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Ich rufe jeden weißen Mann auf, ob er je Logan's Hütte betreten habe, und er ihm nicht zu essen gegeben hat, ob er je kalt und nackt kam, und er ihn nicht kleidete.
Rede eines indianischen Häuptlings. |
In dem Charakter und den Sitten des nordamerikanischen Wilden ist etwas, das, wenn ich mir die Gegend, welche er zu durchstreifen gewohnt ist, deren ausgedehnte See'n, grenzenlose Wälder, majestätische Ströme und pfadlose Ebenen dazu denke, etwas wunderbar Anziehendes und Erhabenes für mich hat. Er ist für die Wildniß geschaffen, wie der Araber für die Wüste. Sein Wesen ist ernst, einfach, ausdauernd und ganz geeignet, mit Schwierigkeiten zu kämpfen und Entbehrungen zu erdulden. Es scheint nur wenig Erdreich in seinem Herzen zu sein für das Gedeihen sanfter Tugend; und doch würden wir, wenn wir uns die Mühe nehmen wollten, diesen stolzen Stoicismus und diese zur Gewohnheit gewordene Schweigsamkeit, welche seinen Charakter der zufälligen Beobachtung unzugänglich machen, näher zu ergründen, leicht finden, daß er durch mehr gleichartige Gefühle und Neigungen an seine Mitmenschen aus dem gebildeten Lebenskreise geknüpft ist, als man ihm gewöhnlich zutraut.
Es ist das Loos der unglücklichen Ureinwohner von Amerika in den ersten Zeiten der Colonisirung gewesen, von den Weißen auf eine doppelte Art beeinträchtigt zu werden. Durch eigennützige und oft muthwillig begonnene Kriege sind sie ihrer rechtmäßigen Besitzungen beraubt worden, und ihr Charakter wurde durch verblendete selbstsüchtige Schriftsteller angeschwärzt. Die Colonisten haben sie oft wie Thiere des Waldes behandelt, und die Schriftsteller haben sich bemüht, diese Unbilden zu rechtfertigen. Die Ersteren fanden es leichter, auszurotten, als zu bilden; die Letzteren leichter, zu schmähen, als zu vertheidigen. Die Namen Wilde und Heiden wurden für hinlänglich gehalten, die Feindseligkeiten Beider zu rechtfertigen; und so wurden die armen Wanderer des Waldes verfolgt und verläumdet, nicht, weil sie schuldig, sondern weil sie unwissend waren.
Die Rechte des Wilden wurden von den Weißen selten gehörig gewürdigt oder geachtet. Im Frieden ist er nur zu oft von verschmitzten Handelsleuten betrogen, und im Kriege als ein wildes Thier angesehen worden, nach dessen Leben oder Tod man nur aus Vorsicht oder wegen der Verhältnisse fragte. Der Mensch ist mit dem Leben grausam verschwenderisch, sobald seine eigene Sicherheit in Gefahr ist und er ungestraft handeln kann; und man darf nur wenig Gnade von ihm erwarten, wenn er den Stachel des Wurmes fühlt, und sich der Macht, zertreten zu können, bewußt ist.
Dieselben Vorurtheile, welche man so früh hegte, sind heutigen Tages noch allgemein verbreitet. Gewisse gelehrte Gesellschaften haben allerdings mit lobenswerthem Eifer den wahren Charakter und die Sitten der indianischen Stämme genauer zu untersuchen und auf Licht zu stellen sich bemüht; auch die amerikanische Regierung hat mit Weisheit und Menschlichkeit dahin zu wirken gesucht, daß eine milde und nachgiebige Stimmung gegen sie sich offenbare, und sie gegen Betrug und Ungerechtigkeit geschützt seien.Die amerikanische Regierung ist in ihren Bemühungen, die Lage der Indianer zu verbessern, und unter ihnen die Künste des gebildeten Lebens und bürgerliche und religiöse Kenntnisse einzuführen, unermüdlich gewesen. Um sie gegen Uebervortheilung von Seiten der weißen Handelsleute zu schützen, darf kein Einzelner Land von ihnen erkaufen, noch irgend Jemand Ländereien von ihnen, ohne die ausdrückliche Genehmigung der Regierung, zum Geschenk annehmen. Diese Vorsichtsmaßregeln werden streng gehandhabt. – Anm. des Verf.
Die gangbare Ansicht von dem Charakter der Indianer bildet sich aber zu sehr nach den elenden Horden, welche die Grenzen beunruhigen und an dem Saume der Niederlassungen sich festgesetzt haben. Diese sind allzu häufig aus ausgearteten Geschöpfen zusammengesetzt, welche durch die Laster der bürgerlichen Gesellschaft verderbt und geschwächt sind, ohne daß deren Civilisation ihnen Nutzen gebracht hätte. Jene stolze Unabhängigkeit, welche die Hauptstütze der Tugenden der Wilden war, ist zerstört worden, und der sittliche Bau liegt in Trümmern. Ihr Geist ist durch das Bewußtsein der Unterordnung gedemüthigt und erniedrigt, und ihr natürlicher Muth durch die überwiegende Kenntniß und Macht ihrer aufgeklärten Nachbarn eingeschüchtert und gelähmt. Die bürgerliche Gesellschaft hat sie angeweht, wie einer jener verzehrenden Luftströme, die zuweilen über eine ganze fruchtbare Gegend Zerstörung verbreiten. Sie hat ihre Stärke entnervt, ihre Krankheiten vermehrt, und zu ihrer natürlichen Barbarei die niedrigen Laster des künstlichen Lebens hinzugefügt. Sie hat ihnen tausend künstliche Bedürfnisse gegeben, während sie die Mittel, ihr Dasein nur zu fristen, verringert hat. Sie hat die Thiere der Jagd vor sich hergetrieben, welche vor den Streichen der Art und dem Rauch der Niederlassung fliehen, und in den Tiefen entfernterer Wälder und noch unbetretener Wildnisse eine Zuflucht suchen. So finden wir oft, daß die Indianer an unsern Grenzen bloße Trümmer und Ueberbleibsel einst mächtiger Stämme sind, welche in der Nachbarschaft der Niederlassungen gehaust haben, und in ein ungewisses, landstreicherisches Leben versunken sind. Armuth, quälende, hoffnungslose Armuth, ein Wurm des Gemüths, der im Leben der Wilden unbekannt ist, verzehrt ihren Geist und vernichtet jede freie und edle Eigenschaft ihrer Gemüther. Sie werden Trunkenbolde, träg, schwach, diebisch und kleinmüthig. Sie schleichen wie Landstreicher um die Niederlassungen, unter geräumigen, mit ausgesuchten Bequemlichkeiten versehenen Wohnungen umher, welche ihnen das verhältnißmäßige Elend ihrer eigenen Lage nur noch fühlbarer machen. Der Prunk deckt seine große Tafel vor ihren Augen, allein sie sind von dem Gelage ausgeschlossen. Der Ueberfluß lacht auf den Feldern; aber sie hungern mitten in seiner Fülle: die ganze Wildniß ist zu einem Garten erblüht, aber sie fühlen wie Ungeziefer, das ihn zerstört.
Wie verschieden war ihre Lage, als sie noch die ungestörten Herrn des Bodens waren! Sie hatten nur wenige Bedürfnisse, und die Mittel zu deren Befriedigung waren in ihren Händen. Sie sahen Alles um sich her dasselbe Schicksal theilen, dieselben Mühseligkeiten erdulden, von denselben Nahrungsmitteln das Leben fristen, in dieselben rohen Kleider gekleidet. Kein Dach erhob sich damals, das nicht den heimathlosen Fremdling aufgenommen hätte; kein Rauch kräuselte sich unter den Bäumen, ohne daß der Fremde nicht an dessen Feuer hätte Platz nehmen und des Jägers Mahl theilen können. »Denn,« sagt ein alter Geschichtschreiber von Neu-England, »ihr Leben ist so frei von Sorgen, und sie sind auch so liebevoll, daß sie das, was sie brauchen, als Gemeingut betrachten, und dabei sind sie so mitleidig, daß, ehe sie Einen aus Mangel verhungern lassen sollten, lieber alle verhungern würden; so bringen sie ihr Leben fröhlich hin, unbekümmert um unsern Prunk, und mit dem ihrigen, von dem Manche so geringschätzend denken, vollkommen zufrieden.« So waren die Indianer, als sie noch in dem Stolze und der Kraft ihres Naturzustandes lebten, jenen wilden Pflanzen ähnlich, welche in dem Schatten des Waldes am besten gedeihen, aber unter der Hand der Kunst verschrumpfen, und unter dem Einfluß der Sonne zu Grunde gehen.
Bei dem Besprechen des Charakters der Wilden, sind die Schriftsteller zu geneigt gewesen, den gemeinen Vorurtheilen und der leidenschaftlichen Uebertreibung, statt der ruhigen Stimme der wahren Philosophie ihr Ohr zu leihen. Sie haben die eigenthümlichen Verhältnisse, in welche die Indianer versetzt waren, und die eigenthümlichen Grundsätze, nach denen sie erzogen werden, nicht genugsam erwogen. Kein Wesen handelt strenger nach Grundsätzen, als der Indianer. Sein ganzes Benehmen ist nach einigen allgemeinen, seinem Gemüthe schon früh eingeprägten Vorschriften geregelt. Der moralischen Gesetze, denen er gehorcht, sind allerdings nur wenige, allein er befolgt sie auch alle; der Weiße hat eine Menge von Gesetzen über Religion, Moral und Sitten, aber wie viele verletzt er!
Ein häufig gehörter Beschuldigungsgrund gegen die Indianer ist ihre Nichtachtung der Verträge, und die Treulosigkeit und Leichtigkeit, womit sie, in Zeiten anscheinenden Friedens, plötzlich zu Feindseligkeiten schreiten. Der Verkehr zwischen den Weißen und den Indianern wird indessen nur zu leicht kalt, mißtrauisch, drückend und beleidigend. Sie behandeln Letztere selten mit dem Zutrauen und der Offenheit, welche bei wahrer Freundschaft unerläßlich sind; eben so wenig wird die gehörige Behutsamkeit beobachtet gegen jene Gefühle des Stolzes oder des Aberglaubens, welche oft den Indianer schneller zu Feindseligkeiten veranlassen, als die bloßen Rücksichten des Eigennutzes. Der einsame Wilde fühlt schweigend, aber tief. Seine Gefühle sind nicht über eine so weite Oberfläche verbreitet, als die des Weißen; allein sie fließen in steterem, tieferem Geleise. Sein Stolz, seine Leidenschaften, sein Aberglaube, sind alle auf wenigere Gegenstände gerichtet; allein die Wunden, welche ihm geschlagen werden, sind verhältnißmäßig herb, und geben Veranlassungen zu Feindseligkeiten, die wir nicht gehörig beurtheilen können. Wo ein Gemeinwesen auch an Zahl beschränkt ist, und, wie bei einem indianischen Stamme, eine große patriarchalische Familie bildet, da wird die, dem Einzelnen zugefügte Beleidigung, zur Beleidigung für das Ganze, und das Gefühl der Rache verbreitet sich beinahe augenblicklich. Ein Berathungsfeuer ist hinlänglich zur Erörterung und Anordnung eines Plans zu Feindseligkeiten; hier versammeln sich die Krieger und die Weisen. Beredsamkeit und Aberglaube vereinigen sich, die Gemüther der Krieger zu entflammen. Der Redner erweckt ihren kriegerischen Muth, und die Gesichte des Propheten und des Träumers stimmen sie zu einer Art von religiöser Verzweiflung hinauf.
Ein Beispiel von einer dieser plötzlichen Erregungen, welches von einem, dem Charakter der Indianer eigenthümlichen Beweggrunde ausgegangen, findet sich in einer alten Erzählung von der ersten Zeit der Ansiedelung von Massachusetts. Die Pflanzer von Plymouth hatten die Denkmäler der Todten in Passonagessit verstümmelt, und auf dem Grabe der Mutter des Sachem's (Häuptlings) einige Felle geraubt, womit es verziert gewesen war. Die Indianer sind wegen der Ehrfurcht, welche sie gegen die Gräber ihrer Verwandten haben, bemerkenswerth. Man kennt Stämme, welche seit Geschlechtern aus den Wohnsitzen ihrer Vorfahren vertrieben sind, und sich, wenn sie zufällig in der Nachbarschaft reisten, von der Straße abgewandt, und, von wunderbar genauer Ueberlieferung geleitet, meilenweit das Land durchzogen haben, um einen vielleicht in Wäldern verborgenen Grabhügel aufzusuchen, wo die Gebeine ihres Stammes ehemals beigesetzt waren; und dort haben sie Stunden lang in stillem Nachdenken zugebracht. Von diesem erhabenen und heiligen Gefühl beseelt, sammelte der Sachem, dessen Mutter in ihrem Grabe gestört worden war, seine Leute, und redete sie in folgender einfach schönen und erhabenen Rede an, einer merkwürdigen Probe indianischer Beredsamkeit, und ein rührendes Beispiel kindlicher Liebe von einem Wilden.
»Als neulich das glorreiche Licht des weiten Himmels unter diesem Erdball war, und die Vögel stille wurden, fing ich, wie es mein Gebrauch ist, an, mich zur Ruhe zu bereiten. Ehe ich meine Augen fest schloß, glaubte ich ein Gesicht zu erblicken, das meinen Geist sehr beunruhigte; und als ich bei diesem schmerzlichen Anblicke erzitterte, rief ein Geist laut: »Sieh, mein Sohn, den ich geliebt habe, die Brust, die dich säugte, die Hände, die dich warm eingewickelt und dich oft genährt haben. Kannst du es vergessen, Rache zu nehmen an diesem wilden Volke, welches mein Grabdenkmal auf eine schimpfliche Weise verstümmelt, und unsere alten und ehrenwerthen Gebräuche entehrt hat? Sieh nun, des Sachem's Grab liegt, wie das der gemeinen Leute, von einem unwürdigen Geschlechte verunstaltet. Deine Mutter klagt und fleht deinen Beistand gegen dieses diebische Volk an, welches sich vor Kurzem in unser Land eingedrängt hat. Wenn dieß geduldet wird, werde ich in meiner ewigen Wohnstätte nicht ruhig sein.« Als der Geist dieß gesagt, verschwand er, und ich, ganz in Schweiß gebadet, kaum zu sprechen im Stande, erhielt erst nach und nach wieder Kräfte, sammelte meine entflohenen Lebensgeister, und beschloß, Euern Rath und Beistand zu fordern.«
Ich habe diese Anecdote etwas ausführlich erzählt, da sie deutlich zeigen kann, wie diese plötzlichen Feindseligkeiten, die man der Laune und Treulosigkeit beigemessen hat, oft aus tiefen, edeln Beweggründen entstehen mochten, welche unsere Nichtbeachtung des Charakters und der Sitten der Indianer uns hindern, gehörig zu berücksichtigen.
Eine andere Ursache zu heftigem Tadel gegen die Indianer, ist ihre Grausamkeit gegen die Besiegten. Diese hatte theils in der Politik, theils in dem Aberglauben ihren Grund. Die Stämme, ob man sie gleich zuweilen Völker genannt hat, waren nie so furchtbar durch ihre Anzahl, daß der Verlust einiger Krieger ihnen nicht sehr empfindlich gewesen wäre; dieß war besonders der Fall, wenn sie in häufige Kriege verwickelt wurden; und manches Beispiel findet sich in der Geschichte der Indianer, daß ein Stamm, der seinen Nachbarn lange Zeit furchtbar gewesen war, durch die Gefangennehmung und Niedermetzelung seiner vorzüglichsten Streiter aufgelöst und verjagt worden ist. Daher mußte der Sieger große Versuchung fühlen, erbarmungslos zu sein; nicht sowohl, um grausame Rache zu üben, als um seiner künftigen Sicherheit willen. So hatten die Indianer auch die abergläubische Ansicht, bei wilden Völkern so häufig, und auch bei den Alten herrschend, daß die Manen ihrer in der Schlacht gefallenen Freunde durch das Blut der Gefangenen versöhnt würden. Die Gefangenen jedoch, welche nicht so hingeopfert werden, nehmen sie an die Stelle der Erschlagenen in ihre Familien auf, und begegnen ihnen mit dem Zutrauen und der Zuneigung von Verwandten und Freunden; ja, sie werden mit einer so großen Gastfreiheit und Zärtlichkeit behandelt, daß, wenn man ihnen die Wahl läßt, sie oft lieber bei ihren angenommenen Brüdern bleiben, als in ihre Heimath und zu den Freunden ihrer Jugend zurückkehren.
Die Grausamkeit der Indianer gegen ihre Gefangenen ist, seit den Ansiedelungen der Weißen, gestiegen. Was früher ein Anschmiegen an die Politik und den Aberglauben war, ist zu einer Befriedigung des Rachegefühls gesteigert worden. Sie können es nur tief fühlen, daß die Weißen die Eroberer ihrer alten Besitzungen, die Ursache ihrer Erniedrigung und die allmähligen Zerstörer ihres Stammes sind. Sie gehen, erbittert über die Beleidigungen und Unbilden, welche sie einzeln erlitten haben, in den Kampf, und sind zur Verzweiflung getrieben durch die weitverbreitete Verwüstung und den reißenden Ruin, den die europäische Kriegsführung erzeugt. Die Weißen haben ihnen zu oft das Beispiel der Gewaltthätigkeit gegeben, indem sie ihre Dörfer verbrannt und ihnen ihre geringen Unterhaltsmittel geraubt haben, und doch wundern sie sich, daß Wilde nicht Mäßigung und Großmuth gegen Diejenigen zeigen, die ihnen nichts gelassen haben, als das bloße Dasein und tiefes Elend.
Wir brandmarken die Indianer auch als feig und verrätherisch, weil sie in den Kämpfen Kriegslist, statt der offenbaren Gewalt geltend machen; aber darin sind sie durch ihre rohen Gesetze der Ehre gerechtfertigt. Man lehrt sie schon früh, daß Kriegslisten rühmlich seien; der tapferste Krieger hält es für keine Schande, schweigend im Hinterhalt zu liegen und jeden Vortheil über seinen Feind zu benutzen; sein Herz hebt sich in der überwiegenden List und dem Scharfsinn, womit es ihm gelungen ist, einen Feind zu überfallen und zu vernichten. In der That, der Mensch ist von Natur mehr zur List als zur offenen Tapferkeit geneigt, da er, in Vergleich mit anderen Thieren, seine eigene körperliche Schwäche fühlt. Diese sind mit natürlichen Vertheidigungswaffen begabt: mit Hörnern, mit starkem Gebiß, mit Hufen, mit Krallen; aber der Mensch muß sich auf seinen überwiegenden Scharfsinn verlassen. In allen seinen Kämpfen mit jenen, seinen eigentlichen Feinden, nimmt er zur List seine Zuflucht; und wenn er thörichter Weise seine Angriffe gegen seine Mitmenschen richtet, so bedient er sich Anfangs eben dieser listigen Art, den Krieg zu führen.
Der natürliche Grundsatz im Kriege ist, unsern Feinden so viel Schaden als möglich, mit so wenigem Schaden als möglich für uns selbst, zuzufügen; und dieß muß natürlich durch Kriegslist erreicht werden. Jener ritterliche Muth, welcher uns antreibt, die Eingebungen der Klugheit zu verachten, und uns in die gewisse Gefahr zu stürzen, ist die Frucht der bürgerlichen Gesellschaft und ein Ergebniß der Erziehung. Er ist ehrenvoll, weil er in der That der Triumph des erhabenen Gefühls über eine angeborne Furcht vor dem Schmerze, über dieses Hinneigen zu persönlicher Behaglichkeit und Sicherheit ist, welches beides die bürgerliche Gesellschaft als schimpflich verdammt hat. Er wird durch den Stolz und die Furcht vor der Schande aufrecht erhalten; und besteht fort, weil so die Besorgniß vor einem wirklichen Uebel, durch die mächtigere Furcht vor einem Uebel, welches nur in der Einbildungskraft vorhanden ist, überwunden wird. Man hat ihn durch verschiedene Mittel zu nähren und anzufeuern gesucht. Er ist der Gegenstand geisterregender Gesänge und ritterlicher Geschichten geworden. Der Dichter und Barde haben gewetteifert, ihn mit dem Glanze der Dichtung zu umgeben; und selbst der Geschichtschreiber hat die besonnene Würde der Darstellung vergessen, und sich in seinem Preise der Begeisterung und Aufwallung überlassen. Triumphe und prachtvolle Ehrenbezeugungen sind sein Lohn geworden; Denkmale, an denen die Kunst ihre Geschicklichkeit und der Reichthum seine Schätze erschöpft hat, sind errichtet worden, um die Dankbarkeit und Bewunderung eines Volkes zu verewigen. Auf diese Art künstlich erregt, hat sich der Muth zu einem außerordentlichen, gebildeten Heldenmuth erhoben, und in all den glanzvollen »Prunk und Zubehör des Krieges« gekleidet, ist es dieser unruhevollen Eigenschaft sogar gelungen, mehrere von jenen ruhigen, aber unschätzbaren Tugenden zu verdunkeln, welche stillschweigend den menschlichen Charakter veredeln und den Strom des menschlichen Glücks schwellen.
Aber wenn der Muth wesentlich in Verachtung der Gefahr und des Schmerzes besteht, so ist das Leben des Indianers eine beständige Entfaltung desselben. Er lebt in einem Zustande immerwährender Feindseligkeit und Gefahr. Wagnisse und Abenteuer stimmen mit seiner Natur überein, oder scheinen vielmehr nothwendig, um seine Fähigkeiten aufzuregen und seinem Dasein ein Interesse zu geben. Von feindlichen Stämmen umgeben, deren Kriegsführung aus Hinterhalt und Ueberfall besteht, ist er immer zum Gefechte bereit, und lebt mit den Waffen in der Hand. Wie das Schiff in furchtbarer Einsamkeit durch die Einöden des Oceans dahinfährt, – wie der Vogel in den Wolken und Stürmen schwebt, und, als ein bloßer Punkt, seinen Weg durch die pfadlosen Gefilde der Luft verfolgt, – so verfolgt auch der Indianer schweigend, einsam, aber unerschrocken, seinen Weg durch die unermeßlichen Tiefen der Wildniß. Seine Unternehmungen mögen an Ausdehnung und Gefahr der Pilgerfahrt des Frommen oder dem Kreuzzug des irrenden Ritters gleich kommen. Er durchstreift große Wälder, den Gefahren einsam ihn befallender Krankheit, lauernder Feinde und quälenden Hungers ausgesetzt. Stürmische Seen, diese großen, im Innern des Landes befindlichen Meere, sind kein Hinderniß für seine Wanderungen; in seinem leichten Canoe schwimmt er, wie eine Feder, auf ihren Wellen dahin, und stürzt, mit der Schnelligkeit eines Pfeiles, die brausenden Fälle der Flüsse hinab. Seinen Unterhalt selbst muß er sich mitten unter Mühen und Gefahren erraffen. Er erlangt seine Nahrung nur durch die Anstrengungen und Gefahren der Jagd; er hüllt sich in die Häute des Bären, des Panthers und des Büffels, und schläft unter dem Donner des Wasserfalls.
Kein Held älterer oder neuerer Zeit übertrifft den Indianer in seiner hochherzigen Verachtung des Todes, und in der Stärke, womit er dessen grausamste Pein erduldet. In der That, wir sehen hier, wie er sich, in Folge seiner eigenthümlichen Erziehung, über den Weißen erhebt. Der Letztere stürzt sich einem ruhmvollen Tode vor der Mündung der Kanone entgegen; der Erstere sieht ruhig seine Annäherung, und erduldet ihn triumphirend unter den verschiedenen Qualen der ihn umgebenden Feinde und der langsamen Pein des Feuers. Er findet sogar Stolz darin, seine Verfolger zu verhöhnen, und ihre Erfindungskraft bei ihren Qualen herauszufordern; und wie die verzehrenden Flammen an seinen Eingeweiden wüthen, und das Fleisch ihm von den Muskeln fällt, erhebt er seinen letzten Siegesgesang, worin er den Trotz eines unbesiegten Herzens ausspricht, und die Geister seiner Väter anruft, Zeuge zu sein, daß er ohne einen Seufzer sterbe.
Ungeachtet der schwarzen Farben, womit die früheren Geschichtschreiber den Charakter der unglücklichen Eingebornen dargestellt haben, bricht doch von Zeit zu Zeit ein Lichtstrahl hindurch, welcher eine Art von trübem Glanz auf ihr Andenken wirft. Man stößt zuweilen in den rohen Jahrbüchern der östlichen Provinzen auf Thatsachen, welche, obgleich mit den Farben des Vorurtheils und der Frömmelei dargestellt, doch für sich selbst sprechen, und bei denen man mit Beifall und Antheil verweilen muß, wenn das Vorurtheil verschwunden ist.
In einer jener rohen Erzählungen von den Kriegen in Neu-England findet sich eine rührende Schilderung des Elends, welches über den Stamm der Pequod-Indianer kam. Die Menschlichkeit schaudert vor diesen kaltblütigen Einzelnheiten einer rücksichtslosen Metzelei. An einer Stelle lesen wir die Geschichte des Ueberfalls eines indianischen Forts in der Nacht, wobei die Wigwams in Flammen aufgingen und die unglücklichen Einwohner, die zu entrinnen versuchten, niedergeschossen und erschlagen wurden, »so daß Alles binnen einer Stunde abgemacht und geendigt war.« Nach einer Reihe ähnlicher Vorgänge »entschlossen sich,« wie unser Geschichtschreiber frommer Weise bemerkt, »unsere Soldaten, mit dem Beistand Gottes, sie gänzlich auszurotten,« und nachdem die unglücklichen Wilden aus ihren Wohnungen und Festungen vertrieben und mit Feuer und Schwerdt verfolgt waren, rettete sich ein kleiner aber tapferer Haufe, das traurige Ueberbleibsel der Krieger des Pequod-Stammes, mit Weib und Kindern in einen Morast.
Von Unwillen glühend und durch Verzweiflung störrisch geworden, mit Herzen, die vor Kummer über den Untergang ihres Stammes brachen, und mit Gemüthern, die von der eingebildeten Schimpflichkeit ihrer Niederlage gereizt und verwundet waren, verschmähten sie es, einen sie verhöhnenden Feind um ihr Leben zu bitten, und zogen den Tod der Unterwerfung vor.
Als die Nacht herannahte, wurden sie in ihrem traurigen Schlupfwinkel umzingelt, so daß das Entweichen unmöglich ward. In dieser Lage »beschoß sie der Feind die ganze Zeit über, so daß Manche getödtet und in dem Moraste begraben wurden.« In der Dunkelheit und dem Nebel, der dem Tagesanbruch vorherging, brachen einige Wenige durch die Belagerer und entschlüpften in die Wälder; »die Uebrigen blieben den Siegern, und von ihnen wurden viele in dem Moraste getödtet, die in ihrem Eigensinn und ihrer Tollheit, wie störrische Hunde, still saßen und sich niederschießen oder niederhauen lassen wollten, ehe sie um Gnade baten.« Als der Tag über dieser Handvoll einzelner, aber muthvoller Menschen anbrach, sahen die Soldaten, die in den Morast eindrangen, wie uns erzählt wird, »mehrere Haufen derselben dicht neben einander sitzen, auf diese schossen sie ihre mit zehn oder zwölf Pistolenkugeln geladene Musketen ab, die Läufe der Gewehre auf die Zweige der Bäume, einige Schritte von den Wilden, legend, so daß, außer denen, die schon todt waren, noch viel mehr blieben und in den Morast versanken, wo sich weder Feind noch Freund mehr um sie bekümmerte.«
Kann irgend Jemand diese einfache, ungeschmückte Erzählung lesen, ohne die starre Entschlossenheit, den unbeugsamen Stolz, die Geisteserhebung zu bewundern, welche die Herzen dieser Naturhelden zu stärken und sie über die angeborenen Gefühle der menschlichen Natur zu erheben schien? Als die Gallier die Stadt Rom zerstörten, fanden sie die Senatoren in ihre Gewänder gekleidet und in starrer Ruhe auf den curilischen Stühlen sitzend; und so erduldeten sie den Tod ohne Widerstand oder selbst ohne Fürbitte. Ein solches Betragen ward bei ihnen als edel und großsinnig bewundert; bei den unglücklichen Indianern ward es als störrisch und verstockt verrufen. Wie wahr ist es, daß wir uns von dem Aeußern und den Umständen täuschen lassen! Wie verschieden ist die Tugend, welche in Purpur gekleidet ist und im Prunke thront, von der Tugend, welche nackt und bloß ist und unbekannt in einer Wildniß untergeht!
Doch ich enthalte mich, bei diesen düsteren Bildern zu verweilen. Die östlichen Stämme sind seit langer Zeit verschwunden; die Wälder, welche ihnen Schutz gewährten, sind niedergehauen worden, und kaum sind noch einige Spuren von ihnen in den dicht bevölkerten Staaten von Neu-England vorhanden, ausgenommen, daß hier und da ein Dorf oder ein Strom noch einen indianischen Namen führt. Und dieß muß früher oder später auch das Schicksal der übrigen Stämme sein, welche an den Grenzen hausen, und dann und wann aus ihren Wäldern hervorgelockt worden sind, um an den Kriegen der Weißen Theil zu nehmen. Nach einer kurzen Zeit werden auch sie den Weg gehen, den ihre Brüder vor ihnen gegangen sind. Die wenigen Horden, welche noch an den Ufern des Huronen- und Superior-See's und der Nebenflüsse des Mississippi wohnen, werden das Schicksal der Stämme theilen, welche einst über Massachusetts und Connecticut verbreitet waren und an den stolzen Ufern des Hudson geboten; jenes riesenhaften Geschlechts, welches an den Ufern des Susquehannah gewohnt haben soll, und jener verschiedenen Völkerschaften, welche in der Gegend des Patowmac und des Rappahanoc blühten und die Wälder in dem großen Thale von Shenandoah bevölkerten. Sie werden wie ein Nebel von der Fläche der Erde verschwinden; selbst ihre Geschichte wird sich in Vergessenheit verlieren, und »die Orte, welche sie jetzt kennen, werden sie nimmer wieder kennen.« Wenn vielleicht noch irgend ein unbestimmtes Andenken von ihnen fortleben sollte, so wird dieß in den romantischen Träumen des Dichters sein, um in seiner Einbildungskraft Schluchten und Gebüsche, wie mit den Faunen und Satyrn und Waldgottheiten des Alterthums, zu bevölkern. Aber sollte er versuchen, die dunkele Geschichte ihrer Unbilden und ihres Elends zu enthüllen; sollte er erzählen, wie sie angegriffen, mißhandelt, vernichtet, aus ihren angestammten Wohnsitzen und von den Gräbern ihrer Väter vertrieben, gleich wilden Thieren auf der Erde gejagt und mit Gewalt und unter Gemetzel in das Grab gesandt worden; so wird die Nachwelt sich entweder voll Schauder und Unglauben von seiner Erzählung abwenden, oder vor Unwillen über die Unmenschlichkeit ihrer Voreltern erröthen. – »Wir werden zurückgetrieben,« sagte ein alter Krieger: »bis wir uns nicht weiter zurückziehen können, – unsere Streitäxte sind zerbrochen, unsere Bogen sind zerschnitten, unsere Feuer sind beinahe verlöscht, – noch eine kleine Weile, und die Weißen werden aufhören, uns zu verfolgen, – denn wir werden aufhören zu sein!«