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Die Salatkirchweih in Obersees,
oder fremde Eitelkeit und eigne Bescheidenheit
Ich wollte diese Kirchweih schon vor einigen Jahren beschreiben; aber ich hatte niemals Platz: Gott gebe, daß ich die Beschreibung samt den vielen Einschaltungen nicht weniger zu Ende bringe wie dieses Buch. –
Vor 13 Jahren wurde der geduldige Juris-Praktikant Weyermann, der fast nichts einzunehmen hatte als die copiales für seine Schriften, die er selber mundierte, im Frühjahr so glücklich, daß ihm die ganze Gerichtshalterei Obersees anfiel, eine der besten im Lande, dem Kaufherrn Oehrmann belehnt und 4 Meilen von der Stadt gelegen. Ich und Weyermann wohnten in dieser. Er hatte mich lieb und kopierte oft meine Exhibita und oft mein Betragen: ich war freilich selber nur die lange Tangente seiner Zirkel und er also eine kurze Kotangente; ich der Gipsabdruck, er mein Nachstich. Manche Menschen können, wie die Engländer, ihr Ich mit einem großen I schreiben und den ganzen Tag Zugwerk und Buchdruckerstöcke um das große I entwerfen (als wär' es der Anfangsbuchstabe des Universums), ohne daß ein fremdes I sich darüber erzürnt oder sie Egoisten schilt: die Lust wird ihnen herzlich vergönnt. Und so war Weyermann; und ich gönnte ihm gern die Hefe (die Gerichtshalterei), die seinen ganzen Teig aufhob und über den Backtrog trieb. Ich sagte zu mir: je kürzer die Bahn oder auch das Gesicht eines Menschen ist, aus einem desto höhern Tone pfeift er, wenn er drei Schritte darin getan; so geben kurze Pfeifen hohe Töne, lange aber tiefe.
Ich erhörte daher mit Vergnügen die Bitte des Gerichtshalters, mit ihm nach Obersees zu reiten, ob er sie gleich in der eiteln Absicht tat, mit meiner Gesellschaft großzutun und zu prunken. Da nach den Theologen die Mohren, Chams Enkel, bloß durch den Fluch Noahs so schwarz angelaufen sind: so hätte der gutmütige Weyermann gern seinen Bedienten aus Liebe verflucht, wenn er ihn mit dem Fluche hätte, wie mit Beinschwarz oder Ruß, zu einem Kammermohr umfärben und schwärzen können. – Wir mußten einen Tag vor der Salatkirmes, oder vor dem Johannistage, in Obersees ankommen, damit am Kirmestage selber die reitende Jury, Weyermann nämlich, von dem Gerichtssprengel die Huldigung empfing.
Als er abstieg im Oberseeser Schloßhof, sagte er laut vor so vielen zulaufenden Gerichts-Insassen: »Herr Kammerherr v. Torsaker, Großkreuz vom Seraphinen-Orden, schwitzen Sie stark?« –
»Ich leidlich,« – sagt' ich –, »aber der Gaul!« – – Das wird aber kein Mensch verstehen; und es muß die Decke von der Sache gezogen werden.
Es ist bekannt, daß am scheerauischen Hofe ein Avanturier drei Wochen lang Cour und hohes Spiel machte, der sich für einen schwedischen Kammerherrn und Großkreuz vom Seraphinen-Orden ausgab, namens Torsaker. Zufälligerweise (glaub' ich) kam ein authentisches Blatt aus Stockholm, das in einer halben Minute den Ritter degradierte und ihm den Diebsschlüssel und Irrstern herunterriß. Ich meines Orts halte diesen Vexier-Ritter gleichwohl für so ehrlich als die besten Michaels-Ritter in Spaa: er und diese sind vielleicht – wenigstens muß man das Beste präsumieren – halb von Verstand und sehen sich, wie viele Wahnsinnige sich für Kardinäle, Personen aus der Gottheit, für Mond-Souveräns, für Töpfe, Haferkörner hielten, wirklich für Ritter an. Oft aber denk' ich mirs so: da der Papst außer den Kardinälen, die er laut kreiert, stets noch einige leise (in petto) erschafft, die aber, wenn er ihnen nach langer Zeit die laute Kreation gewährt, den Rang nach der Zeit der leisen haben: so ists eben nicht unvernünftig, wenn man diese stumme Ernennung zu Rittern, zu Marschällen, Marquis etc. bei allen solchen voraussetzt, denen keine fehlt als die laute.
Inzwischen ging der Herr v. Torsaker zum Teufel, und das in solcher Eile, daß sein Kleid samt Kette und Stern dem maitre d'hotel zustarb, vor dem er jenen Kanarienvogel bisher nachgeahmt hatte, der (wie Goeze berichtet) bei einem Kaufmann das Geräusche gezählter Taler recht täuschend nachäffen lernte. Der Wirt, der vom schwedischen Kanarienvogel weiter nichts erhalten hatte als das leere Geräusche, hielt sich an die Ordenskette und ans Kreuz, die er für Geld zur Schau, zur Miete, zu Kaufe zu geben gedachte. Er streckte mir die Ritterwürde für 18 gr. rhnl. auf drei Tage vor.
Eine Stunde vor Obersees legt' ich mich selber an die schöne Ordenskette, die sich mit 11 goldnen Engelköpfen (jeder sechsfach beflügelt oder mit 6 Floßfedern) und mit ebensoviel Patriarchalkreuzen herniederringelte; dann warf ich das blaue gewässerte Band über, den Tragriemen des Ordenskreuzes, auf dem eine blaue Kugel die Buchstaben I. H. S. aufwies. – Es würde mir auffallen, wenn der König von Schweden oder die schwedischen Reichsstände mit mir Händel darüber anfingen, daß ich mich in Obersees für einen wirklichen Seraphinen-Ritter ausgegeben: denn erstlich tat ich die Sache bloß dem Gerichtshalter zu Gefallen, damit er sich vor den Oberseesern mit der Begleitung und Freundschaft eines Großkreuzes ein ungewöhnliches Ansehn geben möchte, und zweitens wundert es mich fast, daß der König und seine Stände so wenig erwägen, daß ich ja nicht einen schwedischen Ritter und Kammerherrn nachmachte und nachäffte, sondern einen Affen von beiden, den Avanturier. Eben um diesen mit gleicher Münze abzuzahlen, verstellt' ich mich in diesen Versteller und wurde der Nachdrucker des Nachdruckers, so sehr auch meine Eigenliebe vielleicht unter seinem Ordensstern und Schlüssel litt. – –
Unser Jagdschloß – gleichsam eine Bagatelle vom Prinzen von Artois, eine Solitude – war hinlänglich geräumig, leer und kühl. Der Gerichtshalter gab mir neun Zimmer ein, in deren toricellischen Leere nichts war als ich selber; er besetzte mit sich nur sieben. Ich machte neun Flügeltüren auf und wandelte im Korso und Korridor eines aus neun Zimmern erbaueten Saales hin und her; der Gerichtshalter macht' es in der Halle und Sandallee seiner sieben Stuben ebenso, und sooft wir aneinander stießen, lächelten wir zugleich, und ich sagte zu Weyermann: »Wir können noch den Verstand verlieren über die Ehre; aber groß ist der Mensch hienieden.« – Draußen ums Eskurial lag das herrliche Obersees, das in Rußland nun längst zu einer Stadt promoviert hätte, da es ein Dorf war – wiewohl es jeder schon für eine halten könnte, der bedächte, daß es in Theben nur 100 Tore gab, hier aber soviel Tore und Einlasse, daß zur Mauer wirklich kein Platz ist. Ich machte den Justitiar auf den Mangel alles Steinpflasters aufmerksam: »Man würd' es nicht«, sagt' ich, »von der Stadt Obersees weggerissen haben, müßte sie nicht täglich Belagerungen und Bomben vorbauen. Ich seh' auch schon Düngerhaufen zum Schutze beschoßner Keller.« Ich gestand es dem Advokaten, ich sähe nicht, warum bloß London alle die Dörfer, an die seine Gärten und Gassen stoßen, als seine Mittelstücke und Ansätze anschrauben und sich damit groß und breit machen darf, Obersees aber nicht; sondern ich glaubte vielmehr, die Stadt Obersees könn' ebensogut als eine andre die um sie liegende Stufensammlung von Dörfern, die nur durch einige Wiesen wie durch Gärten sich von ihr trennen, zu ihren zehn Vorstädten schlagen, und er sei in meinen Augen der Stadtrichter. Er versetzte: »Es ist doch nicht Ihr Ernst.«
Im Schlosse wohnte niemand weiter als der Schloßhauptmann und seine Ratten und »Weibsleute«. Er war ein Bauer und der Bruder und Sequester seiner Schwester. Sie war die Braut des Schulmeisters, wollt' aber seine Frau – ob sie es gleich ihren sel. Eltern versprochen hatte – nicht werden, weil sich mit dem Schuldiener ein hitziges Fieber gleichsam gerauft und ihm nicht so viel Haare gelassen hatte, als ein Truthahn noch in der Pfanne anhat. Ihr Bruder war ihr von der Obrigkeit gesetzter Sequester, damit sie kein fremdes Handgeld, d. h. keine fremde Hand unterdessen nähme: denn keine Liebe – selber die erste, fünfte, neunte nicht ausgenommen – hat ein Mädchen so schnell als die zweite.
Ich und der Gerichtshalter waren so glücklich, daß sie unsre Heiduckin, Jagdlakaiin und Adjutantin war; man bälge oder schäle die Venus Urania aus, hänge ihre Haut einige Tage im Sommer ans Trockenseil zum Einlaufen und ziehe der Göttin den dürren Überzug, die Nachtkleidung, wieder an und seh' ihr ins Gesicht: so hat man – unsre Eva. Es war an ihr, wie an andern Schwanen, alles herrlich, nett und weiß, nur die Haut nicht. Ich weiß kein größeres Lob ihrer Schönheit als dieses, daß der Verfasser und Seraphinen-Ritter Torsaker, als die jungen Pursche von Obersees in den Schloßhof kamen, um ihr – sie nahm gerade einigen groben Stühlen die Stuhlkappen ab – wie den andern Mädchen seidne Floskeln und Flügeldecken und Berlocken für die Purpurfahne des Maienbaums abzubetteln, kein größeres Lob weiß ich für sie, sag' ich, als daß ich meine seidne Reise-Krawatte aufknöpfte und herunterzog und ihr hinreichte mit den Worten: »Schenk' Sie es dem Maienbaum in Ihrem Namen.« Sie wollte nicht, sie mußte aber.»Man kann in unsern Tagen«, sagt' ich, »leicht à la Hamlet gehen.«
Ich habe oft meinen Freunden abgeraten und vorgehalten: »Man muß Frauenzimmern und Leuten von höherm Stande nicht den geringsten Gefallen tun, um etwan ihre Liebe damit zu erbeuten, wiewohl mans tun kann, um seine zu zeigen. Denn beide sind so sehr an diese Personensteuer und Landtaxe gewöhnt, daß man sie zehnmal mehr einnimmt, wenn man sich von ihnen eine Gefälligkeit – erweisen lässet.« Ich führe diese ewige Theorie und Satzung nur an, um zu bemerken, daß sie grundfalsch ist, wenn man sie auf geringere Mädchen appliziert: diesen kann man ohne allen Schaden die besten seidnen Schnupf- und Halstücher zuwerfen und zollen.
Es ging jetzt gegen Abend: die Sonne setzte ihren letzten Tags- und Frühlingsglanz herrlich in bewegliche Edelsteine auf den von Floßfedern geschlagnen Wellen um, auf den grünen Fensterscheiben, auf den wankenden Laubenhälsen, auf den durchsichtigen Gipfeln und auf einem Wölkchen, nahe an ihr und der Erde. Sie hätte sich, wären jemand im Dorfe zwei Tropfen in den Augen gestanden – welches bei der allgemeinen Vigilienfreude kein Wunder gewesen wäre –, in die Tropfen aufgelöset und sich als eine Goldsolution ans dämmernde Auge gehangen.
Weyermann wartete, bis die Jugend des Orts sich bei ihm eine Erlaubnis auswirkte, den Maienbaum als einen Schlagbaum oder ein Schutzbrett ihres Freudenstroms aufzuziehen: dann, nach der Permission, konnten wir ins Dorf hinuntergehen zum Maienbaum. Welches Lust-Feldgeschrei! Wie erheben sich alle Herzen zugleich mit einem Baum! Beßre Baumheber als die, die ihn sonst umstürzten, sind jetzt die Bettaufhelfer des liegenden Freiheitsbaums, und unzählige Stäuber richten ihn empor, gleichsam als ein Sinnbild eines guten Staates, oben mit einem hangenden Garten grünend, mit einem Gipfelputz von seidnem Ordensband-Tauwerk, mit bunten Brahmsegeln zum Stehen, mit einer roten, knarrenden Freiheitsfahne und einem roten Hahne und mit einem gleißenden Stamm, herrlich geschält und abgeblattet und fest in die Erde, ohne Wurzeln, eingeschraubt und eingestampft. Als der sixtinische Obeliskus in Rom sich aufrichtete, war der Lärm ebensogroß, aber nicht der Jubel, und die Römer hatten nicht so viele Schmerzen in die Flucht geschlagen, daß sie, wie die sieghaften Oberseeser, um die Siegessäule tanzten. Ich und der Stadtrichter waren, ungefähr 30 Schritte davon, glücklich: er wars, weil er vor allen Leuten neben dem Kammerherrn v. Torsaker stand und dessen seraphisches Paternoster aus Köpfen frei angreifen durfte, nicht zu gedenken, daß auf morgen der Antritt seiner Regierung über die ganze Volksmenge fiel – ich war noch glücklicher, denn ich sah in einem fort meine Stipendiatin an, die schöne Eva, und bewunderte in der Dämmerung ihren Teint (denn es gibt keine beßre sinesische Schminke bei David Schirmer in Leipzig als mein kurzes Gesicht), und zweitens sah Eva in einem fort auf mich und zeigte vielen ihren Mäzen und Wohltäter.
Welche Einheit des Interesse, welche richtige Knoten, die auseinander müssen, bringt doch eine einzige schöne Gestalt für einen fremden Passagier, der sie festzuhalten sucht mit Blicken oder Fingern, in das ganze verwirrte, mit Akteurs bevölkerte, überladne Theater eines fremden Orts! – Steht eine solche Sonne noch unter dem Horizont, so ist der ganze Ort ein ödes, fröstelndes Schattenreich, und man hängt sein Herz an nichts weiter als an die Pferde, die einen aus dem Orkus oder Hades ziehen. In einem solchen jämmerlichen Falle bin ich gar ein ordentliches Windei ohne Dotter: es ist – außer dem, was ich schuldig bin – nichts aus mir herauszubringen, der Wirt mag mich mit seiner Brust ansitzen und anbrüten, wie er will. – Hingegen, wenn der elektrische Funke eines schönen Auges, die aura seminalis einer schönen Stimme über den Wind-Eiergang fährt: wie pulsieren da tausend puncta salientia im Kopf! Und die besten Gedanken werden flügge und schwingen sich auf!
Ich war auf nichts so begierig, als auf den Schulmeister zu treffen, den Bräutigam der Dauphine und Freya. Denn ich hatte vor, wenn er etwas taugte, für ihn zu arbeiten und einen schönen Ankerplatz in ihrem jungen Herzen für ihn zurecht zu machen und mich deshalb in letzteres selber zu begeben und einzuschleichen. Ich konnte präsumieren, wenn ich an die Pille, den Schulmeister, mich als Silber anlegte, so dürfte sie ihn in diesem Vehikel leichter ins Herz hinunterbringen.
Die Geschichte wird noch viel interessanter.