Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Satirischer Appendix

Vorrede zum satirischen Appendix,

oder Extrakt aus den Gerichtsakten des summarischen Verfahrens in Sachen der Leser, Klägern, contra Jean Paul, Beklagten, Satiren, Abhandlungen und Digressionen des letztern betreffend.

Ich habe den Extrakt, den ich hier mache, eigenhändig vidimieret, um ihn glaubwürdiger zu machen; es können aber zu jeder Stunde die Akten selber von beiden Parteien in meiner Stube, in Hof, nachgesehn werden.

Den ersten hujus reicht' ich bei der fürstlich scheerauischen Berghauptmannschaft – die ich bekanntlich bekleide – als Anwalt und Mandatarius meiner Herren und Frauen Mandanten und Mandantinnen, sämtlicher Leser und Leserinnen, das Klagelibell, das von so großen Folgen war, gegen den Verfasser der unsichtbaren Loge, des Hesperus und alles dessen ein, was der Mandatarius drucken lassen. Als ich einmal vor 13 Jahren las, daß ein Beklagter in der Schweiz, da er selber in der Zeit des Mähens keine hatte, vor Gericht zu erscheinen, seinen Kläger gebeten, an seiner Statt die nötigsten Einreden zu machen: so dacht' ich damals wohl nicht daran, daß ich einmal im nämlichen, obwohl umgekehrten Falle sein und von den Lesern als ihr eigner Anwalt gegen mich in Sachen, wo ich noch dazu selber richte, würde aufgestellt werden; es läßt sich darüber disputieren, wem ein solches Vertrauen mehr Ehre mache, den Klienten oder dem Patronus selber. Wem meine Triumvirats-Rolle auffällt, der ist noch mit wenigen Justitiarien (Gerichtshaltern) von Belang umgegangen: ein Gerichtshalter, der z. B. Vize-Re und Kommandeur über zwei Gerichtshaltereien ist, fertigt, wenn aus der einen ein Insaß in die andre vorzuladen ist, häufig ein Requisitorialschreiben an den Gerichtshalter der ersten aus – welches er selber ist –, wiewohl freilich weniger um den Kerl zu haben als die Gebühren. – Nun zum Extrakt des Libells!

»Es sei leider bekannt genug, wie der Büchermacher und Biograph in Hof, Jean Paul, bisher seine Leser und Käufer hintergangen, indem er unter seine Historien die längsten Satiren und Untersuchungen eingeschwärzt, so daß er, wie einige österreichische Fabriken, die inländische Ware nur darum zu machen geschienen, um die verbotne satirische damit zu emballieren und abzusetzen. Besagter Paul habe ferner oft Lesern ins Dampfbad der Rührung geführt und sogleich ins Kühlbad der frostigen Satire hinausgetrieben, da doch wenige darunter Russen wären, die es ausständen. Überhaupt schieb' er, anstatt, wie es einem guten Autor geziemt, dem Teufel nachzuahmen und nichts zu erregen als Leidenschaften, überhaupt schieb' er, wenn er sich auf einigen Bogen gut gestellt, sofort eine breite Satire oder Untersuchung unter dem böslichen Namen eines Extrablattes etc. als Ofenschirm zwischen die besten Kaminstücke und Freudenfeuer ein. Er mache sich dadurch unzählige Feinde. Klägere bekennen, sie wüßten nicht, wie überhaupt eine solche Zumutung mit ihren unter allen deutschen Regierungen bestätigten Freiheitsbriefen, die sie von allen Satiren lossprächen, es betreffe das Machen oder das Lesen oder das Fassen derselben, zu reimen sei und wie es damit bestehe, daß man ihnen ganze Kräuter- und Hopfensäcke voll satirischer Gewächse auflade. Habe der besagte Büchermacher aus Hof eine genugsame Anzahl Stachel- und andere Schriften beisammen und vorzusetzen: so komm' ihnen vor, er könne solche allezeit viel schicklicher in ein besondres, ehrlich betiteltes Buch aufscharren und aufschichten, damit Klägere, die Leser, nicht mit dergleichen Sachen für den Buchhändler behelligt und belästigt würden.

Klägerischer Anwalt bitte daher, in Rechten zu erkennen und auszusprechen,

daß der Biograph Jean Paul in seinen künftigen Historien geradeaus wie ein Kernschuß zu gehen schuldig, ohne Anspielungen, ohne Reflexionen und mit Ernst ohne Spaß, überhaupt daß er unter dem Vortrage seiner biographischen Partitur hinter seinem Notenpult eine satirische Pantomime gegen sämtliche Zuhörerschaft zu ziehen sich ernstlich zu enthalten und alle diesfalls kausierten Schäden zu tragen verbunden.

Klägerischer Anwalt wolle übrigens mit keinem überflüssigen Beweise beladen sein, bedinge sich, daß seine Klage nicht für ein zierliches Libell, sondern für eine schlechte Erzählung angesehen werde, und habe keinen animum injuriandi desuper nobile.« –

Es ist ein Wunder, daß man von Gerichts wegen ein sonderbares Annexum, das ich noch an das Klaglibell anstieß, nicht von den Akten removiert hat. Es lautet völlig so:

»Niemand verdient wohl mehr, daß die Gesetze ihre Regen-, Donner- und Sonnenschirme über seinen Kopf ausspannen, als die S. T. Klägerinnen oder Leserinnen, die zu so vielen Leiden im Gethsemane-Garten geboren werden und zu so kurzer Gartenlust, mehr zu Werthers Leiden als Freuden, und die sich so oft zwischen dem scharfen Treibeis der männlichen Herzen blutig stoßen. Klägerischer Sachwalter hält es für unschicklich, in einem Klagschreiben es weiter auszuführen, wie viele Schwielen einer Leserin oft schon die Athleten-Hände von Verfassern drücken, die sie geheiratet hat, und wie unbillig es wäre, wenn vollends die übrigen, die sie nur kauft, es noch weit ärger machten, wenn es nicht genug wäre an den Schlägen des schweren Tiefhammers des Schicksals, an dem Pochwerke jeder Minute und so vieler Satansfäuste, sondern wenn noch die Schattenspiele an der Wand der Gehirnkammern, wenn die Schnee- und Strohmänner und alle Marionetten auf dem Druckpapier ihre kalten Schattenhände aufheben wollten gegen ein so oft verletztes, zwischen Wunden und Narben lebendes Geschlecht. In Büchern sollt' es nicht die Schmerzen wiederfinden, vor denen es aus dem äußern Leben in jene floh; und die Autoren sollten die Ältesten aus der Familie BakerUnter den englischen Königen aus dem Hause Plantagenet hatte die Familie Baker ein Lehngut, weil der Älteste daraus verbunden war, dem König bei der Überfahrt von Dover nach Calais den Kopf zu halten. sein, die diesen Königinnen bei der Überfahrt über den trüben Kanal ihrer Tage, vom neblichten Lande ins wärmere blaue, den Kopf, den Dornenkronen niederziehen, aufrecht halten. Satiren sind aber selber nur Girlanden aus Dornen.

Mandatarius muß gestehen, es ist seinen Mandantinnen äußerst unangenehm, daß der Büchermacher die beste Geschichte immer versalzt, verpfeffert und verwässert durch seine Manier, daß er sie oft erst nach zehn Prologen anfängt, daher viele, wie in London, erst beim dritten Akt in die Tragödie gehen, und daß man zu seiner Kirchenmusik erst durch lange Predigten zu waten hat. Anwalt geht jetzt die zwei Hauptmängel durch. Klägerinnen müssen es unter seinen philosophischen heiligen Kasualreden stets wie die Kantores machen, die unter der Predigt aus der Kirche gehen und zur Musik wiederkommen. Denn Mandantinnen halten es für Klugheit, seit Evas Trauerfalle, sich vom Giftbaum des Erkenntnisses, der so viele Blitzschläge auf die Erde lockt, so weit abzustellen, als seine Wurzeln laufen: die Kritik sitzt als Schlange droben zwischen den Ästen und rezensiert günstig und käuet unbedenklich das Obst, das den Magen einer Eva verdirbt. Es waltet freilich ein besondrer Glücksstern über Leserinnen ob, daß sie ihren Männern, die, gleich dem Teufel vor Einsiedlern, sich in so viele Gestalten – z. B. von Romanschreibern, Biographen, Taschenkalendermachern – bisher verkleidet haben, um sie in naturhistorische, geographische, astronomische etc. Hör- und Büchersäle nachzulocken, glücklicherweise niemals nachgegangen sind. Aber meistens nur Leserinnen aus den mittlern Ständen dürfen sagen, daß sie durch den Überzug mit Lumpen- und Rosenzucker, worin man bisher ihnen den Mißpickel und Fliegenstein der Wissenschaften versetzte, sich doch nicht haben reizen lassen, an den wissenschaftlichen Arsenik zu lecken, indes Weiber aus höhern Klassen häufig in die Arsenikhütten der Lehrgebäude zogen.

Satire dient ihnen nun vollends zu nichts als zum bessern Fortkommen im Buche, indem sie sie überblättern: denn bei den weiblichen Fehlern gilt das, was Unzer von den Hühneraugen sagt, daß jede Methode, sie zu vertreiben, unrichtig sei, sobald sie schmerzhaft ist. Sie haben längst ein Surrogat und einen Ersatz für die Satire, die mehr für Männer gehört, und das ist die Medisance, die den Weibern recht knapp und schön am innern Menschen anliegt, wie der alte Adam, unser allgemeiner Berghabit beim schmutzigen Einfahren ins goldreiche Leben. Klägerischer Mandatarius will hierüber nur einige Gedanken ausschweifungsweise, wie der Beklagte öfter tut, hinwerfen. Eine Leserin findet die Satire, die allezeit ganze Stände oder unzählige Menschen auf einmal herabsetzt, viel zu hart: sie weiß, mit einer bloßen Verleumdung fällt sie nur einen einzigen Menschen und ohne Witz und nur historisch an, und weiter ist Sanftmut nicht zu treiben. Die satirischen Pfefferkörner halten ferner, wie das süße Manna, sich nicht zwei Tage und werden leicht anbrüchig; so wie Boerhave von der Galle (der Essigmutter der Satiren) angemerkt, daß sie unter allen Feuchtigkeiten des menschlichen Körpers zuerst anfaule. Aber von mündlichen, kurzen Satiren, d. h. von Verleumdungen, kann man doch jede Stunde, wenn es die Besserung und der Vorteil des Nächsten begehrt, neue Lieferungen nachschießen, nicht bloß jede Stunde, in jeder Stube, in jedem Fenster, vor jedermann. Der Satiriker drückt meistens Wehrlose, Gebrechliche, Sünder und Toren und ist öffentlich parteiisch für Fromme und Weise; aber die Medisante ist unparteiisch gegen diese und zieht gerade aus klassischen Menschen die Druckfehler am ersten heraus, wie man nur für klassische Werke (z. B. die Messiade) einen Dukaten für den Fund eines Erratums aussetzt: hingegen lobt sie mit Pirchheimer das Podagra, mit Erasmo die Narrheit, mit Marcian den Rettich, mit Archippo den Eselsschatten und mit Bruno den Teufel. Von zwei verdächtigen Inkulpanten wird, wie Franziskus Vallesius sagt, der häßlichste zuerst gefoltert: das ist ferne von Medisanten, die stets unter zwei Frauen der schönsten zuerst die peinliche Frage zuerkennen, weil jede selber weiß und fühlt, wie viele Fehltritte ein schönes Füßchen tue und wie viel Fehlgriffe eine schöne Hand. –

Endlich ist sich auf echte Verleumdung mehr zu verlassen als auf Satire, die immer Leute malt, die nie gesessen. Beaumarchais hat aus einem Mantel, den er im Pantheon zu London gefunden, Alter, Füße, Reize, Taille, Neigungen der Eignerin prophetisch verraten: man gibt nun zu bedenken, was eine rechtschaffene Medisante zu erraten und zu beurteilen und zu verurteilen vermöge, wenn sie alles vor sich hat an der andern, nicht bloß den taftnen Mantel, sondern das ganze schwarze Ballkleid, alle Perlen, sogar die echten, die goldne Hemdnadel, die brillantierte Hutnadel, die Garnierung und das Brustbouquet und die Uhren und die Strumpfzwickel und die Rosette auf dem Schuh und kurz die ganze Frau! – – Wann nun Klägerinnen an der Dispensation und Steuerfreiheit von allen gedruckten Satiren sonderlich gelegen: also ergehet an die fürstlich scheerauische Berghauptmannschaft die Bitte, in Rechten zu erkennen und auszusprechen:

daß oft besagter Büchermacher und Biograph Jean Paul in Hof sich aller und jeder Satiren, wes Namens und Standes sie auch seien, in allen seinen Historienbüchern gänzlich zu enthalten habe. Desuperimplorando et ulteriora reservando.« –

Ich kann nicht weiter extrahieren, bevor ich in meinem eignen Namen noch einen Grund für echte Verleumdung beigebracht, der ungemein fruchtbar und selber scharfsinnig ist. In unsern Staaten werden nämlich nach und nach die Ehrenstrafen in Geldstrafen umgesetzt, dafür aber werden – denn sonst kämen wir endlich durch Abschaffung der Infamienstrafen um alle Ehre, die doch in Monarchien sitzen muß als Prinzip, wie Montesquieu schön bewiesen – die Geldprämien zu Ehrenzeichen erhoben, der Ehrensold zu Ehre, das Glückseligkeitssystem zu reiner Würde, von Kant, so daß freilich ein Mensch, der nicht viel im Vermögen hat, schlecht mit letzterem wegkömmt, es sei, daß er seine Ehre aufopfern will – denn er muß sie behalten und büßt noch Geld ein –, oder daß er etwas mit ihr vor sich bringen will – denn er bringt nichts mit ihr vor sich als sie selber. Die Strafen an der Ehre sind von unsern Zeiten besonders zwei verwandten Personen ganz erlassen worden, denen, die mit fremden Geldern, und denen, die mit ihren Reizen fallieren, d. h. Bankerottierern und Geschwächten. Beide wurden sonst meistens am Kopfe signiert. Ich hätte viele alte Juristen auf dem Tische vor mir, aus denen ichs jetzt schreiben könnte, wenn ich wollte und es nicht schon wüßte, daß sonst in Rom, Paris und Frankfurt am MainDöplers Schauplatz der Leib- und Lebensstrafen. 1ster Teil, p. 817. etc. nicht nur die Bankerottierer, sondern auch Leute mit Moratorien und Quinquenellen grüne Hüte tragen mußten – in Sachsen aber gelbe, nicht zu gedenken des Gelbfärbens der Häuser, des Läutens der Schandharmonika, des Sitzens auf dem Lasterstein und der Schandgemälde, welches ich alles weiß. Jetzt tragen diese Leute ihren feinen, schwarzen Hut wie ich. In Rücksicht falliter Mädchen ist uns allen bekannt, daß sie sonst Strohkränze und Hauben bei uns tragen mußten; in Rom aber eben darum letztere nicht nach Serv. in 7. Aeneid. Virg. Jetzt brauchen sie nicht einmal Strohhüte aus Italien aufzusetzen. – Diese zwei Menschenklassen würden nun mit einem Kopf, der in einem Kopfzeug von lauter Lorbeerblättern steckte, eingesargt und eingegraben werden, hätte nicht der Staat seine Medisantinnen bestellt, die dergleichen Volk in Empfang nehmen und handhaben. Und wie tun sie das? Sie fallen darüber her über den Fallierer und über die Fallite und greifen zu – sie malen an das Paar selber die Schandgemälde – sie läuten in jeder Repetieruhr die Schand- und Armesünderglocke über ihnen – sie lassen vor jedem Altar in der großen Kirche der Natur die eine die Kirchenbuße tun und den andern auf dem Lasterstein knien – und erwerfen beide halb an der Pillory des Fensters und erwürgen sie halb mit dem Halseisen der Zunge – und dann reißen sie der armen Falliten, um ihr das Alexis- oder DemutskleidEs besteht aus Billionen Lumpen und wird von büßenden Karmelitern angezogen. anzulegen, fast alles ab, was sie etwan, als Diplome beßrer Jahre, von Ehrenkleidern und blauen Hosenordensbändern an ihrem Leibe an sich gesammelt hat.... Beim Himmel! sie würden nachlassen, wenn sie das arme Ding einsam in seiner Kammer mit dem Schnupftuch stehen und über manches weinen sähen....

Das Gericht hätte zwar jetzt nach der Überreichung des Libells dem Beklagten eine Ladung in faciem insinuieren sollen, daß er zu rechter früher Tageszeit entweder in Person oder durch einen Gevollmächtigten vor der Berghauptmannschaft erscheinen, mit Klägern gütlichen Vergleich pflegen oder rechtlichen Bescheid gewärtigen sollte; das war aber gar nicht nötig, weil ich schon längst erschienen war und ja erst vor einigen Augenblicken mein Klagelibell übergeben hatte.

Ich stand demnach schon im Termin in Person, verwarf vorher Güte und befestigte sogleich den Krieg rechtens, oder deutlicher: ich kontestierte Litem. Ich hatte meine Ursachen, das Klaglibell nicht lange inept, voll kumulierter und generaler Klagen zu nennen: jura novit curia, d. h. bei einer respektablen Berghauptmannschaft kann ein Beklagter alles voraussetzen, was er selber weiß, sobald beide eine und dieselbe Person ausmachen. Ich rezessierte demnach von Mund aus in die Feder dergestalt:


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