Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Achter Zettelkasten

Einzug in die Pfarre

Den 15ten April 1793 kann der Leser tief im Hohlweg drei Bagagewägen waten sehen. – Die Güterwägen fahren den Hausrat des neuen Pfarrers nach Hukelum: der Eigentümer marschieret selber mit den Beichtkindern, damit an seinem Ton-Service und Ameublement nichts im achtzehnten Säkulum zerstoßen werde, da es aus dem siebzehnten ganz herüberkam. Fixlein höret hinter sich die Schulglocke läuten; aber dieses Glockenspiel orgelt ihm wie eine Abendglocke die Lieder künftiger Ruhe vor: er ist nun aus dem Jammertal des Gymnasiums erlöset und in den Sitz der Seligen aufgenommen. – Hier wohnet kein Neid, kein Kollege, kein Subrektor – hier im Himmelreich arbeitet niemand an der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek mit – hier im himmlischen hukelumischen Jerusalem tut man nichts als Gott preisen in der Kirche, und hier hat der Vollendete keinen Zuwachs an Kenntnis mehr nötig... Auch hat man hier keinen Kummer mehr darüber, daß oft Sonntag und Aposteltag in einen Tag zusammenfallen.

Die Wahrheit zu sagen, geht der Pfarrer zu weit; es war aber von jeher seine Art, sich die ganzen und halben Schatten einer Lage erst auszumalen, wenn er schon in einer neuen war und also diese durch die Kontraste der alten heben konnte. Denn man braucht nicht viel Nachdenken, um einzusehen, daß die Höllenleiden eines Schulmanns nicht so außerordentlich, sondern vielmehr, da er am Gymnasium von einer Stufe zur andern steigt, den wahren Höllenstrafen ähnlich sind, die trotz ihrer Ewigkeit von Säkulum zu Säkulum schwächer werden. Da noch dazu nach dem Ausspruch eines Franzosen deux afflictions mises ensemble peuvent devenir une consolation: so hat man in einer Schule Leiden genug zum Troste, da aus acht zusammengegossenen Affliktionen – ich rechne nur auf jeden Lehrer eine – gewiß mehr Trost zu schöpfen ist als aus zweien. Nur schlimm ists, daß sich Schulleute nie so vertragen wollen wie Hofleute: nur polierte Menschen und polierte Gläser kohärieren leicht. Noch dazu wird man in Schulen – und überhaupt in Ämtern – allemal belohnt; denn wie im zweiten Leben eine größere Tugend der Lohn der hiesigen ist: so werden dem Schulmann seine Verdienste durch immer mehrere Gelegenheiten zu neuen bezahlt, und er wird oft gar nicht aus seinem Amte fortgelassen. –

Acht Gymnasiasten trabten im Pfarrhause herum, stellten auf, nagelten an, schleppten zu: ich denke, als ein Schüler Plutarchs durft' ich solche Kleinigkeiten einmischen. Wen Erwachsene lieben, den lieben Kinder noch stärker. Die ganze Schule hatte dem lächelnden Fixlein nachgelächelt und ihn gern gehabt, weil er nicht donnerte, sondern spielte mit ihnen – weil er Sie zu den Sekundanern sagte, und der Subrektor Ihr – weil sein sich aufbäumender Zeigefinger sein einziger Zepter und Bakel war – weil er in der Sekunda mit seinen Schülern lateinische Briefe wechselte und in der Quinta mit Zuckerstengeln statt mit Neperischen Stäben (oder statt mit noch längern) die vier Spezies eingeflößt hatte. – Sein Kirchdorf kam ihm heute so feierlich und festlich vor, daß er sich – ob es gleich Montag war – wunderte, warum die Pfarrkinder und die Eingepfarrten nicht in der Festtags-Draperie steckten, sondern im Alltags-Balg. Unter der Pfarrtüre stand eine weinende Frau: denn sie war zu glücklich, und er war ihr – Sohn. Die Mutter vermochte es in der größten Zerschmelzung ganz leicht, die Fuhrleute unter dem Abladen anzumahnen, nicht die vier Globen aus der altfränkischen Kommode auszudrehen. Ihr Sohn erschien ihr jetzt so ehrwürdig, als stellete er in ihrer Bilderbibel einen in Kupfer gestochnen Figuranten vor – und das darum, weil er den pädagogischen Zopf, wie der reifende Frosch den Schwanz, abgeworfen hatte und nun in einer kanonischen Perücke dastand: er war jetzt ein Komet, der sich von der profanen Erde entfernet, und der mithin wie jeder himmlische aus einem Schwanzstern zu einem Haarstern wird.

Auch seine Braut hatte tags vorher recht viel an einer verbesserten prächtigen Edition seines Hauses mitgearbeitet, unter andern Dekorateurs und Dekrotteurs desselben. Aber heute blieb sie weg; denn sie war zu gut, um über die Braut das Mädchen zu vergessen. Die Liebe stirbt wie die Menschen öfter am Übermaß als am Hunger; sie lebt von Liebe, aber sie gleicht den Alpenpflanzen, die sich vom Einsaugen der nassen Wolken ernähren, und die zugrunde gehen, wenn man sie besprengt. –

Jetzt ist der Pfarrer eingezogen, und er wird auf der Stelle – denn ich kenne die Leserinnen, die darauf erpicht sind, als wären sie Kränzeljungfern – heiraten sollen. Aber er mag nicht: vor Himmelfahrt wird nichts daraus, und dahin sind vierthalb Wochen gut. Die Sache ist die: er wollte nur erst den Brandsonntag, nämlich den Kantatesonntag, übersteigen; nicht etwan, weil er an seiner Erden-Fortdauer zweifelte, aber er wollte (schon der Braut wegen) auch nicht die kleinste Todesangst in seine Flitterwochen bringen.

Die Hauptsache war, er wollte sich nicht gern verheiraten vor der Verlobung, die samt der Anzugspredigt auf den nächsten Sonntag verlegt wird. Es ist der Kantate-Sonntag. Der Leser lasse sich nur keine Angst einjagen. Ich hätte überhaupt mit diesem phantastischen Sonntags-Wauwau eines der aufgeklärtesten Jahrhunderte nicht behelligt, zeichnete ich nicht so äußerst treu. Fixlein wurde – zumal da ihn der Quartiermeister fragte, ob er denn ein Kind wäre – endlich selber so gescheut, daß er die Narrheit einsah; ja er ging so weit, daß er eine größere beging: da nämlich ein Traum, daß man sterbe, nach der exegetischen regula falsi nichts bedeutet als langes Leben und Wohlergehen: so zog er sich leicht den Schluß ab, sein Todes-Wahn sei ein solcher guter Traum, um so mehr, da gerade an den Kantate-Sonntagen die Fortuna ihr Fruchthorn über ihn gehalten und umgestürzet hatte, um ihn mit einer Braut, einer Vokation und mit Zopfdukaten zu beschütten. So wachsen dem Aberglauben die Federn, der Zufall mag ihnen dienen oder schaden.

Ein Staatssekretär, ein Friedens-Instrumentenmacher, ein Notarius, ein solcher Baugefangener am Pulte fühlt es recht gut, wie weit er unter einem Pfarrer sitze, der seine Anzugspredigt fertigt: dieser (man sehe nur meinen Fixlein an) hockt dort – sprützet das Geäder seines Predigt-Präparats mit bunter Dinte aus – hat eine Spruchkonkordanz auf der rechten Seite, eine Liederkonkordanz auf der linken, kernet dort Kernsprüche aus, schneidet hier Lieder-Blumen ab, um mit beiden sein homiletisches Backwerk zu garnieren – zeichnet den feinsten Operationsplan hin, um nicht etwa, wie ein Weltmann, das Herz einer Frau, sondern die Herzen aller zuhörenden Weiber und der Männer ihre dazu zu gewinnen – ziehet jeden vor dem Fenster vorbeifahrenden Bauer mit in seinen Plan und sticht letztlich die Butter der weichen glatten Haupt- und Kanzellieder aus dem Gesangbuch aus und fettet damit bestens die schwarze Suppe der Predigt bei der Speisung der 5000 Mann. – –

Endlich kann er abends mit einem Herzen ohne Schuld aufstehen und abbrechen, weil die rote Sonne auf dem Schreibtisch blendet, und kann zwischen schreienden Spatzen und Finken so lange über die um die Pfarre gezognen Kirschenbäume nach Abend schauen, bis nichts mehr am Himmel ist als ein mattes Nachglimmen des Gewölkes. – Und wenn dann Fixlein die Treppe unter dem Gebetläuten langsam hinuntergeht zur kochenden Mutter: so müßt' es nicht natürlich zugehen, wenn er nicht alles recht und gut finden wollte, was drunten getan oder gebacken oder aufgetragen wurde.

Ein Sprung nach dem Abendessen ins Schloß – ein Blick in ein gutes zärtliches Auge – ein Wort ohne Falsch gegen eine Braut ohne Falsch – und eine sanft atmende Brust unter dem Deckbette, in der nichts ist als das Paradies, eine Predigt und ein Abendgebet... beim Himmel! damit will ich einen mythischen Gott zufriedenstellen, der seinen Himmel verlassen hat, um einen neuen hier unter uns zu finden.


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