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6.

Aber Veronika war jung. Ihre Sinne waren gesund, ihr Gemüt voll Lebenssaft. Das Dasein auf dem engen Raum eines Schiffes hält die Menschen nahe aneinander. Über einen Dritten kam sie in ein Gespräch mit dem Ingenieur Keill. Beck schien seinen Besuch in ihrer Kabine vergessen zu haben. Das Natürliche gewann rasch die Oberhand, und die Ereignisse jenes Abends verblaßten.

Mit dem neuen Mitreisenden kamen Beziehungen auf.

Sie fand in ihm einen Menschen, dessen ungezierte Unmittelbarkeit ihn in Gegensatz zu Beck stellte. Mit Beck verband sie eine dankbare Zuneigung wegen seiner, wie es ihr schien, uneigennützigen Hilfsbereitschaft. Aber Keill wirkte auf sie durch seine Wesensart. Sie tadelte sich darüber.

Keill seinerseits war glücklich, sich wieder zu dem ersten Eindruck bekennen zu können, den sie auf ihn gemacht hatte. Schon die bloße Gegenwart Veronikas machte ihm den Augenblick heiter und leicht, und oft überraschte er sich dabei, wie er selbstvergessen seine Blicke der lichten Natürlichkeit ihres Bildes folgen oder in dem unberührten und ernsten Glanz ihrer Augen ruhen ließ. Dann stand ein Lächeln in seinem Gesicht, so glückhaft und verloren, daß rundum Umgebung und Welt versanken.

Veronika nickte ihm aus einer süßen fast traumleichten Vertrautheit zu. Manchmal warf sie aus der fröhlichen Wallung heraus, in die sein Anblick ihr Gemüt setzte, scherzende Worte zu ihm hin, und auf seinen Vornamen Narzissus anspielend, und sein ein bißchen verwildertes Aussehen neckend, trällerte sie gern die Figaro-Arie:

»Um den Schönen die Ruhe zu stören,
ein Adonis, ein kleiner Narziß …«

» Ihr Name beginnt überhaupt erst mit der dritten Silbe«, beantwortete er einmal die Neckerei.

»Und dann?« fragte sie.

»Nun, dann ist die Veronika eine richtige Nikae!«

»Ach«, seufzte Veronika, »ich trag's ja überhaupt schwer mit diesen Griechen. Immer die Nähe des Sohnes eines Flußgottes! Man kommt, nicht zu seiner Natürlichkeit! Oder soll ich mich irren? Ist Narzissus denn nicht der Sohn des Flußgottes Kephissos, jener Narzissus, der zu Olims Zeiten wegen seiner Schönheit so berühmt gewesen ist?! … gewesen ist!« wiederholte sie mit neckendem Nachdruck.

»Ich verstehe: zu Olims Zeiten!« rief Keill aus. »Ach, Schwabemädle, Sie sahen es gleich!?«

Diesen Namen gab er ihr wegen ihrer süddeutschen Sprechweise. Veronika machte ein betrübtes Gesicht.

»Moi«, schwäbelte sie, »alle Schönheit ischt vergänglich. S'ischt welleweg solang her! Fascht hätt' i Ihne nimmer erkannt!«

»Aber ich weiß auch, woher es kommt«, setzte Keill das Spiel fort. »Weil keine Quelle an Bord ist …«

»Die Ihnen Gelegenheit gibt«, nahm Veronika das Wort an sich, »sich in Ihr Spiegelbild zu verlieben und vor Sehnsucht nach ihm zu verschmachten. So bleiben Sie uns wenigstens erhalten und brauchen sich nicht in eine Narzisse zu verwandeln, wie in Ihrer griechischen Zeit.«

»Diese Gefahr droht mir dennoch … wenn ich Schwabemädles Augen mit einer Quelle verwechsle!«

»Oi, oi!« rief Veronika aus und hielt ihre Augen fest zugepreßt, indem sie die Hand darauf drückte.

»Wenn Sie mich Ihre Augen wieder sehen lassen, dann entzaubere ich Ihnen alles, indem ich meinen richtigen Namen nenne!«

Ihre Hand flog von den Augen fort, die ihn anstrahlten, und sie flehte:

»Ja, ja, bitte, rasch! Es ist höchste Zeit!«

Und Keill sagte:

»In meinem Heimatstädtchen nennt man mich übrigens nicht Narzissus, sondern nie anders als ›der Zieses‹.«

»Der Zieses!« wiederholte Veronika versonnen tuend. »Ach, das riecht nach Hasenpfeffer! Ja, das ist weniger mythologisch, aber …«

Jetzt schaute sie abbrechend wie träumerisch in die Weite.

»Aber?!« mahnte Keill.

Dann platzte sie heraus:

»Aber es paßt besser!«

Solche Neckereien und Schelmereien waren unmerklich das Tagewerk der beiden geworden. Wie zu einem Rosenkranz zärtlicher Tändeleien fügten sie sich aneinander.

Beck ging nebenher, obgleich die beiden durchaus nichts taten, durch das sie ihn hätten ausschließen wollen.

Nie hatte Beck erlebt, daß Menschen so harmlos und unbekümmert miteinander verkehrten. Immer hatten Berechnung, Mißtrauen, Ehrgeiz, Kampf, Abwehr und Angriff, Ränkespiel und sich Verstecken ihre Gemeinschaft beherrscht, ihre Geselligkeitsformen durchfärbt. Ihm war, als seien hier zwei Kinder am Werk. Oder war das Liebe, was sie trieben, und ging es gegen ihn?

Denn seit dem Handkuß schien ihm oft, alles sei einerlei, und das Erbe in Sumatra vom Wind verwehter Staub, und nichts galt mehr auf der Welt als der Besitz dieses Mädchens.

Seine Eitelkeit und sein Willen lagen im Kampf miteinander. Und in seiner Ohnmacht, sich zwischen die beiden hineinzufinden, begann er Keill zu hassen, den er bisher nur undeutlich gefürchtet hatte.

Um sich aus dem Zwiespalt zu retten, trotzte er bei sich: Man schaue doch nur diesen Mann und mich an, mich Siegesgewohnten und diesen Hinterwäldler! … und er versuchte, sein Wolkengesicht zu machen.

Doch war deutlich zu erkennen: Es war nicht mehr das von früher, das so restlos in Selbstgefallen aufgelöste, in einer voraussetzungslos einfältigen Eitelkeit über die Welt erhabene – um den Mund lag ein säuerlicher Zug und deutete den Zusammenhang mit den Sorgen dieser Welt und keineswegs die Überlegenheit darüber an.

Ohnmächtig die Dinge zu leiten, wie er es bis zu dem Abend nach Aden getan zu haben glaubte, mußte er ihnen ihren Lauf lassen. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten. Aber er sammelte Gift an, wenn er auch nach außen Fassung zeigen mußte und das Spiel der beiden mit den Formen der liebenswürdigsten Duldung quittierte.

So lebte Beck neben ihnen. Er störte die beiden nicht. Aber dann kam es vor, daß Veronika mit ihren kleinen Sorgen sich zu Keill flüchtete. Sie schoben ihre Stühle in eine wind- und menschengeschützte Ecke. Veronika erzählte Erlebnisse ihrer strengen und einsamen Jugend, ihrer Universitätszeit und besprach mit ihm die Möglichkeiten ihrer kommenden Tätigkeit in Hankau.

»Ich weiß nicht«, unterbrach sie sich, »weshalb es mir eine solche Beruhigung ist, daß auch Sie nach Hankau reisen.«

»Was beunruhigt Sie denn?« fragte Keill zurück.

»Eigentlich nichts«, machte sie. »Dennoch!«

Hat sie ihr Vertrauen in Beck verloren? fragte sich Keill, der selber nie aufgehört hatte, Mißtrauen gegen diesen Mann zu hegen, auch wenn die Regungen, die in den ersten Tagen an Bord ihn gegen Beck beherrscht, sich etwas verlaufen hatten. Nachsinnend schwieg er einige Augenblicke, in denen er den Kopf gesenkt hielt. Als er ihn wieder hochrichtete, stießen seine Augen auf Beck, der sich in der Nähe aufgestellt hatte und herschaute, aber gleich das Gesicht abwandte. Keill hatte die Empfindung, als habe er ihn ertappt.

»Woher kennen Sie Herrn Beck, Veronika?!«

Veronika hatte ihm manchmal von den Diensten erzählt, die Beck ihr erwiesen. Jetzt fiel ihm ein, daß sie ihm nie berichtet hatte, wie sie an ihn gekommen war. Er wartete eine Weile auf Antwort, indem er Beck im Auge behielt und zugleich sich Vorwürfe machte, daß er erst heute die Wichtigkeit dieser Frage erkannte.

Als sie noch immer nichts hören ließ, schaute er zu ihr hin und gewahrte, wie ihre Augen, mit Tränen gefüllt, ihn hilflos anschauten. Er erschrak. Was hatte er in diesen Tränen zu erkennen? Hatte sie nicht alles gesagt? Hatte sie über Beck mit Fleiß das verschwiegen, was er jetzt über ihn wissen wollte? Welche begründete Ursache hatte sie, es zu tun?

»Weshalb verschweigen Sie mir etwas?« fragte er, ein wenig hart, von einer Furcht getrieben, in der ein anklagendes Aufbegehren wartete.

Erst nach einer Weile stammelte sie mit flüsternder Stimme:

»Es ist so schwer!«

Ihre Hilflosigkeit machte ihn weich.

»Veronika,« sagte er, »kann es nicht leichter werden, wenn Sie darüber sprechen?«

Zaghaft schauten ihre Augen ihn an. Es lag ein wolkiges Licht in ihrer Honigfarbe. Dann reichte sie ihm die Hand hin, zog sie nach einem raschen Druck wieder zurück und antwortete entschlossen und leise:

»Peter Voyder war mein Großvater. Herr Beck hat mir die Nachricht nach Berlin gebracht, daß er sich das Leben genommen hat und gab mir einen Brief vom Notar meines Großvaters …« Und als Keill sie fragend anschaute, fügte sie noch hinzu: »Es stand nichts drin, was meinen Großvater unmittelbar betraf, nur … Beileid … und daß der Überbringer Herr Beck sei … auch aus Sumatra.«

*

In dieser Zeit herrschte in Medan im Hotel de Boer ein aufgeregtes Hin und Her zwischen Zimmer 6, in welchem Fräulein Frilling, und Zimmer 26, in welchem Tiffriche untergebracht waren. Aus Port Said war ein Kablogramm eingelaufen, an Tiffriche adressiert.

Es hatte einen Codetext, und Tiffriche ging gleich mit ihm in das Zimmer von Fräulein Frilling. Er hatte es geöffnet in der Hand, als er eintrat, tat sehr geschäftig, wichtig und von oben herab:

»Schnell den Abc-Code!« sagte er mit befehlendem Ton.

Die Codebücher und alles, was das Geschäftliche anging, waren in Fräulein Frillings Verwahrung.

»Wird's bald!« mahnte Tiffriche mit Ungeduld.

Fräulein Frilling warf einen bösen Blick ihrer schwarzen Augen auf den schlaksig an den Tisch gelehnten Tiffriche.

»Geben Sie her«, sagte sie dann, keine Spur höflicher als Tiffriche. »Sie können es doch nicht entziffern.«

»Es ist für mich, nicht für Sie!« entgegnete Tiffriche. »Den Abc-Code!«

»Ist es vom Boß?« wurde dagegen gefragt.

»Das hören Sie, wenn die Zeit da ist, daß ich es Ihnen mitteile. Marsch, den Code!«

Fräulein Frilling holte schließlich das dicke kurze Buch aus einem Schrank und warf es zu Tiffriche hin auf den Tisch. Sie trat an ihn heran. Aber Tiffriche wies sie mit einer Handbewegung zu ihrem Stuhl zurück.

»Wollen Sie so liebenswürdig sein, sich nicht zu bemühen«, sagte er, »meine beiden Augen genügen.«

»Wenn es vom Boß ist, ist es ebenso für mich«, zeterte die Frilling.

»Können Sie lesen?« machte Tiffriche, faltete das Formular so zusammen, daß nur die Adresse sichtbar wurde und hielt es ihr hin. »Heißen Sie Tiffriche?« fragte er.

»Laffe!« entgegnete die Frilling, riß mit einem affenartigen Zugriff der Linken das Papier aus seiner Hand, und, indem sie sich auf den Fußspitzen an ihm hochrichtete, klebte sie ihm zugleich mit der Rechten eine leichtknallende Ohrfeige an den unteren Teil seines langen Kinnbackens.

»Freuen Sie sich, daß ich nicht die Faust des Boß habe!« kreischte das alte Mädchen.

Tiffriche schaute mit bejammernswerter Hilflosigkeit drein, maulte: »Flederwisch!« nachdem er sich ein paar Schritte zurückgezogen hatte, und ergab sich in die Lage.

Die Frilling nahm das Codebuch wieder auf und ging mit ihm und dem Kablogramm an ihren Platz. Sie stülpte die große Hornbrille auf den Höcker ihrer Nase und entzifferte, mit der linken Hand den Code blätternd, mit der Rechten die Übertragung auf ein Blatt eintragend, folgendes Telegramm:

»Tiffriche, Hotelboer Medan an bord ermland stop abreist sofort schnellstens hankau stop mitnehmt pu stop bereitet diskretes dauerquartier für junge dame und mich stop abwartet mich dort nach abmachung b stop lerche bleibt posten medan.«

Dieser Text übte eine nicht mißzuverstehende Wirkung auf die Frilling aus. Eine Weile mahlte sie stumm Lippen und Zähne übereinander mit deutlichen Zeichen des Kampfes gegen einen Jähzornsanfall.

Tiffriche, der sich mit behaglicher Genugtuung rittlings auf einen Stuhl lümmelte, rief hinüber:

»Nun, was meldet mir der Boß so Interessantes?«

Erst verzog die Frilling verächtlich die Lippen. Sie hatte gute Lust, ihm das Telegramm überhaupt vorzuenthalten und ihm seinen Inhalt lediglich als einen Befehl zu übermitteln. Sie sorgte sich dann aber über die Wirkung, die das auf Herrn Beck-Duvernois haben könnte, und so las sie den übertragenen Text. Immerhin an Stelle von »Lerche« las sie »Fräulein Frühling«.

Tiffriche rieb sich die Hände und grölte:

»Das ist mir einmal wieder etwas nettes Neues. Schau, schau, der Boß wieder auf Liebessohlen! Aber diesmal riecht es verdammt versengt. Meinen Sie nicht auch, Fräulein Frilling?«

»Vollführen Sie Ihre Indianertänze, bitte, wo diese und wo Sie hingehören und machen Sie sich lieber auf die Beine. Verständigen Sie Ihren Kollegen Pu! Gehen Sie zu den Agenturen der Schiffahrtslinien und erkundigen Sie sich nach den Möglichkeiten. Bis Mittag wünsche ich Bescheid, wann Sie reisen können. Ich schärfe Ihnen noch besonders ein, daß Sie sich in Hankau nach Abmachung B zu verhalten haben. Sie wissen, daß diese Abmachung Ihnen vorschreibt, jeden Zusammenhang mit dem Boß zu verbergen. Herr Du Vernois wünscht nicht, daß man Ihre Galgenvisage in seiner Nähe sieht!«

Tiffriche überhörte diese Bemerkung. Er rieb sich jetzt die Hände und vollführte mit den breiten dünnen Lippen genießerisch schlürfende Laute.

»Muß ein leckeres Täubchen sein, diesmal!« sagte er. »… diskretes Dauerquartier!«

»Sie können ohne jede weitere Bemerkung über diese … Dame abmarschieren, Herr Tiffriche! Wenn Sie mit der Abreise in Ordnung sind, kommen Sie mir berichten und Geld holen. Sie bringen Ihren Kollegen Pu mit. Ich muß auch ihm die notwendigen Anweisungen geben!«

Ein kurzer Stoß ihres Kopfes wies ihm den Ausgang. Summend und trällernd: »Ein li … la … lachendes Täubchen und keine zi … za … zähe Lerche!« schassierte er mit seinen schlaksigen Haxen zu der Tür und verließ das Zimmer.

Schon am Abend fuhren Tiffriche und Pu nach Belawan und in der Nacht mit dem Dampfer nach Singapur, wo sie gleich Anschluß nach Schanghai hatten. Sie reisten, ohne einander vor den Passagieren zu kennen, Pu, seiner Gewohnheit nach, in der Chinesenklasse. Er machte von dem väterlichen und nicht chinesischen Teil seiner Abstammung nie Gebrauch und verbrachte die Nacht mit Opiumrauchen und Glücksspielen zwischen kleinen kantonesischen Kuliverkäufern.

*

Keill hatte die Begegnung mit Beck in Beira oft überdacht. Beck selber schien ihn nicht erkannt zu haben oder sich nicht mehr zu erinnern. Aber erinnerte er sich wirklich nicht mehr?

Natürlich wußte er, die einzige Möglichkeit oder wenigstens Wahrscheinlichkeit zur Klarheit hätte eine unmittelbare Anfrage bei Beck über Beira gebracht. Aber sie zu stellen, hinderte ihn ein doppelter Umstand:

Er liebte es, diesen Mann mit den Zweifeln eines Makels belastet zu sehen, und verbarg sich nicht, daß Veronika schuld an dieser Regung war. Und dann hätte nach der offen ausgesprochenen Frage Keill sich aufgedeckt. Er hielt sie lieber im Hinterhalt. Dann war sie etwas wie eine Waffe im Augenblick der Gefahr. Und, augenblicklich wenigstens, sah Keill keine Gefahr.

Was er augenblicklich an Beck sah, war: ein Mann, der sein Wesen zwischen Liebenswürdigkeit und Hochmut zu unruhig in der Waage hielt, und zwar einem Hochmut, der so geistlos albern sein konnte, wie die Liebenswürdigkeit geistlos förmlich war und nicht einer angeborenen Anlage seiner Natur entfloß.

Was er bis jetzt sah, war ein Mann, der sich sozusagen einnebelte. Denn wenn Beck gelegentlich auch sehr ungenaue Gespräche über Jugendtage in Kanada oder über Teeplantagengründungen führte, so fiel nie aus seinem Mund ein Wort über ein Vaterhaus, eine Schule, einen Beruf, über Bekannte oder Freunde, über Interessen, nie war etwas über seine Lebensbedingungen außerhalb dieser Reise zu erfahren gewesen.

Nun ja, er gab in seinem Auftreten und seiner äußeren Erscheinung das Bild eines großen Herrn! Aber Hochstapler und Menschen mit ähnlicher Lebensbetätigung konnten Erfolge ja nur in der Tatsache haben, daß sie wie andere ehrliche Menschen aussahen und mit ihrem äußeren Auftreten diesen etwas voraushatten, zumindest ihnen gleich sahen.

Deshalb hatte sich in Keill immer der letzte untilgbare Rest von Zweifel und Mißtrauen erhalten.

Und nun kam Veronika mit ihrem Bericht, daß Beziehungen Becks zu Peter Voyder bestanden. Jetzt konnte er diesem Mißtrauen eine bestimmte Richtung geben. Denn jetzt wußte er, Beck hing mit Sumatra zusammen und war in Lindau gewesen. Was suchte ein internationaler Mann wie dieser in einer kleinen deutschen Provinzstadt? Nicht nur war er aber in Lindau gewesen, er hatte dort mit Kreisen zu tun gehabt, die Peter Voyder berührten, und dieser selber hing wiederum ebenfalls mit Sumatra zusammen. Vielleicht war Beck mit Peter Voyder selber zusammen gekommen, oder war er durch dessen Tod nach Lindau gebracht worden? Was hatte ein Mann von so zweifelhafter Prägung um Peter Voyders Sterbebett herumzufleddern und dessen Nichte seine Hilfe und seine Nähe in einem Ausmaß anzubieten, das Verdacht erwecken mußte?! War dort vielleicht der verborgene Knopf, unter dem es auf Druck klingelte? Jetzt leiteten neue Gesichtspunkte die Gedankenreihen, in denen Keill dem Fall nachzugrübeln fortfuhr.

Nachdem er erfahren hatte, daß Beck von Sumatra gekommen sei, hatte er einige Tage darauf erwartet, Beck verlasse sie nun bald, um von einem der Häfen eine Verbindung nach Sumatra zu nehmen. Das hätte sie nicht nur von seiner Gegenwart befreit, sondern eine Klärung der Lage gebracht; denn damit wären Becks Ritterdienste an Fräulein Voyder auf ein glaubenswürdiges Maß zurückgeschrumpft. Beck hätte eben die Gelegenheit der Begleitung wahrgenommen, indem er zugleich nach seinem Wohnort zurückreiste.

Aber nichts dergleichen geschah. Es wurde nicht davon gesprochen, daß er nun bald von Bord ginge, und so blieb die unwahrscheinliche Lage weiter bestehen, daß ein Mann aus reiner Teilnahme, ohne Eigennutz eine mehrmonatige Reise mit ihren Kosten, Mühen, ihrer Beanspruchung an Zeit auf sich nahm, dazu ein Mann, der Fräulein Voyder eine Woche vor der Abreise zum erstenmal gesehen hatte, also nicht einmal der Pflicht einer alten Bindung freundschaftlicher Beziehungen folgte.

Keills Vorstellungskraft landete schließlich vor zwei Möglichkeiten: Beck hatte über Peter Voyder oder dessen Tod ein Interesse daran, sich zu der Enkelin zu stellen … Oder: Beck liebte Veronika.

Keill hatte sich lange gescheut, diese Möglichkeit als eine klare Tatsache mit in Betracht zu ziehen. Jetzt konnte er gerade an sie nie mehr denken, ohne eine heftig aufkeimende Erregung, ein quälendes Unbehagen niederzwingen zu müssen. Ja, die Zustände gingen so weit, daß er in der Heimsuchung durch diese Vorstellungen und ihre Möglichkeiten etwas sah, das Katastrophe und Fatum enthielt und androhte … nicht nur für Veronika, auch für ihn.

So sah er sich in eine Verantwortung verstrickt, die er Veronika Voyder gegenüber zu erfüllen hatte. Damit wurde aber auch seine Stellung zu Beck unfrei. In dessen Gegenwart mußte er sich ununterbrochen Zwang antun. Er trotzte sich jetzt ab, in ihm wirklich den Verbrecher von Beira zu sehen, und er fühlte Veronika und sich selber durch die Berührung mit ihm beschmutzt, ohne daß er doch die Folgerung zog, die Beziehungen abzubrechen.

Vor dieser Gewaltsamkeit, die ja in dem so eng aufeinanderlebenden Kreis der Schiffsgäste einer Explosion gleichgekommen wäre, scheute er zurück. Für sich allein wäre er losgegangen. Aber er würde Veronikas Ruhe gefährden … oder war nicht auch die heimliche Angst in ihm, Veronika könnte nicht an seine Seite treten?

Der unnatürliche Zustand rief in seiner Verfassung die gefährlichsten Wirkungen hervor. Oft mußte er in seine Kabine flüchten um, allein und ohne Zeugen, den Ausbruch einer jähzornigen Raserei in sich austoben zu lassen. Dann trieb er sich in seiner Eifersucht zu dem Vorsatz an, Veronika zu zwingen, zwischen dem Verbrecher, dem Strauchdieb in Kavaliersaufmachung und ihm, Keill, sich sofort zu entscheiden.


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