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Kein Wolf heul', über deinem Hügel Schwing' keine Eule ihre Flügel! Kein Wind, kein Sturm soll zieh'n, des Rasens Grün Verdörrend; sondern, wie der Mai Blüh' er durch Liebe ewig neu. |
Herrick. |
Während eines Ausfluges durch eine der entlegeneren Grafschaften von England, war ich auf eine der Nebenstraßen gekommen, welche durch die abgeschiedeneren Theile des Landes führen, und hielt eines Nachmittags in einem Dorfe an, dessen Lage ländlich-schön und einsam war. Die Einwohner hatten ein gewisses Ansehn patriarchalischer Einfachheit, das man in den Dörfern, welche an den großen Heerstraßen liegen, nicht findet. Ich beschloß, die Nacht hier zuzubringen, und schlenderte, nachdem ich früh zu Mittag gegessen, hinaus, um mich an der umliegenden Gegend zu ergötzen.
Mein Weg führte mich zunächst, wie dieß gewöhnlich bei Reisenden der Fall ist, nach der Kirche, welche in einer kleinen Entfernung von dem Dorfe lag. Dieß war ein Gegenstand von einiger Bedeutung, indem der alte Thurm derselben ganz mit Epheu überwachsen war, so daß nur hie und da ein hervorstehender Strebepfeiler, die Ecke einer grauen Mauer, oder eine abenteuerliche Verzierung von Bildhauerarbeit aus der grünenden Bedeckung hervorblickte. Es war ein lieblicher Abend. Die frühere Hälfte des Tages war trübe und von Regenschauern begleitet gewesen; am Nachmittage hatte sich jedoch das Wetter aufgeklärt; und obgleich noch immer dunkle Wolken über dem Haupte hingen, zog sich doch ein breiter goldener Himmels-Streifen im Westen dahin, aus welchem die untergehende Sonne auf die tropfenden Blätter schien, und der ganzen Natur ein schwermüthiges Lächeln lieh. Es war wie die Scheidestunde eines guten Christen, welcher auf die Sünden und Sorgen der Welt niederlächelt, und durch die Heiterkeit seines Erlöschens es beurkundet, daß er in Herrlichkeit wiedererstehen werde.
Ich hatte mich auf einen halbeingesunkenen Grabstein gesetzt, und dachte, wie man es in dieser ernstsinnigen Stunde wohl zu thun pflegt, an vergangene Ereignisse und Jugendfreunde – an die, welche entfernt, und die, welche todt waren – und überließ mich der Art von schwermüthigem Träumen, in welchem vielleicht etwas noch lieblicheres liegt, als ein Vergnügen selbst. Dann und wann tönte der Schlag einer Glocke von dem benachbarten Thurme in mein Ohr; ihre Töne stimmten zu der ganzen Umgebung, und waren im Einklang mit meinen Gefühlen, statt einen Mißlaut damit zu bilden; und es währte eine Zeit lang, ehe ich daran dachte, daß dieß der Glockenton für einen neuen Bewohner des Grabes sein müsse.
Bald darauf sah ich einen Leichenzug sich über den Rasenplatz des Dorfes bewegen; er wand sich langsam einen Baumgang herunter; verschwand und kam wieder durch die Oeffnungen in dem Gebüsche zum Vorschein, bis er bei dem Orte vorüberzog, wo ich saß. Junge Mädchen, weiß gekleidet, trugen die Zipfel des Leichentuchs, und ein anderes, von ungefähr siebzehn Jahren, ging voraus und hatte einen Kranz von weißen Blumen in der Hand; ein Zeichen, daß die Verstorbene jung und unverheirathet gewesen war. Die Eltern folgten der Leiche. Es war ein ehrwürdiges Paar aus der bessern Classe der Landleute. Der Vater schien seinen Gefühlen Gewalt anzuthun; aber sein starres Auge, seine zusammengezogenen Augenbraunen und sein tiefgefurchtes Gesicht, zeigten den Kampf, welcher in seinem Innern vorging. Seine Gattin hing an seinem Arme und weinte laut bei dem krampfhaften Ausbruche des Schmerzes einer Mutter.
Ich folgte dem Leichenzuge in die Kirche. Die Bahre ward in dem mittlern Schiffe niedergesetzt, und der Kranz von weißen Blumen, mit einem Paar weißen Handschuhe, über dem Kirchstuhle, wo die Verstorbene gewöhnlich gesessen hatte, aufgehängt.
Jeder kennt das herzergreifende Gefühl, das eine Leichenfeier erweckt; denn wer ist so glücklich, nie Jemanden, den er liebte, zum Grabe geleitet zu haben? Wenn aber die Ueberreste der Unschuld und Schönheit, die in der Blüthe ihres Daseins dahinsanken, zur Ruhe bestattet werden, – was kann wohl rührender sein? Bei der einfachen, aber höchst feierlichen Stelle, wo der Körper der Erde übergeben ward – »Erde zu Erde – Asche zu Asche – Staub zu Staub!« – flossen die Thränen der jugendlichen Gefährtinnen der Verstorbenen unaufhaltsam. Der Vater schien noch mit seinen Gefühlen zu kämpfen, und sich mit der Versicherung zu trösten, daß die selig sind, die im Herrn sterben; die Mutter aber dachte ihres Kindes nur als einer Blume des Feldes, welche mitten in ihrer Blüthe gemäht und verwelkt war, und »trauerte wie Rachel über ihre Kinder, und wollte keinen Trost annehmen.«
Als ich nach dem Gasthofe zurückkehrte, erfuhr ich die ganze Geschichte der Verstorbenen. Sie war sehr einfach, wie man deren oft erzählt hat. Das Mädchen war die Zierde des Dorfes gewesen. Ihr Vater war einst ein reicher Pachter, jetzt aber zurückgekommen. Sie war das einzige Kind, und, in der Einfachheit des ländlichen Lebens, ganz im väterlichen Hause erzogen worden. Sie war die Schülerin des Dorfpfarrers, das Lieblingslamm in seiner kleinen Herde gewesen. Der gute Mann wachte mit väterlicher Sorgfalt über ihre Erziehung. Diese war beschränkt, und der Sphäre, in welcher sie sich bewegen sollte, angemessen; denn er strebte nur, sie zu einer Zierde für ihren Standpunkt im Leben zu machen, nicht sie darüber zu erheben. Die Zärtlichkeit und Nachsicht ihrer Eltern, und das Unterlassen rauherer Beschäftigungen hatten die natürliche Anmuth und Zartheit ihres Charakters, welche mit der behenden Lieblichkeit ihrer Gestalt übereinstimmten, noch genährt. Sie erschien wie eine zarte Gartenpflanze, welche durch Zufall unter den rauheren Eingebornen des Feldes aufgesproßt ist.
Ihre Gefährtinnen fühlten die Ueberlegenheit ihrer Reize und erkannten sie an, aber ohne Neid; denn die anspruchslose Anmuth und die gewinnende Güte ihres Benehmens übertrafen jene noch bei weitem. Man konnte mit Wahrheit von ihr sagen:
Das ist die schönste Bauernmaid, die je Auf einem Rasen lief; nichts thut und scheint sie, Das nicht nach etwas Höher'm schmeckt, als sie; Zu vornehm für den Ort. |
Das Dorf war einer der abgelegenen Orte, in welchen sich noch einige Spuren der alten englischen Sitten erhalten haben. Es hatte seine ländlichen Feste und Feiertagsvergnügungen, und es wurde hier noch ein schwacher Schein der einst so beliebten Maiengebräuche beobachtet. Diese waren von dem gegenwärtigen Pfarrer des Dorfes sehr in Aufnahme gebracht worden; er war ein Liebhaber alter Gebräuche, und einer von den einfachen Christen, welche ihre Sendung erfüllt zu haben glauben, wenn sie Freude auf Erden und guten Willen unter den Menschen verbreiten. Unter seiner Begünstigung stand der Maienbaum von einem Jahr zum andern mitten auf dem Rasenplatze des Dorfes; er wurde am Maientage mit Kränzen und Wimpeln verziert; auch wie in alten Zeiten, eine Maienkönigin ernannt, welche bei den Spielen den Vorsitz führen und die Preise und Belohnungen austheilen mußte. Die malerische Lage des Dorfes und das Phantastische seiner ländlichen Feste zog oft die Aufmerksamkeit zufälliger Besucher auf sich. Unter diesen befand sich auch, an einem Maientage, ein junger Offizier, dessen Regiment vor kurzer Zeit in der Nachbarschaft einquartirt worden war. Der natürliche Geschmack, welcher in dieser Dorffeierlichkeit herrschte, zog ihn an; vor Allem aber die aufdämmernde Liebenswürdigkeit der Maienkönigin. Sie war der Liebling des Dorfes, die, mit Blumen bekränzt, in all der schönen Verwirrung mädchenhafter Schüchternheit und Freude erröthete und lächelte. Die Unbefangenheit der ländlichen Sitte machte es dem Fremden leicht, ihre Bekanntschaft zu machen; er fand nach und nach den Weg zu ihrem Vertrauen, und machte ihr auf die leichtsinnige Weise den Hof, womit junge Offiziere nur zu gern mit der ländlichen Einfalt ihr Spiel treiben.
Es lag in seinen Annäherungen Nichts, das Verdacht erwecken, oder beunruhigen konnte. Er sprach sogar nie von Liebe; allein es gibt eine Art, sie zu erklären, welche beredter als die Sprache ist, und welche sie dem Herzen leise und unwiderstehlich einflößt. Der Glanz des Auges, der Ton der Stimme, die tausend Zärtlichkeiten, welche aus jedem Worte und Blicke, aus jeder Bewegung sprechen – diese bilden die wahre Beredsamkeit der Liebe, und können immer gefühlt und verstanden, aber nie beschrieben werden. Können wir uns wundern, daß sie ein junges, schuldloses und empfängliches Herz leicht gewannen? Das Mädchen liebte, beinahe ohne sich dessen bewußt zu sein; sie fragte sich kaum, was die wachsende Leidenschaft sei, welche sich jedes Gedankens und jedes Gefühls bemeisterte, oder was die Folgen derselben sein würden. Sie blickte in der That nicht in die Zukunft hinaus. Wenn er da war, so beschäftigten seine Blicke und Worte ihre ganze Aufmerksamkeit; war er nicht da, so dachte sie nur an das, was bei ihrer letzten Zusammenkunft vorgegangen war. Sie wandelte mit ihm durch die grünen Baumgänge und in den ländlichen Gegenden der Nachbarschaft umher. Er lehrte sie, neue Schönheiten in der Natur sehen; er redete in der Sprache des feinen, gebildeten Lebens, und hauchte die Zaubereien der Romantik und Dichtkunst in ihr Ohr.
Es konnte vielleicht keine reinere Leidenschaft zwischen beiden Geschlechtern geben, als die des unschuldigen Mädchens. Die stattliche Gestalt ihres jugendlichen Bewunderers und der Glanz seiner kriegerischen Tracht, hatten wohl Anfangs des Mädchens Auge angezogen; aber dieses war es nicht, was ihr Herz gewonnen hatte. Ihre Anhänglichkeit hatte etwas von Vergötterung an sich. Sie blickte zu ihm, als zu einem Wesen höherer Art hinauf. Sie fühlte in seiner Gesellschaft die Begeisterung eines von Natur zarten, poetischen Gemüths, in welchem jetzt zuerst der Sinn für das Schöne und Große erwachte. An die gemeinen Abstände des Ranges und Vermögens dachte sie nicht; die Verschiedenheit der geistigen Ausbildung, des Benehmens, der Sitten, welche gegen die ländliche Gesellschaft, an die sie gewöhnt war, so sehr abstach, erhob ihn in ihrem Geiste. Sie hörte ihm mit bezaubertem Ohr und niedergeschlagenem Blicke, in welchem sich ein stummes Entzücken aussprach, zu, und ihre Wange röthete sich vor Begeisterung; oder wenn sie je einen scheuen Blick furchtsamer Bewunderung auf ihn zu werfen wagte, so wandte sie diesen schnell wieder ab, und seufzte und erröthete bei dem Gedanken an ihren eignen verhältnißmäßigen Unwerth.
Ihr Geliebter war eben so sehr von Leidenschaft erfüllt; diese aber bei ihm mit Gefühlen von einer rauheren Art gemischt. Er hatte in Leichtsinn das Verhältniß angeknüpft: er hatte seine Cameraden oft mit ihren Dorferoberungen prahlen gehört, und einen Sieg der Art als nothwendig zu seinem Ruf, als Mann von Geist, angesehen. Er war indeß zu voll von jugendlicher Wärme. Sein Herz war noch nicht kalt und selbstsüchtig genug durch ein unstätes und zerstreuungsvolles Leben geworden; es fing Feuer an derselben Flamme, die es anfachen wollte, und ehe er noch der Art seiner Lage sich bewußt war, hatte er sich wirklich verliebt.
Was sollte er thun? Hier traten die gewöhnlichen Hindernisse in den Weg, welche so unausbleiblich bei allen leichtsinnigen Verbindungen sich entgegenstellen. Sein Rang in der Gesellschaft – die Vorurtheile vornehmer Verbindungen – seine Abhängigkeit von einem stolzen und unnachgiebigen Vater – Alles verbot ihm, an eine Heirath zu denken: – wenn er aber auf das unschuldige, so zärtliche, vertrauensvolle Wesen nieder blickte, lag eine Reinheit in ihren Sitten, eine Tadellosigkeit in ihrem Leben, und eine gewinnende Bescheidenheit in ihren Blicken, welche jedes frevelhafte Gefühl niederdrückte. Vergebens suchte er sich durch den Gedanken an tausend herzlose Beispiele von Modeleuten zu erstarken und die Aufwallung des edeln Gefühls durch den kalten, spottenden Leichtsinn zu dämpfen, womit er diese von weiblicher Tugend hatte reden hören; sobald er in ihre Nähe kam, fühlte er sich von jenem geheimen, aber von Leidenschaft ungetrübten Reize jungfräulicher Reinheit umgeben, in deren geheiligter Sphäre kein schuldiger Gedanke leben kann.
Das plötzliche Eintreffen eines Befehls an das Regiment, nach dem festen Lande aufzubrechen, machte die Verwirrung seines Gemüths vollständig. Eine kurze Zeit befand er sich in einem Zustande der peinlichsten Unentschlossenheit; er zauderte, die Nachricht mitzutheilen, bis der Tag zum Abmarsche da war, wo er ihr die Kunde auf einem Abendspaziergange mittheilte.
Der Gedanke an die Trennung war ihr früher nie in den Sinn gekommen. Er brach auf einmal in ihren Traum von Glückseligkeit herein; sie betrachtete ihn als ein plötzliches und unbesiegbares Uebel, und weinte mit der schuldlosen Einfalt eines Kindes. Er zog sie an seine Brust, und küßte die Thränen von ihrer zarten Wange; und er wurde nicht zurückgewiesen; denn es gibt Augenblicke, in denen sich Schmerz und Schwachheit mischen, und welche die Liebkosungen der Zärtlichkeit heiligen. Er war von Natur ungestüm; und der Anblick der Schönheit, welche, wie es schien, hingebungsvoll in seinen Armen lag – das Bewußtsein seiner Gewalt über sie – und die Furcht, sie zu verlieren; Alles vereinigte sich, sein besseres Gefühl zu überwältigen – er wagte es, ihr den Vorschlag zu machen, daß sie ihr väterliches Haus verlassen, und die Gefährtin seines Schicksals werden solle.
Er war noch ein völliger Neuling in den Künsten der Verführung, und erröthete und stockte bei seiner eigenen Niederträchtigkeit; aber sein Opfer war so schuldlosen Gemüthes, daß sie anfangs den Sinn seiner Rede gar nicht verstehen, und nicht begreifen konnte, warum sie ihr heimathliches Dorf und das bescheidene Dach ihrer Eltern verlassen solle. Als zuletzt der eigentliche Sinn seines Vorschlages wie durch einen Blitzstrahl ihrem reinen Sinne klar wurde, war die Wirkung vernichtend. Sie weinte nicht – sie ergoß sich nicht in Vorwürfe – sie sagte nicht ein Wort – aber sie schrack zurück, wie vor einer Schlange; warf einen Blick der Angst auf ihn, der ihm bis in das Innerste der Seele drang, und voll Todesqual die Hände zusammenschlagend, floh sie, als ob sie einen Zufluchtsort suchen wollte, nach ihres Vaters Hütte.
Der Offizier entfernte sich, verwirrt, gedehmüthigt, reuevoll. Es ist nicht zu bestimmen, was das Ergebniß des Kampfes seiner Gefühle gewesen sein würde, hätten die Vorkehrungen zur Abreise seinen Gedanken nicht eine andere Richtung gegeben. Neue Auftritte, neue Vergnügungen und neue Gefährten ließen ihn bald die Vorwürfe vergessen, die er sich selbst machte, und erstickten seine Zärtlichkeit, und doch, selbst in der Unruhe des Lagers, in den Schwelgereien des Garnisonlebens, den Zurüstungen der Heere, und sogar im Gewühl des Kampfes, stahlen sich seine Gedanken zuweilen zu den Bildern ländlicher Ruhe und der Einsamkeit des Dorfes – dem weißen Bauernhause – dem Fußpfade am Silberbache und an der Hagedornhecke, und dem kleinen Landmädchen zurück, wie sie an denselben hinwandelte, auf seinen Arm gelehnt, und wie sie mit Augen, von unbewußter Zärtlichkeit strahlend, auf seine Worte horchte.
Der Schlag, welchen das arme Landmädchen, dessen ganze Traumwelt zerstört war, erlitt, war in der That grausam gewesen. Ohnmachten und Krämpfe hatten zuerst ihren zarten Körperbau erschüttert, und ihnen folgte dann eine bleibende, zerstörende Schwermuth. Aus ihrem Fenster hatte sie den Marsch der abziehenden Truppen gesehen. Sie hatte ihren treulosen Liebhaber wie im Triumph bei dem Lärm der Trommel, dem Klange der Trompete und dem Prunk der Waffen sich entfernen sehen. Sie warf ihm einen letzten schmerzensvollen Blick nach, als die Morgensonne seine Gestalt beleuchtete, und seine Hutfeder im Winde flatterte; er entschwand wie ein glänzendes Gesicht ihren Blicken, und ließ sie ganz in Dunkelheit zurück.
Es wäre unnöthig, bei den Einzelnheiten ihrer spätern Geschichte zu verweilen. Sie war, wie andere Liebesgeschichten, unglücklich. Sie vermied die Gesellschaften und wandelte allein auf den Spaziergängen einher, welche sie am häufigsten mit ihrem Geliebten besucht hatte. Sie suchte, wie der verwundete Hirsch, in Schweigen und Einsamkeit zu weinen, und brütete über dem tiefen Schmerz, der ihre Seele verzehrte. Zuweilen sah man sie spät am Abend in dem Thürgewölbe der Dorfkirche sitzen, und die Milchmädchen hörten, wenn sie von dem Felde kamen, sie zuweilen ein klagendes Lied in dem Hagedorngange singen. Sie verrichtete mit Inbrunst ihre Andacht in der Kirche; und wenn die alten Leute sie herankommen sahen, so abgezehrt und doch mit einer hektischen Röthe auf den Wangen und jenem geheiligten Wesen, welches die Schwermuth um die Körpergestalt verbreitet, machten sie ihr Platz, wie etwas Geisterartigem, und ihr nachblickend, schüttelten sie, in düsterer Ahnung, die Köpfe.
Sie fühlte die Ueberzeugung, daß sie ihrem Grabe zueile, aber sie blickte diesem wie einem Ruheort entgegen. Der silberne Faden, der sie an ihr Dasein geknüpft hatte, war zerrissen, und es schien kein Vergnügen unter der Sonne mehr zu geben. Wenn ihr sanftes Herz jemals ein Gefühl des Unwillens gegen den Geliebten gehegt hatte, so war es verschwunden. Sie war einer zürnenden Erregung unfähig; und, in einem Augenblick trüber Zärtlichkeit, schrieb sie ihm einen Abschiedsbrief. Er war in der einfachsten Sprache geschrieben, aber gerade seiner Einfachheit wegen rührend. Sie sagte ihm, daß sie dem Tode entgegengehe, und verhehlte ihm nicht, daß sein Betragen sie dahin gebracht habe. Sie schilderte ihm sogar die Leiden, welche sie überstanden hatte; aber sie schloß damit, daß sie sagte, wie sie nicht ruhig sterben könne, wenn sie ihm nicht vorher ihre Verzeihung und ihren Segen gesendet habe.
Nach und nach nahmen ihre Kräfte ab, so daß sie die Hütte nicht mehr verlassen konnte. Sie war nur noch im Stande an das Fenster zu wanken, wo sie, in ihrem Stuhl aufgestützt, ihre Freude darin fand, den ganzen Tag zu sitzen und auf die Landschaft hinauszublicken. Dennoch stieß sie keine Klagen aus, oder theilte irgend Jemanden die Krankheit mit, welche an ihrem Herzen nagte. Sie nannte sogar nie den Namen ihres Geliebten, sondern lehnte nur ihr Haupt an den Busen ihrer Mutter und weinte still. Ihre armen Eltern schwebten bald in stummer Angst über dieser welkenden Blüthe ihrer Hoffnungen, bald schmeichelten sie sich, sie wieder frisch belebt zu sehen, und glauben zu dürfen, die glänzende unirdische Farbe, welche zuweilen ihre Wangen röthete, werde die Vorläuferin der zurückkehrenden Gesundheit sein.
So saß sie auch an einem Sonntage Nachmittag zwischen ihnen; sie hielt ihre Hände in die ihrigen geschlagen; das Fenster war offen, und die milde Luft, welche hereinwehte, trug die Wohlgerüche des üppigtreibenden Geißblatts herein, welche ihre eignen Hände an das Fenster gezogen hatten.
Ihr Vater hatte so eben ein Kapitel aus der Bibel vorgelesen. Es war darin von der Eitelkeit aller weltlichen Dinge und von den Freuden des Himmels die Rede; es schien Trost und Heiterkeit in ihre Brust ergossen zu haben. Ihr Auge war auf die entfernte Dorfkirche gerichtet; die Glocke hatte zum Gottesdienst eingeläutet; der letzte Dorfbewohner stand noch in der Kirchthür; und Alles war in die geheiligte Stille versunken, welche dem Tage der Ruhe eigenthümlich ist. Ihre Eltern betrachteten sie mit zerissenem Herzen. Krankheit und Schmerz, welche über manche Züge so grausam verheerend hingehen, hatten den ihrigen den Ausdruck eines Seraphs gegeben. Eine Thräne zitterte in ihrem sanften blauen Auge. – Dachte sie an ihren treulosen Geliebten? – oder irrten ihre Gedanken auf dem fernen Kirchhofe umher, in dessen Schooße sie bald ruhen konnte?
Plötzlich hörte man Hufschlag, – ein Reiter sprengte auf die Hütte zu – er stieg vor dem Fenster ab – das arme Mädchen that einen schwachen Schrei und sank in den Stuhl zurück: Es war ihr reuiger Geliebter! Er stürzte in das Haus, und flog auf sie zu, sie an seine Brust zu drücken; allein ihre abgezehrte Gestalt – ihr todtenhaftes Gesicht – so bleich und doch so lieblich in seiner Zerstörung, schnitten ihm in die Seele, und er warf sich in Todespein zu ihren Füßen. Sie war zu schwach um aufzustehen – sie versuchte, ihre zitternde Hand auszustrecken – ihre Lippen bewegten sich, als ob sie spräche, aber kein Wort war zu vernehmen – sie blickte mit einem Lächeln voll unaussprechlicher Zärtlichkeit auf ihn herab, – und schloß ihre Augen auf immer!
Das sind die Einzelnheiten, welche ich über diese Dorfgeschichte erfuhr. Sie sind nur dürftig, und haben, wie ich wohl weiß, nur in geringem Grade den Reiz der Neuheit, der sie anziehend machen könnte. Bei der gegenwärtigen Wuth nach sonderbaren Ereignissen und starkgewürzten Erzählungen mögen sie auch gewöhnlich und unbedeutend erscheinen, allein sie zogen mich damals ungemein an, und ließen, verbunden mit der rührenden Feierlichkeit, von welcher ich so eben Zeuge gewesen war, einen tiefern Eindruck auf mein Gemüth zurück, als manche Begebenheit bedeutenderer Art. Ich bin seit der Zeit wieder durch den Ort gekommen, und habe aus einem bessern Beweggrunde, als dem bloßer Neugier, die Kirche wieder besucht. Es war ein winterlicher Abend; die Bäume waren ihres Laubes beraubt; der Kirchhof sah nackt und traurig aus, und der Wind rauschte kalt durch das dürre Gras. Man hatte indessen um das Grab des Lieblings des Dorfes immergrünende Sträucher gepflanzt, und Weidenruthen waren darüber gebogen, damit der Rasengrund nicht zertreten werden möchte.
Die Thüre der Kirche war offen, und ich trat hinein. Dort hing der Blumenkranz und das Paar Handschuhe, wie an dem Tage des Leichenbegängnisses. Die Blumen waren allerdings verwelkt, man schien aber sorgfältig darauf zu sehen, daß kein Staub ihre Weiße entstellen möchte. Ich habe viele Denkmale gesehen, wo die Kunst sich erschöpft hat, um das Mitgefühl des Beschauers zu erregen, allein ich habe keines gefunden, das rührender zu meinem Herzen gesprochen hätte, als dieß einfache, aber zarte Gedenkzeichen der dahingeschiedenen Unschuld.