Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Er für seine Person setzte gleichfalls den Lavendelessig des Ingrimms auf einer guten Essigmutter an und wollte mich damit wie einen Pestkranken besprengen: er bildete sich nämlich ein, ich belög' ihn oder hätt' ihn zum Narren und wäre gar der Quintus nicht, wofür ich mich gab, sondern etwan wohl mein Gevatter selber. Er schloß das aus meinem Scharfsinn. Um hinter mich zu kommen, so ließ er den Lumpenhacker seiner Mühle los und stieß damit unter alle meine Werke auf einmal. Ich werde sogleich seine eignen Worte hersetzen. Ich habe zwar oft den Himmel gebeten, mir einen Hahn in die gelehrten Anzeigen zu schicken, der krähete, wenn ich als literarischer Petrus falle, und der über den Fall mich zu Tränen brächte – oder doch einen bloßen Kapaun, der, wie andere Kapaunen, meine Küchlein aussäße und herumführte; aber um diesen Greifgeier derselben hab' ich ihn nie ersucht, und ich seh' es ein, ich wurde erhitzt. Er fing denn schon bei den drei Bratwürsten an und hielt damit aus bis nach Gefrees – wobei er doch mich immer Se. Hochehrwürden und Jean Paul meinen Herrn Gevatter hieß – und behauptete: »es gebe weiter keine schöne Form als die griechische, die man durch Verzicht auf die Materie am leichtesten erreiche –.Alle Parenthesen sind meine Zusätze und erläutern den Kunstrat. (Daher bewegt man sich jetzt nach der griechischen Choreographie am besten, wenn man das wissenschaftliche Gepäck der spätern Jahrhunderte abwirft und sich es sozusagen leicht macht.) – Auf den Kubikinhalt komm' es der Form so wenig an, daß sie kaum einen brauche, wie denn schon der reine Wille eine Form ohne alle Materie sei (und sozusagen im Wollen des Wollens besteht, so wie der unreine im Wollen des Nichtwollens, so daß die ästhetische und die moralische Form sich zu ihrer Materie verhält wie die geometrische Fläche zu jeder gegebenen wirklichen). – Daher lasse sich der Ausspruch Schlegels erklären, daß, so wie es ein reines Denken ohne allen Stoff gebe (dergleichen ist völliger Unsinn), es auch vortreffliche poetische Darstellungen ohne Stoff geben könne (die sozusagen bloß sich selber täuschend darstellen). – Überhaupt müsse man aus der Form immer mehr alle Fülle auskernen und ausspelzen, wenn anders ein Kunstwerk jene Vollkommenheit erreichen solle, die Schiller fordere, daß es nämlich den Menschen zum Spiele und zum Ernste gleich frei und tauglich nachlasse (welchen hohen Grad die erhabenen Gattungen der Dichtung z. B. die Epopöe, die Ode, wegen der Einrichtung der menschlichen Natur unmöglich anders ersteigen als entweder durch einen unbedeutenden leeren Stoff oder durch die leere unbedeutende Behandlung eines wichtigen. Da aber gerade diese nur bei platten Kunstwerken anzutreffen ist: so haben die schlechten demnach mit den vollkommensten das Unterscheidungszeichen von mittelmäßigen gemeinDen Mangel an Wirkung teilen die niedrigsten Kunstwerke mit den vollkommensten, so, wie die Unempfindlichkeit nach Montaigne oder die Unwissenheit nach Pascal gerade an zweierlei Menschen ist, an den niedrigsten und an den edelsten, angeboren bei jenen, mühsam erworben bei diesen. ). – Vollends Humor, dieser sei ebenso verwerflich als ungenießbar, da er bei keinem Alten eigentlich anzutreffen sei« ...

Fraischdörfer soll sogleich fortfahren, wenn ich nur dieses eingeschoben habe: ich werde einmal in einem kritischen Werkchen geschickt dartun, daß alle deutsche Kunstrichter (den neuesten ausgenommen) den Humor nicht bloß jämmerlich zergliedern, sondern auch (was ich nicht vermutet hätte, da das Vergnügen an der Schönheit durch die Unwissenheit in ihrer Anatomie sosehr gewinnt) noch erbärmlicher genießen, wiewohl sie als Richter in der Finsternis den Areopagiten gleichen, denen verboten war, über einen Spaß zu lachen (Äschin. in Timarch.) oder einen zu schreiben (Plut. de glor. Athen.) – ferner daß die krumme Linie des Humors zwar schwerer zu rektifizieren sei, daß er aber nichts Regelloses und Willkürliches vornehme, weil er sonst niemand ergötzen könnte als seinen Inhaber – daß er mit dem Tragischen die Form und die Kunstgriffe, obwohl nicht die Materie teile – daß der Humor (nämlich der ästhetische, der vom praktischen so verschieden und zertrennlich ist wie jede Darstellung von ihrer dargestellten oder darstellenden Empfindung) nur die Frucht einer langen Vernunft-Kultur sei und daß er mit dem Alter der Welt so wie mit dem Alter eines Individuums wachsen müsse.

Fraischdörfer fuhr fort: »halte man an diesen Probierstein die Werke meines Herrn Gevatters, in denen fast nur auf Materie gesehen werde: so begreife man nicht, wie der Rezensent der Literaturzeitung ihn noch dazu wegen der Wahl solcher zweideutiger Materien wie z. B. Gottheit, Unsterblichkeit der Seele, Verachtung des Lebens usw. preisen können.«

– Bei diesen Worten wanderten wir gerade in Gefrees ein, und ich sah die mir halb bekannte Dame wie eine Netzmelone sich wieder in ihren Schleier wickeln und abfahren: hätte also der Unglücksvogel, der Kunstrat, nicht seinen Geiß-Scherbet in den drei Bratwürsten eingenommen, so würd' ich das Glück errungen haben, sie gerade bei Herrn Lochmüller zu ertappen, als sie dem Kutscher und den Pferden etwas geben ließ. So aber hatt' ich nichts. Ich fuhr entsetzlich auf in meinem Herzen und tat innerlich folgenden Ausfall gegen den Kunstrat: »Du elende frostige Lothssalzsäule! Du ausgehöhlter Hohlbohrer voller Herzen! Ausgeblasenes Lerchen-Ei, aus dem nie das Schicksal ein vollschlagendes, auffliegendes, freudentrunknes Herz ausbrüten kann! Sage, was du willst, denn ich schreibe, was ich will. – Du sollst weder meine Reißfeder noch mein Auge von dem Eisgebirge der Ewigkeit abwenden, an dem die Flammen der verhüllten Sonne spielen, noch vom Nebelstern der zweiten Welt, die so weit zurückliegt und nur die Parallaxe einer Sekunde hat, und von allem, was die fliegende Hitze des fliegenden Lebens mildert und was den in der Puppe zusammengekrümmten Flügel öffnet und was uns wärmt und trägt!« –

Da jetzt gar der griechenzende Formschneider den schönen Tag und die blaue Glasglocke der ätherischen Halbkugel lobpries und sagte: er rede hier nicht als Maler, weil dieser nicht gern unbewölkte Himmel male, sondern als Poet, dem schöne Tage sehr zustatten kommen in seinen Versen: so bracht' ich mich mit Fleiß immer mehr in Harnisch gegen ihn, besonders da nach Platner Ingrimm dem Unterleibe augenscheinlich zupasse kömmt – daher sollten Gelehrte, die immer auf den elendesten Unterleibern wohnen, einander wechselseitig auf antikritischen Intelligenzblättern noch stärker erbittern –; und ich bewegte ohne Bedenken die Lippen und ließ ihn etwas hart mit folgenden leisen Invektiven an, die ich, wiewohl innerlich, heraussagte: »Der formlose Former vor mir achtet am ganzen Universum nichts, als daß es ihm sitzen kann – er würde wie Parrhasius und jener Italiener Menschen foltern, um nach den Studien und Vorrissen ihres Schmerzes einen Prometheus und eine Kreuzigung zu malen – der Tod eines Söhnchens ist ihm nicht unerwünscht, weil die Asche des Kleinen in der Rolle einer Elektra einem Polus weiter hilft als drei Komödienproben – das unzählige Landvolk ist doch von einigem Nutzen in ländlichen Gedichten und selber in komischen Opern, wie die Schäfereien genug abwerfen für Idyllenmacher – der Eustathius Nero illustriert mit dem flammenden Rom schöne homerische Schildereien, und der General Orlow hilft den Bataillen- und Seemalern mit den nötigen Akademien aus, mit Schlachtfeldern und aufgesprengten Schiffen.« –

 
Das hole der Teufel

Laut indessen sagt' ich aus Verachtung wenig mehr zum Kunstrat. Ich eilte Berneck zu, wo die fliegende Bienenkönigin im Vis-à-vis wenigstens vor der Suppenschüssel halten mußte. Ich wünschte von Herzen, ein oder zwei Wagenräder fingen an zu rauchen und sie müßte halten, um schwarze Waldschnecken einzufangen und damit in Ermangelung alles Teers die Nabe einzuölen. Mein künftiger Rezensent wurde sehr matt und hungrig und wollte, da es ihm mehr an Gelenkschmiere als an Magensaft fehlt, die peripatetischen Bewegungen mit peristaltischen vertauschen; aber ich war nicht still zu halten, und er folgte mit seinem Hunger hintennach: »Sein Sie froh«, sagt' ich, »daß Sie jetzt zwei Zustände, die der Maler und der Dichter schwer oder gar nicht aus sich mitzuteilen wissen, lebendig fühlen – Hunger und Müdigkeit. – Sooft ich einen Bauermann mit einem ganzen Hemde sehe (dort felget einer), so ist er mir ein Anstoß; ich berechne, wie lang es noch dauert, bis das Hemd unter den Hadernschneider taugt und zu Konzeptpapier, an das ein Gelehrter den Laich seiner Ideen streicht.« Da er meine Satire verstand, so ging sie gar nicht auf ihn: denn Satiren und Todesanzeichen gehen nur auf den, der nichts von beiden innen wird.

Meine Gleichgültigkeit gegen den Kunstrat setzte mich in den Stand, vor ihm herzugehen und außer der Reise die Vorrede zur zweiten Auflage in meiner Schreibtafel fortzusetzen und einzuschreiben.

 
Fortgesetzte Vorrede zur zweiten AuflageMan schlage allemal zur frühern Fortsetzung zurück, um den Zusammenhang zu finden.

»Und allerdings hat Kant das seltne Glück, auf einer Bühne zu agieren, der es nicht an einer Einfassung und Mauer von Köpfen fehlt, aus denen seine Laute heller und resonierend zurückschlagen, so wie die Alten in ihre Theater leere Töpfe versteckten, die der Stimme der Schauspieler mit Resonanzen nachhalfenWinckelmanns Anmerk. über d. Baukunst. K. 1. S. 10. . Ein Autor, der Gedanken hat, verfälschet häufig damit fremde, die er verbreiten soll, und gesetzt, er schwüre, wie in den ältern Zeiten die Bücherabschreiber wirklich schwören mußten, rein und redlich abzuschreiben: so würde er doch immer sehr vom leeren Kopfe verschieden bleiben, dessen obere torricellische Leere wie in der Physik der beste Leiter der Funken ist. – Hingegen im System selbst muß man die Lücken, worin keine Wahrheiten sind, durch die Gewänder derselben, durch lange neue Termen, abwenden, wie denkende Maler durch Draperie ihren leeren Raum. –

Etwas anders ist es mit der Moral, worin wie in der Medizin der Theorist sich ganz vom Empiriker trennt. Wie in dem alten Theater der eine Akteur den Gesang hatte und der andere die körperliche Aktion dazu machte und wie die Kunst eben durch diese Teilung höher stieg, so kann es in der schweren Kunst der Tugend nicht eher zu etwas getrieben werden, als bis (wie jetzt häufiger geschieht) die Theorie und die Praxis gesondert werden, und der eine sich auf das Reden über die Tugend einschränkt, indes der andere die dazu gehörigen Handlungen versucht.«


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