«
»Wenn sie sich nur zuvor waschen wollten!« jammerte Prinz Alienor.
»Zwei Dinge sind gewaschen nichts werth – merk' Dir das: Weintrauben und ein liebevoller Händedruck.«
Als die Herren im Wagen saßen, brauste wieder ein Sturm von Eljenrufen in die Lüfte, die Zigeuner stimmten den Klapka-Marsch an und der Festzug setzte sich in Bewegung. Voran sprengte ein Banderium von vierzig Reitern. Natürlich war der Staub nicht gering, der da von der Landstraße aufgewirbelt wurde und er kam ganz und gar den rückwärts fahrenden Herren zugute.
»Mir wäre es weit lieber,« meinte zärtelnd Alienor, »wenn die Berittenen statt voraus, hinter uns her ziehen wollten. Wir ersticken ja im Staube. Könnte man sie nicht stehen machen und nach rückwärts kommandiren?«
Leon machte den Versuch und rief den Leuten nach; er erzweckte aber das gerade Gegentheil; sie ließen die Rosse noch schärfer ausgreifen. Weder Himmel noch Erde waren vor Staub mehr zu sehen.
»Bis wir an Ort und Stelle kommen, werde ich aussehen wie ein Zigeuner am Ziegelschlage!« lamentirte Alienor, holte aus seiner Handtasche einen Seidenschleier hervor und band sich ihn an den Hut, um sein Gesicht vor dem unausstehlichen, schwarzbraunen Staube zu schützen.
»Na, das giebt eine saubere Parade,« sagte Leon still für sich: »ein Abgeordneten-Kandidat, der mit verschleiertem Gesichte vor seinen Wählern erscheint, wie eine Dame von zweideutiger Aufführung.« Er wartete, bis sie an einen der großen Tümpel kamen, deren es rechts und links vom Wege eine Menge gab. »Halt ein wenig still – mir scheint, Dein Schleier ist locker geworden.« Nun machte er sich mit der Coiffure zu schaffen und löste dabei den Lappen gänzlich los; der Wind wehte das leichte Gewebe in den Morast hinab.
Alienor jammerte um seinen Schleier; da derselbe aber nun einmal nicht mehr aufzufischen war, riß er seinen En-tous-cas aus dem Futteral, spannte ihn auf und suchte in dieser Weise seinen empfindlichen Teint vor Staub und Sonnenstrahlen zu bewahren. Daß dadurch der erste Eindruck auf das wartende Publikum ein nicht minder kompromittirender werden mußte, liegt auf der Hand. Ein Abgeordneten-Kandidat, der selbst in Hagel und Donnerwetter mit kühn gestülptem Hute ausharren muß – mit aufgespanntem Parasol! Doch das ließ sich Alienor nun einmal nicht ausreden. Er werde sich, replicirte er, der ungarischen Konstitution zuliebe nicht zum Zigeuner bronciren lassen. Er zog richtig feierlich – mit aufgespanntem Sonnenschirme in Etelvar ein und als ihn die am Triumphbogen aufgestellten, weißgekleideten Jungfrauen mit ihren Geschossen von Kränzen und Bouquets ins Kreuzfeuer nahmen, duckte er sich vollends hinter den schützenden Schirm, damit ihn ja nicht etwa eine der Kaschauer Rosenbomben ins Gesicht treffe.
Am Thore des Gemeindehauses erwartete den Kandidaten die Intelligenz der Partei mit Herrn Dumka an der Spitze. Herr Dumka trug eine reich mit Astrachan-Fellen verbrämte Mente über den Schultern und einen Kalpak aus schwerem Edelmarderpelz auf dem Kopfe; an der Seite hatte er einen breiten, mit Silber eingelegten Paradesäbel hängen, den zwei Männer kaum aus der Scheide zu ziehen vermocht hätten; allerdings war das Prachtstück auch gar nicht dazu da, gezogen zu werden. Auch Handschuhe trug Herr Dumka; die Finger derselben waren von den Fingern der Hand nicht bis an die Spitzen ausgefüllt und schlotterten ein gutes Stück leer über die Nägel herab, ein Detail, welches die Feierlichkeit des ganzen Aufzuges nicht wenig erhöhte. Auch die übrigen Honoratioren waren sämmtlich im Galakleide erschienen. Der Gefeierte trat der Versammlung würdig entgegen: eine Hand in der Tasche, in der anderen den aufgespannten Sonnenschirm. Er mochte offenbar besorgen, daß auch hier der Redner eine seiner Hände erfassen und so im Duett mit ihm deklamiren könnte.
Herr Dumka hub weihevoll also an: »O Du, der Du von Deiner zartesten Jugend an Deine Tage dem Wohle des Vaterlandes gewidmet hast ...« (und so weiter genau dieselbe Diktion, welche Leon Wort für Wort vorausgesagt hatte.)
Alienor wollte vor Lachreiz aus der Haut fahren und bedeckte sich das Gesicht mit dem Sonnenschirme wie mit einem Schilde, um den wackeren Kompatrioten nicht zu beleidigen; als vollends die Stelle von dem »von den schwellenden Wogen des Geschickes hin und her geworfenen Lebensschifflein« kam, war es einzig und allein der zufällige, ausgiebige Fußtritt eines gewichtigen Honoratioren, was seine gute Laune in so weit zu paralysiren vermochte, daß er nicht in helles Gelächter ausbrach. Die Antwort auf die gediegene Peroration zu sprechen, war er indeß beim besten Willen nicht im Stande. Leon sprang für ihn ein und improvisirte eine mit diplomatischer Meisterschaft gesetzte Rede, aus der Niemand klug zu werden vermochte. Während dann wieder die stürmischen Eljenrufe durch die Lüfte brausten, trat der Höchste unter der Geistlichkeit der Umgegend an den Gefeierten heran. (Wohlgemerkt: der Höchste nicht der Stellung, sondern der Natur nach.) Se. Hochwürden streckte die langen Arme aus, um »den Mann unserer Wahl« zu segnen und da er ihm die breiten Hände von wegen des Parasols nicht unmittelbar auf das Haupt legen konnte, legte er sie oben darüber und segnete ihn mitsammt dem Sonnenschirm.
Hierauf stellte Herr Dumka einzeln die gutgesinnten Honoratioren des Wahlbezirks vor; der Herr Richter, der Herr Notar, der Herr Pastor, der Herr Kantor, der Herr Katastral-Schatzmeister, der Herr Postmeister, der Herr Apotheker, der Herr Kooperator, der Herr Straßen-Kommissär und so fort, und dabei zählte er mit dem staunenswerthen Gedächtnisse eines Julius Cäsar Tauf- und Familiennamen all der sechszig Leute auf. Napoleon schüttelte jedem Einzelnen die Hand und freute sich sehr, daß es ihm vergönnt ist, seine Bekanntschaft zu machen.
Vom Gemeindehause gings nach dem Kasino des Ortes, wo Alienor zu Ehren ein Banket arrangirt war, an welchem außer den eben erwähnten Honoratioren auch die Mitglieder der Deputation theilnahmen, die ihn hierher geleitet hatte. Das Maß der Begeisterung, welche hier herrschte, läßt sich kaum besser kennzeichnen, als wenn wir sagen, daß der Gefeierte je drei Toaste erwidern mußte, bevor er einmal einen Bissen vom Teller bis zum Munde zu bringen vermochte.
Als schließlich Prinz Alienor mit aller Welt per Du geworden war, begann man ihn von rechts und links in Beschlag zu nehmen und Jedermann explicirte ihm sein Privatanliegen, der Eine ins eine Ohr, der Andere ins andere; die Leute verlangten Dinge von ihm, die mit einander in diametralem Widerspruche standen, Dinge, die an die bare Unmöglichkeit grenzten, Dinge, die derart verquickt und verwickelt waren, daß kein gesunder Menschenverstand sie jemals zu verstehen vermochte, und gleichwohl hing die günstige Stimmung des Wahlbezirkes von der befriedigenden Erledigung all dieser Dinge ab. Leon rührte sich die ganze Zeit über nicht von Alienors Seite, gab an seinerstatt Jedermann Antwort und Bescheid und machte, als er schließlich allzuarg ins Gedränge kam, der Herrlichkeit mit dem Kommandoworte ein Ende: »Meine Herren! Alle Mann zu Wagen und zu Pferde! Wir haben heute noch einen weiten Weg vor uns. Die Fürstin erwartet uns zum Diner, und Abends müssen wir in Batok sein.«
Die Parole fand geneigte Ohren. Alienor versicherte sich eilig seines Sonnenschirmes und war der Erste, der in den Wagen sprang. Niemand war froher als er, daß das Banket zu Ende war.
Jedes reichliche Trinkgelage pflegt die wunderbare Wirkung zu thun, daß sich die übermüthige Laune auch auf die Pferde verbreitet. Während die konstitutionelle Karawane zuvor hübsch in der Ordnung, Wagen für Wagen dahingerollt war, drängten diese letzteren jetzt zu dreien und vieren auf einmal vorwärts; Jeder suchte dem Anderen vorzufahren; es gab verwickelte Deichseln und Stangen, wobei es natürlich ohne Lärm und Streit nicht abging; aus dem einen Wagen Jauchzen und Singen, aus dem anderen Zank und wüstes Geschrei. Die Reiter fanden vor den Wagen bald nicht mehr Raum auf dem Straßendamme und wurden in die Wiesen hinabgedrängt; der Feldhüter zeterte und wetterte über den Gefeierten und seine ganze Sippschaft, und der Kutscher, der den Kandidaten selber fuhr, war nicht minder in der Stimmung, in welcher solche Bursche desto schärfer drauf losjagen, je mehr man sie Schritt fahren heißt.
Unfern vom Schlosse der Fürstin hatte der Festzug einen Damm zu passiren, zu dessen beiden Seiten sich ein halb ausgetrockneter Morast hinzog. Auf dieser schmalen Straße trottete vor dem Zuge ein walachischer Bauernwagen dahin, der ein halb offenes Faß geladen hatte; die Seite ohne Boden lag nach rückwärts gekehrt. Leon sah die Gefahr voraus. »Janos«, sagte er zum Kutscher, »es wird gut sein, ein wenig still zu halten, bis der Wagen da vorne auf den Feldweg gegen Pityod hinabfährt. Unser Sattliger stutzt vor dem Faß; er sieht's für eine Kanone an.«
Aber Du lieber Himmel – dem Janos hatte man gut reden! Er knallte mit der Peitsche und fuhr wie das Wetter unter die vordersten Pferde hinein. »Na, jetzt werden wir gleich wissen, ob der Segen auf Deinen Sonnenschirm auch verfangen hat?« sagte Leon und machte sich die Füße vom Mantel frei, um sich zum Sprunge bereit zu halten. In diesem Augenblicke wurde drüben am Hügel vor dem Schlosse ein Mörser losgebrannt. Die Pferde meinten natürlich, das Faß habe so fürchterlich geknallt, rissen zur Seite aus und im nächsten Momente flog das ganze Paradegespann, Roß und Wagen sammt Herr und Knecht vom Damme hinunter, kopfüber in den Morast hinein.
Leon war rechtzeitig aus dem Wagen gesprungen. Ihm widerfuhr weiter keine Unannehmlichkeit, als daß er bis an die Knie in den weichen Tümpel fiel; Alienor aber plumpste mit Haut und Haar seiner ganzen Länge nach derart in den lockeren Schlamm hinein, daß sein vollständiges umgekehrtes Basrelief gleich einem Bildhauermodelle darin abgedruckt blieb. Ein ernster Unfall war nicht zu beklagen. Die scheu gewordenen Pferde rissen Deichsel und Stange los und galoppirten ohne Wagen geradenwegs heimwärts dem Schlosse zu; dem Kandidaten verhalfen seine Getreuen wieder aufs Trockne und machten sich dann mit den Taschenmessern über ihn her, um ihm, wie einer neu ausgegrabenen pompejanischen Statue den Lehm vom Leibe zu kratzen; nur der Sonnenschirm war bei dem Abenteuer leider in Lappen und Brüche gegangen.
»So, in diesem Aufzuge sollen wir nun der Fürstin unsere Aufwartung machen!« seufzte Alienor, als er wieder einigermaßen ruhig geworden war und sein schändlich zugerichtetes Nationalkostüm betrachtete.
»In diesem Aufzuge werden wir gerade sehr interessant sein,« tröstete ihn Leon. »Siehst Du, die Aventure ist ein überaus gutes Omen: keine Wahl, bei der der Kandidat nicht umgeworfen wird; trägt er nun bei dem Unfalle seine geraden Glieder unversehrt davon, so ist das ein sicheres Kriterium guten Glückes. Die Morastprobe hätten wir nunmehr glücklich bestanden. Durch diesen Salto mortale haben Deine Chancen um hundert Prozent gewonnen. Die Damen werden in ihrem Schrecken für Dich schwärmen und die Wähler beten Dich an von wegen des Morastes, mit dem Du über und über besudelt bist. Dem Kutscher wollen wir zur Belohnung wahrhaftig einen halben Fünfziger geben.«
»Jawohl: fünfundzwanzig.«
» Ad vocem: ›Halbe Fünfziger‹« – flüsterte Herr Dumka Leon ins Ohr. »Die halben Banknoten thun gehörig ihre Wirkung. Wissen Sie davon?«
»Allerdings,« erwiderte Leon eben so leise. »Die anderen Hälften hat man mir zugeschickt. Ich begreife nur nicht, warum man sie nicht unmittelbar Ihnen übergeben hat?«
»Das hat seinen Grund. Ich bin bei dem Wahlakte einer der ›Vertrauensmänner‹; ich muß während der ganzen Abstimmung mit in der Kommission sitzen; dort kann ich nun doch nicht wohl die andere Hälfte der Banknoten unter die Wähler vertheilen. Die Leute sind bereits dahin instruirt, sich diesfalls an Sie zu wenden; Sie fungiren hier in keiner amtlichen Eigenschaft.«
»Wie viele sind denn bereits an den Mann gebracht?«
»Achthundert Stück; so viele Wähler stehen in unseren Listen. Wir müssen sonach mindestens noch hundert und sechzig zusammentreiben.«
»Nun, wir wollen arbeiten, bis wir von Ihnen das Aviso erhalten: der Beutel ist leer.«
Mittlerweile hatten die hochgeneigten Wähler mit Taschenmessern und Pferdestriegeln, so gut es eben gehen wollte, ihren Prinzen Alienor vom Moraste reingekriegt und setzten nun die beiden Helden des Tages in Herrn Dumkas Wagen. Fortan ging der Aufzug bis zum Schlosse hübsch ruhig und in Ordnung von Statten. Der Artillerie an den Mörsern hatte man durch Galopins bedeuten lassen, nicht mehr zu schießen.
Im Schlosse der Fürstin war ein Wunder geschehen. Mittags um zwölf war alle Welt auf den Füßen, alle Fenster standen offen. Was die Fürstin seit Jahren Niemandem zu Gefallen gethan hatte: ihre Stunden des Wachens von der Nacht auf den Tag zu verlegen, – dazu hatte sie heute die konstitutionelle Aufregung bewogen. Sie hatte es über sich vermocht, Gespensterseherei und Launen, welche das menschliche Herz weit zwingender beherrschen als Glaube und Ueberzeugung, für diesen einen Tag zu beherrschen; sie sperrte ihre Einbildung in den Carcer und trat hervor an das Tageslicht.
Und dazu hatte sie gerade den lautesten, lärmendsten und bewegtesten Tag gewählt, an dem Hunderte und Hunderte von Menschen kommen und gehen, deren man sich freut, wenn sie kommen, und nicht minder freut, wenn sie wieder gehen.
In den Sälen und den geräumigen Korridoren waren für die Gäste lange Tische gedeckt. Die Fürstin trug moderne Toilette; sie hatte ja sogar das ihr im Grunde der Seele verhaßte Korsett angelegt; das war wohl die höchste Ehre, die sie ihren Gästen nur immer erweisen konnte. In Gesellschaft der Fürstin waren Prinzessin Raphaela, Madame Corysande und Livia. Heute wurden die Damen nicht mit dem anatomischen Museum gequält; im Gegentheil, sie bekamen eine Beschäftigung für Frauenhände: sie stickten an der bewußten Seidenfahne. Alle Vier arbeiteten daran an den vier Seiten des Stickrahmens, um das Werk rasch zu fördern: die Zeit bis zur Wahl zählt nur mehr nach Tagen. Das Wappen, in Gold und Seide gestickt, ist fertig, desgleichen die Umschrift in Gold mit Silber durchwirkt; nun ist nur mehr die Bordüre zurück: eine grüne Lorbeer-Guirlande mit rothen Beeren; an dieser arbeiteten die Damen eifrig alle vier.
Als das Krachen der Mörser verkündete, daß die Gäste nahen, ließen sie die Arbeit ruhen und lasen sorgfältig die Flocken und Fäden der Stickseide von den Kleidern, die daran haften geblieben waren, damit ja Niemand ahnen könne, was sie fertigten. Da, einige Minuten später, kam der Kammerdiener, der auf dem Thurme des Donjon als Avisoposten placirt worden war, leichenblassen Gesichtes ins Zimmer gestürzt und meldete an allen Gliedern zitternd: »Die Herren sind vom Damme in den Morast gestürzt!« Und wenige Sekunden später schollen die Hufschläge der Pferde vom Schloßhofe herauf, die mit der losgerissenen Deichselstange hereingestürmt kamen.
Die Damen liefen in die Vorhalle hinunter. Eine von ihnen war erbleicht bis hoch in die Stirn hinauf. Doch in demselben Augenblicke kam auch schon einer von den Reitern des Banderiums mit der beruhigenden Botschaft in den Schloßhof gesprengt: »Bitte nicht zu erschrecken, Excellenz. Es ist kein Unglück geschehen.«
»Wer hat Sie geschickt?« fragte die Fürstin.
»Herr Napoleon.«
In jenes bleiche Gesicht kehrte die Lebensfarbe wieder.
Die Fürstin schickte die zwei jungen Mädchen hinauf in ihre Zimmer. Es war voraussichtlich, daß die erwarteten Gäste in einem Aufzuge ankommen werden, in welchem man nicht gerne jungen Damen begegnet.
»Madame Corysande wird für die Herren Sorge tragen.«
Indessen hätte in der menschlichen Natur eine große Wandlung vor sich gehen müssen, wenn die zwei jungen Mädchen nicht hätten hinter den Jalousien des Stockwerkes hervor nach den umgeworfenen Argonauten auslugen sollen, die wenige Minuten später ohne Eljenrufen und Musikbegleitung in den Schloßhof einfuhren.
Von Eleganz war an den Herren so gut als gar nichts wahrzunehmen. Beide waren über und über voll Morast. Doch gerade in solchem Zustande bekundet sich der Mann als solcher. Alienor war kaum zu erkennen. Man war gewohnt, sein Gesicht immer nur lilienweiß und rosenroth angehaucht zu sehen; jetzt mit der kostbaren erdbraunen Pomade aus dem Straßensumpfe über und über beschmiert, sah er einem Zigeuner vom nächstbesten Ziegelschlage in der That zum Verwechseln ähnlich. Dazu war er übellaunig, hielt sich mit beiden Händen ächzend die linke Seite, und als man ihn vom Wagen hob, schien es, als ob ihn das rechte Bein ganz unsäglich schmerzte. Er machte Alles in Allem eine pitoyable Figur. Leon dagegen, der noch weit kothiger war, denn an ihm hatte Niemand geschabt und gebürstet, sprang mit elastischem energievollem Schwunge aus dem Wagen und eilte heitern Antlitzes den beiden Damen entgegen, die unten in der Halle geblieben waren; durch Koth und Morast leuchtete in seiner Erscheinung gleichwohl der wahre Cavalier hervor.
»Wir haben keinen Schaden genommen, Excellenz. Der Kutscher ist an dem Unfalle nicht schuld; ich selbst habe das ganze Malheur verursacht.«
»Wollen die Herren in Ihre Zimmer gehen, um sich umzukleiden. Madame Corysande, ich bitte Sie, für unsere Gäste zu sorgen. Herr Dumka wird die Güte haben, sich der übrigen Gesellschaft anzunehmen.«
(»Selbst in diesem Augenblicke ist seine nächste Sorge die, den armen Diener vor den Folgen seiner üblen Aufführung zu bewahren,« flüsterte Madame Corysande der Fürstin zu.)
»Ich kann Ihnen leider Gott nicht die Hand reichen, liebe Madame Corysande; ich muß mich nothwendig zuvor waschen,« sagte Leon scherzend.
Nachdem die Fürstin sich zurückgezogen hatte, traf Madame Corysande unumschränkt ihre Anordnungen; der Kammerdiener sollte dem Prinzen, der Hofhusar Leon beim Umkleiden behülflich sein.
»Lassen Sie nur mich für uns sorgen, liebe gute Madame Corysande. Sie wissen ja, ich habe mich in meinem Leben von Niemandem an- und auskleiden lassen, und was den Herrn Kandidaten betrifft, so fungire so lange wir zusammen reisen, ich als sein Kammerdiener; ich ziehe ihn an, ich wasche und kämme ihn, ich wecke ihn des Morgens und bringe ihn des Abends zu Bette. Das gehört schon so mit zu den Pflichten und Privilegien eines Kortesführers.«
Und er ließ sich in der That dieses sein Vorrecht nicht streitig machen. Dem Prinzen mußte man die engen und durchnäßten Kleidungsstücke mit dem Taschenmesser einzeln vom Leibe trennen. »Gott sei Dank, so bin ich nun doch wenigstens dieses fürchterliche Kostüm los!« seufzte Alienor erleichtert auf.
»Los, meinst Du? Ach nichts weniger als das, Du armes, bedauernswürdiges Opfer der constitutionellen Rechtsgepflogenheit in Ungarn! Was ich soeben von Dir losgeschält habe, das war vorerst nur der »Zrinyi«; nun liegt da in Deinem Koffer noch der »Attila« und wenn auch dieser in Lappen geht, ist immer noch der »Kazinczy,« ja sogar eine »Victoria« mit bleiernen Knöpfen in Reserve, bei volksthümlichen Anlässen zu tragen. Dein Papa hat mich ja mit Deiner vollständigen Equipirung betraut.«
»Ums Himmels willen, Du führst also eine complette Theatergarderobe für mich im Mantelsacke?«
»Dafür solltest Du mir nur Dank wissen.«
Alienor mußte sich wohl oder übel neuerdings als ungarischer Cavalier kostümiren. Sogar den Schnurrbart drehte ihm Leon in kühne Spitzen auf.
»Nun sieh Dich einmal da im Spiegel an – bist Du nicht ein ganz anderer Junge als daheim? Schon diese zweitägige Reise hat Dir eine frische Lebensfarbe über das Gesicht gegossen; bis Du nach Hause kommst, hast Du ein so vollkommen männliches Aussehen, daß man Dich gar nicht wieder erkennt.«
»Sottisen muß ich mir auch noch obendrein sagen lassen. – Ich bin in seiner Hand auf Gnade und Ungnade!«
»Heute eroberst Du alle Frauenherzen.«
Leon hatte sich sammt seinem Klienten in der That so stattlich herausgeputzt, daß sie sich mit Erfolg vor aller Welt sehen lassen durften. Alienors Angesicht war von dem fatalen Zufalle her allerdings noch immer ein wenig verdüstert, doch Leon gelang es alsbald, auch dieses Wölkchen von Unmuth zu verscheuchen. Soeben trat nämlich Herr Dumka mit freundlich lächelndem Gesichte ins Zimmer, um sich nach dem Befinden der Herren zu erkundigen.
Der Mann kam Leon gerade recht!
»Lieber Herr Dumka, ich möchte Sie um eine große Gefälligkeit ersuchen. Ich muß an die ›Posaune‹ über die Ereignisse des heutigen, glorreichen Tages berichten; nun habe ich aber in der Eile nicht die Zeit gefunden, mir die meisterhafte, herrliche Rede niederzustenographiren, mit der Sie unsern Candidaten begrüßt haben. Möchten Sie nicht so freundlich sein, mir die Ansprache zu dictiren.«
Herr Dumka ging ohne weiteres in die Falle.
»O mit größtem Vergnügen!« und damit schickte er sich sofort an, dem demosthenischen Meisterwerke die Verewigung zu sichern. Er kaute die ganze Diction Leon Wort für Wort vor, der das Zeug mit wahrem Hochgenusse in sein Notizbuch stenographirte und ihm dabei jedes Wort nachbrummte: »O Du ... Du, der Du ... Du, von den Tagen Deiner zartesten ... zartesten, Jugend an ...« und so weiter. Eine Weile hielt Alienor die Geschichte aus; er stopfte sich bald das Taschentuch, bald den Handschuh in den Mund und nagte dann zur Abwechslung wieder einmal an seiner Hutkrämpe, um das Lachen zu unterdrücken. Leon syllabisirte das oratorische Meisterwerk unbeirrt weiter: »Dein von des Geschickes ... schickes, schwellenden Wogen ... ellenden Wogen ... hin und her. –« Nun vermochte aber Alienor nicht länger mehr an sich zu halten. Er versetzte Leon einen Puff in den Rücken, daß ihm der Stift aus der Hand flog und stürzte zur Thür hinaus. Draußen fiel er dem Kammerdiener um den Hals, der ihm eben in den Wurf kam, und ließ an seinem Busen der lange unterdrückten Lachlust ungebunden freien Lauf. Der Kammerdiener, der arme Mensch, vergaß vor Bestürzung und Staunen ganz und gar, wozu er denn eigentlich gekommen war.
Herr Dumka schüttelte den Kopf. Es begann sich die Besorgniß in ihm zu regen, der Candidat habe sich am Ende bei dem Falle gar das Gehirn erschüttert. Er konnte nicht begreifen, was es denn dabei zu lachen gebe, wenn günstige Winde das Lebensschifflein dem sichern Hafen entgegenführen –? Zwei frühere Candidaten waren von dem Passus doch bis zu Thränen gerührt gewesen –!
Ein Lakai erschien, die Herren zu Tische zu rufen. Im großen Wappensaale des Schlosses war für dreißig Personen gedeckt; die übrigen Gäste hatten im großen Korridor Platz gefunden, von wo alsbald brausend der begeisterte Jubel heraufdrang, welchen die Toaste auf den Kandidaten wachriefen. Auch im Saale selbst herrschte eine ungezwungene heitere Stimmung, nachdem vorerst Leon den Herrschaften des Hauses die Versicherung wiederholt hatte: der Unfall habe ganz und gar nichts zu bedeuten; der Kandidat habe eben durch eine etwas unmittelbare Berührung die Bekanntschaft seines Wahlbezirkes gemacht und bei dieser Gelegenheit unzweideutige Beweise der »Anhänglichkeit« desselben davongetragen.
Herr Dumka flüsterte sämmtlichen Gästen der Reihe nach ins Ohr: es sei der Fürstin nicht angenehm, wenn bei ihrem Tische Toaste ausgebracht werden. Damit suchte er jedem Vorwurfe darüber zuvorzukommen, daß er selber es unterließ, sein Glas auf das Wohl des Prinzen zu erheben. Die Versäumniß hatte auch durchaus nicht etwa in rügenswerther Unaufmerksamkeit, sondern in höheren Rücksichten ihren Grund.
Als das glänzende Gelage zu Ende war, sprach die Fürstin zu Leon: »Kommen Sie mit mir, Ich will Ihnen etwas zeigen. Prinz Alienor mag hier bei den Damen bleiben. Er darf es noch nicht sehen, denn es soll eine Ueberraschung für ihn werden.«
Sie führte ihn in das Arbeitszimmer und nahm die Decke von dem Stickrahmen, mit welcher die fast vollendete Fahne verhüllt war. Sie erzählte ihm, in wie kurzer Zeit die Arbeit gefertigt worden sei, wie sie alle vier emsig daran gesessen; Raphaela habe diese Partie, Livia jene ausgeführt; von jedem einzelnen Buchstaben erfuhr er, welche der Damen ihn gestickt habe. Die bewundernden Lobpreisungen Leons nahm die Fürstin mit zufriedenem Lächeln entgegen.
Mittlerweile war es Zeit geworden, an den Aufbruch zu denken. Der Tag ging zur Neige und man mußte am selben Abende noch in Batok eintreffen, wo das Gros der Partei versammelt war. Man erwartete daselbst den Kandidaten zu einem großen Gelage; es standen Festivitäten und Allotria aller Art – was man so eine »Grand-Hetz« nennt – in Aussicht. Jedermann beeilte sich sonach, Abschied zu nehmen und seinen Wagen und seine Reisegefährten aufzusuchen. Für Alienor stand das sanfteste Gespann der Fürstin in Bereitschaft.
Beim Abschiede fand Livia Gelegenheit, Leon zuzuflüstern; »Geben Sie Acht auf sich.«
Leon erwiderte ebenso leise: »Ich habe ja Jemanden, der für mich betet.«
Als sie in den Wagen stiegen, sagte Alienor zu Leon: »Du, diese kleine Livia ist ein allerliebstes Kind. Raphaela gewinnt durch den Umstand, daß sie Beide »unzertrennlich« sind, nicht wenig an Werth.« Leon warf unter der tief in die Augen gedrückten Hutkrämpe hervor dem Prinzen einen Blick zu, der ungefähr besagte: »Du, wenn ich Dich einmal umwerfe, so brichst Du das Genick!«
Der Festzug, hundertzwanzig Wagen und fünfzig Reiter stark, trabte auf der Landstraße dahin. Jeder Wagen führte eine wehende Fahne, jeder Reiter hatte desgleichen ein Fähnlein mit der Stange im Stiefelschafte stecken, der Wagen des Kandidaten war mit Blumenkränzen geschmückt. Auf allen Hüten prangten die weißen Federn mit seinem Namen. Es ist doch ein schönes Ding um die Berühmtheit.
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Nachdem die lärmende Schaar der Gäste das Haus geräumt hatte, suchten die Damen in Etelvar das Arbeitszimmer wieder auf. Die Zeit drängte und die Lorbeerguirlande giebt unglaublich mühsame und langweilige Arbeit: man muß sich sputen. Der Wind hatte noch kaum die Staubwolke verweht, welche hinter den Abziehenden emporwirbelte, als die Damen schon wieder am Stickrahmen saßen und emsig die Nadel handhabten.
»Wie gut Prinz Alienor heute aussah,« begann Livia.
»In der That, es gereicht ihm nur zum Vortheile, daß ihn die Sonne und der Wind ein wenig durchgeblasen hat: seine Schönheit hat dadurch einen männlichen Ausdruck bekommen,« bemerkte Madame Corysande.
»Den bedeutendsten Einfluß hat die Veränderung auf seine Manieren und seinen Charakter geübt,« sagte die Fürstin. »Er ist aufgerüttelt aus seiner bisherigen Stagnation; er beginnt sich für die öffentlichen Angelegenheiten zu interessiren; der Thatendrang ist in ihm erwacht: es wird ein wackerer Mann aus ihm werden.«
»Oh, er ist ohne Frage ein ganz vortrefflicher Mensch; er ist so sanft und freundlich,« ließ sich Livia vernehmen.
»So ganz mein Ideal eines Mannes,« setzte Madame Corysande hinzu. »Mir gefallen die Männer am besten, die so sanft, so hingebend, so ganz ohne Prätension und Herrschsucht sind.«
»Und dazu hat er guten Humor und eine scharfe Urtheilskraft,« fuhr die Fürstin fort.
Raphaela sagte gar nichts. Sie sah nur zuweilen Livien an, wenn diese so eifrig das Lob des Prinzen redete, und zwar fast direkt an ihre Adresse gerichtet, als ob sie ihr an den Augen absehen wolle, wie sie denn über das Thema denke.
»Oh, ich bin fest überzeugt, daß er obsiegen wird,« ereiferte sich Livia.
Nun nahm auch die Prinzessin das Wort: »Prinz Alienor thut durchaus nicht wohl daran, daß er Napoleon Zarkany zu seiner Empfehlung mit sich führt.«
»Weshalb denn nicht?« entgegnete die Fürstin-Mutter. »Napoleon ist für diese Rolle wie geschaffen. Er ist ein bedeutender Redner, er kennt das Volk, er ist findig, gewandt und unerschrocken, eifrig und von unermüdlicher Ausdauer; er hat die Gabe, Jedermann für seine Sache zu gewinnen.«
»Um so schlimmer für den Prinzen,« sprach Prinzessin Raphaela. Die drei Damen ließen sämmtlich ihre Nadeln im Stoffe stecken und sahen erstaunt die Prinzessin an. »Wie verstehst Du das?« fragte die Fürstin achselzuckend.
»Deshalb braucht Ihr die Arbeit nicht ruhen zu lassen; wir können plaudern und dabei doch sticken. Leihe mir einen Faden von Deiner Seide, Livia. Ei, weshalb pressest Du denn die Hand so fest zusammen, als ob ich Gott weiß was von Dir verlangen würde? – Also saget einmal: wenn die Frauen gleichfalls Stimmrecht besäßen, welcher der beiden Herren würde das Mandat des Etelvarer Wahlbezirkes davontragen: Prinz Alienor Nornenstein oder Leon von Zarkany?«
»Ah, ah!« riefen die Fürstin und Madame Corysande mit einem Anfluge von Entsetzen gleichzeitig aus. »Das ist stark!«
Livia aber hatte in diesem Augenblicke Nadel und Faden verloren. Sie starrte Raphaela betroffen an, als ob sie sagen wollte: Auch Du?
Raphaela blickte mit dem Lächeln der Ueberlegenheit bald ihre Mutter, bald Madame Corysande an. »Je nun, machen wir einen Versuch. – Wir sind hier unser vier Frauen beisammen, arrangiren wir eine Probe-Abstimmung, natürlich eine geheime.«
»Wie das?«
»Dort auf dem Präsentirteller liegen Zucker- und Chokoladen-Bonbons, die einen sind weiß, die anderen schwarz. Ballotiren wir damit. Jede von uns nimmt ein weißes und ein schwarzes Bonbon und steckt eines derselben in den Mund, das andere hier in das Stickkörbchen. Die weißen zählen für Leon Zarkany, die schwarzen für Prinz Alienor. Wir wollen dann sehen, wie viele weiße Bonbons sich im Körbchen befinden werden.«
»Nicht eines! auch nicht ein einziges!« ereiferte sich Corysande. »Schon der Gedanke, die bloße Vorstellung ist ein Widersinn!«
»Gut. Bitte sich mit Bonbons zu versehen. Du erlaubst doch den Scherz, Mama? Betheilige Dich doch auch daran.«
Die Fürstin war heiterer Laune. »Ah, wir würden unser dann vier sein und es könnte auf beide Seiten die gleiche Stimmenzahl entfallen.«
»Nein, nein,« vermaß sich Corysande, »nicht ein weißes Bonbon wird im Körbchen sein.«
»Ich bitte Dich,« drängte Raphaela ihre Mutter, »spiele doch mit uns konstitutionelle Abstimmung.«
»Nun gut denn,« sprach die Fürstin und war die Erste, die sich Bonbons von der Platte nahm.
»Wir wollen in der alphabetischen Reihenfolge unserer Vornamen abstimmen,« beantragte Raphaela.
»Nun, dann ist Madame Corysande die Erste. Also noch einmal: die weißen Bonbons zählen für Napoleon, die schwarzen für Alienor.«
Madame Corysande erhob sich mit affektirter Ziererei vom Stickrahmen und trat an den Tisch, auf welchem die Wahlurne: das Stickkörbchen stand. Eines ihrer Bonbons fiel hinein, das andere verschwand zwischen ihren Lippen.
»Nun ist an Livia die Reihe.« Dem Mädchen zitterte sichtlich die Hand, als sie ihr Votum dem Körbchen anvertraute.
»Jetzt folge ich und zum Schlusse Raphaela,« sprach die Fürstin. Sie hieß Madeleine.
Die Abstimmung war beendigt. Die Bonbons wurden auf den Tisch ausgeleert und siehe da – Wunder über Wunder! – dem Körbchen entrollten: drei weiße und nur ein einziges schwarzes Loos! – Drei Stimmen für Napoleon und nur eine einzige für Alienor! – Unter vier Votanten drei Verräther! Das ist denn doch unerhört! Die vier Damen sahen einander verblüfft an. Die Eine, welche die schwarze Kugel in das Körbchen geworfen hatte, war allerdings über die anderen Drei im Reinen. Aber welche war diese Eine?
Raphaela lachte laut auf. »Nun! – habe ich Euch's nicht gesagt?«
Alle Vier schickten sich an, eifrig an ihrer Fahne weiter zu arbeiten.
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