Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Jean Pauls

Biographische Belustigungen

unter der Gehirnschale einer Riesin

Eine Geistergeschichte

Erste biographische Belustigung

Die bleierne Jungfer Europa – das Schlachtfeld – die Melancholie – der Frühling.
 

Auf der Chaussee, den 28. April 1795.

Auf nichts ist die Welt in Büchern so erpicht als auf das, wovor ihr auf den Theatern so ekelt – aufs Erzählen. Der Leser hat sich kaum in sein Schlaf-, Lese- und Schreibkanapee gesetzt und ich mich in meinen Reisewagen: – sofort soll ich eintunken und meine Historie anfangen. Ich beteur' es ihm, ich erzähl' ihm eine – und die außerordentlichste dazu; – aber hier auf dem Schreibetische des Reisewagens ist nicht daran zu denken: es muß abgewartet werden, bis ich die erste biographische Belustigung zu Ende gebracht, die nicht länger währen kann als der Weg nach Waldkappel. Bin ich freilich in diesem Lustschlosse, das prächtig wie ein Obeliskus in der Schultheißerei Neuengleichen steht, übermorgen ausgestiegen: so setz' ich mich – ich verpfände mein Ehrenwort darauf – nieder und erheitre mein Auge an den entfalteten Pfauenspiegeln der Auen, an der Goldlasur des Horizonts und an den kouleurten grünen und weißen Lustfeuern des so eilig abbrennenden Frühlings und zeichne dann, mitten in diesen Lichtern, der Nachwelt die sonderbare Geschichte des vorigen Winters ab, die man schon im ersten Kapitel verlangte. Ich könnte sie auch unmöglich hier im Fürstentume Flachsenfingen, wo ich fahre, schon geben, hier, wo ich noch alle Gerüste, Kulissen und Opernkleider der ausgespielten Szenen samt dem eng zusammengerollten Theatervorhang der vergangnen Zukunft um mich sehe. Ach ich dürfte ja nur das Wagenfenster niederlassen und hinausschauen: so würde der Wagen gerade vor der Stätte vorüberrollen, wo meine Seele in dem Erdbeben zitterte, von dem meine Feder, wie ein von Salsano in Neapel erfundner Erdbebenmesser, die Richtung, die seine Stöße nahmen, jetzt auf dem Papiere nachmalt!....

Solang' ich fahre, schreib' ich oder schlaf' ich: denn unter der ganzen Fahrt kömmt der Wagenfenster-Vorhang nicht weg, und ich werfe keinen Blick hinaus; und das bloß deswegen:

Es ist aus astronomischen Gründen erweislich – im Grunde darf man nur die Augen auftun –, daß in Flachsenfingen heute, den 28sten April, wo ich abreisete, die dekollierte Allee noch aussah wie abgewetzte Besemen, womit der Winter den Frühlingshimmel rein gefegt – daß der Hofgärtner noch alle Gemüser aus den Mistbeeten liefern mußte – und daß die Wiesen, wodurch ich diesen Morgen kam, nichts Bessers waren als lebendige Herbarien mit der aufgeklebten falben flachsenfingischen Flora; die Faun ist noch nicht einmal aus der Erde. Das ist nun besser, als ich mirs wünschen konnte.

Denn in Waldkappel, wohin ich übermorgen gebracht werde, ist dafür schon ein ganzer voller lichter Frühling wie eine Sonne aufgegangen, der die dasige Natur mit Brautnächten und Schöpfungstagen überhäuft: alles quillt, blüht, schillert und singt schon dort. Ich kann also, wenn ichs recht mache, aus dem flachsenfingischen braun-gegitterten Sparrwerk des Lenzes auf einmal in den ausgebauten blendenden Sonnentempel desselben treten. Und zu diesem Zwecke wird die erste Belustigung geschrieben; und ich bitte die guten Leser, es gern zu sehen, daß ich mir die Langeweile der drei Tag- und der zwei Nachtreisen dahin, die ich völlig eingemauert unter der Himmelhaut der Kutsche versitze, durch schönes Ausschweifen und Sprechen mit ihnen verkürze: ihnen kömmts ja auch zustatten, wenn ich nachher den Frühling prächtiger nachsteche. Welch ein einfältiger Mann müßte überhaupt der sein, der unter dem Fahren aus dem Wagen gucken und sich von den Ländern, wodurch er rollt, den Frühling heft- und scheibenweise in den Schoß wollte schneiden lassen – zuerst Grasspitzen – dann Staudenblätter – dann sechs gelbe Schmetterlinge und ebensoviel gelbe Blumen – und endlich mehrere grüne Birkengipfel als Bier- oder Birkensaftzeichen! Könnte denn ein solcher Mann nicht bedenken, es sei kein Unterschied, ob er sich von der Zeit oder dem Raum den Frühling wie einen zerlegten Gliedermann Glied vor Glied zubröckeln lasse? – Beim Himmel! die Natur soll übermorgen wie eine riesenhafte Göttin mit allen ihren Strahlen, Adern, Reizen und Girlanden Knall und Fall aufrecht vor mir stehen, und ihren Schleier sollen Frühlingslüfte weit aufheben und über mich wegwehen: ich werde schon zu seiner Zeit, wenn mirs zuviel wird, erblinden und umfallen. – –

Solange Schnee fällt, will der Mensch alle vier Welt-Ecken bereisen; – bricht aber das Frühjahr an, so schlägt er zwei seiner besten Vorsätze aus der Acht, erstlich den, früher aufzustehen, und zweitens eben den obengedachten. Ich bin – das sieht Europa – anders und reise jährlich. Aber in diesem Jahre ist noch dazu der Fall dringend.

Es ist nämlich wenigen Menschen in Deutschland unbekannt, daß ich in der Stadt Flachsenfingen im Schlosse des Fürsten wohne, und zwar (in gewissem Sinn) als apanagierter Prinz: ich darf das bei Deutschen voraussetzen, da ich in den Hundsposttagen, deren Ballen vielleicht heute (den 28sten April) ohne mein Wissen neben ihrem Verfasser vorbei und auf die Ostermesse fahren, über meine wichtigsten Personalien deutlich genug herausgegangen bin. Nun wurzl' ich hier am Throne und Hofe, wo man alles in der Welt bequemer machen kann als ein Buch. Man hat keine Zeit – kaum erübrigt man soviel, um noch etwas Wichtigers zu machen, nämlich so viele Besuche wie ein Arzt, deren z. B. der Arzt Antonio Porcio in Neapel täglich dreihundert ablegt. Ich ging also meinen Herrn Vater – ich will Se. Durchlaucht so nennen – um eine Dispensation von der Hoftrauer, d. h. um die Erlaubnis an, nach seinem Lustschlosse Waldkappel zu reisen und da im blühenden singenden Freudenhimmel – worein ohnehin so wenig einer vom Hofstaat will als in den künftigen – das Frühjahr einsam zu verschweigen, d. h. zu verschreiben. Denn in der Tat, da will ich eben gleich der webenden Gartenspinne unter freiem Himmel, und von nichts eingeschlossen als von Blüten, wieder mein biographisches Weberschiff durch historische Fäden werfen. Wahrlich, ich kann nicht genug schreiben, nicht einmal für mich selber; so viel lieset heutigestags ein Mensch.

Aber auch ohne Dintenfaß und Federbüchse hätt' ich nach Neuengleichen fahren müssen, schon bloß des Frühlings wegen: denn hier denke man nur nicht daran, nur in einen Gießbach oder in ein grünes Kabinett auf eine gescheute, d. h. gerührte Art hineinzusehen, ich meine hier unter den durch Glanzpressen und Druckwerke schlank und fein gezognen Hoffiguren, die die Nudelmaschine dieses Säkuls wie Nürnberger Makkaroni in Kellern als zartes Gewürm ins Leben drückte. Ich besiegt' es hier mit meinem Ehrenwort, wir warten es allemal ab, bis die Blütezeit in etwas verstrichen ist; dann nehmen wir Pferde und eilen sämtlich in die englischen Anlagen, Villen und Lusthölzer hinaus – dann durchziehen wir in geselligen Marschsäulen die Einsiedleien oder Solituden und suchen, ohne den Transitozoll des Ennui zu umfahren, durch unsern gemeinschaftlichen Genuß das Vorurteil zu schwächen, als ob Höflinge, Damen und Leipziger Lerchen madig würden, wenn sie so gepackt sind, daß sie einander berühren – und endlich schießen wir uns aus den 24 Stunden eines astronomischen Tages gerade die wenigen freien zum Promenieren aus, die zwischen das Dinieren und Spielen fallen. Es würde alles noch besser genossen werden, wenn das Herz des einen und des andern nicht so eng zusammengezogen und eingeschnürt würde durch etwas, was seine Pflicht ist – so eng, daß er in seinen Herzkammern kaum für eine fremde Blume, geschweige für eine ganze Abendsonne, oder eindringende Frühlingswelt, oder gar für einen vollen Sternenhimmel Platz zu machen imstande ist – und dieses pflichtmäßige Etwas, was man ihm ansinnen kann, ist jenes Kaimans-Lauern auf die kleinste moralische Lücke und Blöße, die entweder ein Fürst oder seine Diener geben, und die stets von Bedeutung ist, weil alsdann entweder in den erstern der Saug- und Legestachel, oder in die andern der Giftstachel eingesetzt werden kann. Etwas Ähnliches findet sich – wie ich in Krünitz lese – auf Madagaskar, nämlich ein Insekt, namens Akadandef, das, gleich unsern Roßbremsen, über den Tieren dem Augenblicke des Stallens auflauert, um sofort in ihre Eingeweide zu schleichen, die es zernagen will. Der beste Fürst kann zugleich der Erbfeind, der Augenzeuge und der Blutzeuge oder Märtyrer eines Akadandefs sein. –

Es ist lächerlich; aber ich lasse mir doch jetzt aus einem Gasthofe außer meinem Gouter ein Licht in meinen Wagen geben, weil es hier bei mir wie bei Tal-Insassen früher finster wird. Bei solchen Verleugnungen und Absichten konnt' ich daher einem blumigen Kammerherrn – sonst dem glatten Stockknopf des ganzen Kammerherrn-Stabs – unmöglich willfahren, als er mich sonntags anlag, unterweges in Wirzburg auszusteigen und beim Guardian des Minoritenkloster, P. Bonavita Blank, einzusprechen, der die ganze Natur von jedem Bergkessel bis zu jedem Blumenkelch zu seinem Färbekessel und Schmuckkästchen macht. Dieser malerische Pater (das hab' ich auch von andern, die alles gesehen) malt oder schafft seine Landschaften nicht aus oder mit Farbenkörnern, sondern aus oder mit ordentlichen Sämereien, gleichsam aus der Musaik des Ewigen – die Vögel aus ihren eignen Federn – Weiberschuhe aus Tulpen-, nicht Schuhblättern – den Staubbach aus Moosen – das Abendrot aus herbstlichem roten Laube – kurz die große Natur aus der kleinen. – – »Der größte Maler,« (sagt' ich ernsthaft zum Kammerherrn) »den ich je in diesem Fache noch gesehen und dessen Stücke der Minoriten-Guardian vielleicht in der Schweiz oder in Franken zu studieren Gelegenheit gehabt, dieser Maler, der imstande ist, zu Waldungen keine kleinere trockne Tusche zu nehmen als ganze Fichtenbäume und zu Gebirgen Felsen, zu Menschen Erdschollen und Äther, zu Himmeln Sonnen, dieser Artist, Herr Kammerherr, bei dessen Blättern ich Sie einmal vorzutreten rate, das ist unser Herr Gott.«

Jetzt leg' ich mich an den Seitenpolster und schlaf' ein und aus.
 

Den 29. April.

Ich gehe jetzt durch den Morgenglanz, und aus dem kalten blauen Himmel quillt eine länderbreite Flut von stählenden Frühlingslüften nieder, dringt in Tropfen durch meine Wagenfugen und badet meinen heißen Mund – die Lerchen fahren in ganzen Singschulen, gleichsam mit den Flügeln prall-trillernd, vor meinem Kasten empor, und überall schlägt ein frisch aufgequollnes Lebensmeer über meine Täucherglocke zusammen. – Aber ich muß jetzt die Feder wegwerfen, sonst nötigt mich meine vorlaute durstige Natur, nach nichts zu fragen und die Fenster einzustoßen und auf den guten Frühling mit meinen Blicken loszufahren, eh' er sich nur halb in die Kleider geworfen....

Schon an der gekerbten, schartigen Straßen-Treppe vermerk' ich, daß wir jetzt über die flachsenfingischen und **lichen Herkulessäulen heute nacht hinausgekommen sind. Auch werden die Gegenden immer wärmer. Denn Waldkappel liegt sehr südostöstlich.... Beiläufig! ich werde doch nicht zu besorgen haben, daß irgend jemand (etwan ein Ausländer) mein Waldkappel mit einem ganz andern, in der Landschaft an der Werra belegnen Waldkappel vermenge, oder meine Schultheißerei Neuengleichen darneben mit einer Namensbase in Katzenelnbogen? Die beiden Ortschaften, die Sr. Durchlaucht gehören, liegen ja an- und ineinander, aber die zwei andern gleichnamigen bekanntlich nicht. Ich hoffe überhaupt, daß niemand einen dermaßen abbrevierten Kursus in der Erdbeschreibung absolviert hat, daß er nicht weiß, wie sehr das Fürstentum Flachsenfingen, gleich dem niederrheinischen Kreise oder gleich Abdera, fast in alle deutsche Kreise verzettelt und zerworfen ist.

Eben läuten die vorübergetragnen Viehglocken die lärmende Messe des Tages ein – die Hirten klatschen – Rebhühnervölker knattern wie Raketen auf – mein Sattelgaul wiehert zu dem unten in den Wiesen naschenden Marstall hinab – betaute Äste schlagen, vom Kutscher abprallend, an den Wagen – und alles lärmt und lebt.

Es ist dem Publikum nicht zu verdenken, wenn es jetzt hofft, ich werde meine Zeichnungsmaschine mit dem Transparentspiegel aufsetzen und ihm damit einen vorläufigen Umriß von Waldkappel geben; aber ich war noch nicht dort und kann also nichts davon liefern als statt der Gemälde Aussagen. Was ich vernommen habe, ist, daß die Gegend sehr reizend ist und daß die Jungfer Europa darin steht. Von dieser Jungfer, auf die ich mich sehr freue, erstatt' ich für die, die nicht in Flachsenfingen wohnen (wer es schon weiß, überschlägt es), folgenden Bericht:

Mein Großvater, regierender Fürst von Flachsenfingen, der ein bekannter lebenslanger Rival von Hessenkassel – nämlich vom dasigen Landgrafen Friedrich – war, konnte sich über nichts so sehr entrüsten als über dessen »Winterkasten« und am meisten über den kupfernen Herkules darauf, – und das darum, weil er einen solchen Kasten und metallnen Goliath nirgends in seinem Territorium vorzuweisen hatte. Wenn zuweilen ein hoher Reisender oder gar ein vornehmer Hesse, der nichts von der Nebenbuhlerei gehört hatte, über der Tafel den hochstämmigen Enaks-Sohn oder Christofel – so nennt ihn der kasselsche Pöbel –, so gut er konnte, nach dem Leben schilderte, wenn er deswegen anführte, daß der Titan 31 Fuß messe (ohne das Stativ), daß folglich sein Ellenbogen unter kein preußisches Rekrutenmaß gehe, und wenn endlich der hohe Reisende mit dem letzten aufgesparten Zuge zu überraschen gedachte, daß der Orlogskopf zehn Mann, die noch dazu die herrlichsten Aussichten aus dem Schädel haben, recht bequem logiere und sein Keulen-Bloch nur die Hälfte: so wurde meinem Großvater vor Ärger nicht nur grün und gelb vor den Augen, sondern sein Gesicht nahm selber diese Farben an, und alle Hofkavaliere sahen es schon voraus, daß er mehr BauernkriegSo heißet oder hieß ein Rheinwein, der so alt wie dieser Namensvetter war, – ich denk', in Straßburg. als gewöhnlich (das sicherste Zeichen seines Grimms) sich werde servieren lassen. Das Beste wäre die Baute eines ähnlichen Winterkastens samt Zubehör gewesen, damit wieder der Landgraf von Hessenkassel seinerseits von hohen Reisenden über der Tafel durch Erzählungen hätte geärgert werden können. – – Das wollt' auch mein Großvater längst, konnt' aber nicht, weil der dem Winterkasten zur Unterlage nötige Geldkasten die einzige Stelle im Lande war, die man nicht durch Geld besetzen konnte.

Er sann überall darüber nach, auf der Jagd, in der Oper, in den Alleen, aber umsonst – er wollte (um nur Geld zu kriegen) gern alles tun, was einem Fürsten erlaubt ist – er wollte alles stempeln, sogar das Löschpapier, die Brandbriefe der Spitzbuben, jeden Privatbrief und alle Wappen und Pitschaften – er wollte die toricellische Leere richtig halbieren zwischen dem Kammerbeutel und der Chargenkasse – er wollte verpfänden und vermieten (nämlich Schatullgüter und Landesstiefkinder) – er wollte die Justiz wie einen vornehmen Fremden an den Hof ziehen und die plumpe Gerechtigkeitswaage umarbeiten lassen zu einer Perlen- und Probierwaage für die Themis als Hofbankierin – – – er wollte das alles mit dem größten Vergnügen tun; aber es war nicht zu tun: denn eben alles dieses hatt' er – schon getan für geringere Staatsausgaben.

Der Kammerpräsident und sein Sohn dachten noch mehr darüber nach, und brachten fast noch weniger heraus.


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