Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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3. Es gibt weder eine eigennützige Liebe noch eine Selbstliebe, sondern nur eigennützige Handlungen

I. Ich habe meinen ersten Satz erwiesen, wenn ich dargetan, daß die Liebe, die ein geiziger Universalerbe gegen seinen Erblasser nach der Publikation des Testamentes empfindet, ebenso rein und uneigennützig sei – der Art, nicht dem Grade nach – als die, die uns sanft das Herz erwärmt für die großen Wohltäter der Menschheit im Plutarch und für den Onkel Toby im Tristram, obgleich jene nicht mehr sind und dieser niemals war.

Wenn der Universalerbe ebensoviel Gold, als die Erbschaftsmasse beträgt, im hohlen Kopfe einer Statue fände: so empfänd' er darum nicht einmal so viel Liebe gegen sie, als ein schwärmerischer Artist vielleicht für sie hat. – Wenn der Erbe dieselbe Summe im Sarge des Erblassers anträfe: so hätt' er wieder keine Liebe für ihn. Ja wenn der Erblasser wahnsinnig wäre und ihn mit dieser Summe beschenkte: so fühlte er dennoch keine angemessene Liebe gegen den Verrückten, trotz der Aussicht zu wiederkommenden Geschenken; denn ich rechne eine kleine Regung der Liebe ab, die dem Menschen durch eine Täuschung der Personifikation gegen das rettende Brett im Schiffbruch, gegen ein altes Hausgeräte und gegen Menschen, die ihm ohne ihren Willen nutzten, eingeflößet wird. Folglich liebt der Erbe am Wohltäter nicht seine metallische Nützlichkeit – diese hatt' er schon vor dem Geben lieb –, sondern seine Gesinnung gegen ihn, d. h. seine Liebe, also den fremden Seelenzustand, und die Befriedigung des Eigennutzes war nur das notwendige Mittel, jene Liebe aufzudecken und vor die Seele des andern zu bringen.

Jetzt behaupt' ich aber weiter: die Liebe des Erben gegen den Testator ist von unserer gegen den milden Onkel Toby nicht in der Art verschieden, sondern im Grade. Ich sage: nicht in der Art. Alle Liebe liebt nur Liebe, sie ist ihr eigner Gegenstand. Unsere Affekten sind überhaupt gleichsam Verkörperungen des sittlichen Triebes, und in ihnen ist die Gestalt des letztern, wie in den Tieren die menschliche, ausgedrückt, aber nur anagrammatisch, in- und auseinander geschoben und ohne Eurhythmie. Der Zorn ist gleichsam ein plethorisches Gefühl der moralischen Häßlichkeit, der Neid ist das Gefühl des Mißverhältnisses zwischen unserem oder fremdem Schicksal und Wert, und so der Ehrgeiz, die Liebe usw. So ist sogar die Liebe gegen weibliche Schönheit – abgesondert vom ästhetischen Gefallen daran, das am Ende nur eine kühlere Liebe ist – nichts als die Liebe gegen die durch Farben- und Linien-Reize hieroglyphisch abgemalte und in Menschen-Wachs bossierte Liebe oder moralische Schönheit.

Wir ahmen den fremden Zustand der Menschenliebe nach, wir oder andere mögen der Gegenstand der letztern sein; ich meine, unsere Liebe gegen den Wohltäter ist gleich rein, obwohl nicht gleich stark, er mag es gegen andere oder gegen uns sein. Da unsere Liebe ihr Objekt hat im Zustand eines fremden Ichs: so kann wenigstens sie nicht als Empfindung oder Trieb die reflektierende Berechnung anstellen, ob jener Zustand mich oder andere zum Ziele habe.

Allerdings reget die Menschenliebe des andern in mir eine größere Liebe an, wenn ich ihr Gegenstand bin, als wenn andere es sind. Aber der Grund benimmt der Liebe des Universalerbens von ihrer Reinheit nichts. Von meinen Vorzügen, von meiner Würdigkeit, geliebt zu werden, hab' ich eine tausendmal lebendigere Vorstellung als von fremden Vorzügen. Zweitens hab' ich von der fremden Liebe und ihrer Einwirkung, sobald ich sie erfahre, einen lebhaftern Begriff. Drittens verstärkt meine Eigenliebe meine Menschenliebe, ohne sie zu verfälschen: kein Trieb kann den andern unmittelbar erzeugen oder erhöhen, sondern nur sein Gegenstand; aber der schlimme Trieb kann unsere Phantasie befeuern, den bessern mit helleren und mehreren Gegenständen zu umringen und anzufachen. Die eigensüchtige Phantasie steigert also die uneigennützige Liebe. Hätten wir nicht nur vom Werte jenes Galeerensklavens, den ein göttlicher Mönch loskettete, um sich selber in seine Bande zu begeben, sondern auch von seinem Wohlbehagen nach der Rettung einen so hellen Begriff, wie er selber von beiden hatte: so müßten wir den Mönch, ohne die Schuldner seines schönen Herzens zu sein wie der Sklave, doch fast ebenso lieben wie der Sklave. Ja eine feinere Seele stellet die Liebe, die ihr Liebhaber für sie hat, so weit von ihrem Selbste weg, daß sie ihn so zart und verdienstlich lieben kann, als wär' er der Liebhaber eines fremden Ichs.

II. Es kann keine Selbstliebe geben so wie keinen Selbsthaß. Ich müßte zweimal da sein, damit das liebende Ich nicht ins geliebte zerflösse. Da Liebe nur gegen Liebe entbrennt: so müßte die Selbstliebe sich lieben, eh' sie sich liebte, und die Wirkung brächte die Ursache hervor, welches so viel wäre, als sähe das Auge sein Sehen. – Freilich steht in unserem Kopfe ein Zwillingsbruder unsers Ichs, d. h. ein Bild von diesem Ich; und diesen Schieferabdruck unsers Ichs lieben wir freilich: aber das ist so wenig Selbstliebe, als es eine wäre, wenn wir eine fremde, uns bis auf alle Punkte und Striche nachgestochene Person lieb hätten. – Nur Eigenschaften werden geliebt, allein Substanzen lieben. Aber unsere sogenannte Selbstliebe wächset ja nicht mit unsern Vorzügen – höchstens mit unsern Fehlern –; und sie ist ebenso warm, wenn wir uns selber verachten – denn sonst würden wir uns im Sünden-Sumpfe lassen –, als wenn wir einen Teil unserer eignen Natur verehren müssen.

Es ist noch mehr meiner Meinung gemäß, den obigen Satz umgekehrt auszudrücken und zu sagen: nur Substanzen werden geliebt. Die nackte federlose luftige Eigenschaft ist an und für sich kein wärmerer Gegenstand meiner Liebe als das ihr zusagende Wort im Vokabelnsaal oder Kompendium. – Jede Eigenschaft muß an einem Ich – das wieder für uns, obwohl unbegreiflich, etwas Bessers ist als eine andere Eigenschaft – glänzen, um geliebt zu werden. Dieses lebendige Ich, diese Bedingung aller geistigen Eigenschaften, lieben wir allein in diesen. Nach dieser Definition ist Selbstliebe noch unmöglicher, d. h. Liebe vom Ich gegen das Ich. Unsere Selbstverachtung kann sich nicht auf unser ganzes Wesen richten, weil der Teil, worin sie ist, doch keine verdienen kann; und so würde die Selbstliebe nur immer bloß Eigenschaften, nie das Wesen selber, weil sie ja von diesem selber etwas einnimmt, umfassen können. Ich besorge, dieses scheinet spitzfündiger, als es ist. Aber in den trüben Abgrund der Selbstliebe müssen mehrere Kantische Sonnen fallen, um ihn licht zu machen.

Die Liebe, womit uns der gute andere umfängt, ist so etwas Mystisches, daß wir uns gar nicht in seine Seele denken mögen, weil wir seinen guten Begriff von unserem Ich nicht teilen können – wir begreifen (trotz dem Bewußtsein unsers Wertes) nicht, wie man uns lieben könne; aber wir finden uns darein, wenn wir bedenken, daß der andere seinerseits ebensowenig unsere Liebe gegen ihn müsse fassen können. – –

Man erlaube mir, noch eine clausula salutaris oder ein zierliches Kodizill zu machen; um so mehr, da niemand schuld ist als Platner. Dieser behauptet, die Empfindung sei eigennützig, weil sie als diese nur unsern eignen Zustand darstelle; und nichts sei uneigennützig als unsere Vernunft. Aber erstlich muß der Begriff von Uneigennützigkeit, wenn er kein ausgehöhltes Vexier-Wort sein soll, ja bloß der Abdruck irgendeines uneigennützigen Zustandes in uns sein. Zweitens setzet das Gefühl des Eigennutzes das seines Gegenteils voraus. Wie der Blinde nicht nur kein Licht, sondern auch kein Dunkel kennt: so wüßten wir ohne Uneigennutz nichts vom Eigennutz, ohne Freiheit nichts von Sklaverei, so wie vielleicht eine Menge Dinge aus Mangel ihres Wechsels mit dem Gegenteil für uns auf dieser Welt im Dunkeln bleiben. Drittens frag' ich: wenn z. B. das Mitleid bloß darum eigennützig heißen soll, weil ein fremder Zustand voll Schmerzen zu unserem eigenen artet: welche höhere Uneigennützigkeit denn nur denkbar sei? Ich kenne nur die eine denkbare, daß man das fremde Ich noch heißer wie seines versorge, daß man seines vergesse, verschmähe, verstoße. – Aber dann wäre ja im eigentlichen Sinne das fremde Selbst in meines verkehrt – der Trieb wäre nur verpflanzet, nicht veredelt – und ich hätte bloß die Ichs getauscht. Denn eben darin beruhet der Nicht-Eigennutz, daß meine Natur trotz ihrer Selbstständigkeit in den Zustand einer fremden eingeht und daß ein Ich mehreren Ichs nachfühlt. Wie gesagt, wär's möglich, eine fremde Glückseligkeit durchaus ohne Wunsch einer eigenen zu begehren und ein fremdes Ich mit etwas anderem zu lieben als mit dem eignen – eine Unmöglichkeit selber bei Gott –: so wäre nichts erbeutet, denn ich besäße ja nur den fremden Trieb, und mein Eigennutz wäre bloß in ein fremdes Ich gezogen aus meinem...
 

Da ich diesen Aufsatz zweimal umgeschrieben: so hab' ich zweimal jenes stärkende Vergnügen gekostet, das uns erfrischet, wenn der Kopf die Wünsche des Herzens vidimieret und assekurieret. Indessen war ich doch nie so unglücklich, daß ich jemals – selber in den frühern Jahren, wo die junge Seele die Seelenwanderung durch die Philosophen wie durch Tiere anstellt und bald in jenen Kopf, bald in diesen fährt – in den Körper des Helvetius gefahren wäre und mit ihm mich im schmutzigen Glauben an einen allgemeinen Eigennutz aller Menschen – und zuletzt der ganzen Schöpfung, weil die Beweise dieselben sind – gewälzet hätte. Wahrlich ich wüßte nicht, was man an sich noch zu lieben hätte außer jener Liebe für andere, und ob uns irgendein Eigennutz unausstehlicher sein könnte als eigner. Glücklich ist der Mann, dem ein reifendes Herz und gute Menschen wie er und ein Horizont ohne Gewitter endlich die Überzeugung bescheret haben, daß – so wie die magnetische und elektrische Materie derselbe Universalgeist ist, der die Wolken, die Zitterfische und die Magneten zieht, der im Nordschein als milder Schimmer, im Gewitter als Wetterstrahl, im Menschen als Heiligenschein, in den FischenDie hiezu gehörige Note will ich, weil der Mensch glaubt, er müsse Noten schneller und kälter lesen, nachher in den Text versetzen. als Zug und Schlag und in den Nerven als Lebensgeist wirkt – glücklich ist der, sag' ich, der immer mehr glaubt, daß die Liebe, dieser menschliche Magnetismus, immer dieselbe geistige Elektrizität und Desorganisation verbleibe, sie mag als Blitz in der Geschlechter-Liebe – oder als sanfter Nord- und Heiligenschein in der Menschenliebe – oder als Lichtmagnet in der Freundschaft – oder als Nervengeist in der Mutterliebe erscheinen. – – Ich preise diesen Mann darum glücklich, weil er dann nicht nur Menschen wie Brüder, sondern auch Brüder wie Menschen lieben wird; ich meine, weil er, auf den Stufen der Blutsfreundschaft zu dem Gipfel der Geisterfreundschaft getragen, dann wieder jene durch diese veredeln und im Vater, Sohne, Geliebten, Freunde noch etwas Höheres außer dem Genannten lieben wird – – den Menschen. – Es gibt hinter diesem hohen Namen noch etwas Höheres, das wir an der ganzen Geisterwelt lieben können: Gott. –

 
Physische Note über den Zitteraal

Der Zitterfisch war gleichsam der erste ParagraphDer zweite oder zwanzigste wäre der Demant, den der Magnet zieht und der, gerieben, selber den Mastix zieht und der aus dem Orient ein Nichtleiter ist, und aus Brasilien ein Leiter. , der magnetische und elektrische Materie verband, da er (nach Hunter) zugleich positiv und negativ elektrisch ist und ordentliche Batterien an sich hat, und da er, wie die Aale, Neunaugen, Quappen, Schleien, Karauschen, am Magnet erlahmt. Vielleicht wird der Fisch auf eine bessere Art als der Fisch Oannes – der, nach einem Fragment des Berosus, alle Wissenschaften den Menschen gab – der Lehrer der Physik, da an ihm in dieser Materie wegen der Einfachheit der Kombinationen leichter etwas zu lernen ist als am magnetisierten Menschen, so wie ich eben darum glaube, daß die Pflanzen uns mehr Fensterläden und Fenstervorhänge am Lehrgebäude der Erzeugung öffnen können als die niedern Tiere, und diese mehr als wir. So wird die tierische Elektrizität der Fackelträger des tierischen Magnetismus werden.

Ich habe mich oft geärgert, daß die Physiker meistens nur sehen und lesen, anstatt das Gelesene und Gesehene zu kombinieren; noch mehr aber über die Naturgeschichtsschreiber, um deren Köpfe oft mehr Heiligenschein ist als wissenschaftlicher innen, weil sie, bei ihrer Einschränkung auf einen Ast und Blattstiel ihrer Wissenschaft, so leicht ihrem optischen und mikroskopischen Fleiße den Schein des Scharfsinns zu erteilen wissen. – Ich würde mich schämen, wenn ich vor Franklin ein großer Physiker gewesen wäre; – denn ich würde dann so gut wie andere zu meiner Schande die Witterung und die Gewitter beleuchtet und erkläret haben ohne das Licht der elektrischen Materie. Und so steht jetzt ein Montblanc von aufgehäuften elektrischen Erfahrungen vor allen Kathedern, und allen fehlet noch das Senfkorn des Glaubens zum Heben des Bergs.

Ich habe zuweilen gewünscht, man sollte nach nichts fragen, sondern die physikalischen Data ordentlich zusammenwürfeln und kombinieren wie Lessing die philosophischen oder andere die Musiknoten. Man würde doch sehen, was herauskäme, wenn man z. B. den Zitterfisch an desorganisierte Menschen, an Gewitterstangen, an Magnetnadeln vor- und nachmittags (weil sie nach den Tagszeiten verschieden deklinieren) hielte – oder wenn man in Hinsicht der elektrischen Fische bedächte, daß das Wasser ein Leiter und ein Leidenscher Kondensator ist, daß die Fische in einem vom Blitz getroffnen Teiche sterben und also sich so kalt anfühlen wie ein isolierter Mensch, den einer außer Rapport berührt. – – – Kurz ein Physiker sollte wie der Arzt wenig schreiben, wenn er nicht so viel wissenschaftlichen Witz zu physikalischen Kombinationen hätte als – Lichtenberg, und dieser sollte seines Orts wieder mehr schreiben. –


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