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Er ging nämlich mittags zu ihr hinauf und machte das arme gepreßte Herz seiner Geliebten, deren Kirchweg heute schon durch eine Zypressen-Allee gelaufen war, durch sein Neujahrsgeschenk noch schwerer. Es bestand nach der vornehmen Londner Sitte in einer Derbystoner-Vase. Das Gemälde darauf war seine eigne sonderbare und doppelsinnige Erfindung. Die Venus Urania, neben der als ihr Abzeichen ein Schmetterling flattert, ruht mit der Hand vor dem Auge an einer Begräbnis-Urne, und Amor beugt sich gegen sie und nimmt mit der einen Hand ihre vom Auge, um sie zu wecken, weil die Aurora mit ihren zwei geflügelten Rossen herauszieht, und hält mit der andern die Fackel umgestürzt, um sie auszulöschen oder abzukehren, damit sie den Schmetterling nicht versenge, der über einem auf der Erde liegenden Blumenkranze schwebt. Aber alles das konnte auch heißen: Adeline verhüllt ihr weinendes Auge – der Blumenkranz, der letzte Schmuck der griechischen Leichen und Tränen-Urnen, lag für den Schmetterling, das Bild der abgeschiednen Seele, zur Nahrung da – Amors Fackel funkelte aus, um den Kranz und die Psyche zu schonen, aber er wollte die Weinende fortziehen, damit nicht Aurora, deren Raube die Griechen das Sterben der Jugend schuld gaben, die Geliebte ereile und nehme. – Der Graf sagte, als ers Adelinen gab, nur den schönen Wunsch: »in diesem Jahre möge sie (die Vase) den schönern Sinn haben.« – Adeline fand sich sogleich in den mythologischen Doppelsinn – denn Leute ihres Standes haben ja an jedem Zimmer einen Hör- und Bildersaal der Götterlehre – und gab, indem ihr langer warmer Blick mit dem violetten Amethystgoldsand auf dem transparenten Silber des Flußspats schwimmend zitterte, ihm lächelnd außer dem Danke die unerwartete Antwort: »Es könnte auch einmal noch einen dritten Sinn bekommen, wenn es deren zwei hat. Man könnte einmal denken: die Aurora sei schon bei der Entschlafnen gewesen – der Schmetterling sei eben aus ihr geflogen – den Genius, der die eine Hand zur andern gefaltet niederlegen will, den kennt man ja an der umgestürzten Fackel.« Und als sie es gesagt hatte, konnte sie ihre wärmsten Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie setzte sich matt in das Fenster-Kanapee (Window-Stool) – Leolin stand vor ihr, voll stürmischer Gefühle und voll Haß gegen jeden Trost. Das Fenster, oder vielmehr die gläserne hohe Pforte, schauete gegen Mittag. Die großaugige Wintersonne hing tief über den schillernden Bergen – über die von einem Tizian weißgrundierte schimmernde Erde legte sich die grenzenlose Nacht eines tiefern Himmelblaues herüber, und in die einsame, starre, stille Welt hing gleichsam die Lilienglocke eines fernen, unendlichen Frühlings, nämlich die Sonne, weiter herein – und dann quoll in der Menschenbrust eine warme, schmerzliche Sehnsucht auf. Nie war seine Seele weicher und sehnsüchtiger, nie rückten Wonne und Schmerz darin Tag und Nacht näher zusammen als an einem hellen Winternachmittage, wo gerade der Tag der Erde und die Nacht des Himmels, der alsdann nur einen Stern trägt, schneidend übereinander stehen. Aber doch, Lismore, hättest du deine furchtsam Adeline nicht vor das tobende Meer in deinem Geiste führen sollen! Warum lässest du auf der einen Seite so zärtlich den weiß-seidnen Vorhang nieder und ziehst ihn hinter ihren Sitz ans Fenster gegen die blendende Sonne vor, indes du auf der andern auf ihre Wunden alle Brennpunkte deiner heftigen Seele richtest? Wenn du deine glühende Hand durchs auseinandergelaßne Fenster in das Kühlbad der Jennerluft hinaustauchst: warum entzündest du mit deiner andern deiner Geliebten ihre zu größern Schmerzen, und o! warum kannst du zu ihr sagen: »Im Winter betrübt mich die Gegend nach Süden – ich denke nicht bloß an die südlichen Polarländer, denen die matte, tiefe Sonne einen immerwährenden Tag und einen kargen Frühling gibt – ich denke an das schönere Land, das uns unsre Berge verdecken, an unser Frankreich. Und dann kömmt mir der ObeliskusDieser hundert Fuß hohe Obelisk steht im Dorfe Killean, das nicht weit von Glasgow liegt, dem Dichter Buchanan errichtet. dort wie ein Epitaphium vor. – – Teuerste, aber Sie müssen sich trösten: denn Sie versehrt und zerrüttet der Schmerz; und nur in meiner Seele kann er ruhig seinen Dolch umwenden, sie stirbt nicht daran. Ich male mir es oft, wenn die Sonne über diese Berge steht, hier mittags aus, was ich und Sie dort verloren haben – ich stelle mir Sie neben unsrer Unvergeßlichen stehend vor, wie Sie neben ihr blieben als ihre letzte gute Tat, wie man über Raffaels Bahre sein letztes Meisterstück, die Verklärung, stellte.« – Adeline hatte sich in der Marter der Erinnerung auf Lismorens Hand gebückt, und ihr Auge deckte mit ihr sich und tausend Tränen zu. Ach! er fuhr gerührt fort: »Gequälte! warum fragen Sie etwas nach dem Schicksal oder nach den Schmerzen, die es reißet? Beim Himmel! ein so dürres und trocknes Leben voll Stacheln und Wolken wie das menschliche, eines, das so klein ist wie ein Epigramm und das am Ende eine Giftspitze hat, das verlohnt Ihres Weinens nicht, Adeline!.... Ein Geist wirft uns von oben herein in das Leben, und dann zählt er 70 oder 80, wie wenn wir einen Stein in einen tiefen Krater werfen, und beim 70sten Pulsschlag oder Jahre hört er unsern dumpfen Auffall unten im Grabe. – – Aber ich quäle dich und wollte dich trösten; wahrlich, ich meint' es anders......«
– Aber am Ende führte ihre Trauer ihn auf einen Zweifel, der seine Tage noch mehr verfinsterte, als es der Jennerhimmel tat, auf den, ob sie ihn auch liebe, da die tote Gestalt der seinigen wenig Platz oder wenig Licht in ihrem mit Flor verhangnen Herzen lasse. Hätte sie ihm die Unterredung mit ihrer Mutter, die soviel für ihn tat, anvertrauet: so würde er lieber Öl in die um die erblaßte Gestalt angezündete Begräbnislampe nachgefüllt haben, anstatt es auszugießen. Dazu kam, daß Adeline ihm ihre Liebe gleichsam wie eine zweite Selbstliebe, wie ein inneres Frohsein zu bekennen scheuete im Kummer, und daß die Gegenwart seiner Schwester und die Abwesenheit ihrer Mutter ihr dieses Bekennen noch saurer machte. Er übersah, daß sie aus denselben Gründen handle und fehle, aus welchen er sie mit Vorwürfen ihres Fehlers und sogar mit Tröstungen verschonte: seine Ehrfurcht gegen ihre trauernde Uneigennützigkeit untersagte seinem unschuldigsten Eigennutze, dieser einen Vorwurf zu machen; aber sie verbot aus denselben Gründen ihrem Eigennutze, einem solchen Vorwurfe auszuweichen.
Auf die schwache Stelle des Herzens wie des Körpers werfen sich alle andre Krankheitsmaterien: sein Zweifel nahm jetzt so zu, daß er endlich nicht sowohl glaubte, daß der Kummer ihre Liebe verschatte, als daß sie gar keine habe, sondern nur Dankbarkeit. »Denn«, sagt' er, »warum kann sie ihn bezwingen und unter ein Lächeln gefangen nehmen, wenn sie in fremden Gesellschaften ist, oder warum stört er sie in ihren kleinen Geschäften nicht?« – Bei ihm fielen alle Strahlen durch zwei untereinandergestellte Brenngläser, durch den Kopf und das Herz, und zündeten und brachten in Fluß und verkalkten: so war auch seine Liebe; und so sollte (verlangt' er) die seiner Adeline sein, und diese sanfte Luna, die er beschien, sollte unter dem erhabnen Glase der Liebe statt des Lichtpunktes einen Brennpunkt bekommen. Sie sollte jetzt – sonst hatt' er nicht daran gedacht – heftig, beredt, dichterisch, enthusiastisch sein in der Liebe, sie, die überall nichts war als geduldig und gut, und die statt der Zunge nichts hatte als ein Herz, statt der Flügel nur ein helles Auge, dem fremden Schwunge nachzusehen. Gleich den Lichtmagneten sog er alle Arten von Glanz und Lichtern ein, nur kein sanftes Mondlicht; aber Adelinen hatte der Himmel als eine Vase von Volterra-Alabaster in das Leben gehangen, deren Lampe durch das durchsichtige Gehäuse nur in Mondlicht überquillt.
Die männliche Eitelkeit kann überhaupt leichter als das männliche Herz die weibliche Liebe ahnden, und jene präsumiert mehr, als dieses errät; aber am schlimmsten spielen wir jenen stillen Weiberseelen mit, deren Wärme sich nur durch Erdulden der Kälte, deren Liebe sich nur durch Treue offenbart und die dem Brunnen in der Baumannshöhle gleichen, welcher sich, wenn man aus ihm schöpft, immer wieder füllt und der doch niemals überfließt. Ihr Wert blüht erst nach den Flitterwochen, und man muß sie heiraten, um sie zu lieben. – Lismore wollte aber umgekehrt lieben, um zu heiraten. Juliens Leiche hatte sich ohnehin zwischen die trunknen, lyrischen Blicke und Tage des ersten Findens der Seelen gestellt: jetzt war ihm nach seiner Meinung noch wenig mehr von der Epopöe und lyrischen Blumenlese der Liebe übrig: das Hochzeitkarmen der Flitterwochen geht dann endlich in Hübners Reim-Register über, bis zuletzt, wenige poetische Floskeln und prosaische Freiheiten ausgenommen, Mann und Weib nichts weiter schreiben als einen abscheulichen, welken Kanzleistil.
Das Betragen des Grafen ist vielleicht der deutlichste Beweis, wie wenig noch der Grundsatz, selber unter guten Köpfen, gemein ist, daß der Staat die Ehe eben einsetzt, um die Eheleute zu trennen. Die Absondrung der zwei Geschlechter war guten Gesetzgebern von jeher so wichtig wie dem Moses die Absondrung der Juden von andern Völkern; aber wenn Moses diese (nach Michaelis) am besten durch das Verbot der Speisen, die andre Völker liebten, und durch die Verbote ähnlicher Sitten erhielt: so konnte hingegen, wenn das Kopulieren etwas zur Entfernung eines Paares wirken sollte, es nur dadurch geschehen, daß man dieses zum immerwährenden Beisammenwohnen, Beisammenessen usw. anhielt, und dieser Gemeinschaft haben wir vielleicht alle noch übrige Gleichgültigkeit der beiden Geschlechter zu danken. Daher gibt man sich beim Altare die Hände zum Zeichen des Streits, wie in England die Leute sie erst einander schütteln, ehe sie sich nachher damit boxen; und das Umarmen ist vielleicht aus Italien entlehnt, wo die Umarmung der Duellanten unter die 200 Bedingungen gehört, unter denen sie sich schlagen dürfen: wird die Ehe geschieden, so ists auch meistens um die alte Gleichgültigkeit der Eheleute getan, und man muß sie oft zum zweiten Male kopulieren, um sie wieder auseinanderzubringen. Durch die Gemeinschaft des Namens, die sie Verwandten ähnlich setzt, wird zu einer gewissen Uneinigkeit, wie sie zwischen Blutsfreunden herrscht, immer ein wenig ermuntert, wie sich die Fürsten untereinander, ohne Nachteil ihrer Kriege, Verwandten-Namen geben. Der Staat sollte daher den höhern Personen die physische Trennung, die immer auf Kosten der moralischen geschieht, verbieten und nie verstatten, daß der Mann seinen eignen Haus-Flügel, Tisch, Klub usw. habe und die Frau ihren, so wie unter den Pflanzen nur die wenigsten, z. B. die Kürbisarten, getrennt und auf abgesonderten Stengeln sitzende Geschlechter haben.
Lismores Glück zerfiel allmählich – er konnte bald alles nur heftig tun, keine Hand mehr drücken, sondern nur quetschen – lange und schweigend anblicken und dann zweierlei tun: auf dem Eise des Clide-Flusses den schneidenden Winden entgegenfahren, oder statt der physischen Kälte sich mit der philosophischen kühlen und die trockenste Politik studieren. Die Wirbel und Strudel des Bluts besänftigt oft ein Kompendium des Lehnrechts oder der Metaphysik am ersten, wie ich einen Hypochondristen gekannt, der auf der Folterbank seines Trübsinns entweder Youngs Nachtgedanken oder die Reichsgeschichte von Häberlin las. Die schönsten Akkorde von Adelinens Liebe verkehrte sein innres Ohrenbrausen in die große Septime und kleine Sekunde: z. B. da er sie einst um einige Haare bat, für einen Ring, glaub' ich, und da sie ihm mit schöner Zärtlichkeit die eine Locke ihrer Mutter gab: so sah' er in dieser schmeichelhaften Erbteilung des mütterlichen Nachlasses fast nichts als die Einkleidung ihres Versagens. Ach! der böse Geist, der sich zwischen das Umfassen ihrer Seelen drängte, bedeckte alles, was den Grafen beglückt hätte, mit einem Schatten, daß er nicht erriet, wie Adeline aus dem lebendigen Zeitungskomptoire Gladusens sich nur mit Zeitungsartikeln über ihn versah, über seine Jugend, seine Freunde, seine Leibgerichte – wie sie, der bittersten Erinnerungen ungeachtet, am liebsten über den Zeitabschnitt der Revolution zuhörte, wo seine taten- und ruhmdurstige Seele ihren Durst gelöscht hatte – wie sie oft durch einen alten Saal ging, bloß um seinen Stammbaum zu sehn und um ihre Angst wegen seines Schlittschuhlaufens mit einem Blicke über den Clide-Fluß hinauf zu mildern. – –
Endlich ging ein Tag auf, wo das Schicksal, ich weiß nicht, ob das Labyrinth oder den Faden, der hinein- und hinausführte, verlängerte. Lismore hatte sie nämlich bisher mit dem voll Gewitter hängenden Märznebel seines liebenden Skeptizismus verschont, weil sie ohnehin – trübe genug war, weil sie ohne Farbe und ohne Kräfte war, weil der Kummer ihren zarten, siechen Körper unter das Opfertor zu führen drohte: der Graf hätte lieber verzweifelt als gesprochen. Aber jetzt, da eine Gesundheitsreise nötig war, um den Herbstwind ihres Lebens gleichsam wieder zu den Frühlingslüften umzuwenden, konnt' er leichter auf einer Lustfahrt, die ich in der folgenden Belustigung zeichne, sein ganzes, volles Herz aufdecken.
Die zweite Reise, die er nach dieser machen wollte, war eine zu Pferde nach London, um sich zwei unentbehrliche alte Freunde zu holen: erstlich den Arzt, damit dieser die fallende Blume vom Mehl- und Honigtau giftig-süßer Tränen befreie, und zweitens den Bräutigam seiner Schwester, der nunmehr den süßen Schlaftrunk der Londner Winterlustbarkeiten ausgeleert und ausgeschlafen haben muß und dessen heitre, gefühlvolle und gewandte Seele (hofft er) für ihn und Adeline die geistigen Rezepte zusammensetzen wird, die den pharmazeutischen des Doktors nachhelfen.