Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Kann ein Sterblicher, kann ein Ich im feuchten Erdenkloße, den der Tod bald zu Staub austrocknet, mehr in einer Woche fodern, als Fixlein in sein Herz einschöpfte? Ich sehe nicht ein, wienach: ich sollte wenigstens glauben, wenn ein solches eingestäubtes Wesen nach einer solchen Quaterne aus dem Lotto des Zufalls noch etwas verlangen könnte, so wär's höchstens die Quinterne, nämlich die Ein- oder Anzugspredigt selber. –

Um diesen Gewinst zog unser Zebedäus denn wirklich am Sonntage: er predigte – er predigte einziehend – er tats vor drängenden knisternden Emporen, vor dem Vormund und vor dem Herrn von Aufhammer, dem Namensvetter vom Pfarrer und Hund – er weidete Beichtkinder, mit denen er sonst als Kind das Schloßvieh auf die Weide klatschte, jetzt selber als Seelen-Schmierschäfer – er stand mit seinen Füßen bis an die Knorren in Kandidaten und Schulleuten wie in Gras, weil er heute (was sie alle nicht dürfen) auf dem Altar mit der Ätznadel des Fingers ein großes Kreuz in die Luft einsägen durfte, Taufen und Kopulieren nicht einmal gerechnet... Ich glaube, ich sollte mich weniger bedenken, als ich tue, über diese sonnenhelle Esplanade den schmalen Grabesschatten ziehen zu lassen, den der Pfarrer darauf warf, da er in der Nutzanwendung mit schweren nassen Blicken in der stummen lauschenden Kirche umhersah, als wollt' er gleichsam in irgendeinem Kirchenstuhl oder in dem Beichtstuhl den verstäubenden Lehrer seiner Jugend und dieser Gemeinde suchen, der draußen unter dem weißen Grabesstein, der Kehrseite des Lebens, die Hülle seines frommen Herzens ablegte. – Und als er, selber fortgeschwemmt von innern Strömen, unaussprechlich erweicht durch die vierfache Erinnerung an seine Todesfurcht an eben diesem Tage, an sein mit Blumen und Wohltaten durchbrochenes Leben, an seine unter seiner Kanzel ruhende eingesargte Wohltäterin, als er da vor dem zerflossenen Angesicht ihrer Freundin, seiner Thiennette, hingerissen und starr und tränend von der Kanzel auf die Türe zur rittmeisterlichen Familiengruft hinuntersah und sagte: »Habe Dank, du fromme Seele, für alles, was du Gutes an dieser Gemeinde und an ihrem neuen Lehrer getan, und der Staub deiner gottesfürchtigen und menschenfreundlichen Brust lege sich einmal verkläret wie Goldstaub um dein auferwecktes himmlisches Herz!« war da wohl ein Auge in der Gemeinde noch trocken? Ihr Gatte schluchzete laut, und ihre Geliebte, Thiennette, bückte das von trostlosen Erinnerungen niederfallende Haupt auf das Pult des Kirchenstuhls wie Verwandte eines Trauergefolges. –

Kein schönerer Vormittag als dieser konnte einem Nachmittag vorarbeiten, wo man sich auf ewig verlobt, und wo man die gewechselten Ringe mit dem Ringe der Ewigkeit zusammenkettet. Außer dem Brautpaar war niemand dabei als ein altes Paar, die Mutter und der lange Vormund. Der Bräutigam setzte selber eigenhändig den Ehekontrakt oder Ehezärter auf, worin er ihr seine ganze fahrende Habe – nicht etwan seine Handbibliothek, sondern seine ganze Bibliothek, anstatt daß man im Mittelalter den Edeltöchtern nur einige Bücher zum Brautschatz gab – von heute an verhieß, – wogegen sie freilich genug zubrachte, nämlich einen ganzen Braut- oder Kammerwagen oder doch Kammer- oder Brautkarren. Auf diesen Eliaswagen, mit dem Mädchen in den Bette-Himmel hinauffahren, waren geschlichtet: neun Pfund Federn, nicht gelehrte, historische oder poetische Federn, noch solche, die man trägt, sondern die kleinern, die uns selber tragen – ein prächtiges Dutzend Patenteller und Patenlöffel samt einem Fischlöffel – von Seide nicht nur Strümpfe (wiewohl selber ein König Heinrich II. von Frankreich nichts in Seide kleiden konnte als sein Bein), sondern ganze Röcke – und Kleinodien und Möblen von kleinerem Wert. Gute Thiennette! auf dem Wagen deiner Psyche liegt der wahre Brautschatz, nämlich dein edles, sanftes, bescheidenes Herz, die Morgengabe der Natur! –

Der Pfarrer, der nicht aus Mißtrauen, sondern »Lebens und Sterbens wegen« auf alle Dinge gern ein Notariatssiegel gehabt hätte, dem keine Versicherung zuverlässig schien als eine hypothekarische, und der über jedes Stäubchen Belege, Quittungen und Kontrakte abverlangte, hatte nun, als der Ehezärter zustande war, ein leichteres Herz; und für das Eingebrachte dankte der gute Mann den ganzen Abend der Braut. Aber für mich wäre ein Ehekontrakt etwas so Peinliches und Widersinniges – ich gesteh' es aufrichtig, und rückte man immerhin mir deswegen meine große Jugend vor –, als wenn ich meine Liebesbriefe erst von einem kaiserlichen Notarius müßte vidimieren und kontrasignieren lassen: beim Himmel! die leichte Blume der Liebe, deren Duft den Waagbalken nicht zieht, wie Tulpenzwiebeln, so auf der Heuwaage der Justiz zu sehen, zwei Herzen auf der kalten Rats- und Fleischwaage der Eltern und Advokaten, die in die Schalen bloß Häuser, Felder und Zinn auftürmen... das mag den Interessenten so wohltun wie dem trunknen Säugling und Zögling einer Muse und der Philosophie, wenn er die Abend- und Morgenandachten vor seiner Göttin in den Buchladen tragen und nun die Andachten ins Geld setzen und an sie Kontrakte und Ellenmaß applizieren muß. – –

Vom Kantate-Sonntag bis zur Himmelfahrt, d. h. zur Heimfahrt oder Hochzeit, sind anderthalb Wochen – oder anderthalb selige Ewigkeiten. Wenn es schön ist, daß Nächte oder Winter die Tags- oder Jahreszeiten der Freude ziemlich weit auseinanderhalten, wenn es z. B. schön ist, daß man nicht den Geburts-, Namens-, Verlobungs-, Hochzeit- und Tauftag auf einem Tage erlebt – denn bei den wenigsten fällt z. B. Hochzeit- und Tauftag wie Fest- und Aposteltag zusammen –: so ists noch schöner, den Zwischenraum, die Blumenrabatte zwischen Verlobung und Hochzeit außerordentlich weit zu machen. Vor dem Hochzeittag sind die wahren Honigwochen – dann kommen die Wachswochen – dann die Honigessigwochen.

Im neunten Zettelkasten schlägt der Pfarrer schon sein Brautbette auf – und ich will hier im achten nur kurz darüber wegfahren, wie es ihm bis dahin erging: natürlicherweise himmlisch genug. Es glückt wenigen so wie ihm, schon vor der Hochzeit so große Flügel und so große Blumen (auf die er fliegen kann) zu haben, es glückt wenigen, denk' ich, Mehl und Geflügel selber einzukaufen auf den besagten Tag, wie Fixlein tat – den Vermählungs-Truthahn mit Henkersmahlzeiten zu stopfen – alle Abende in den Stall zu gehen, um nachzusehen, ob das hochzeitliche Schwein, womit der Vormund das Hochzeitgeschenk gemacht, noch steht und frisset – der künftigen Frau die Flachs-Kammern und Kleiderschrank-Nischen auszusuchen im Hause – neue Lagerbäume (nicht Lagerbier) im Pfarrkeller einzulegen Winters wegen – vom Konsistorium sogleich und für weniges Sündengeld die Dispensationsbulle, nämlich den Nachlaß der dreimaligen Proklamation, in die Tasche zu bekommen – in keiner Stadt zu wohnen, wo man zu jedem Narren (weil man selber einer ist) schicken muß, um ihm zu eröffnen, man lasse sich kopulieren, sondern in einem winzigen Dörfchen, wo man niemand etwas zu berichten hat als dem Schulmeister, damit er später läute und einen Kniepolster ans Altargeländer breite. – –

O wenn der Ritter Michaelis behauptet hat, das Paradies wäre klein gewesen, damit sich die Menschen nicht auseinander verliefen: so ist ja ein Dorf und seine Freude klein und eng, damit doch ein etwaiger Nachriß von Eden noch auf unserer Kugel stehe. – –

Ich habe es nicht einmal angeführet, daß tags vor der Hochzeit der Regimentsquartiermeister ungerufen kam und das Schwein abstach und gratis Würste machte, wie man noch an keinem Hofe aß.

Und doch, lieber Fixlein, schwamm auf diesem lindernden fetten Freudenöl obenauf noch umsonst eine Frühlingssonne – und Abendröten – und Blumenketten – und eine halbe berstende Knospen-Welt!

Wie benahmst du dich in diesen heißen Strudeln der Lust? – Du bewegtest deinen Fischschwanz (die Vernunft) und schriebest dir damit eine rechtläufige Bahn durch die Wogen vor. Denn schon halb so viel würde einen andern Pfarrer aus seiner Studierstube fortgerissen haben; aber eben was unsern so beglückte, war der Grenzhügel der Mäßigkeit, auf dem er wie eingewurzelt verblieb und von da herab erblickte, was tausend andere verscherzen. Er war, den Schloßfenstern gegenüber, doch imstande, es auszuzählen, daß Amen in der Bibel hundertunddreißigmal vorkomme. Ja er stieß an sein altes gelehrtes Laboratorium noch einen neuen chemischen Ofen an: er wollte nach Nürnberg und nach Baireuth an die Senftischen Gebrüder schreiben und ihnen seine Feder antragen, sowohl für die Kalender-Praktika hinten als für einzelne Aufsätze vornen unter jedes Monatskupfer, weil er in die Denkungsweise des gemeinen Mannes reformierend einzugreifen willens war... Und da er jetzt als Pfarrer weniger zu tun hatte und an den heiligen Ruhetag der Gemeinde sechs literarische Schöpfungstage schließen konnte: so wollt' er (schon in diesen Faschingswochen) in die noch ganz brach liegende Landesgeschichte von Hukelum seinen Pflug einsetzen und mit der Säemaschine nachkommen...


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