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Du Vernois gab sich für einen Kanadier aus, aber viele behaupteten, er sei ein Deutscher oder ein Holländer. Jedenfalls war sein richtiger Name Paulus Jan von Beck-Duvernois. Diesen Namen kürzte er selber ab, und um auch dem gekürzten Namen den Charakter des Adels zu lassen, trennte er zugleich, was blieb, in du Vernois.
Freilich nannte er sich auch manchmal nur von Beck. Im Leben eines Mannes, der wie dieser zwischen den Weltteilen wirkte, können Lagen entstehen, in denen es von Vorteil ist, mehrere Namen zu führen und in einem du Vernois nicht zugleich auch einen Beck erkennen zu lassen.
Paulus Jan du Vernois stand am Kopf seines Briefpapiers, begleitet von der Bezeichnung des Berufs: »Internationaler Rechtsanwalt«, und zwischen Klammern darunter (Yale University USA.). Das wollte sagen, daß er an dieser Hochschule studiert hatte. Vielleicht stimmte die Angabe. Man hörte niemals, daß jemand es nachgeprüft hätte.
Beck-Duvernois saß in dem auf europäisch hergerichteten Empfangszimmer des Sultans von Kuala. Die Möbel waren zierlich und vergoldet, aber der Sultan selber war ein kräftiger Mann, gedrungen, mit breiten Schultern, in jugendlichem Alter.
Sonst trug er den gebatikten Sarong aus Seide, der straff über seiner athletischen Brust saß. Aber zum Empfang des Weißen war er in einen Anzug aus chinesischer Rohseide und von europäischem Schnitt gekleidet.
Zwei junge javanische Mädchen schwebten herein, denen der Sarong wie ein Gewebe von Blumen die Brüste überspannte. Die eine trug ein Silbertablett, auf welchem zwei Kelche standen, mit kleinen Eisblöcken gefüllt. Als sie es auf das niedrige Tischchen abgestellt hatte, goß das andere Mädchen aus einer silbergefaßten Karaffe ein granatrotes Erfrischungsgetränk in die Becher. Gin duftete auf. Champagnerperlen quirlten vom Boden am Kristall hoch. Die beiden Dienerinnen verließen den Raum, und Beck-Duvernois war mit dem muskulösen Mann allein.
Von dem ganzen Zauber, der sich in solch einem Sultanshof verbirgt, hätte Beck am ehesten der Harem interessiert, der sich gewiß in dem niederen weitläufigen Gebäude irgendwo befand. Aber vorerst lag ihm eine Antwort des Sultans auf seine Frage noch viel mehr am Herzen. Um den Sinn dieser Frage zu erfassen, muß etwas weiter ausgeholt werden:
Gründungen gehörten zu Beck-Duvernois' Beruf. Seit mehr als vier Monaten hieß sein großes Schlagwort: »Auf Sumatra muß Tee gepflanzt werden!« Man wird etwas zögern und die berechtigte Frage stellen: Tee auf Sumatra? Aber Sumatra ist doch das große Land des Tabaks, des berühmten sandfarbenen Deli-Deckblattes!?
Ja, es handelt sich um dieses alte Tabakland Sumatra und sogar gerade um die Landschaft Deli, in welcher die großen Tabakpflanzungen liegen. Medan ist die Hauptstadt, von der Fieberküste weggerückt und mit dem Hafen Belawan durch eine Bahn verbunden, welche meist durch Mangrovensümpfe geht.
Seit einigen Jahren zeigte die Weltfinanz dem Tätigkeitsgebiet des Tabaks in Sumatra gegenüber – Gleichgültigkeit. Sie ging schon lange auf Ersatz aus, und nachdem viele es auf anderen Gebieten versucht hatten, mit Petrol, Gold, Gummi, versuchte es Beck-Duvernois eben mit den Teeplantagen. Denn das war noch neu.
Er begann damit, Gutachten anzufertigen. In ihnen wurde nachgewiesen, der Boden dieses Landes gleiche völlig dem Ceylons, dem berühmtesten Teeboden. Verspreche die Qualität des Bodens also hohe Erträge, so komme dazu, daß das Land hier billig zu kaufen sei. Denn es wurde bisher nicht beachtet. Für Tabak lagen diese Bezirke zu hoch. Tabak ist an die heißere und feuchtere Luft der Niederungen gebunden.
Diese klimatischen Umstände waren auch die Ursache gewesen, daß Beck-Duvernois für seine Gründungen besonders das Gebiet des Sultan von Kuala, dem er jetzt gegenübersaß, ins Auge gefaßt hatte. Denn in diesem Sultanat hörte das für Tabak geeignete Land plötzlich am Hang der Berge auf, und das Vorland der alten Vulkane lag unter Wald oder Buschsteppe so gut wie brach.
Beck wußte durchaus nicht, ob Tee zu pflanzen hier die Aussichten bot, die er in seinen Prospekten anpries. Abgesehen davon, daß er keinen Tee trank, war ihm das auch sonst gleichgültig. Er hatte sich nie eine Teepflanzung angeschaut, geschweige denn sich über die Arbeiten in einer solchen Plantage unterrichtet. Er gehörte zu der Gilde jener, die keine andere Arbeit tun, als die Einrichtung des Fernsprechers auszunutzen. An seinen Plänen interessierte ihn nur, wie sie in Geld umzusetzen seien.
Es muß noch gesagt werden, daß der Aufenthalt des internationalen Rechtsanwaltes auf Sumatra kein ganz freiwilliger war. Bei Menschen dieser Art kann es leicht vorkommen, daß in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen ein plötzlicher Sog entsteht. Er kam von Ostafrika. In Mozambique war es ihm geschehen, daß er in dem Geschäft um eine Minenkonzession unerwartet auf einen Unbekannten gestoßen war, der ihn durchschaute, oder nicht durchließ, jedenfalls aber auch sich einer persönlichen Zusammenkunft, bei der man durch Beschwätzen etwas hätte retten können, entzog.
Da er mit der Kasse gerade in einer Flaute war, die sich in dem portugiesisch-afrikanischen Geschäft hätte sollen auffrischen lassen, war es ihm geschehen, daß ihm das Geld ausgegangen war.
Daß er dadurch gezwungen wurde, gerade auf dem etwas entlegenen Sumatra zu landen, hätte ein Pech für sich bedeutet, wenn er nicht die Fähigkeit besessen, sich der neuen Lage anzupassen und nun mit den reduzierten Möglichkeiten auf dieser Insel eine neue Chance zu suchen. Chancejägerei war ja sein Beruf. An Vielerlei gewohnt, ununterbrochen zwischen Hoch und Niedrig, dickfellig gegen Versager, wappnete er sich mit dem Willen zu letzter Unbedenklichkeit und hoffte, über diesen gewohnten Weg bald wieder aus dem Schlamassel draußen zu sein.
Kaum hatte er begonnen, nach der neuen Chance Ausschau zu halten, als ihm durch einen reinen Zufall eine solche von selber entgegenzukommen schien, noch dazu eine allererster Ordnung.
Auf einer Reise durch das Hinterland des Kaffeedistriktes war er in ein Gebiet geraten, das von großer und mannigfaltiger Naturschönheit war, zugleich alten Waldbestand und Wasser besaß, denn ein Fluß, den ein begleitender Einheimischer als den Lau Biang bezeichnete, durchfloß es.
»Wem gehört dieses Land?« fragte er den Javaner.
»Weiß nicht, Herr!« antwortete dieser.
»Hier herrscht doch der Sultan von Kuala? Es gehört eurem Sultan, was?«
»Nein, Herr!«
»Du wohnst doch drin. Du hast doch deinen Acker und deinen Stall drin. An wen zahlst du Pacht?«
»An niemanden, Herr!« …
Beck fragte weiter. Wohl wohnte ein ganzer Haufen von Javanern auf dem Gebiet. Jeder hatte seinen kleinen Hof, seinen Acker, schlug Holz im Wald. Aber von allen bekam er dieselbe Antwort. Sie waren eines Tags von irgendwoher gekommen und hatten sich niedergelassen, hatten das Land gegraben. Niemand fragte nach. Keine Behörde und kein Besitzer störte sie …
War es denn ein Niemandsland? Hatte sein Besitzer es vergessen? Aber war das vorstellbar: Hier lagen Millionenwerte und niemand erhob einen Anspruch darauf?
Beck-Duvernois ging zum Residenten in Medan und fragte vorsichtig an.
Herr van der Paes antwortete:
»Das werden wir bald haben. Ich werde meinem Büro sofort Anweisung geben und glaube, Sie bis morgen befriedigen zu können.«
Aber die oberste Behörde konnte nichts feststellen. Der Landschaftsrat, an den sich darauf Beck wandte, wußte ebensowenig. Auch dem holländischen Notar war nichts bekannt. Die Polizei erklärte, es sei nicht ihr Ressort, im übrigen wisse sie auch nichts.
Beck ließ nichts unversucht. Doch schien es, eine heimliche Verschwörung des Schweigens habe sich um das Land am Lau Biang gebildet.
Etwas ähnlich Phantastisches war Beck-Duvernois in seiner Tätigkeit bisher noch nicht vorgekommen. Er schwelgte in den Aussichten ungeahnter Möglichkeiten. Sie wiesen weit über die Summen hinaus, welche die üblichen Kommissionsgeschäfte mit ihren 5, 10, seinetwegen 20 Prozent ihm einbrachten. Die Tatsache, daß hier, versteckt vor der Welt – und dennoch, in der richtigen Faust, plötzlich mitten im Weltverkehr – ein fürstlicher Besitz lag, der auf seinen Fürsten wartete, versetzte ihn ins Träumen … Eine Chance bestand, tief in den Falten des Glücks verborgen, wartend auf den, der mit der Gnade begabt war … er könnte selber der Fürst werden … und während er nach außen sein Gründungsgeschäft mit der Teepropaganda betrieb, wartete er über die Versprechen, mit denen er andere lockte, hinaus auf die Fee, aus deren Hand er Titel und Besitz, – das Märchenland am Lau Biang empfangen würde.
Einmal mußte dieses Landgebiet, wie alles Land hier herum, dem Sultan von Kuala gehört haben. Der hatte, wenn er heute nicht mehr der Besitzer war, es einmal verkauft, und dann mußte der Sultan wissen, an wen. Beck-Duvernois hatte bei der Kanzlei des kleinen Potentaten angefragt, jedoch keine Antwort bekommen. So hatte er beschlossen, sich bei dem Sultan persönlich zu melden, und war um die Gewährung einer Audienz eingekommen.
Sie war ihm auf das bereitwilligste zugestanden worden, und nun saß er auf einem der goldenen Stühlchen. Um einen Dolmetscher hatte man sich nicht zu bemühen brauchen. Der Sultan war einige Jahre als junger Mann in den Vereinigten Staaten gewesen und sprach das breierne Englisch der Yankees.
Beck-Duvernois hörte nun aus dem Mund des tabakfarbenen Mannes die Antwort auf seine Frage, ob ihre Hoheit etwas über den Besitz des Landgebietes am Lau Biang wisse, und war über den Inhalt dieser Antwort erstaunt.
Sie lautete:
»Mein Herr, Besitzverhältnisse auf dieser Insel haben stets etwas sehr Ungewisses. Grenzen sind schärfer im Gedächtnis der Menschen eingetragen als auf Aktenpapier. Ich bin deshalb unglücklich, nicht so antworten zu können, wie Sie es von mir erwarten. Ich würde glücklich sein, Ihnen dienen zu können.«
Er mir dienen … ein Sultan einem Anwalt dienen?
Beck stutzte vor der Überfreundlichkeit der Redeweise. Ein Zuviel hat immer etwas zu verbergen, und was er vor mir verbergen will, sann Beck-Duvernois, ist, daß er über die Besitzverhältnisse des Landes am Lau Biang genau das weiß, das zu erfahren ich zu ihm gekommen bin, und das er mir verschweigt.
Stimmte die psychologische Unterlage zu dieser Schlußfolgerung, so ergaben sich zwei Tatsachen. Die erste: Der Javaner hatte ein Interesse, die Frage über den rechtmäßigen Besitzer ungeklärt zu lassen. Die zweite: Er, Beck-Duvernois, konnte das Ziel nicht auf direktem Wege erreichen. Er mußte auf der Hut sein und mit Diplomatie und Schläue vorgehen.
»Es handelt sich zweifellos«, entgegnete er etwas spielerisch und tastend, wo er die Sonde ansetzen konnte, »um eine Besitzübertragung, die weit älter ist als die blühenden Jahre Ihrer Gnaden.«
Der Sultan lächelte, als schmeichelte ihm diese Redewendung. Sein etwas fettes, doch schönes und festes Gesicht war von dem Oval und der Farbe einer Haselnuß. Im Lächeln verließ das Fremdartige die Züge, die eine naturhafte Liebenswürdigkeit, ja Lieblichkeit annahmen. Die Augen schienen von blauen Lichtern zauberisch durchschimmert.
Deine Liebenswürdigkeit hat keine Fangkraft auf mich, sagte Beck sich im stillen.
Der Gesichtsausdruck des Sultans wechselte in den Schein eines bekümmerten Bedauerns über, als er antwortete:
»Ach, in unseren Ländern herrschen nicht die klaren Abgrenzungen der Rechte, die das Zusammenleben der weißen Menschen so leicht und angenehm macht! Ich habe den Vorzug gehabt, zwei Jahre meiner Jugend unter Amerikanern zu leben.«
Du willst mir entwischen! rechnete Beck-Duvernois wieder für sich. Er sah amerikanische Schule in der Antwort. Es erschien ihm als eine Anmaßung von Rechten, die dem Farbigen nicht gebührten, daß dieser einen Weg beschritt, den Beck als erstes Vorrecht der weißen Rasse betrachtete: Durch die Kunst der Rede den Einblick in die Wahrheit hintanzuhalten. Beck-Duvernois war darüber geradewegs gekränkt.
Brauner Hund! schimpfte er bei sich. Ich werde dich an der Schnauze fassen, warte nur. Laut sagte er mit einer ehrfurchtsvollen Liebenswürdigkeit:
»So sollte mein Fürst nicht reden, er, der auf dieser Insel ein Paradies sein eigen nennt.«
»Oh«, machte mit einem Aufflattern der Hände der Sultan. »Oh – ein Paradies!?«
Jetzt redete Beck-Duvernois sehr rasch:
»Wir armen geplagten weißen Menschen! Wohin hat die Entwicklung unser Leben geführt?! Wir sind unsere eigenen Sklaven geworden, Sklaven unserer überraschen Kraftwagen, unserer Flugzeuge, ja, unserer Stimmen, welche den Äther vergewaltigen, Sklaven unseres Geldes, unseres Unternehmungswillens, unserer Arbeitsenergie. Ich verstehe vollkommen, daß Euerer Hoheit die Absichten, die mir die Ehre dieses Zusammenseins verschaffen, etwas Unverständliches sind, etwas sein müssen, das Ihren Widerwillen erregt, da es gegen Ihre Natur geht …«
Darüber kam Beck-Duvernois der Einfall, wie er sich der ausweichenden Taktik des Sultans zu stellen habe. Er fuhr fort:
»Wollen Ihre Gnaden mir verzeihen! Es war anmaßend von mir, Ihre Aufmerksamkeit für eine geschäftliche, also so gewöhnliche Sache zu beanspruchen …«
Soweit hatte das Gesicht seines Gegenübers den Ausdruck der liebenswürdigen Knabenhaftigkeit beibehalten. Nun war es unverkenntlich, daß sich eine Änderung vorbereitete, als Beck-Duvernois vollendete:
»… die zu erledigen, ich mich an eine der Stellen hätte wenden müssen, welche für derlei platte Notwendigkeiten da sind.«
Beck hatte sich schon erhoben. Er überragte um einen Kopf den Javaner. In einer Verneigung, die wegen des Größenunterschieds tiefer ausfiel, als Beck sie beabsichtigte, stand er nun fast über ihm und beobachtete die Züge des Sultans versteckt aus den Augenwinkeln heraus. Er sah, wie der rasche Schatten einer Beunruhigung die blauschimmernden dunkeln und großen Augen trübte.
Der Angelhaken sitzt! sagte sich Beck-Duvernois.
Noch in der Verbeugung entfernte er sich, ohne dem Sultan Zeit zu einer Antwort zu lassen. Dieser saß tatsächlich weiter auf dem goldenen Stühlchen und verhielt sich so reglos, als habe er Angst, die geringste Bewegung seines kräftigen Körpers könnte dem zierlichen Möbelstück einen Schaden zufügen.
Als Beck-Duvernois vor dem langgestreckten Gebäude der Residenz in seinen Wagen stieg, verdrängte einige Augenblicke lang die Erinnerung an die beiden schmetterlingsgleichen braunen Mädchen alle anderen Regungen in ihm. Aber er verwies rasch die verführerische Süße des Erinnerungsbildes, biß fest seine starken Zähne zusammen und war etwas verzagt.
Wohl empfand er über den Erfolg der Taktik, durch die seine kaum merkliche Bedrohung ihre Wirkung bei dem Sultan erreicht hatte, eine Genugtuung. Doch schloß er darüber die Augen nicht vor den Schwierigkeiten, die er nun erst recht vor sich sah. Denn einerseits mußte er nun ja von neuem sozusagen ins Leere greifen, in welchem sich der geheimnisvolle Mann verbarg, der einen Millionenwert so gering achtete. Andererseits wußte er, daß er auf einen Mitspieler gestoßen war, dem von vornherein die Umstände günstiger lagen als ihm.
Mit einer nicht abweisbaren Forderung stellte sich der Farbige zwischen ihn und den Traum, der Beck seit dem Bekanntwerden des herrenlos scheinenden Besitzes umgaukelte. Aber er stand so sehr im Nachteil der Chancen, daß, wie er sich die Angelegenheit auch mundgerecht machen wollte, er immer wieder und immer unabweisbarer auf die einzige Lösung kam, sich zu bescheiden und sich bereit zu machen, mit dem andern zu teilen.