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Die Jungfer Europa – Baurede
Es gibt in keiner Geschichte zwei so wichtige oder sonderbare Echo als in meiner......
Denn beiläufig! ich hebe die Geschichte schon an. Ich würde freilich jetzt dem Leser die waldkappelischen Anlagen und die heilige Jungfrau Europa und selber meinen Wärter recht vergnügt und gut geschildert haben, wenn er nicht so hungrig nach dem Mannabrot der Geschichte aufsähe, das im heutigen Kapitel fallen muß, weil im ersten Sabbatskapitel keines kam; ja ich wäre noch dazu schon diesen Vormittag – eh' noch mein Aufwärter mit seiner Egge um seinen Hafer herum wäre – damit fertig geworden mit der Baute des Vorhofs zu meinem historischen Bildersaal, wenn sich, wie gesagt, der Leser mäßigen könnte; aber man macht ein corpus mysticum wie ihn zu leicht wild. Allerdings treibt und sticht der kleinste Kornak von Autor den breiten Elefanten von Publikum, wie er will; hat er aber dem Elefanten einmal einen historischen Branntwein versprochen, nämlich eine Historie: so wird der Kornak ertreten, wenn er nicht einschenkt und erzählt wie folgt: – –
Nur die zwei Echo, die ich in die erste Zeile setzte, nehm' ich wieder zurück, da sie in der Partitur dieser Geschichte noch einige Bogen und Takte pausieren. – –
– Auch nehm' ich den ganzen Anfang der Belustigung wieder zurück, da ich erst recht nachgesonnen und bedacht habe, daß der Leser weit mehr auf den Sommerkasten und auf die darein gepflanzte europäische Jungfer erpicht sein muß – weil ich schon so viel Redens davon machte – als auf die ganze plombierte Geschichte. Ich will ihm nichts Unschuldiges abschlagen. Haben wir aber einmal die zweite Belustigung glücklich hinter uns gelassen: so ist die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ich – und also er mit mir – schon in der dritten auf den Anfang der Historie treffen werden; – ich wenigstens werde auf viele Stunden lang kein Drehkreuz, keinen Holzweg oder spanischen Reiter ansichtig, der mich seitwärts treiben könnte.
Man köpfe eine Alpe und baue sie voll: so hat man Waldkappel, dem der Berggipfel wie einer Weide weggestutzt ist. Hier am Orte, wo ich darüber schreibe – er wird bald mit Namen vorkommen –, bin ich nicht ernsthaft genug, um dem Leser eine würdige Ansicht dieser Aussicht mitzuteilen, um es, mein' ich, ausführlicher zu beschreiben, wie sich der weite Zirkus der Schöpfung mit den an den Stadtmauern der Ebne hinaufgezognen Spalierwänden, nämlich mit den an die Berge gesteckten Wäldern, um diesen waldkappelischen Fenstertritt der Erde lagert – wie sich um das von einem unermeßlichen Zuggarn gefaßte Herz schön verstrickt tausend Ketten und Seile der Liebe legen, die Blumenketten aufgesproßter Auen, die Perlenschnüre perlender Bäche, die Frucht- oder vielmehr Blütenschnüre der Obstalleen, die schlaff zwischen den zusammengeknüpften Dörfern schwanken, und die eiserne Bergkette, an der wie an einer Jupiters-Kette alle weichere Bänder niederhängen. –
Ich könnte noch stundenlang beschreiben; aber ich bezwinge mich lieber.
Dieser Berg ist nun der niedlich-gearbeitete Präsentier-Teller von Diminutiv-Häuserchen für meinen Großvater und seinen Troß – er trägt im Grunde eine runde Fuggerei auseinandergesäeter kouleurter Zimmer, die ohne Dach und Fach im Freien stehen und zwischen denen die Lusthecken als Korridore laufen – es sind Putz- und Glasschränke für aufgespielte Hof-Papillons, unter Laubwerk gestellt – Bilderblinden für einen Mann, der anbetet, oder für eine Frau, die er meint – gesprenkelte, an Zweige geklebte Schnecken- und Kartenhäuser. – –
Ich kenne nichts Niedlichers, und ich schlafe selber in einem – in einem andern aber frühstück' ich, in Nro. 10 – in Nro. 5 dinier' ich – und in Nr. 3 könnt' ich mich pudern, wenn ich wollte. –
Eine ganze Zelt-Gasse solcher Laubhütten füllet jetzt – denn niemand hat die Aufsicht darüber als der Aufseher – dieser selber als Schloßkastellan und Nachtwächter mit seinem schmutzigen Hausgeräte an. Hat er nicht sogar sein Heu in den rechten Fuß der Jungfer Europa und sein Grummet in ihre linke Panse eingefahren? Ich mag nur dem Kastellan den Text nicht lesen, da mir seine Frau und Kinder, solang' ich hiesiger Bergbewohner bin, aufwarten und zugleich meine Silberdiener – Läufer – Beiköche – Hofkellerschreiber – Bettmeister und Zimmerfrotteurs sind; aber eine Baurede als Hofprediger oder als Zimmermeister möcht' ich vom Giebel eines neuen Schlosses an den gekrönten Bauherrn halten, des Inhalts: ob er denn dächte, daß er mit dem wenigen Brot, das er den Arbeitern gebe, die Fehler seiner Baurisse so leicht auswischen könne, als man mit Brotrinden Pastellgemälde korrigiert – ob er nicht seine fürstlichen Storchsnester, die den Dachstuhl des Staats eindrücken, offenbar in waagrechte, dem Ackerbau abgehobne Pflugräder mache – ob er nicht wie Timur in gewissem Sinne seine Gebäude aus Menschenknochen und Schädeln aufführe etc. –
Auf der andern Seite kann einer, der billig und witzig sein will und der unten steht, dem Zimmermeister wieder so viel hinaufantworten:
»Im Staate müssen Paläste früher als Hütten und überhaupt wie in jedem Bienenstocke die obern Zellen zuerst gezimmert werden, wie am Leibe der Kopf sich früher ausbaue als der Rumpf. Auch baue man, wie Friedrich II., der ganze Dörfer schuf, von Zeit zu Zeit einige morsche Bauernhütten auf – in den englischen Gärten, um zu zeigen, wie wenig man sich ihrer schäme; und am Ende reichten schon die artistischen Dorfschaften, die man zu Ofenaufsätzen oder zu englischen Partien brauche, überhaupt statt aller wirklichen hin, und man könnte die wahren auf dem Lande leicht wie auf den homannischen Karten durch eine Nulle andeuten, da ohnehin die Felder den englischen Gärten das beste und meiste Erdreich entzögen. Mit dem Prunke der Paläste – der aber so geschont werden sollte, daß man für solche Häuser ordentliche Überhäuser, wie für das Loretto-Häuschen, nach Art der englischen tragbaren Hospitäler aus Eisen, besorgen sollte, wie man ja auch die Stühle darin immer in papierne Überhosen stecke – mit diesem Prunke sei ein Fürst oft deswegen so verschwenderisch, damit der Kastellan und sein kleines Schloßgesinde, die es immer nach einigen Jahren beziehen, desto mehr Gelaß und Freude haben. So ungeheuer groß und mit so vielen Gemächern, als Silberschlag die erste Arche für alle, sogar unentdeckte Tiere machte, lege man eine fürstliche darum an, damit sie wie fürstliche Kommoden leer bleiben könne, welches im einfachen Geschmacke andrer Tempel, der ersten griechischen und ägyptischen, sei, in denen nicht einmal ein Schattenriß eines Gottes stand. Auch könnten die Großen, die der Wurmstock von Grillen, Langweile und Ekel annage, dem Labyrinthe ihres Innern nur in ein äußeres voll Zimmer entwischen, und ein Generalfeldmarschall brauche daher oft so viel Platz wie seine Armee; so mache, wie die Verwalter wohl wissen, eine Metze Korn, sobald der Wurm hineingekommen, ein ganzes Achtel voll. Nicht zu gedenken, daß man die Abzugsgräben so vieler moralischer Unreinigkeiten und zugleich der öffentlichen Einkünfte von außen ebensogut zierlich überbauen und verdecken müsse, als man in Gärten bald unter einem Holz-Obeliskus, bald unter einem gefällten Holzstoß, bald unter einer schönen Nische den Abtritt verberge.« – –
Lasset uns zur Jungfer Europa kommen. Sie steht, von konzentrischen blühenden Ringen und Irrgängen umzogen, mitten auf dem Berge und ist so entsetzlich hoch, daß sie eine Potsdamerin etwan als eine goldne Hemdnadel an sich stecken könnte. Wäre die Felsen-Paste der Semiramis, d. h. ihr steinerner Nachstich, zustande gekommen: so weiß ich, der Stich hätte nicht an die Jungfer gereicht. Statt des Rückenmarkes und statt der ganzen Osteologie ist die Riesin, wie alle Blei-Gebilde, mit guten Eisenstangen oder Kanoneneisen-Barren durchstoßen. Diese sind zugleich die Wetterstangen, die eine so hohe Person keinen Nachmittag entraten kann. Da nun aber Eisen und Blei den Fehler haben, daß sie sich zu Rost verkalken, mit dem sich gerade ein Gewitterableiter am wenigsten anfangen darf; und da zweitens der Kopf der Jungfer von Natur nichts ist als ein plumper Wilsonscher Knopf, auf den ein ganzes Gewitter mit einem Schlage niederfahren würde, wenn man nichts dagegen versuchte: so versuchte man – und mit ungemeinem Glück – beiden Übeln mit den Franklinischen Spitzen, denen man mit allen Physikussen den Vorzug ließ, nämlich mit 72 goldnen Zacken in der Länge der Bajonette entgegenzuarbeiten. Es mußte gehen, da Gold, die gewöhnliche Krone der Gewitterstangen, nicht rostet. Es will ein gutes Gesicht dazu gehören, zumal wenn man unten vom Tal heraufsieht, daß man den umgestürzten goldnen Stahlkamm oder Strahlenreif nicht für eine Zackenkrone nehme, oder für eine Dornenkrone. Letzteres wäre noch richtiger, da sie gerade 72 Stachelsporen hat, welches eben die Zahl der Wunden ist, die nach den Katholiken die Dornenkrone ritzte; aber man muß niemals vergessen, daß diese Stechpalmen bloß auswärts stehen und stechen, nicht nach der eignen Kopfhaut selber, was doch immer etwas tut. Da nun noch dazu die alten Gelehrten beweisen, daß die goldnen Strahlenspitzen an den Statuen der Götter das Gevögel hindern sollten, sich oder noch etwas Schlimmers auf deren Kopf zu setzen: so wird das Diadem nie ohne Nutzen für die Jungfer sein.
Man würde meinen Großvater in der Erde kränken, wenn man schlösse, er habe noch keine Karte von Europa aufgemacht, bloß weil er die Fontange dieser Dogaressa in eine Krone umschnitt. Aber beim Himmel! wenn nicht ein regierender Herr an Europa den Kopfputz in eine Stachelkrone verwandeln darf, so seh' ich nicht ein, wer sonst das Recht dazu haben soll, oder wie mit einem größeren die Holländer den Freiheitshut – die Jakobiner die Freiheitsmütze – die Staatsinquisitoren die Dogenmütze – und die Fürsten ihren eignen Fürstenhut in eine Krone umzustülpen Befugnis hatten: das seh' ich niemals ein.
Was die Jungfer anhat und anfasset, diese Insignien sollen auf einen Kronwagen geworfen werden, der schon in einer eignen Kapitel-Remise hält.
Die Jungfer selber hat – wie großen Figuren natürlich ist, wenigstens sein soll, daher man sie mit dem sogenannten Noyau oder Kern aus Heu und Ton aushöhlt – bloß leere Partien, die Füße ausgenommen, die die Scheune meines Aufwärters sind, und den Kopf, in dem ich jetzt selber sitze und arbeite. Bis ich heute morgens mit meinen Papieren innen nur das Herz der Jungfer erstieg, hustete ich mich halb tot; und dann hat man gleichwohl noch einen ganzen gradus ad Parnassum bis zum Kopfe zu klettern. Inzwischen sitzt man einmal da in solchen Gehirnkammern mit seinen eignen: so ist kein Fürst glücklicher als der Insasse, um so mehr, da der Kopf des letztern von der größten Krone unter dem Himmel durch nichts abgesondert wird als die bleierne Hirnschale über ihm. Schieb' ich ihre Augäpfel weg: so hab' ich aus ihren Augenhöhlen die prächtigste Aussicht vor mir, die ich nur zu radieren und in eine Kunsthandlung zu geben brauche. Auch darf ich mich nur ein wenig zu ihrem Nasenloche herauslehnen: so wird mir das ganze Blumenbrett, das mir der Kastellan auf ihre vorliegende Unterlippe heraussetzen mußte, reichlich zuteil.
Allerdings ist wohl noch aus keinem weiblichen Kopf – diesen ausgenommen – ein so tolles und brauchbares Buch gegangen als meines: ich kann mich ohne Unbescheidenheit als den in der europäischen Zirbeldrüse seßhaften Spiritus rector und Archaeus und geistigen Beherrscher Europens betrachten. Der modische Kolossus, der nach den Zeugnissen der Alten mit einer Laterne die Schiffe heimleuchtete, könnte dem Himmel danken, wenn er meiner europäischen Kolosserin, die seit heute eine lange Mietfackel in die Welt hält und solche damit überleuchtet – ich als Lichtgießer stehe für meine Arbeit –, er könnte froh sein, sag' ich, wenn er der Riesin sich als Sponsus antragen dürfte.... – Morgen begeben wir uns denn wirklich in die Historie unter vorteilhaftern Zufälligkeiten, als den meisten Schreibern zugute kommen. Das Wetterglas steht nicht viele Zolle tiefer als ich Schuhe. Der Osten hält den Blasbalg an meine Kohlen und Flammen und gibt mir den Morgenwind, der der Seele orientalische Perlen zuführt, wie der Abendwind nur okzidentalische. Schon Doktor Friedrich Hoffmann hats erwiesen, daß der Ostwind den Verstand, den Appetit und die Sinnen schärfe. – Auf den Anschlagszetteln der Wiener Feuerwerke steht: »wenn die Witterung es zuläßt«; – und wahrhaftig, die belletristischen brauchen diese Bedingung noch eher. Ohne Ostwind kann ein Gelehrter – gesetzt auch, er sei kein Theolog von Profession – selber nur wenigen machen. Tissot bemerkte schon, daß der Südwind uns Gelehrte wie ein Samielwind ordentlich umwehe; und sooft dieser schwindsüchtige laue Wind vom Äquator herunter mich anhustet: so hust' ich nach und will umfallen.
So aber – wenn die Flut des Windes sich wie die des Weltmeers von Morgen gegen Abend treibt – hebt man die Flügeldecken und die Flügel gewaltig auf und sumset über die Wolken hinaus und beginnt nichts Geringeres als die....