Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Sechster Zettelkasten

Ämter-Impost – eine der wichtigsten Suppliken

Das Herrlichste war sein Erwachen in seiner europäischen Niederlassung im Ritterbette! – Mit dem inflammatorischen kitzelnd-nagenden Fieber der Liebe in der Brust, mit dem Frohlocken, daß er nun das Antrittsprogramm der Liebeserklärung glücklich hinter sich hatte, und mit der süßen Auferstehung aus der lebendigen prophetischen Begrabung und mit der Freude, daß er nun in seinen Dreißigern zum ersten Male die Hoffnung zu einem längern Leben – und ist das nicht wenigstens zu einem siebzigjährigen? – hatte als vor zehn Jahren, mit allem diesen gärenden Lebensbalsam, in dem das lebendige Feuerrad seines Herzens sprühend umlief, lag er da und lachte zu seinem blitzenden Porträt im gespiegelten Betthimmel hinauf; aber er vermocht' es nicht lange, er mußte sich bewegen. Einem minder Glücklichen wär' es hinreichend gewesen, den Flächeninhalt des Bettes – wie es manche Pilger mit der Länge ihrer Wallfahrt taten – nicht sowohl durch Schritte als durch Körperlängen wie durch Erddiameter herauszumessen. Aber Fixlein mußte mir nichts, dir nichts aus dem Bette setzen gleichsam mitten ins warme flutende Leben hinein – er hatte nun seine liebe gute Erde wieder beim Flügel und das Konrektorat darauf und obendrein eine Braut. Noch dazu bekannte ihm unten die Mutter, daß er heute nacht wirklich dem Freund Hein unter der Sichel durchgeschlüpfet sei wie biegsames Gras, und daß sie es ihm nur gestern aus Furcht vor seiner Furcht nicht habe sagen wollen. Noch jetzt überliefs ihn kalt – zumal da er heute nüchtern war –, wenn er zu dem nun vier Stunden abgelegenen hohen tarpejischen Felsen hinaufsah, auf dessen Zinne er gestern mit dem Tode beisammen gestanden war.

Das einzige, was ihn ärgerte, war, daß es Montag war und er zurück ins Gymnasium mußte. Eine solche Überfracht von Freuden hatt' er nie auf seiner Straße zur Stadt. Jetzt nach vier Uhr tritt er aus dem Hause voll Kaffee (den er in Hukelum nur der Mutter wegen trank, die diesen weiblichen Wein noch zwei Tage darauf über die Hefen des Bodensatzes abzog) in den kühlenden dämmernden Maimorgen hinein (denn die Freude braucht Kühle, der Kummer Sonne) – seine Verlobte kömmt ihm (zwar nicht entgegen, aber doch) zu Ohren durch ihr fernes Morgenlied – er macht nur einen augenblicklichen Abstecher in den Glückshafen der blütetrunknen Akazienlaube, die noch wie der Bund, der darin geschlossen wurde, keine Stacheln hat – er taucht seine heiße Hand in das Kühlbad des betaueten Laubes – er watet mit Lust durch das über die Fluren gesprengte Schönheitswasser des Taues, das den Stiefeln die Farbe wegfrisset, die es den Gesichtern erteilt (»denn nun mit 30 Dukaten kann sich ein Konrektor schon zwei Paar Stiefel auf der Streu halten«) – Jetzt taucht sich der Mond (gleichsam das hängende Siegel an seiner gestrigen Wonne) in Abend ein als ein ausgeleerter Eimer des Lichts, und in Morgen ging der zweite übervollgeschöpfte Eimer, die Sonne, in die Höhe, und die Güsse des Lichtes flatterten immer breiter. –

Die Stadt stand in himmlischen Morgenflammen: hier fing seine Wünschelrute (die Goldstange, die er bis auf den abgebrochenen 1/16 Zoll bei sich trug) über allen Stellen zu schlagen an, wo sich Ausbeuten und Silberadern der Lust versteckten, und unser Rutengänger entdeckte leicht, daß die Stadt und die Zukunft ein wahres ganzes Freuden-Potosi waren.

In seinem Konrektorats-Stübchen fiel er auf die Knie und dankte Gott – nicht sowohl für Erbschaft und Braut als – für sein Leben: denn er war mit Zweifeln Sonntags früh fortgegangen, ob er wiederkommen werde, und ich habe nur aus Liebe zum Leser, weil ich dachte, er ängstige sich, Fixleins Reise mehr seiner Begierde, das Testament zu wissen, als dem Wunsche, sein eignes bloß bei seiner Mutter zu machen, oben listig zugeschrieben. Jede Genesung ist eine Wiederbringung und Palingenesie unserer Jugend: man liebt die Erde und die, die darauf sind, mit einem neuen Herzen. – Der Konrektor hätte die ganze Sekunde beim Kopfe nehmen und abherzen mögen, aber er tats nur seinem Adjutanten, dem Quartaner, der im ersten Zettelkasten noch als Quintaner saß ...

Sein erster Gang aus der Nachmittagsschule war ins Haus des Meister Steinbergers, worin er, ohne ein Wort zu sagen, 50 fl. in Dukaten bar auf den Tisch zählte: »Endlich stoß' ich«, sagte Fixlein, »doch die Halbscheid meiner Schuld ab mit vielem Danke.« – »Ei, Herr Konrektor«, (sagte der Regimentsquartiermeister und wurstete ungestört fort) »in meiner Obligation steht: ›heimzuzahlen nach vierteljähriger beiderseitiger Aufkündigung‹. – Wie wollte unsereiner sonst bestehen? – Aber auswechseln will ich Ihm die Goldstücke.« – Darauf riet er ihm, es wäre gescheuter, wenn er ein paar Gulden davon nähme und sich einen bessern Hut und ganze Schuhe bestellte: »Wenn Er sich«, setzte er hinzu, »die Kalbshaut und sechs Hasenfelle zurichten lassen will: droben liegen sie.« – Ich sollte doch denken, meinen Lesern sei es ebensowenig gleichgültig als dem Metzger, ob der Held einer solchen Geschichte ihm mit einem abgegriffenen Pfanndeckel von Hut und mit einem Pumpenstiefel und Beinharnisch von Stiefel entgegenkomme oder nicht. – Kurz der Mann trug sich noch vor Johannistag mit Geschmack und Pracht.

Jetzt aber waren zwei äußerst wichtige Aufsätze – im Grunde nur einer, die Supplik um die Hukelumer Pfarrei – auszuarbeiten, wobei mir ist, als müßt' ich selber mithelfen ... Es wäre einfältig, wenn gerade jetzt das gesamte Publikum nicht achtgäbe.

Zuvörderst suchte und schlichtete der Konrektor alle Konsistorial- und Ratsquittungen oder vielmehr die Zollscheine des Weggeldes zusammen, das er geben müssen, eh' ihm die Schlagbäume am Quintat und Konrektorat aufgezogen wurden: denn der Exekutor des rittmeisterlichen Testamentes mußte ihm alles, wie Quittung besagen würde, bei Heller und Pfennig gut tun. Ein anderer hätte diese ganze Amts-Akzise leichter zusammensummiert, indem er bloß nachgesehen hätte, was er – schuldig wäre, weil diese Schuld- und jene Zollscheine wie Parallelstellen einander gegenseitig erklären und vidimieren. Aber bei Fixlein waltete ein Nebenumstand vor, den ich nicht eher referieren kann als nach dem folgenden.

Es verdroß ihn ein wenig, daß er für seine zwei Ämter nicht mehr als 135 fl. 41 kr. ½ Pf. hatte zahlen und borgen müssen. Die Erbschaft ging zwar sogleich aus des testamentlichen Vollstreckers Händen in des Regimentsquartiermeisters seine; er hätt' es aber doch gern gesehen, er hätte – denn ein Mensch ist ein Narr von Haus aus – mehr zu zahlen und also zu erben gehabt. Das ganze Konrektorat hatte er durch einen Einsatz von wenigen 90 fl. gleichsam aus dem Glücksrade gezogen; und eine so kleine Debetsumme wird den Leser wunder nehmen; was wird er aber erst denken, wenn ich ihm sage, daß es Länder gibt, wo die Entreegelder in Schulstuben noch mäßiger sind? Im Scheerauischen kostet ein Konrektor nur 88 fl., und er hat vielleicht noch das Triplum dieser Summe einzunehmen. Ohne an Sachsen zu denken – was freilich von der Wiege der Reformation in der Religion und in der schönen Literatur nicht anders zu erwarten ist –, wo ein Schul- und Pfarrherr nämlich gar nichts zahlt: so ist es schon im Baireuthischen, z. B. in Hof, mit der Aufklärung so weit, daß ein Quartus – was sag' ich ein Quartus – ein Tertius! – was sag' ich ein Tertius – ein Konrektor vor Antritt seines Postens nicht mehr zu erlegen braucht als:

fl. rhein. kr. rhein.
        30         49     für Verpflichtung bei dem Konsistorio.
4 dem Stadtsyndikus für die Vokation.
2 dem regierenden Bürgermeister.
45 7 ½ für das Regierungsdekret.

Summa 81   fl. 56 ½ kr.

Laufen auch die Druckkosten eines Rektors in einigen Artikeln höher auf: so kommt hingegen ein Tertius, Quartus etc. noch wohlfeiler aus der Presse als selber ein Konrektor. Ich gesteh' es, dabei kann ein Schulmann auskommen, da er schon im ersten Jahr einen Überschuß über dieses Schwanzgeld seines Amtes einnimmt. Es muß ein Schullehrer schon wie seine Schüler von einer Klasse zur andern avancieret sein, ehe seine Staatsanleihen samt den Verzögerungszinsen so viel betragen, als er in der höchsten einnimmt. Noch dazu sind unsere Einrichtungen nicht dagegen – welches doch die athenischen taten –, daß man die Ämter verschuldet antritt, sondern jeder ersteigt mit dem Ranzen seiner Schuldenlast unangefochten eine Stufe nach der andern. Der Papst erhebt bei großen Pfründen die Einkünfte des ersten Jahres unter dem Titel Annaten, und er schenkt daher eine große allzeit dem Inhaber einer kleinern, um fremde und eigne Intraden zugleich zu mehren; – es zeigt aber, dünkt mich, einen schönen Unterschied zwischen Papst- und Luthertum, daß die Konsistorien des letztern den Schul- und Kirchendienern vielleicht kaum zwei Drittel der ersten jährlichen Amtes-Einkünfte abnehmen, ob sie gleich sonst wie der Papst auf die Erledigungen der Stellen aus sind.


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