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»Lieber Prinz Alienor, Sie verzeihen wohl, daß ich hier in Ihrem Vorzimmer einem Manne (ich glaube, es war Ihr Kammerdiener) eine Ohrfeige gab und ein anderes Thier, nach dessen Geschlecht ich mich nicht des Näheren erkundigt habe, am Kragen faßte und zur Thür hinauswarf ... Es ist das so schon meine Manier, mich anzumelden, wenn man mir irgendwo den Eintritt verweigern will. – Uebrigens ist es Ihre Schuld; Sie haben eben verabsäumt, die Weisung zu geben, daß zu den Vertrauenspersonen, welche freien Eintritt zu Ihnen haben, auch Ihr Vater zu zählen sei. – Indessen bitte ich, sich durchaus nicht derangiren zu wollen; es ist erst zwölf Uhr Früh, gerade um die Zeit der schönsten Morgenträume. Wenn Sie wünschen, so lasse ich Ihre Chokolade hierher bringen; wir ziehen die Bettvorhänge nur zur Hälfte auseinander und können dann plaudern. Sie mögen sich mittlerweile die Papilloten aus den Haaren lösen, oder wenn es ohne Friseur nicht angeht, das Peplum umnehmen und sich hier auf den Divan hinstrecken: ich will Ihnen das Nargileh in die Hand geben, lieber Prinz Alienor ... Sie werden sich vor mir doch am Ende nicht etwa gar schämen? Allerdings bin ich ein Mann und Sie sehen mit der gestickten Nachthaube und den Ohrgehängen einem Fräulein täuschend ähnlich; indessen, wir stehen ja in einem intimen Verhältniß zu einander und hätten keine Ursache, gegenseitig geheim zu thun, selbst wenn wir verschiedenen Geschlechtes wären.«
»Aber liebster Fürst Pracz von und zu Nornenstein, findest Du denn unter den zahlreichen Unterthanen Deines ausgedehnten Reiches gar keinen Andern, den Du langweilen könntest, als mich?«
» Au contraire, lieber Prinz Alienor, ich komme, um Sie zu Ihrem Geburtstage zu beglückwünschen: zu Ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstage.«
» Merci! der Zweiundzwanzigste ist einer Gratulation nicht werth.«
»Weil noch zwei zum vierundzwanzigsten fehlen? Nun sehen Sie, eben deshalb komme ich heute zu Ihnen. Ich zähle weder zu Ihren Geliebten, die Sie beglückwünschen, um Pretiosen geschenkt zu bekommen, noch zu Ihren Kumpanen, die nach der herzlichen Gratulation eine Champagnade erwarten ...«
»Sondern zu meinen Vätern.«
»Ich gebe Ihnen die Versicherung: das Wort hat, gleichwie der ›Tod‹, nur einen Singular. Ich bringe Ihnen Etwas zum Angebinde. Ich will Sie davon unterhalten, daß ich die Absicht habe, die noch übrigen fatalen zwei Jahre zu antecipiren und Sie großjährig zu erklären.«
»Je nun, das läßt sich hören.«
»Nicht wahr? Nun ist Ihnen der Schlaf bereits aus den Augen gewichen? Jetzt würden Sie sich vielleicht sogar dazu verstehen, sich anzukleiden, – wie? Dort in dem Schranke mit Luftheizung sind Schlafrock und Seidenshalwar warmgelegt, damit Sie sich beim Lever mit den frischen Kleidungsstücken nicht erkälten. Soll ich sie Ihnen reichen? Es wäre Ihnen also nicht unangenehm, wenn Sie zwei Jahre vor der Zeit Ihre mütterliche Erbschaft in Besitz nehmen und anstatt mit einer bloßen Apanage mit Ihrem ganzen Vermögen disponiren könnten? – Ich verlange durchaus nicht, daß Sie mir auf alle meine Fragen Antwort geben; oh ich weiß die Sorgfalt zu würdigen, welche Sie Ihren schönen Zähnen und Ihrer Mundhöhle schuldig sind. Nehmen Sie nur immerhin das Anatherinwasser in den Mund: wenn Sie damit, wie ich sage, einverstanden sind, so nicken Sie, wenn nicht, so schütteln Sie den Kopf; ich werde daraus entnehmen, was ich zu wissen brauche.
»Also, ich will Ihnen Ihr mütterliches Erbe ausantworten. – (Beiläufig gesagt, Sie thun nicht wohl daran, die ›Orientalische Enthaarungspasta‹ zu gebrauchen, um den männlichen Flaum von Schenkeln und Armen zu entfernen; davon behält die Haut eine gewisse Sprödigkeit. Die Römer pflegten die Härchen mit glühenden Nußschalen abzusengen; davon wird die Haut so recht jungfräulich zart.) – Indeß, lieber Prinz Alienor, ich bin nur unter einer Bedingung geneigt, Ihnen Ihr mütterliches Erbtheil zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit zu übergeben und diese Bedingung ist die, daß Sie auch einen Theil Ihres väterlichen Erbes übernehmen.«
»Ei, Du beginnst mir interessant zu werden.«
»Ja wohl, lieber Prinz Alienor. Ihr Papa hat Sie mit all' den wesentlichen Eigenschaften sehr karg bedacht, die er selber von seinen Ahnen überkommen hat. Vor Allem – vergleichen Sie einmal unser beiderseitiges Aeußere. Ich habe heuer mein fünfzigstes Jahr vollendet, und obschon meine Stirne bis tief unter den Scheitel hinaus kahl ist, mein Haar und mein Schnurrbart allmälig ergrauen – ich färbe mir das Haar nicht; mir steht es nun einmal so an – so bin ich gleichwohl ein vollkommen rüstiger Mann. Meine Gesundheit ist eisern; ich zerbreche Hufeisen mit den bloßen Händen; ich bestehe auf der Jagd den wildesten Bären und harre einen vollen Tag lang im Schneegestöber aus, ohne mir auch nur einen Schnupfen zu holen. Sie dagegen sind ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren, der sich, um nur je weiblicher zu erscheinen, den Flaum aus dem Kinn zupft, Gesicht und Lippen schminkt, im Tanze ermüdet und aus dem Theater fortläuft, wenn auf der Bühne geschossen wird. Als ich in Ihrem Alter war, hatte ich bereits neun Duelle hinter mir und hatte auf der Mensur einen russischen Oberst todt hingestreckt. Ich war bei den Rennen von Epsom und von Longchamps auf selbstgerittenen Pferden dreimal Sieger geblieben; ich hatte Hand und Fuß gebrochen und war wieder geheilt worden. Ich schwamm in Folge einer Wette durch das Becken des großen Wasserfalles bei Schaffhausen und erkletterte die Spitze des Dhawalagiri. Mit dreißig Jahren war ich Oberst in österreichischen Diensten und trug Orden von sieben Potentaten auf meiner Brust. Einer Präterirung wegen warf ich Portepée und Orden von mir, zog als Freiwilliger mit gegen Abd-el-Kader und schlug mich mit Beduinen und Löwen herum.«
»Das Alles mach' ich Dir nicht nach.«
»Ich weiß. Und auch manches Andere nicht. Ich war nicht blos Athlet, sondern auch Kavalier. Ich hatte gleichfalls schöne Weiber lieb, aber nicht jene, deren Besitz ein billiges Vergnügen ist; sondern solche, die nur mit Mühe und Gefahr zu gewinnen sind. Nicht ich war vernarrt in die Frauen, sondern diese in mich. Und in dem Genre war mir nichts unerreichbar; ich bekam in öffentlichem Turnier einen Kuß von einer Königin und entführte aus dem Harem des Großtürken die Beiram-Favoritin.«
»Und schließlich nahmst Du die Tochter eines Amsterdamer Kaufmannes zur Frau.«
»Die mir aber dreißig Millionen Mark in Gold zubrachte und die erste Schönheit der Welt war; sie wählte mich unter dreißig Freiern und ich hatte es sehr nöthig, den Glanz meines fürstlichen Regentenhauses zu rehabilitiren.«
»Und ein wenig zahmen Krämerblutes in die fürstlichen Adern derer von Nornenstein zu impfen.«
»Leider, daß dem so ist. Sie sind ein Hybrid dieser Blutmischung; die guten Eigenschaften beider Gattungen aber sind in Ihnen verloren gegangen. Von dem holländischen Blute haben Sie die Weichheit, die Kälte, die Selbstsucht; von dem wendischen (denn wir sind Wenden) den Hang zur Verschwendung, die Genußsucht, den Hochmuth: das Erstere hat in Ihnen alle männliche Bravour, den nimmer ruhenden Thatendrang, die Begeisterung paralysirt, die dem Letzteren eigen ist, das Letztere hat den Sinn für Häuslichkeit, die Scham, die Ueberlegung unterdrückt, welche das Erstere verleiht.«
»Das ist aber noch nicht meine, sondern des Alchimisten Schuld, der die Mischung vorgenommen hat.«
»Und des Erziehers. Sie sind unter der Hand Ihrer Mutter erzogen; sie hat aus Ihnen, dem Manne, ein Mädchen gemacht.«
»Siehst Du wohl, wie sehr schade ist es, daß Du die Rolle des Mentor nicht selber übernommen hast. Hättest Du mich jeden Tag mit rohem Fleisch gefüttert und in brunnenfrisches Wasser getaucht, so wäre ich heute möglicherweise eine Deiner würdige Natur.«
»Ich hätte es auch sicherlich gethan, wenn nicht eine größere Mission in der Welt meiner gewartet hätte, eine Mission, von der Sie sich bisher wohl selbst im Traum nichts einfallen ließen. Meinen Sie, Lieber, die männliche Kraft habe sich bei mir nur in Paukereien und galanten Abenteuern geäußert? Jahrzehnte meines Lebens waren der Aufgabe gewidmet, mit eisernem Willen, mit zäher Ausdauer für eine in den Staub getretene Sache zu kämpfen, über welche bereits der Neubau von ganz Europa aufgeführt ist, von der ich denselben aber heute noch zu Boden stürzen will. Haben Sie je von den deutschen »Standesherren«, den mediatisirten Fürsten Einiges gelesen?«
»Ich habe es wieder vergessen.«
»Aber das dürfen Sie vielleicht doch nicht vergessen haben, daß auch Ihre Ahnen regierende Fürsten ›von und zu Nornenstein‹ waren? Regierende Fürsten so gut wie die Brandenburger oder die Koburger, ebenbürtig denen von Görz, von Platen, von Najperg; Fürsten, welche an ihrer Landesgrenze Zölle erhoben, in ihrer Hauptstadt Hof- und bewaffnete Leibwache hielten, denen das Recht über Leben und Tod zustand, die Rekruten ausheben durften.«
»Und ihre Soldaten verkaufen konnten, wie der Kurfürst von Hessen.«
»Ja wohl, auch das konnten sie. Auf die Gefahr hin, Ihre Geduld zu erschöpfen, lieber Prinz Alienor, will ich Ihnen ein wenig die Geschichte der regierenden Fürsten ›Pracz von und zu Nornenstein‹ erzählen.«
»Beim blauen Herrgott in Baiern – das ist zu viel.«
»Es gereicht mir zu großer Genugthuung, daß es mir bereits gelungen ist, Sie zu einer männlichen Aeußerung zu veranlassen. Sie fluchen ja bereits. Und gerade dieser Kraftausdruck ›Beim blauen Herrgott in Baiern‹ war das Lieblingswort Ihres Großvaters. Ihr Großvater war noch tatsächlich regierender Fürst, Landesherr in Nornenstein. Nach seinem Tode war vierzehntägige Landestrauer angeordnet in ganz Nornenstein.«
»Die auch beobachtet wurde von allen – Schornsteinfegern.«
»Es gab neunundvierzig Landesherrlichkeiten auf dem Gebiete von Deutschland, durchwegs souveräne, selbständige Staaten, deren jeder eigenes Gesetz, eigenes Geld, eigenes Maß und Gewicht, eigene Landesfarben, eigene militärische Uniform hatte. Als nun aber der Brandenburger mit vermessener Gewaltthat sich die zwei bedeutenden Landesherrlichkeiten Giech und Schönberg annektirte, so war das das Signal für alle übrigen kleineren und größeren Könige und Fürsten, die im Bereiche ihrer Territorien gelegenen Landesherrlichkeiten zu inkorporiren. – Ein königlicher Kannibalismus, in der That! – Der einstimmige Protest von neunundvierzig regierenden Fürsten und fünfundzwanzig Markgrafen steht für ewige Zeiten aufrecht gegen diese himmelschreiende Rechtsverletzung. Im Bundesarchiv erliegt, in silberner Kapsel verwahrt, die Urkunde, mit den Insiegeln der sämmtlichen durchlauchtigsten und erlauchten Herren. Der Wiener Kongreß unseligen Angedenkens wagte den Versuch, diesen Länderraub zu sanktioniren und bekräftigte den Frevel gegen unsere Rechte urkundlich in einer langen Reihe von Paragraphen. Fortan nannte man uns mediatisirte Fürsten. Einzig und allein Metternich hegte einige Sympathie für uns: er titulirte uns › beklagenswerthe Opfer‹.«
»Ich bitte Dich in homagialer Unterthänigkeit, erhabenes, beklagenswerthes Opfer, wenn Du fertig bist, so wecke mich.«
»O, Sie werden nicht einschlafen über meine Erzählung, lieber Prinz Alienor; sogleich folgt etwas, was wohl auch die jüngere Generation interessiren dürfte. Soviel haben Sie doch wohl von Ihrem Hofmeister gehört, daß eine der Lieblingsideen Napoleons I. der ›Rheinbund‹ war, – für uns gleichbedeutend mit dem Paradiese. Unsere Gau-Grafen fochten haufenweise in Napoleon's Heer. Deshalb sprangen auch später die Sieger so unbarmherzig mit uns um. Zunächst wurden unsere Souveränetätsrechte in Privilegien umgestaltet. Die ›Standesherren‹ sollten der bevorzugteste Stand des deutschen Reiches sein; sie sollten im Reichstage ihre Sitze zuvorderst haben; ihre Besitzungen sollten von Steuern und Abgaben, ihre Söhne vom Kriegsdienste frei sein; sagt ihnen aber die militärische Laufbahn zu, so sollten sie berechtigt sein, nach freier Wahl in die Armee jedes beliebigen Staates im deutschen Reichsverbande einzutreten. Die Familienhäupter sollten Leibwachen halten können und in erster Instanz die Gerichtsbarkeit über ihre Grundholden üben. Eine schmachvolle Reduktion unserer Herrschergewalt, doch, obgleich nur ein Bruchstück des Thrones, immerhin eine Reliquie. Wir waren entschlossen, sie zu bewahren. Als ich Ihre Mutter zur Ehe nahm – die Heirath mußte nach § 75 der Bundesakte sämmtlichen deutschen Fürsten notifizirt und von ihnen zur Kenntniß genommen werden – sagte ich: gut; wenn sie unser göttliches Recht nicht in der Theorie anerkennen wollen, so wollen wir ihnen den Bestand desselben in der Praxis darthun. Ihre Mutter brachte mir, wie bereits bemerkt, dreißig Millionen Mark in Gold als Mitgift zu. § 89 der Bundesakte verwehrt den Standesherren, aus Allaturen, welche von Frauen nichtfürstlicher Abkunft stammen, Fideikommisse zu bilden. Das aber konnte man nicht verbieten, eine solche Allatur in den bereits bestehenden Fideikommissarbesitz zu investiren. Alsbald erhob sich in der Hauptstadt von Nornenstein ein wahrhaft fürstliches Burgpalais, ein großartiges Stadthaus mit fünfzig verschiedenen Appartements, ein herrliches Theater. Das letztere namentlich wetteiferte mit jenem zu Weimar. Wir hatten im Winter Drama, im Sommer italienische Stagione. Ueberdies wurden die Straßen und Wege des gesammten Territoriums in ziegelgepflasterte Klinkerstraßen umgestaltet; so wurde der Reisende, welcher von brandenburgischem auf unser Gebiet übertrat, obschon keine mit den Landesfarben bemalten Schranken mehr an der Grenze prangten, sofort inne, daß er den Fuß auf Nornenstein'schen Grund und Boden setzte. Auch eine Votivkirche begannen wir zu bauen, doch diese blieb bereits unvollendet. Die demokratische Lawine, von muthwilligen Buben einmal ins Rollen gebracht, stürmte unaufhaltsam nieder. Das ausgesprochene Prinzip zog seine Konsequenzen nach sich. In dem Augenblicke, wo die großen Landesherren die kleinen verschlangen, war das Urtheil gesprochen, daß die Könige dereinst von den noch stärkeren Kaisern, alle insgesammt aber von dem Moloch, vom Volke verschlungen werden sollen. Eines schönen Tages fiel es der Demokratie ein, Vereinfachung der Rechtspflege zu fordern. Wir im Oberhause hatten gut protestiren. – Ein Pairsschub und wir waren niedergestimmt. Man entzog uns das Recht der Gerichtsbarkeit und das prachtvolle Rathhaus zu Nornenstein mit dem vergoldeten Thurm und Uhrwerk in der Mitte stand fortan leer.«
»Zur nicht geringen Genugthuung der armen Bauern.«
»Die armen Bauern sollten der Genugthuung noch mehr erleben. Der Moloch wird desto hungriger, je mehr er bereits verschlungen hat. L'appétit vient en mangeant! Alsbald erfolgt die Befreiung der Unterthanen vom Frohndienste und der Zehentpflicht. Mit einem Federzuge hatten wir aufgehört, Herren unseres Volkes zu sein; unsere irdischen Rechte und Gerechtsamen wurden mit schnödem Mammon abgethan. Doch die Forderungen des Götzen Dagon gingen noch weiter. Er vindizirte sich das Patronatsrecht über die Kirche. Eine Abstimmung der barfüßigen Abgeordneten, und wir hatten aufgehört, Schutzherren der Kirche zu sein. Unsere Kirche war nicht mehr unser.«
»Arme Fürsten; nicht einmal dem lieben Herrgott konntet Ihr mehr befehlen!«
»Und noch war der bittere Kelch nicht bis auf die Hefe geleert. Astaroth bekam aufs neue Appetit, Belials Hölle flammte und forderte ein frisches Opfer. Die große Carbonari-Verbindung, welche sich Parlament nennt, erklärte, fortan gebe es keine Privilegien mehr. Jeder Mensch sei eben Mensch und nichts weiter; mein Kopf habe gar nichts voraus vor dem Kopfe des nächstbesten Bürstenbinders oder Handschuhmachers, und meine Hand nichts vor jener meines Schusters. Auf unser Beider Köpfe soll fortan gleichmäßige Steuer ausgeworfen werden und unser Beider Hände sollen gleichmäßig verpflichtet sein, dieselbe zu bezahlen. Selbst das vermochte mich noch immer nicht zu vertreiben aus dem Lande, über welches meine Ahnen geherrscht hatten. Es folgte eine neuerliche Erniedrigung. Trotzdem § 33 der Bundesakte den männlichen Mitgliedern standesherrlicher Häuser den freiwilligen Waffendienst für ewige Zeiten gewährleistet, wurde gleichwohl die herodische Maßregel stabilirt: Jeder Bewohner deutschen Territoriums sei militärpflichtig, Jeder in dem Lande, dessen Souveränetät er untersteht; mein einziges Kind, welches damals zwei Jahr alt war, sollte fortan mit fürstlicher Fürsorge zu keinem anderen Zweck erzogen werden, als um dereinst einem Potsdamer Fähnrich die Stiefel zu wichsen.«
»Unbesorgt, ich würde es ihm nicht gethan haben.«
»Auf diese Kunde hin, ärger als die Nachricht von Pestilenz und Cholera, verließ Ihre Mutter Nornenstein, ging nach Amsterdam und beschloß, ihren Sohn zu Allem eher zu erziehen als zum Soldaten. Ich harrte noch auf meinem Posten aus. › Nec civium ardor prava jubentium!‹ (Schon Horaz wußte, daß der ›Bürger‹, wenn er ans Ruder kommt, nur Uebles verordnet.) Ich wartete auf eine günstige Wendung des Schicksals, vertraute auf die ewige Gerechtigkeit und hoffte auf ein oder das andere non putarem der europäischen Wirrnisse. Schließlich aber kam der letzte Schlag in Gestalt der Eisenbahngesetze. Ein Konsortium von gergesenischen, vom Teufel besessenen Schweinehunden erhielt die Konzession, mitten durch Nornenstein'sches Gebiet einen Schienenstrang zu legen. Die Vandalen der Civilisation gingen ans Expropriiren, durchbohrten den heiligen Nornenfels, auf welchem vor Zeiten Gott Odin selbst Gericht gehalten, durchschnitten meinen Park mit einem Damme, richteten mein Wildgehege zu Grunde, überbrückten meinen Fischteich, brachen mir eine Lichtung durch meinen Lindenhain und pflanzten mir ihren Bahnhof hart an mein Schloß hin, so daß mir jeder Passagier in den Mund schauen konnte. Ich in eigener Person mußte mehr als einmal an Schranken halten und fein gehorsam warten, bis ein Zug mit Ochsen und Schöpsen und Philistern vorbeigebraust war, und als ich eines Tages bei Gelegenheit einer Treibjagd hinter dem gehetzten Sechzehnender her über den Schlagbaum setzte, citirte man mich vor das Kriminalgericht, und ein unverschämter Publikaner, ein Kretin von einem Staatsanwalt plaidirte auf sechs Jahre Festungshaft gegen mich, den regierenden Fürsten von Nornenstein.«
»Davor nahmst Du nun aber Reißaus.«
»Und was ärger war als Alles: die sine nobis de nobis angelegte Eisenbahn führte Handel und Industrie aus Nornenstein mit sich fort in die benachbarte Stadt.«
»Und Du hattest keinen Juden und keinen Schuster mehr?«
»Wird ein Staat seinen Verpflichtungen gegen seine Söhne nicht gerecht, so fühlen auch diese sich der ihrigen gegen den Staat entbunden. Ich kündigte sofort meine ausständigen Kapitalien, warf meine Staatspapiere auf den Markt, entäußerte mich all meiner Liegenschaften mit Ausnahme des Fideikommiß-Besitzes, und suchte, mit dieser Geldkraft ausgerüstet, ein Land welches meinen Neigungen entspräche und nahe genug gelegen wäre, daß ich von dort aus meine Zwecke fördern könnte. Dieses Land war Ungarn. Hier konnte man noch für billiges Geld große Grundkomplexe acquiriren, hier war der Grundherr noch der regierende Fürst seiner Unterthanen, der erkaufte Besitz verlieh zugleich das jus gladii, hier zahlte die privilegirte Klasse noch keine Steuer, war keiner Militärpflicht unterworfen, der ungarische Nabob durfte sich mit Recht einen König im Kleinen nennen, er war es in der That.«
»Nun für Dich ist's aber ein Pfingst-Königthum geworden. Kaum ein Jahr nach Deiner Ansiedelung im Lande, kam die Revolution zum Ausbruch, die Bauern wurden auch hier frei gemacht, die ›Könige im Kleinen‹ auch hier mit Papiergeld ausgezahlt und hernach auf sie die Steuern ausgeworfen, ihre Söhne zum Militär abgestellt und ihre Besitzungen mit Eisenbahnen durchschnitten.«
»Alles richtig; aber deshalb war der Unterschied zwischen den hiesigen und den heimischen Zuständen noch immer gleich Himmel und Erde. Hier bin ich für den Ungar ein Deutscher, für den Oesterreicher ein Ungar: an keinen von Beiden bindet mich irgend welche Rücksicht. Ich empfange von ihnen, was mir gefällt, und gebe ihnen, was ich selber nicht haben mag. Daheim vermochte ich den Bauer durch kein Geheiß zu bewegen, mit mir über die Regierung zu schimpfen, hier thut mir Jeder auf einen Ruf den Gefallen. Daheim rechnete man mir jeden Groschen nach, hier zahle ich an Steuer, was ich mit dem Schätzungs-Kommissär eben vereinbare. Meinen Sohn habe ich mit tausend Gulden vom Militärdienste losgekauft und die Bahnlinie habe ich genau dahin traciren lassen, wo sie mir am bequemsten lag. Und schließlich kann ich hier frei konspiriren mit wem und worüber es mir gefällt. Wenn ich nur keinen Tabak schwärze, fällt es Niemandem ein, mich auch nur mit einem Worte zu behelligen.«
»Ich bitte Dich, erzähle mir doch ja nicht etwa von diesen Deinen Intriguen, denn Du weißt wohl, ich bin der schwatzhafteste Mensch in der ganzen Stadt.«
»Eine rechte hübsche Eigenschaft das für einen Mann. Nun immerhin dürfen Sie füglich erfahren, was ja bereits alle Welt weiß: daß nämlich der Frankfurter Verein der ›Standesherren‹ in seiner geheimen Kommissionssitzung zu Heidelberg am 30. März 1865 Beschlüsse faßte, welche angesichts der europäischen Verwickelungen weittragende Pläne involviren und daß einer der Vicepräsidenten dieser geheimen Sitzung, Fürst Oktavian Pracz von und zu Nornenstein, Ihr Vater war.«
»Ich hoffe, jene Beschlüsse haben nichts mit dem Plane meiner Großjährigkeits-Erklärung zu thun.«
»O doch, gar sehr, lieber Prinz Alienor. Sie können, wie ich vorausgeschickt habe, vor dem gesetzlichen Termin nur unter der Bedingung in den Genuß ihres mütterlichen Erbes treten, wenn Sie auch einen Theil Ihres väterlichen mit übernehmen. Ihr Vater hat männlichen Muth und hochfliegende Ambitionen. Ich biete Ihnen nicht beide diese Güter zumal; Sie mögen wählen. Ich gebe als Ihr Vater den Glauben nimmer auf, daß Sie dem jungen Achilles gleich, der ebenfalls weibisch erzogen worden, bei günstiger Gelegenheit plötzlich und überraschend sich als Mann bekunden und nach dem Schwerte greifen werden. Ich werde auch darin Beruhigung finden, wenn Sie den politischen Chimären, denen wir Alten noch immer ohne Unterlaß nachjagen, fern bleiben wollen, wenn Sie sagen: Ich mag nichts wissen von Eurem Rheinbunde, von Eurer Kleinstaaterei; mein Besitz liegt in Ungarn, den will ich mehren, hier will ich mich verheirathen; ich nehme die Prinzessin Raphaela Etelvary zur Ehe, die schönste, begüterteste, und setzen wir noch hinzu, auch die geistreichste Dame im Lande, ich will hier eine Familie gründen, will Obergespan werden im Lande, oder Abgeordneter, das Haupt der aristokratischen Demokratie. Die Geschichte der Fürsten von Nornenstein ist abgeschlossen, es beginnt die Geschichte der Fürsten von Nornenstein-Etelvary. Wie gesagt, ich werde mich auch damit zufrieden geben.«
»Vielleicht ich auch.«
»Nur einen Umstand wollen Sie nicht vergessen: Prinzessin Raphaela Etelvary ist zwar keine regierende Prinzessin, dessenungeachtet aber eine stolze Seele, die ein Mann von so sardanapalischem Betragen nun und nimmer zu gewinnen vermag. Ich bin überzeugt, sie wird sich nur einem Manne im wahrsten Sinne des Wortes ergeben.«
»Nun, soll ich mir vielleicht den Schnurrbart stehen lassen?«
»Nein, lieber Prinz Alienor; die Männlichkeit bekundet sich durch das Herz und durch den Arm, durch den Charakter und durch den Verstand. In Ihnen schläft Alles, was den Mann zum Manne macht. Es ist sicherlich vorhanden, denk' ich, aber es schläft eben. Sie sind ein völliger Nachtwandler. Wachen Sie auf! Geben Sie irgend ein Zeichen Ihrer Männlichkeit! Wagen Sie etwas; wenn Sie damit auch Fiasko machen – schadet nichts. Mag es meinethalben eine Thorheit sein, wenn sie nur männlich ist. Bekunden Sie irgend eine Ambition. Treten Sie als Koryphäe in die Reihen der aufrührerischen Demagogen oder der Ultramontanen, mir gleichviel. Werden Sie ein Verführer; suchen Sie mit Jemandem Händel, fordern Sie ihn und geben Sie ihm einen Denkzettel, oder lassen Sie sich einen solchen anhängen. Machen Sie sich durch eine Wette bemerkbar, etwa durch einen Distanzritt oder ein Wettschwimmen; unternehmen Sie eine exotische Reise; gründen Sie einen männlichen Klub, sei es nun ein Feuerwehr-, ein Athletic-, ein Fuchshatz- oder ein Criquetspiel-Klub; treten Sie als Abgeordneten-Kandidat auf, reden Sie ungereimtes Zeug nach Herzenslust, hetzen Sie die Kortesführer an einander und lassen Sie sich um den Preis eines Oceans von Wein wählen. Thun Sie was Sie wollen, aber thun sie etwas, sonst, beim ewigen Gott, antwortet Ihnen Prinzessin Raphaela Etelvary, wenn Sie um sie werben: Zwei Weiber haben nicht Raum in einem Hause. Nun was antworten Sie? Erwarten Sie von Ihren Fingernägeln gute Rathschläge? Oder sind Sie noch nicht wach? Soll ich die Fensterläden öffnen? Genirt Sie vielleicht das Licht? Nun zu allen dreißigtausend Teufeln! So thun Sie doch nicht, als ob Sie mich mit den Zähnen ansehen und mit der Nase anhören wollten, sondern antworten Sie. Wollen Sie Ihre sofortige Großjährigkeits-Erklärung und Ausantwortung Ihres mütterlichen Erbes um den Preis, ein Ihrer würdiges Lebenszeichen von sich zu geben?«
»Ich will gar nichts. Ich will noch zwei Jahre warten und einstweilen Schulden machen auf mein mütterliches Vermögen.«
»Wird nicht gehen, lieber Prinz Alienor; wenigstens nicht lange.«
»Weshalb?«
»Weil die Gläubiger gar pfiffige Leute sind.«
»Sollte mein mütterliches Erbtheil aufgezehrt sein?«
»Nicht doch, lieber Prinz Alienor, es ist in vollem Werthe vorhanden, und zwar auf dem fideikommissarischen Familienbesitz, in Form von Investitionen.«
»Oder es ist vielleicht übermäßig verschuldet?«
»Auch nicht ein Heller lastet darauf. Die Hypothek ist rein wie die Insel Aphroässa, die eben aus dem Meere emporgestiegen ist. Ihr mütterliches Erbe ist vorhanden, erstens einmal in Form eines herrlichen Burgpalais, welches zur fürstlichen Residenz bestimmt war; dann eines in gothischem Style erbauten Stadthauses; ferner einer wundervollen Oper, nach echt Trianonschem Vorbilde, eines Zeughauses, einer Votivkirche, eines Museums und schließlich in der Gestalt von vierundzwanzig Meilen mustergiltiger Klinkerstraßen. In diesen Objekten liegen die ganzen dreißig Millionen Mark Goldes, gewissenhaft placirt. Das ist Ihr mütterliches Vermögen. Ein ungeheurer Schatz, wenn es Ihnen gelingt, dereinst wieder Besitz zu ergreifen von dem Fürstenstuhle von Nornenstein; denn wird Nornenstein wieder der Sammelplatz des alten Reichthumes: sowie dereinst das Gemäuer des Schlosses mit alten Thalern ausgelegt, so können Sie sich dann Ihre Gemächer statt mit Papiertapeten mit preußischen Thalerscheinen tapezieren lassen, können Kaufleuten und Industriellen Privilegien ertheilen, können einen Schlagbaum über den Schienenweg legen, Steuern und Zölle erheben und sich ein Ballet auf eigene Kosten halten. So lange aber diese Wendung nicht eintritt, pumpt Ihnen bei Gott auf Ihr Palais, Ihr Theater, Ihre Kirche, Ihr Gerichtshaus, Ihre Straßen und alle Ihre sonstigen Etcaetera keine Seele auch nur einen der verbannten österreichischen Silbergulden.«
»Tausend Schock Stern-Hagel-Donnerwetter!«
»Na, Dank sei der heiligen Jungfrau von Loretto, daß Sie doch endlich auch einmal fluchen gelernt haben! Ich habe nur immer gefürchtet, Sie werden bei der Eröffnung in Ohnmacht fallen, und ich werde am Ende noch selber nach Riechgeistern laufen müssen. Ei – in der That – es ist mir gelungen, Sie aus dem Bette springen zu machen?! Nun das ist für den Anfang immerhin etwas. Nun bitte ich nur so fortzufahren, lieber Prinz Alienor. Fangen Sie bei Ihrem Papa an; waschen Sie ihm den Kopf, daß er der Narr sein konnte, so schönes Geld in Investitionen zu verthun, die nur für einen Souverän einen Werth haben. Dann werden Sie auch erkennen, durch welche Ideenverkettung die Thatsache Ihrer Großjährigkeits-Erklärung mit den Beschlüssen der Heidelberger geheimen Standesherren-Konferenz vom 30. März zusammenhängt. – Nun Prinz Alienor, legen Sie los!«
Allein Prinz Alienor sagte nicht ein Wort, sondern that wie erzürnte Weiber zu thun pflegen; er verschränkte die Arme über die Brust und begann wortlos im Zimmer auf und ab zu gehen: das lange, bunte Seidenpeplum flatterte hinter ihm drein und die gestickte Nachthaube, die er um den Kopf gebunden trug, ließ das bleiche Gesicht noch weiblicher erscheinen, als selbst der Ausdruck des energielosen Zornes. Von Zeit zu Zeit verrieth ein leises Schluchzen, daß ihn Krämpfe befallen hatten. Fürst Oktavian Pracz von und zu Nornenstein harrte eine Weile, ob er denn nicht endlich stehen bleiben und zu reden anfangen werde. Als er endlich sah, daß sein Warten vergeblich sei, nahm er seinen Hut und ging. Draußen im Vorzimmer drückte er dem Kammerdiener einen Napoleond'or in die Hand. »Das für die Ohrfeige. – Und nun geh hinein zu Deinem Herrn und sag ihm, wenn er sich mir zu Liebe mit Jemandem sei es wer immer, schlagen will, nicht auf Pistolen sondern auf Degen, so zwar, daß in der Affaire Blut fließt, – so will ich selbst ihm auf seine Nornensteiner Monumente borgen.«
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