Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Es könnte aber sein, bester Freund, daß das deutsche Reichs-Oberhaupt oder die Reichs-Hof-Kanzlei mit den Kraftgenies einverstanden wären, die nicht zur schlaffen, sondern zur straffen Gattung gehören und die auf glühenden Pflugscharen sowohl die Feuerprobe aushalten, als damit das Feld bestellen. Das wäre mir unangenehm und ein fataler Streich. Denn Schnäzler hat mit dem Phöbus, der ins glühende Zeichen des Krebses tritt, geringen Verkehr, er hat von Dichtern wenig, die in den Beinschellen des Metrums doch mit ungebundnen Flügeln steigen, wie Saturn seinen gefesselten Füßen mit offnen Flügeln nachhilft, ja er ist nicht einmal imstande – er würde vergeblich ansetzen –, es nur zu einiger leidlichen Dunkelheit der Gedanken zu bringen, mit der immer Größe derselben verknüpft ist, wie am Himmel die Planeten die größten sind, die sich von der Sonne am meisten entfernen. – Eh' er sichs versieht, ist er faßlich und zu kopieren. Da er inzwischen wenig Gedanken hat: so möchte ihm doch vielleicht ihr Zusammendrängen leichter glücken, da viele der besten straffen Dichter nicht sowohl Gedanken als Worte lakonisch zusammenpressen und ihren leeren Versen durch die Kürze ein eignes Feuer geben, wie der kalten, leeren Luft durch Verdichten die Kraft des entzündeten Schießpulvers zuwächst, oder wie ein engeres Gefäß schales Bier zur geistigen Gärung treibt. – Inzwischen würde wenigen Kanzleiräten ein solcher Beweis, daß der Schulmeister ein poetischer Selbstzünder ist, genugtun, wenn ich nicht den wichtigern Umstand – den ich durch ein medizinisches Attestat bescheinigen kann – zum Beweise seines Talents aufzuführen hätte, daß er das hitzige Fieber hatte und einen kahlen Kopf noch. Häupter aber, die mit Feuer und poetischen Goldadern durchzogen sind, und Berge, in denen beide durchlaufen, sind oben kahl und ohne Gewächse; und eine Glatze ist, wie beim Cäsar, der wahre klassische Boden des Lorbeers. –

Da jeder Supplikant, der Graf, Fürst usw. werden will, beweisen muß, daß er gräfliche oder fürstliche Einkünfte habe: so mach' ich mich schon darauf gefaßt, daß die Reichs-Hof-Kanzlei Beweise von mir fodern wird, daß Schnäzler ein Mann von poetischen Einkünften sei und daß er entweder das Armenrecht habe, oder sonst aus der Almosenkasse Gelder erhebe. Dies wär' an sich leicht darzutun; aber glücklicherweise wird mir der Erweis ungemein leicht dadurch gemacht, daß er zugleich ein Schulmann ist, dessen Verhungern ich bei der Kanzlei hoffentlich postulieren darf, da diesen Heiligen-Geistes-Tauben und den poetischen Singvögeln gleich wenig Hanf auf die Hanfmühle aufgeschüttet wird. Reichliches Futter macht aus Schwarzröcken Rotröcke, d. h. Kardinäle, anstatt daß umgekehrt rote Gimpel vom Hanfschmausen schwarze Federn kriegen. –

Ich erwarte allerdings von der Billigkeit der Kanzlei, daß sie mir nicht mehr für die Kreation abfodert, als die Kurmainzische Reichs-Hof-Kanzlei-Taxe-Ordnung von 1659 den 6. Jan. ansetzt, nämlich 50 fl. Taxe und 20 fl. Kanzlei-Jura, zumal da ich die Schöpfungs-Kosten aus meinem Beutel bezahle. Der Tax für die poetische Laureatur scheint mir überhaupt schon 1659 ein wenig hoch geschraubt zu sein, besonders wenn ich bedenke, wie viele Laureaturen und Dichter-Patente oder poetische Wappenbriefe bei den Rezensenten, die damit die Messen beziehen, für diese 70 fl. zu erstehen wären, und wie wenig eine Laureatur abwirft: denn die Augen unsers Publikums werden schon lange nicht mehr mit dichterischen Illusionen hintergangen, so wie den klugen Blinden gemalte blinde Fenster oder Türen nichts weniger als verblenden und betören.

Ich hoffe, daß Ew. noch im Hundsfottgäßchen wohnen und bin etc.«

*

Die Laureatin, Eva, stellte jetzt den Kaffeetopf neben das Dintenfaß, ohne im geringsten auf beider gelben Inhalt anzuspielen. Ich pries sie ins schöne Gesicht, daß sie sich einen solchen Sponsus ausgeklaubt, für den ich gerade nach Wien ein langes Schreiben erlassen hätte. Der Kronprinz und Großfürst Weyermann trat zu uns und sagte, zum Glück sei der Gerichtsdiener und Liktor angelangt – das Obersees muß sich bekanntlich mit einem geborgten Gericht behelfen –, und der Ranzenadvokat sei um 10 Uhr vorgeladen worden, sich zu sistieren. Alle Leute in praktischen Ämtern gewöhnen sich eine eigne, wenig schonende Härte gegen Gemeine an: er fuhr in Evens Beisein fort und meisterte sein zu hoch aufgeballtes Bette und referierte, er habe gegen 1 Uhr einen Fall daraus getan wie ein Quersack. Ich gestand, ich hätte mich leicht in meiner Bette-Empor und Montgolfiere erhalten, bloß dadurch, daß ich im Finstern die Nachtmütze statt eines Senkbleies in die Stube fallen lassen; – ich konnte aus der Zeit, die zwischen dem Loslassen und dem Auffalle der Mütze verstrich, leicht die ganze senkrechte Tiefe vom Kopfkissen zur Diele berechnen und mich dann aus Vorsicht an die Wand zurückziehen.

Allmählich liefen die Untertanen zusammen, die Weyermannen heute ihre Hand geben und damit versprechen wollten, getreu unter seiner zu stehen. Aber er warf schon, eh' er über die höchste Stufe zu seiner Thronspitze hinauf war, Privilegien und Permissionen aus, z. B. für Kirschen- und Pfeffernüsse-Weiber, denen er freies Feilhalten erlaubte. Dieser Ludwig XVIII. erließ an die Reichskinder seines Reichs von Aachen das schöne Kabinettschreiben, daß heute – wo alle Fässer liefen – auch die Orts-Feuerspritze in Gang, Fluß und Sprung gebracht werden sollte, wie in Frankfurt (bei einer viel wichtigem Krönung als der gegenwärtigen) ein Adler aus dem Doppel-Schnabel Doppel-Wein auf die Untertanen sprengt. Es sind doch vorläufige Exerzitien und Probeschüsse im Befehlen, einige Fahnenschwenkungen des Kommandostabs.

Freilich sind das bloße Komödienproben zur eigentlichen göttlichen Komödie; und sie werden noch kleiner, wenn man sie mit der ordentlichen Krönungsfeierlichkeit eines Gerichtshalters vergleicht, wo durch die Hand eines Mannes – unsers Weyermanns – sich vierhundertundzwanzig Oberseeser Hände ziehen, um Treue zu geloben, und wo ein Mensch 420 Schwüre einkassiert, ohne selber einen abzuleisten. Da seine Krönung und die Kirmes auf einen Tag einfielen: so kam sie durch den allgemeinen Volksjubel auch höhern Krönungen nahe, die keinen kleinern erregen. So goß auch die Athenerin auf den neuen Sklaven, wenn er zum erstenmal über die Schwelle trat, Früchte und Blumen nieder. Nero, Tiber und ähnliche Kaiser, die ihre Regierung mit einer sanften Debit-Rolle anhoben, unterschieden sich auf eine schöne Weise von Anfängern auf dem Theater, die gern Tyrannen machen, wiewohl mit der Zeit jene und diese gescheuter werden.

Wenn nach Kant der Hang zum sinnlichen Wohlsein die allgemeine Krankheit und der Knochen- und Tugendfraß der Menschen ist: so wirkt ein Gerichtshalter, der die Krankheitsmaterie abführen soll – durch tapfres Abstrafen –, und ein Fürst – durch noch größeres – freilich anfangs nur wie mehrere gute Arzneien, die nach dem ersten Gebrauch das Siechtum eher zu vermehren scheinen, das sie doch, wenn fleißig fortgenommen wird, am Ende wirklich aus der Wurzel heben. –

Um 10 Uhr wurde der Ranzenadvokat gerichtlich vernommen – und freilich der Aktuar, sein Nebenbuhler, vorher richtig vereidet. – Anfangs behielt auch alles seinen rechten guten Gang: Inkulpat gestand manches, seinen Namen, seine Herkunft, seinen täglichen Durchgang durch Schenken. Aber er versalzte uns alles wieder dadurch, daß er, als man näher auf die Blau-Siederei seines Leibes inquirierte, das besetzte Gericht deutlich auslachte und durch solches niederschreiben ließ, ob man denn so dumm wäre, daß man nicht blaue Flecke, die vom heftigen Faulfieber herkämen, woraus er gerade auferstanden, von dem Blau-Farbenwerk der Prügel an blauen Montagen zu unterscheiden wüßte. Das Protokoll mußte dieser Exzeption wegen auf der Stelle bis aufs nächstemal geschlossen werden. Indes hatte doch die peinliche Katechetik den Nutzen, daß Eva sich eines Kerls schämte, der vor dem sitzenden Gerichtsschreiber hatte stehen und reden müssen.

Der Gerichtsfron und Stadthäscher zitierte jetzt den Oberseeser Adjunkt – der Pastor war schon tot – ins Schloß, nicht zum Inquirieren, sondern zum Gastieren: seit vielen tausend Jahren wurde der Pfarrer allezeit an der Salat-Kirchweih ins Schloß invitiert. –

Vor dem Essen zeigte der Neugekrönte, ob er regieren könne: er befahl dem Stadthäscher, die Westenknöpfe der Biergäste in den Stadtschenken zu zählen und mit den Kreidenstrichen der Wirte zu konfrontieren, um hinter die Mäßigkeit der einen sowohl zu kommen als hinter die Ehrlichkeit beider. Bauern knöpfen nämlich bei jedem Kruge, den sie fodern, einen Knopf der Weste auf, damit sie der Kellermeister nicht bestiehlt. – Die Feuerspritze wurde vormittags, weil nachmittags auf dem Markte niemand Platz hatte außer der Volksmenge, wie eine Kanone, obwohl zum entgegengesetzten Zwecke, aufgefahren und abgedrückt, und der ganze Wasserschuß wurde von den einsaugenden Gefäßen eines Wagens aufgefangen, auf den ein Töpfer seine Töpfe so gepackt hatte, daß die Mündungen gen Himmel standen. Man konnte deshalb von Amts wegen nicht unterlassen, ihn zu monieren, künftig mit umgestürzten Töpfen zu Markte zu fahren, weil er sonst den Regen auffinge und den Wagen überlade. Ein einfältiger Tiroler, der seinen ganzen Kaufladen mit Bändern und Dosen aufgeschlossen auf dem Rücken trug, wurde von Amts wegen erinnert, das Seidengewölbe herumzudrehen und auf dem Bauche aufzusetzen, damit dem Dorfe keine Gelegenheit gegeben würde, ihm und seinem auerbachischen Hofe diebisch in den Rücken zu fallen. – Und noch mehr dergleichen oder nicht viel schlechtere Verordnungen. Von Pombal will man freilich rühmen, er habe beim Erdbeben zu Lissabon zweihundertunddreißig Verordnungen erlassen; aber für einen Ort, dünkt mich, der kein Erdbeben, sondern eine Kirmes hatte, verordnete der Gerichtshalter immer genug.

Das Brausen der Markt-Flut wurde allmählich lauter – die Frankfurter Pfeifergerichte wurden von immer mehrern Jungen und PfeifschwänzenDie in bemalten hölzernen Rosinanten für Kinder sitzen. besetzt, und die Böttcherwoche, die schon den ganzen Morgen gewährt hatte, durfte der eigentlichen Meß- und Zahlwoche keine Zeit mehr rauben. – Der Stadtrichter holte durch vormittägige Schanzarbeiten zu nachmittägigen Kanikular-Ferien aus, um den Adjunktus zu genießen – und ich machte nichts – außer dem Plane – als einen Spaziergang unter das Volk.

Hier mußte man nun seine Aufmerksamkeit – so wie die kleine Münze – zuerst den Bettlern schenken, und ich ging den Gründen nach, aus welchen wohl alle gute Dorfpolizeien an Kirchweihen freies Betteln nie verwehren. Sie sind nicht ohne Gewicht. Die Bettler beziehen diese Messen der Dörfer als Kundmänner und erstehen darauf ansehnliche Partien von Kuchen, Broten, Lumpen, Hellern auf Kredit – Geld ist ein Warenartikel –; ja durch diese Meßleute werden oft dem angesehenen Kaufmann die teuersten Artikel, die er sonst behielte, z. B. Uhren, Geldbeutel etc., mit Vergnügen abgenommen. Der Handelskonsul, der Bettelvogt, schützt mit seinem Spieß diese Meßfremden beim Flor des Land- und Transito-Handels. Der zweite Grund ist vielleicht wichtiger: es wird nämlich leider wohl an keinem Tage mehr geflucht, gefressen, gesoffen, ge- und überhaupt die Kirche mehr entweihet als an dem, wo sie einzuweihen ist. Hier kann sich das Dorf nun keine halbe Stunde die Bettler und die Krüppel nehmen lassen, die dem Teufel das, was er erobert, dadurch wieder abjagen und abackern, daß sie die Gassen wie besoffen durchschweifen und vor jeder Haustür nichts Geringers verrichten als eine fliegende Gassenandacht und so den ganzen Ort, indem sie um einen Heller einen singenden Umgang halten, mit dem Feuer der Andacht illuminieren. Was will nachher der Teufel machen? frag' ich. –

Am Ende des Orts hielt mich ein Kerl an, der keine rechte Hand hatte und bitterlich weinte und sagte, er käme so um, weil er keine Hand – er streckte den defekten Arm aus – mehr daran habe, um sich sein Brot zu verdienen durch Betteln. Sonst sei er so glücklich gewesen, eine mit einem einzigen Daum – die Finger waren wie Schlesien im siebenjährigen Kriege daraufgegangen – zu führen und damit jedes Herz zu bewegen; aber mit einem bloßen Stummel habe kein Mensch Erbarmen. Ich sagte: »Bleib' Er stehen, ich helf' Ihm.«

Das konnt' ich gut. Ich hatte nämlich am Morgen die Gerichtsschränke durchstöbert, um irgendeine wissenschaftliche Trüffel unter diesem schmutzigen Boden auszuwittern: ich traf nichts Sonderliches an als im Fraischpfänder-Schrank zwei abgesottne, eingeschrumpfte Hände. Sie wurden sonst als Nachlaß solcher Kinder aufgehoben, die damit ihre Eltern geschlagen hatten und die solche immer aus dem Grabe heraushielten. Herr DreyerIn seinen Miszellen p. 125, die gleichsam Katalogen ganzer Bibliotheken sind. zeigte aber uns Gelehrten insgesamt, wie es wäre und von wem die Hände kämen – von totgeschlagnen Leuten nämlich, denen sie der Ankläger sonst als Beweise und Exponenten des corpus delicti abschneiden müssen, worauf man sie von Gerichts wegen abgesotten.

Kurz ich holte aus dem Fraisch-Behälter das Händepaar hinweg und bot dem Invaliden eine davon als Lebens-Wickelschwanz (cauda prendensilis) zur Auswahl an. Ich unterrichtete ihn, es sei eine ehrliche Hand, wovon er alle Finger wegschneiden könnte bis auf den nötigen Diebsdaum; er könne sie an den Stummel stoßen und anschienen und so, weil sie so greulich aussehe, sich mit ihr so gut wie mit einer Hand aus den Wolken oder mit einer langen königlichen recht wohl forthelfen und vorspannen. Er steckte das Fraischpfand zu sich.


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