Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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2. Der Mond

Phantasierende Geschichte

Dedikation an meine Pflegeschwester Philippine

Ich habe mich noch in keinem Buche darüber aufgehalten, gute Pflegeschwester, daß ihr Mädchen aus dem Monde so viel macht, daß er der Joujou eueres Herzens ist und das Nestei, um das ihr die andern Sterne herumlegt, wenn ihr Phantasien aus ihnen aussitzt. Er soll auch ferner das Zifferblattsrad der Ideen bleiben, auf die euer Gesicht als eine Monduhr zeigt (denn unseres ist eine Sonnenuhr), da er wie ein blinkendes Stahlschild im schwarzen Atlasgürtel des Himmels steht – da er nichts schwärzt – da er vielmehr ein Licht wirft, gegen das man keinen Schleier überhängen muß, weil es selber wie einer auf dem Gesichte liegt – da er überhaupt die Sanftmut und Liebe selber ist. Aber über etwas anders könnte man zanken – darüber, daß ihr den guten Mond und seinen da ansässigen Mann mehr lieben und sehen als kennenlernen wollt, wie ihrs auch bei Männern unter dem Monde tut. Es ist leider kein Geheimnis, beste Schwester, daß schon tausend Mädchen kopulieret und beerdigt worden, die jene silberne Welt droben wirklich für nichts anders gehalten haben als für einen recht hübschen Suppenteller von himmlischen Zinn, das mit dem Monds-Mann, wie das englische mit einem Engel, gestempelt ist. Beste, es ist sogar die Frage, ob du es selber noch weißt, daß der Mond um wenige Meilen kleiner ist als Asien. Wie oft mußt' ich dirs am Fensterstocke vorsingen, ehe du es behieltest, daß nicht nur sein Tag einen halben Monat währt, sondern auch – was sich noch eher hören lässet – seine Nacht, so daß also da ein lustiges Mädchen, das von der Mutter schon um Mitternacht vom Balle nach Haus gezerret wurde, doch wenigstens seine guten anderthalbhundert Stunden gewalzt und geschliffen hätte! – Sage mir einmal, Philippine, ob du es noch im Kopfe hast, daß der Mond oder vielmehr seine Leute in einer so langen Nacht so gut wie wir sehen und promenieren wollen und daß sie also einen größern Mond bedürfen als wir, wenigstens keinen schmalern, als ein mäßiges Kutschenrad ist! Ich hab' es von guter Hand, daß du es nicht mehr weißt, was der Mond für einen Mond über sich sehe – Unsere Erde ist seiner, Flatterhafte, und kommt ihnen droben nicht größer vor als ein Brautkuchen. Ich setze hier wegen meiner folgenden Erzählung noch das hinzu, daß wir ihnen kein Licht (Mond- oder Erdschein) hinaufwerfen können, wenn wir hier unten selber keines haben, welches der Fall bei der Sonnenfinsternis ist; daher können die Mondsöhne bei unserer Sonnenfinsternis nicht anders sagen als: »Wir haben heute eine Erdfinsternis.«

Ich bitte dich recht sehr, Philippine, lies diese Personalien des Mondes, auf die die ganze phantasierende Erzählung fußet, deinen Zuhörerinnen einige zwanzig Male vor: sonst ist euch alles entfallen, eh' ich nur angefangen.

Überhaupt verdenk' ichs euern Eltern ungemein, daß sie euch statt des Französischen, das euch wie ein Bund Titularkammerherrn-Schlüssel nur zum Klingeln des seelenverderbenden Parlierens und nie zum Aufsperren eines einzigen französischen Buches nützt, weil euch Ritterromane lieber sind, daß sie euch, sag' ich, nicht lieber haben Sternkunde lernen lassen, sie, die dem Menschen ein erhabenes Herz gibt und ein Auge, das über die Erde hinausreicht, und Flügel, die in die Unermeßlichkeit heben, und einen Gott, der nicht endlich, sondern unendlich ist.

Man darf über alles unter dem Monde und über ihn selber Phantasien haben, wenn man nur nicht die Phantasien für Wahrheiten nimmt – oder das Schattenspiel für ein Bilderkabinett – oder das Bilderkabinett für ein Naturalienkabinett. Der Astronom inventiert und taxiert den Himmel und fehlet um wenige Pfunde; der Dichter möblieret und bereichert ihn; jener fasset das Flurbuch von Auen ab, worein dieser Perlenbäche leitet samt einigen Goldfischchen; jener legt Meßschnüre, dieser Girlanden um den Mond – auch um die Erde. Also kannst du recht gut, Liebe, dich mit deinen Näh-Schulkameradinnen auf einen Lindenaltan begeben und ihnen Phantasien wie meine gerührt vorlesen, wenns nur nicht am hellen lichten Tage geschieht und wenn nur nicht der Gottesdienst der Mutterkirche der Erde über das Mondsfilial vergessen wird.

Du aber, du milde, blasse Gestalt, an die ich so oft blicke, um mein Herz zu mildern – die so bescheiden schimmert und so bescheiden macht – die ihren Wert nur dem stillen Himmel zeigt, nicht der lauten Erde – und zu der ich das Auge gern aufhebe, wenn ein paar Tropfen zu viel darin stehen, die in den auf der Erinnerung blühenden Herbstflor der Freuden niederfallen, und vor der ich am liebsten an das über die Wolken gerückte Mutterland unserer verpflanzten Wünsche denke, du gute Gestalt! .... Philippine, es tut dem Herzen deines Bruders wohl, daß es zweifelhaft ist, wen er hier angeredet habe, ob den Mond oder dich. Einen solchen Zweifel zu verdienen, Schwester, ist so schön, daß ich nur noch etwas Schöners kenne: nämlich, ihn gar zu benehmen, indem man sich vom Monde in nichts unterscheidet als in den Flecken und in der Veränderlichkeit.

Ich bin, wiewohl bloß mit dem letzteren Unterschiede,

dein Bruder.

*

Die Erzählung

Als ich zum ersten Male, Eugenius und Rosamunde, denen ich den wahren Namen nicht mehr geben darf, eure kleine Geschichte erzählen wollte, gingen meine Freunde und ich in einen englischen Garten. Wir kamen vor einem neubemalten Sarg vorbei, auf dessen Fußbrett stand: »Ich gehe vorüber.« Über den grünenden Garten ragte ein weißer Obelisk hervor, womit zwei verschwisterte Fürstinnen die Stelle ihrer Wiedervereinigung und Umarmung bezeichneten und an dem die Inschrift war: »Hier fanden wir uns wieder.« Die Spitze des Obeliskus blinkte schon im Vollmond; und hier erzählte ich die einfache Geschichte. – Du aber, lieber Leser, ziehe – welches so viel als Sarg und Obeliskus ist – die Unterschrift des Sarges in die Asche der Vergangenheit, und die Buchstaben des Obeliskus zeichne mit warmem edelm Herzensblute in dein Inneres.

Manche Seelen entfallen dem Himmel wie Blüten; aber mit den weißen Knospen werden sie in den Erdenschmutz getreten und liegen oft besudelt und zerdrückt in den Fußstapfen eines Hufs. Auch ihr wurdet zerdrückt, Eugenius und Rosamunde! Zarte Seelen wie euere werden von drei Räubern ihrer Freuden angefallen: vom Volke, dessen rohe Griffe ihrem weichen Herzen nichts als Narben geben – vom Schicksal, das an einer schönen Seele voll Glanz die Träne nicht wegnimmt, weil sonst der Glanz verginge, wie man den feuchten Demant nicht abwischt, damit er nicht erbleiche – vom eignen Herzen, das zu viel bedarf, zu wenig genießet, zu viel hofft, zu wenig erträgt. – Rosamunde war eine vom Schmerz durchbohrte helle Perle – abgetrennt von den Ihrigen, zuckte sie nur noch bei Leiden fort, wie ein abgeschnittener Zweig der Sensitive bei Einbruch der Nacht – ihr Leben war ein stiller warmer Regen, so wie das ihres Gatten ein heller heißer Sonnenschein – sie kehrte vor ihm ihre Augen weg, wenn sie gerade auf ihrem zweijährigen siechen Kinde gewesen waren, das in diesem Leben ein dünngeflügelter wankender Schmetterling unter einem Schlagregen war. – Eugenius' Phantasie zerschlug mit ihren zu großen Flügeln das zu weiche dünne Körpergewebe; die Lilienglocke des zarten Leibes faßte seine mächtige Seele nicht; der Ort, wo die Seufzer entstehen, seine Brust, war zerstört wie sein Glück; er hatte nichts mehr in der Welt als sein liebendes Herz und nur noch zwei Menschen für dieses Herz.

Diese Menschen wollten im Frühling aus dem Strudel der Menschen gehen, der so hart und kalt an ihre Herzen anschlug: sie ließen sich eine stille Sennenhütte auf einer hohen Alpe, die der Silberkette des Staubbachs gegenüberlag, bereiten. Am ersten schönen Frühlingsmorgen traten sie den langen Weg zur hohen Alpe an. Es gibt eine Heiligkeit, die nur die Leiden geben und läutern; der Strom des Lebens wird schneeweiß, wenn ihn Klippen zersplittern. Es gibt eine Höhe, wo zwischen die erhabenen Gedanken nicht einmal mehr kleine treten, wie man auf einer Alpe die Berggipfel nebeneinander stehen sieht ohne ihre Verknüpfung durch Tiefen. Du hattest jene Heiligkeit, Rosamunde, – und du diese Höhe, Eugenius! – Um den Fuß der Alpe zog ein Morgennebel, in dem drei flatternde Gestalten hingen: die Spiegelbilder der drei Reisenden waren es, und die scheue Rosamunde erschrak und dachte, sie sehe sich selber. Eugenius dachte: was der unsterbliche Geist umhat, ist nur ein dickerer Nebel. Und das Kind griff nach der Wolke und wollte spielen mit seinem kleinen Bruder aus Nebel. Ein einziger unsichtbarer Engel der Zukunft ging mit ihnen durch das Leben und auf den Berg: sie waren so gut und einander so ähnlich, daß sie nur einen Engel brauchten.

Unter dem Steigen schlug der Engel das Buch des Schicksals auf, worin ein Blatt der Abriß eines dreifachen Lebens war – jede Zeile war ein Tag – und als der Engel die heutige Zeile gelesen hatte, so weinte er und schloß das Buch auf ewig.

Die Schwachen bedurften beinahe einen Tag zur Ankunft. Die Erde kroch zurück in die Täler, der Himmel lagerte sich auf die Berge. Die müde, nur blinkende Sonne wurde unserem Eugenius der Spiegel des Mondes; er sagte, als schon die Eisgebürge Flammen über die Erde warfen, zu seiner Geliebten: »Ich bin so müde und doch so wohl. Ist es uns so, wenn wir aus zwei Träumen gehen, aus dem Traum des Lebens und aus dem Traum des Todes, wenn wir einmal in den wolkenlosen Mond als die erste Küste hinter den Orkanen des Lebens treten?« – Rosamunde antwortete: »Noch besser wird uns sein; denn im Monde wohnen ja, wie du mich lehrest, die kleinen Kinder dieser Erde, und ihre Eltern bleiben so lange unter ihnen, bis sie selber so mild und ruhig sind wie die Kinder, und dann ziehen sie weiter.« – »Von Himmel zu Himmel, von Welt zu Welt!« sagte erhoben Eugenius.

Sie stiegen, wie die Sonne sank: wenn sie träger klimmten, so schlugen Berggipfel wie losgebundene auffahrende Zweige verhüllend vor die Sonne. Dann eilten sie in den hinaufrückenden Abendschimmer nach; aber als sie auf der Sennenalpe waren, traten die ewigen Berge vor die Sonne – dann verhüllte die Erde ihre Gräber und Städte anbetend vor dem Himmel, eh' er sie mit allen Sternenaugen ansah, und die Wasserfälle legten ihre Regenbogen ab – und höher breitete die Erde dem Himmel, der sich über sie hereinbog mit ausgestreckten Wolkenarmen, einen Flor aus Goldduft unter und hing ihn von einem Gebürge zum andern – und die Eisberge waren angezündet, damit sie bis in die Mitternacht glühten, und ihnen gegenüber war auf dem Grabe der Sonne ein Scheiterhaufen von Gewölk aus Abend-Glut und Abend-Asche aufgetürmt. – – Durch den glimmenden Flor aber ließ der gute Himmel seine Abendtränen tief in die Erde hinunterfallen, bis auf das niedrigste Grab, bis auf die kleinste Blume darauf. –


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