Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Fixlein schritt nach Hause unter dem Abend-Trompeterstückchen der Turm-Schallöcher und nahm unterweges höflich vor den leeren Fenstern des Schlosses den Hut ab: vornehme Häuser waren ihm so viel wie vornehme Leute, wie in Indien die Pagode zugleich den Tempel und den Gott bedeutet. Der Mutter brachte er erlogene Grüße mit, die ihm authentische zurückgab, weil sie nachmittags mit ihrer historischen Zunge und mit ihren naturforschenden Augen bei der weißmousselinenen Thiennette gewesen war. Die Mutter wies ihr jeden Notpfennig, den der Sohn in ihre große leere Geldtasche fallen ließ, und setzte ihn in Gunst beim Fräulein: denn Weiber neigen einem Sohn, der seiner Mutter zärtlich einige ihrer Wohltaten zurückzahlt, mehr und wärmer ihre Seele zu als wie einer den Vater versorgenden Tochter, vielleicht aus hundert Gründen und auch aus dem, weil sie von Söhnen und Männern mehr gewohnt sind, daß diese bloß fünf Fuß lange – Donnerwetter, behoste Wasserhosen oder doch ausruhende Orkane sind.

Seliger Quintus! an dessen Leben noch der Vorzug wie ein Adlerorden schimmert, daß du es deiner Mutter erzählen kannst, wie z. B. den heutigen Nachmittag im Seniorat. Deine Freude fließet in ein fremdes Herz und strömet daraus verdoppelt in deines zurück. Es gibt eine größere Nähe der Herzen, so wie des Schalles, als die des Echos; die höchste Nähe schmilzt Ton und Echo in die Resonanz zusammen.

Es ist historisch-gewiß, daß beide abends aßen und statt des Abhubs vom Diner, der morgen selber eines vorstellen konnte, bloß den Opferkuchen oder Matzen auf den Brand-Opferaltar des Tisches legten. Die Mutter, die für ihr leibliches Kind nicht bloß sich, sondern auch die übrigen Menschen willig hingegeben hätte, tat ihm den Vorschlag, dem Quintaner, der draußen spielte und einen Vogel statt sich aufätzte, keine Krume vom kostbaren Backwerk zu geben, sondern nur Hausbrot ohne Rinde. Aber der Schulmann dachte christlich und sagte, es sei Sonntag und der junge Mensch esse so gern etwas Delikates wie er. Fixlein gastierte, dotierte und schonte – als Gegenfüßler der Großen und Genies – lieber den dienenden Hausgenossen als einen Menschen, der das erstemal durchs Tor passieret und auf der nächsten Station seinen Gastfreund und den letzten Postmeister vergisset. Überhaupt hatte der Quintus Ehre im Leibe, und ungeachtet seiner Schonung und Latrie des Geldes, gab ers doch gern hin in Fällen der Ehre, und ungern in Fällen eines siegenden Mitleidens, das zu schmerzlich seinen Herzbeutel auffüllte und seinen Geldbeutel ausleerte. – Als der Quintaner das jus compascui auf dem Matzen exerzierte und als sechs Arme auf Thiennettens Freitisch ruhig lagen: las Fixlein sich und der Gesellschaft den flachsenfingischen Adreßkalender vor; etwas Höheres konnt' er sich außer Meusels gelehrtes Deutschland nicht gedenken – die Kammerherrn und geheime Räte des Kalenders liefen ihm, wie die Rosinen des Kuchens, kitzelnd über die Zunge, und von den reichern Pastoraten erhob er gleichsam durch Vorlesen den Sackzehend.

Er blieb absichtlich seine eigne Ausgabe auf sonntägigem Velinpapier; ich meine, er zog den Sonntagsrock sogar unter dem Gebetläuten nicht aus: denn er hatte noch viel vor.

Nach dem Essen wollt' er zum Fräulein, als er sie wie eine Lilie in die rote Dämmerung getaucht zu sehen bekam, im Schloßgarten, dessen westliche Grenzen sein Haus formierte, wie dessen südliche die sinesische Mauer des Schlosses ... Beiläufig, wie ich zu allem diesen gekommen bin, was Zettelkästen sind, ob ich selber dort war etc. etc. – das soll, so wahr ich lebe, dem Leser bald und getreulich überliefert werden, und das noch in diesem Buche. –

Fixlein hüpfte wie ein Irrlicht in den Garten, dessen Blumendampf an seinen Suppendampf anstieß. Niemand bückte sich tiefer vor einem Edelmann als er, nicht aus pöbelhafter Demut, noch aus gewinnsüchtiger Selbsterniedrigung, sondern weil er dachte: »Ein Edelmann bleibt doch immer das, was er ist.« Aber sein Bückling fiel (anstatt vorwärts) in die Quere rechts hinaus, gleichsam dem Hute nach: denn er hatte nicht gewagt, einen Stock mitzunehmen; Hut und Stock aber waren das Druckwerk und die Balancierstange, kurz das Bücklingsgetriebe, ohne das er sich in keine höfliche Bewegung zu setzen vermochte, und hätte man ihn dafür in das Hamburger Hauptpastorat voziert. Thiennettens Lustigkeit spannte seine zusammengerollte Seele bald wieder gerade und in den rechten Ton. Er hielt an sie eine lange nette Dank- und Erntepredigt für den schuppigen Kuchen, die ihr gut und langweilig zugleich vorkam. Mädchen ohne große Welt rechnen langweilige Pedanterie bloß wie das Schnupfen zu den notwendigen Ingredienzien eines Mannes; sie verehren uns unendlich, und wie Lambert den König in Preußen wegen seiner Sonnenaugen nur im Finstern zu sprechen vermögend war, so ists ihnen oft, glaub' ich, lieber – eben wegen unsers erhabnen Airs –, wenn sie uns im Finstern erwischen können. – Ihn erbauete Thiennettens Reichsgeschichte und Kaiserhistorie vom Herrn von Aufhammer und der gnädigen Frau, die ihn ins Testament setzen will; sie erbauete seine Gelehrtenhistorie, die ihn und den Subrektor betraf, wie er selber z. B. in der Sekunda vikariere und über Schüler regiere, so lang gewachsen wie er. Und so gingen beide zufrieden zwischen roten Bohnenblüten, roten Maikäfern, vor der immer tiefer am Horizonte niederbrennenden Abendröte den Garten auf und ab und kehrten allemal lächelnd vor dem Kopfe der Gärtnerin um, der wie ein Scheibenbild in das kleine Schiebfenster eingesetzet stand, das wieder in ein größeres gefasset war.

Mir ists unbegreiflich, daß er sich nicht verliebte. Ich weiß zwar seine Gründe: erstlich hatte sie nichts; zweitens er nichts und Schuldenlast dazu; drittens war ihr Stammbaum ein Grenzbaum und Verwahrungsstock; viertens band ihm noch ein edlerer Gedanke die Hände, der aus guten Gründen dem Leser noch verhalten wird. Gleichwohl – Fixlein! hätt' ich nicht an deinem Platze sein dürfen! Ich hätte sie angesehen und mich an ihre Tugenden und an unsere Schuljahre erinnert und dann mein weichflüssiges Herz hervorgezogen und es ihr wie einen Wechselbrief präsentieret oder wie ein Ratsdekret insinuieret. Denn ich hätte erwogen, daß sie es einer Nonne in zweierlei nachtue, im guten Herz und im guten Backwerk – daß sie trotz ihres Umganges mit männlichen Frönern doch keine Karl Genofeva Louise Auguste Timothee Eon von Beaumont sei, sondern eine glatte, blonde, gehäubte Taube – daß sie mehr ihrem Geschlechte als unserem zu gefallen suche – daß sie ein zerfließendes Herz, das nicht erst vom Bücherverleiher abgeholet ist, in Tränen zeige, deren sie sich aus Unschuld mehr schämt als rühmt – – Schon vor der dritten Rabatte wär' ich bei solchen Gründen dagewesen mit der Spende meines Herzens. – Hätt' ich vollends bedacht, Quinte! daß ich sie kenne wie mich selber, daß ihr und mir (wär' ich nämlich du gewesen) von demselben Senior die lateinischen Hände zum Schreiben geführet worden sind – daß wir uns als unschuldige Kinder vor dem Spiegel geküsset, um zu sehen, ob es die beiden Vexierkinder im Spiegel nachmachen – daß wir oft die Hände beiderlei Geschlechts in einen Muff geschoben und sie darin Versteckens spielen lassen; – – hätt' ich endlich überdacht, daß wir ja gerade vor dem in der Schmelzmalerei des Abends glimmenden Glashause ständen, an dessen kalten Scheiben wir beide (sie innen, ich außen) die heißen Wangen, bloß durch den gläsernen Ofenschirm gespalten, einander entgegengepresset hatten: so hätt' ich die arme, vom Schicksal auseinandergedrückte Seele, die gegen ihr Wettergewölk keine größere Erhöhung zur Wetterscheide vor sich sieht als das Grab, an meine gezogen und sie an meinem Herzen erwärmt und mit meinen Augen umgürtet ...

Wahrlich der Quintus hätt' es auch getan, hätt' es der oben gedachte edlere Gedanke, den ich verhalte, erlaubt! – Weich, ohne die Ursache zu wissen – daher er seine Mutter küßte –, und selig, ohne ein gelehrtes Gespräch geführet zu haben, und mit einer Fracht von untertänigen Empfehlungen entlassen, die er morgen vor der Dragonerrittmeisterin abzuladen hat, kam er im kleinen Häuschen an und sah noch so lange aus seinen dunkeln Fenstern an die leuchtenden des Schlosses. – Und noch als schon das erste Viertel des Mondes im Untergehen war, um 12 Uhr, schloß er vor dem kühlen Anwehen eines milden, duftenden, feuchten und das Herz beim Namen rufenden Nachtlüftchens noch einmal die Augenlider eines schon träumenden Blickes auf ...

Schlafe, denn du hast heute noch nichts Böses getan! – Ich will, während die hängende geschlossene Blumenglocke deines Geistes sich auf das Kopfkissen senkt, hinausschauen in die wehende Nacht auf deinen morgendlichen Fußsteig, der dich durch transparente Wäldchen nach Schadeck zu deiner Gönnerin führt. Der Rittmeister bricht schon um ein Uhr auf. Du und deine Schutzpatronin sitzen also morgen allein beisammen. Es gelinge dir alles, närrischer Quintus! –


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