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Trüb dunkle Nacht, flieh weg von hier, Und weich' dem Tag, an welchem wir Im Winter seh'n des Maien Zier. * * Was lacht, wie Feld von Korn besä't, |
Herrick. |
Als ich am nächsten Morgen erwachte, schien es, als ob alle die Ereignisse des vergangenen Abends ein Traum gewesen wären, und nur der Anblick des alten Gemaches überzeugte mich von ihrer Wirklichkeit. Während ich nachsinnend auf meinem Kissen lag, hörte ich den Tritt kleiner Füße, welche vor der Thür trippelten, und ein flüsterndes Berathen. Alsbald sang ein Chor jugendlicher Stimmen einen alten Weihnachtsgesang, dessen Refrain war –
Freut euch, unser Heiland ward geboren, Am Weihnachtstag' an dem Morgen. |
Ich stand leise auf, schlüpfte in meine Kleider, öffnete plötzlich die Thüre, und sah eine der schönsten kleinen Feen-Gruppen, die sich ein Maler nur denken kann. Sie bestand aus einem Knaben und zwei Mädchen, das älteste nicht über sechs Jahr alt, und alle lieblich wie Seraphim. Sie machten die Runde im Hause umher, und sangen an jeder Stubenthüre, aber meine plötzliche Erscheinung erschreckte sie so, daß sie verstummt errötheten. Sie blieben noch einen Augenblick stehen, spielten mit den Fingern an ihren Lippen, und warfen dann und wann einen schüchternen Blick unter den Augenbraunen hervor, bis sie, wie durch eine plötzliche Anregung, davonsprangen, und als sie sich um eine Ecke des Ganges wandten, hörte ich sie, voll Freude über ihr glückliches Entweichen, laut lachen.
Alles vereinigte sich, um in diesem gediegenen Sitze altmodischer Gastfreiheit angenehme und freudige Gefühle zu erregen. Das Fenster meines Zimmers ging auf eine Gegend hinaus, die im Sommer eine schöne Landschaft sein mußte. Da war ein sich senkender Rasenplatz, ein schöner Bach, der sich am Fuße desselben hinschlängelte, und ein großer Park dahinter, mit edeln Baumgruppen und Herden von Damhirschen. In einiger Entfernung war ein nettes Dörfchen, über welchem der Rauch aus den Schornsteinen seiner Hütten hing, und eine Kirche mit ihrem dunkeln Kirchthurme, welche gegen den klaren kalten Himmel stark hervortrat. Das Haus war, nach englischer Sitte, mit immergrünenden Sträuchern umgeben, welche ihm beinahe ein sommerliches Ansehen gaben; allein der Morgen war sehr kalt; der leichte Dunst des vorigen Abends war von der Kälte herabgedrückt worden, und bedeckte alle Bäume und jeden Grashalm mit seinen schönen Krystallen. Die Strahlen der hellen Morgensonne auf den blitzenden Blättern wirkten blendend. Ein Rothkehlchen, sich auf der Spitze einer Bergesche wiegend, deren rothe Beeren in Trauben dicht vor meinem Fenster hingen, sonnte sich und zwitscherte einige Klagetöne dazu; und ein Pfau entfaltete den ganzen Glanz seines Schweifes und schritt mit dem Stolze und der Würde eines spanischen Grande's auf dem Terrassen-Wege unten einher.
Ich hatte mich kaum angekleidet, als ein Bedienter erschien, mich zum Hausgebete zu rufen. Er zeigte mir den Weg zu einer kleinen Capelle, im alten Flügel des Hauses, wo ich den größern Theil der Familie bereits in einer Art von Gallerie versammelt sah, die mit Polstern, Kissen und großen Gebetbüchern versehen war; die Dienerschaft saß unten auf Bänken. Der alte Herr las an einem Betpulte im Vorgrund der Gallerie die Gebete, und Meister Simon machte den Kirchendiener und sagte die Responsen, und ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er dieß mit großer Würde und Anstand that.
Auf den Gottesdienst folgte ein Weihnachtslied, das Herr Bracebridge selbst aus einem Gedichte von seinem Lieblingsschriftsteller, Herrick, entlehnt, und welchem Meister Simon eine alte Kirchenmusik angepaßt hatte. Da unter der Familie mehrere gute Stimmen waren, so war die Wirkung äußerst gefällig; ganz besonders erbaute mich aber die Herzens-Erhebung und der plötzliche Ausbruch des dankbaren Gefühls, womit der würdige Squire eine Strophe hersang; sein Auge glänzte, und seine Stimme überschritt alle Schranken des Takts und Tones:
Du bist's, der reines Glück bescheert Auf meinem Heerd, Und mir den reichen Becher beut Voll Würz' und Freud'; Herr, deine reiche Segenshand Beglückt mein Land Und läßt die Saaten, die wir sä'n, Zehnfach ersteh'n. |
Ich hörte späterhin, daß ein Frühgottesdienst an jedem Sonn- und Feiertage im Jahre, entweder von Herrn Bracebridge oder irgend einem Mitgliede der Familie gehalten würde. Dieß war sonst auf den Landsitzen der Adeligen und Vornehmen in England allgemein der Fall, und es ist sehr zu bedauern, daß dieser Gebrauch in Abnahme kommt; denn dem stumpfsinnigsten Beobachter muß die Ordnung und Heiterkeit fühlbar werden, welche in den Haushaltungen herrschen, wo die gelegentliche Feier eines schönen äußern Gottesdienstes am Morgen, gleichsam den Ton für die ganze Stimmung des Tages gibt, und jedes Gemüth zum Wohlklange stimmt.
Unser Frühstück bestand auf dem, was der Squire ächte alte englische Kost nannte. Er erlaubte sich einige bittere Bemerkungen über neuere Frühstücke von Thee und geröstetem Brod, welche er zu den Ursachen der neuern Verweichlichung und schwacher Nerven, und des Verfalls der alten englischen Herzlichkeit rechnete; und obgleich er sie auf seinen Tisch kommen ließ, um dem Gaumen seiner Gäste zu schmeicheln, so war doch ein tüchtiger Vorrath von kaltem Fleisch, Wein und Ale auf dem Nebentisch aufgestellt.
Nach dem Frühstück machte ich mit Frank Bracebridge und Meister Simon, oder Herrn Simon, wie er von Allen, den Squire ausgenommen, genannt wurde, einen Spaziergang durch die Besitzung. Wir wurden von einer Anzahl vornehmer Hunde, welche zu dem Gute zu gehören schienen, begleitet; von dem hüpfenden Wachtelhunde bis zu dem steifen alten Hühnerhunde; der letztere gehörte zu einer Race, die seit undenklichen Zeiten in der Familie gewesen war; alle gehorchten einer Hundepfeife, welche an Meister Simon's Knopfloche hing, und mitten in ihren Sprüngen warfen sie dann und wann einen scheuen Blick nach einer kleinen Gerte, die er in der Hand trug.
Das alte Herrenhaus sah in dem gelben Sonnenscheine noch viel ehrwürdiger aus, als bei dem blassen Mondlicht, und ich konnte nicht umhin, die Wahrheit des Gedankens des Squire anzuerkennen, daß die steifen Terrassen, die schweren Balustraden und die gestutzten Eibenbäume auf stolze Aristokratie hindeuteten. Es schien eine ungewöhnliche Anzahl von Pfauen an diesem Orte zu sein, und ich machte einige Bemerkungen über eine Herde derselben, wie ich es nannte, welche sich im Schutze einer sonnigen Mauer wärmten, als mich Meister Simon freundlich zurechtwies, indem er mir sagte, daß ich, dem ältesten und allgemein angenommenen Jagdbuche zufolge, eine Totte Pfauen sagen müßte. »Auf dieselbe Weise,« fügte er mit einem leicht pedantischen Wesen hinzu, »sagt man eine Flucht Tauben oder Schwalben, ein Volk Lerchen, eine Herde Damhirsche, Zaunkönige oder Kraniche, ein Schwarm Füchse und ein Bau von Raben.« Er fuhr nun fort mir auseinander zu setzen, daß man, Sir Anton Fitzherbert zufolge, diesem Thiere sowohl Verstand als Ruhmsucht zuschreiben müsse; denn, wenn es gelobt würde, breite es sogleich seinen Schweif aus, besonders wenn die Sonne scheine, damit man dessen Schönheit besser sehen könne. Wenn aber bei dem Fall der Blätter sein Schweif ausfalle, trauere es und verberge sich in Winkeln, bis sein Schweif wieder wachse, wie er gewesen sei.«
Ich konnte nicht umhin, über dieses Auskramen leichter Gelehrsamkeit bei einer so unbedeutenden Sache zu lächeln; aber ich fand, daß die Pfauen auf der Halle als Vögel von einiger Bedeutsamkeit angesehen wurden; denn Frank Bracebridge belehrte mich, daß sie große Lieblinge seines Vaters wären, der sehr darauf halte, die Art fortzupflanzen; theils weil sie zur Ritterlichkeit gehörten, und bei den feierlichen Banketten in alten Zeiten sehr gesucht wurden, und theils weil sie einen Pomp und eine Pracht an sich hätten, die sich zu einem alten Herrenhause sehr passe. Nichts, pflegte er zu sagen, nehme sich stattlicher und würdevoller aus, als ein Pfau, der auf einem altfränkischen steinernen Geländer sitze.
Meister Simon mußte nun davoneilen, da er die Dorfsänger nach der Kirche bestellt hatte, wo einige Musikstücke von seiner Wahl aufgeführt werden sollten. Es lag etwas ungemein Angenehmes in der lebendigen Fröhlichkeit des kleinen Mannes; und ich gestehe, daß ich einigermaßen überrascht war, ihn Stellen aus Schriftstellern anführen zu hören, die nicht in die Reihe der Alltagslectüre gehörten. Ich erwähnte dieses letztern Umstandes gegen Frank Bracebridge, der mir mit einem Lächeln erzählte, Meister Simon's ganze Gelehrsamkeit beschränke sich auf ein halbes Dutzend alter Schriftsteller, welche der Squire in seine Hände gegeben und die er immer wieder durchlese, so oft er einen Anfall von Studirsucht bekomme, wie er diesen zuweilen an einem regnerischen Tage oder an einem langen Winterabende habe. Sir Anton Fitzherbert's Buch über die Landwirthschaft, Markham's Landvergnügungen, die Abhandlung über die Jagd von dem Ritter Sir Thomas Cockayne, Isaak Walton's Angler, und zwei oder drei ähnliche alte Herren von der Feder seien seine stehenden Gewährsmänner, und er betrachte sie, wie alle Leute, die nur wenige Bücher kennten, mit einer Art von Abgötterei, und führe sie bei allen Gelegenheiten an. Was seine Lieder beträfe, so habe er sie meistens auf alten Büchern in der Bibliothek des Squire herausgesucht, und ihnen Melodien angepaßt, welche bei den ausgewählten Geistern des vergangenen Jahrhunderts beliebt gewesen wären. Seine praktische Anwendung von Literaturbrocken habe indessen verursacht, daß alle Stallknechte, Jäger und die geringern Jagdfreunde in der Nachbarschaft ihn für ein Wunder von Bücherkenner ansähen.
Während wir mit einander sprachen, hörten wir in der Entfernung den Ton der Dorfglocke, und man sagte mir, der Squire sei ein wenig eigen darin, daß sein ganzer Hausstand am Morgen des Weihnachtsfeiertags sich in der Kirche einfinde, da er diesen als einen Tag der Danksagung und der Freude betrachte; denn wie der alte TusserIn seinem five hundred points of good husbandry. bemerkt hat:
Zu Weihnachten sei fröhlich und dankbar vor allen, Und bewirthe die Armen, Groß und Klein, in deinen Hallen. |
»Wenn Ihr Lust habt, nach der Kirche zu gehen,« sagte Frank Bracebridge;»so kann ich Euch ein Probestück von meines Vetters Simon musikalischen Leistungen versprechen. Da die Kirche keine Orgel besitzt, so hat er sich aus den Musikliebhabern im Dorfe ein Orchester gebildet, und zu dessen Vervollkommnung einen musikalischen Club gestiftet; er hat sich auch einen Chor ausgesucht, wie er meines Vaters Jagdhunde nach Gervasius Markham's Anweisung, in dessen Landvergnügungen, ausgesucht hat; für den Baß hat er alle die »tiefen, feierlichen Kehlen,« und für den Tenor die »laut klingenden Kehlen« aus den Dorflümmeln ausgewählt, und für »sanfte Kehlen« mit eigenthümlichem Geschmack unter den artigsten Mädchen in der Gegend Schau gehalten; obgleich, wie er versichert, diese letztern am schwersten im Ton zu erhalten sind, da solche hübsche Sängerinnen überaus störrisch und launisch, und von kleinen Unfällen sehr abhängig seien.«
Da der Morgen, obgleich kalt, doch sehr schön und hell war, so gingen die meisten Mitglieder der Familie zu Fuß nach der Kirche, welche ein sehr altes Gebäude von grauem Stein war, und nahe bei einem Dorfe, ungefähr eine halbe Meile von dem Park-Thore, stand. Daneben war ein niedriges, behagliches Pfarrhaus, das aus gleicher Zeit mit der Kirche zu stammen schien. Die Vorderseite desselben war ganz mit dem Laube eines Eibenbaumes bedeckt, den man gegen die Mauer derselben gezogen hatte, und durch dessen dichtes Laub Oeffnungen gemacht worden waren, um das Licht zu den kleinen, altfränkischen Ladenfenstern gelangen zu lassen. Als wir bei diesem geschirmten Neste vorübergingen, trat der Pfarrer heraus und ging vor uns her.
Ich hatte erwartet, einen glatten, wohlgenährten Geistlichen zu erblicken, wie man sie oft auf den behaglichen Pfarren, in der Nähe der Tafel eines reichen Patrons, antrifft; aber ich hatte mich getäuscht. Der fromme Herr war ein kleiner, magerer, schwarz aussehender Mann, mit einer grauen Perücke, die zu weit war und von beiden Ohren abstand, so daß sein Haupt darin zusammengeschrumpft zu sein schien, wie ein trockener Haselnußkern in der Schale. Er trug einen verschabten Rock mit langen Schößen, und mit Taschen, welche die Kirchenbibel und das Gebetbuch hätten fassen können, und seine dünnen Beine erschienen noch dünner, da sie in große Schuhe mit ungeheueren Schnallen verziert, gestellt waren.
Frank Bracebridge sagte mir, der Geistliche sei ein Stubenbursche seines Vaters in Oxford gewesen, und habe diese Pfarre, kurz nachdem der Letztere sein Gut angetreten, bekommen. Er jagte leidenschaftlich allen, mit gothischen Buchstaben gedruckten Büchern nach, und pflegte selten deren zu lesen, die mit lateinischer Schrift gedruckt waren. Carton's und Wynkin de Worde's Ausgaben waren sein Ergötzen, und er war unermüdlich in seinen Nachforschungen nach solchen alten englischen Schriftstellern, die, ihrer Werthlosigkeit wegen, in Vergessenheit gerathen sind. Aus Ehrfurcht vielleicht vor Herr Bracebridge's Ansichten, hatte er sorgfältige Untersuchungen über die Festgebräuche und Feierlichkeitssitten früherer Zeiten angestellt; und er war eben so eifrig in dieser Untersuchung, als ob er ein Lebemann gewesen wäre; er that es indessen bloß mit jenem brütenden Geiste, womit Leute von lebendiger Gemüthsart jede Spur von Studium verfolgen. nur deßwegen, weil man dieß Gelehrsamkeit heißt; gleichgültig gegen die innere Beschaffenheit, ob 's sich um Erläuterung der Weisheit oder der Ruchlosigkeit und Unanständigkeit des Alterthums handle. Er hatte über diesen alten Bänden so emsig gebrütet, daß sie sich auf seinem Gesicht wieder abzuspiegeln schienen, welches, wenn anders das Antlitz ein Spiegel der Seele ist, füglich mit einem Titelblatte in gothischen Lettern verglichen werden konnte.
Als wir die Kirchenthüre erreichten, hörten wir, daß der Pfarrer den grauköpfigen Küster deßwegen ausschalt, weil er unter dem Laubwerk, womit er die Kirche ausgeschmückt, die Mistel angebracht habe. Dieß, bemerkte er, sei ein unheiliger Strauch, der dadurch entweiht worden, daß die Druiden sich seiner bei ihren geheimnißvollen Feierlichkeiten bedienten, und ob man ihn gleich ganz unschuldig bei der festlichen Ausschmückung von Hallen und Küchen gebrauchen könne, so hätten die Kirchenväter ihn doch für unheilig und durchaus unanwendbar zu heiligen Zwecken gehalten. So hartnäckig war er in diesem Punkt, daß der arme Küster sich genöthigt sah, einen großen Theil der bescheidenen Siegeszeichen seines Geschmacks herabzureißen, ehe der Pfarrer den Gottesdienst anfangen wollte.
Das Innere der Kirche war ehrwürdig, doch einfach; an den Mauern waren mehrere Denkmäler der Bracebridge's, und dicht neben dem Altar war ein Grabstein von alter Arbeit, auf welchem das Bild eines Kriegers in voller Rüstung lag, mit übereinandergeschlagenen Beinen, ein Zeichen, daß er ein Kreuzfahrer gewesen. Man sagte mir, es stelle einen aus der Familie dar, der sich in dem heiligen Lande ausgezeichnet habe, und zwar denselben, dessen Bild über dem Kamin im Saale hing.
Während des Gottesdienstes stand Meister Simon in dem Kirchenstuhle auf und wiederholte die Responsen mit hörbarer Stimme, wobei er die Art feierlicher Andacht an den Tag legte, welche die Leute aus der alten Schule und aus guten Familien pünktlich zu beobachten pflegen. Ich bemerkte, daß er die Blätter des Folio-Gebetbuches mit einer Art Schwung umwandte, wahrscheinlich um bei der Gelegenheit einen ungeheuren Siegelring zu zeigen, welcher an einem seiner Finger prangte, und der das Ansehen eines Familienüberbleibsels hatte. Aber er war augenscheinlich am meisten um den musikalischen Theil des Gottesdienstes bemüht, hielt die Augen unverwandt auf das Chor geheftet, und schlug mit vielem Geberdenspiel und Nachdruck den Takt.
Das Orchester war auf einer kleinen Gallerie angebracht und bot eine sehr drollige Zusammenstellung von Köpfen dar, welche übereinander gethürmt waren, und worunter ich besonders den des Dorfschneiders, eines blassen Burschen mit zurücktretender Stirn und eingezogenem Kinn bemerkte, welcher das Clarinett blies und sein Gesicht schon ganz spitz geblasen zu haben schien; es war noch ein Anderer da, ein kurzer engbrüstiger Mann, der sich bei einer Baßviole tief bückte und zerarbeitete, so daß man nur den obern Theil seines runden, kahlen Kopfes sehen konnte, der wie ein Straußenei aussah. Unter den Sängerinnen waren zwei oder drei artige Gesichter, denen die scharfe Luft des kalten Morgens eine hohe Rosenfarbe gegeben hatte; aber die Herrn Choristen waren augenscheinlich, wie die alten Cremoneser Geigen, mehr ihres Tones, als ihres Aeußern wegen gewählt worden, und da mehrere von ihnen aus Einem Buche singen mußten, so entstand dadurch ein Zusammenfließen seltsamer Physiognomien, den Gruppen von Cherubim nicht unähnlich, wie wir sie zuweilen auf Leichensteinen auf dem Lande finden.
Der gewöhnliche Gottesdienst des Chores ging leidlich gut von statten; die Stimmen hinkten immer etwas hinter den Instrumenten drein, und ein langsamer Geiger suchte die verlorene Zeit dann und wann dadurch einzubringen, daß er mit wunderbarer Schnelligkeit über einen Gang hinfuhr, und über mehr Takte wegsetzte, als der schnellste Fuchsjäger über Pfähle, wenn er bei dem Verenden eintreffen will. Aber der große Prüfstein war eine Kirchenmusik, welche Meister Simon vorbereitet und angeordnet hatte, und auf welche er große Erwartungen gründete. Unglücklicherweise fiel gleich zu Anfange ein Fehler vor; die Musiker geriethen in Unordnung; Meister Simon war in Fieberhitze; alles ging lahm und unregelmäßig, bis sie an einen Chor kamen, welcher begann: »nun laßt uns singen Alle vereint,« welches das Zeichen zu sein schien, daß Jeder seinen Weg gehen sollte; alles ward Mißklang und Verwirrung; Jeder suchte sich zu helfen so gut er konnte, um so gut oder vielmehr so schnell als möglich zu Ende zu kommen, einen alten Chorsänger mit einer Hornbrille ausgenommen, welche auf einer langen, tönenden Nase thronte und sie zwängte. Da er zufällig ein wenig entfernt von den Andern stand, und in seine eigene Melodie versunken war, trillerte er noch immer fort, drehte dabei den Kopf, auf sein Buch schielend, und beschloß das Ganze mit einem näselnden Solo, das wenigstens drei Takte dauerte.
Der Geistliche gab uns eine sehr gelehrte Predigt über die Weihnachtsgebräuche und Festlichkeiten, und wie man das Weihnachtsfest nicht bloß als ein Fest der Dankbarkeit, sondern auch der Freude betrachten müsse, wobei er die Wahrheit seiner Ansicht durch die frühesten Kirchengebräuche zu unterstützen, und sie durch die Autoritäten eines Theophilus von Cäsarea, des heiligen Cyprianus, Chrysostomus, Augustinus und eine Menge anderer Heiligen und Kirchenvätern zu erhärten suchte, aus denen er viele Stellen anführte. Ich war nicht ganz im Stande, die Nothwendigkeit eines so mächtigen Aufgebots von Hülfsquellen einzusehen, um etwas zu behaupten, das Niemand bestreiten zu wollen schien; ich fand indessen bald, daß der gute Mann eine Legion eingebildeter Gegner hatte; denn, im Verfolge seiner Untersuchungen über die Weihnachten, hatte er sich ganz und gar in die Sectenstreitigkeiten der Revolutionszeit verloren, wo die Puritaner einen so heftigen Angriff auf die Kirchenfeierlichkeiten machten, und die armen alten Weihnachten durch eine öffentliche Bekanntmachung des Parlaments Landes verwiesen wurden.Aus dem »fliegenden Adler,« einer kleinen Zeitung, vom 24. December 1652: »das Haus brachte an diesem Tage lange Zeit mit den Marinesachen und dem Kriege zur See zu, und ehe es auseinander ging, ward ihm noch eine gewaltige Vorstellung gegen den Weihnachtsfeiertag eingereicht, welche auf die heilige Schrift gegründet war, namentlich auf 2. Kor. V. 16. 1. Kor. XV. 14. 17. und zur Ehre des Tages des Herrn, ebenfalls auf die heilige Schrift gegründet, Evang. Joh. XX. 1. Offenb. I. 10. Psalm CXVIII. 24. 3. Buch Mos. XXIII. 7. 11. Evangel. Marc. XV. 8. Psalm LXXXIV. 10., wo Weihnachten des Antichrist's Messe genannt ward, und Diejenigen, welche es feiern, Meßkrämer und Papisten u s. w. Demzufolge berathschlagte das Parlament noch eine Zeitlang über die Abschaffung des Weihnachtsfeiertags, erließ einen Befehl deßwegen, und beschloß, am folgenden Tage, der gewöhnlich der Weihnachtsfeiertag genannt wurde, Sitzung zu halten. – Anm. des Verfassers. Der würdige Pfarrer lebte nur in den vergangenen Zeiten, und wußte gar wenig von der Gegenwart.
Abgeschlossen unter den wurmstichigen Bänden, in der Stille seines kleinen altfränkischen Studirzimmers, erschienen ihm die Blätter der alten Zeit wie die Zeitungen des Tages; während er die Zeit der Revolution als neuere Geschichte ansah. Er vergaß, daß fast zwei Jahrhunderte verflossen waren, seit die grausame Verfolgung der armen Fleischpastete im ganzen Lande Statt gefunden hatte und die Rosinensuppe als »reine Päbstelei,« und Roastbeef als unchristlich angesehen worden war, und daß das Weihnachtsfest mit dem munteren Hofe König Karl's bei der Wiederherstellung des Königthums im Triumph zurückgekehrt war. Er wurde warm bei seinem hitzigen Streit und dem Schwarme eingebildeter Feinde, mit denen er zu kämpfen hatte; er führte einen hartnäckigen Kampf mit dem alten Prynne und zwei oder drei anderen Kämpen der Rundköpfe über die Weihnachtsfeierlichkeiten, und schloß damit, daß er seinen Zuhörern auf die feierlichste und rührendste Weise einschärfte, an den Ueberlieferungsgebräuchen ihrer Voreltern fest zu halten, und an diesem fröhlichen Jahresfeste der Kirche, lustig und guter Dinge zu sein.
Ich habe selten eine Predigt gehört, die anscheinend eine unmittelbarere Wirkung gehabt hätte; denn, als ich die Kirche verließ, schien die Gemeinde, ohne Ausnahme, von dem Geiste der Fröhlichkeit durchdrungen zu sein, den ihr Geistlicher ihr so angelegentlich zur Pflicht gemacht hatte. Die älteren Leute versammelten sich in Haufen auf dem Kirchhofe, grüßten sich und schüttelten einander die Hände; und die Kinder liefen umher, schrien Jul! Jul! und wiederholten einige rohe Reime, von denen der Geistliche, der sich zu uns gesellt hatte, uns versicherte, daß sie aus uralter Zeit herrührten. Die Dorfbewohner zogen die Hüte ab, als der Squire vorüber ging, wünschten ihm, mit jedem Zeichen von Herzlichkeit und Aufrichtigkeit, Glück zum Feste, und wurden von ihm nach der Halle eingeladen, dort etwas zu genießen, um sich gegen die Kälte zu schützen; und ich hörte mehrere Arme Segenswünsche über ihn aussprechen, welche mich überzeugten, daß der würdige alte Herr, bei allen seinen Vergnügungen, die wahre Weihnachtstugend der Mildthätigkeit nicht vergessen habe.
Auf unserm Heimwege schien sein Herz von wohlwollenden, freudigen Gefühlen überzufließen. Während wir auf einer Erhöhung gingen, von der man eine Art Aussicht hatte, gelangten die Töne ländlicher Fröhlichkeit dann und wann zu unseren Ohren; der Squire blieb einige Augenblicke stehen, und blickte mit einer Miene voll unaussprechlicher Güte umher. Die Schönheit des Tages war an sich schon hinreichend, Menschenliebe einzuflößen. Ungeachtet der Kälte des Morgens hatte die Sonne auf ihrer wolkenlosen Reise Kraft genug erlangt, die dünnen Schneedecken von allen südlichen Abhängen hinwegzuschmelzen, und das lebendige Grün zu enthüllen, welches, selbst mitten im Winter, eine englische Landschaft schmückt. Große Strecken lachenden Grüns stachen gegen die blendende Weiße der beschatteten Abhänge und Vertiefungen grell ab. Jeder geschützte Fleck, auf welchem die vollen Sonnenstrahlen verweilten, spendete einen silbernen Bach kalten und klaren Wassers, welcher durch das tropfende Gras schimmerte und leichte Dünste aufsteigen ließ, um den dünnen Nebel zu vermehren, der dicht über der Oberfläche der Erde hing. Es lag etwas wahrhaft Erheiterndes in diesem Triumph der Wärme und des Grüns über die frostige Herrschaft des Winters; es war, wie der Squire bemerkte, ein Sinnbild der weihnachtlichen Gastfreiheit, welche durch die Kälte der Förmlichkeit und Selbstsucht bricht, und alle Herzen erhebend aufthaut. Er deutete mit Vergnügen auf die Anzeichen eines guten Mahles, die der Rauch aus den Schornsteinen der behaglichen Pachterhäuser und der niedrigen, strohbedeckten Hütten sehen ließ. »Ich sehe es gern,« sagte er: »daß dieser Tag von Reichen und Armen gefeiert wird; es ist schon viel, wenigstens Einen Tag im Jahre zu haben, wo man sicher ist, willkommen zu sein, wohin man kommt, und die Welt gleichsam überall offen zu finden, und ich möchte beinahe mit dem armen Robin gleicher Meinung sein, wenn er jeden sauertöpfigen Feind dieses schönen Festes verwünscht:
Die gern das Weihnachtsfest vergessen, Und lieber fort geschafft es seh'n, Mögen bei Herzog Humphry essen, Oder zum Freunde Ketch auch geh'n.Mit Herzog Humphry essen, ist so viel als hungern. – Zum Freunde Ketch, d. h. zum Henker gehen. – Anm. des Uebers. |
Der Squire fuhr fort, über den bedauernswerthen Verfall der Spiele und Vergnügungen zu klagen, welche sonst zu dieser Jahreszeit bei den niederen Ständen vorzugsweise geliebt, und von den höheren aufrecht erhalten worden, damals, als noch die alten Hallen, Schlösser und Herrenhäuser bei Tagesanbruch geöffnet wurden; als die Tische mit gepökeltem wilden Schweinfleisch und Rindfleisch und schäumenden Ale bedeckt waren; als die Harfe und das Lied den ganzen Tag ertönten, und Arme und Reiche gleich willkommen waren, und in das Haus kommen und sich lustig machen konnten.»Ein englischer Edelmann ließ bei Anbruch des großen Tages. d. h. am Weihnachtsfeiertage Morgens, seine sämmtlichen Pächter und Nachbarn in seine Halle treten. Das starke Bier ward angezapft, und die Krüge gingen fleißig umher, mit geröstetem Brode, Zucker und Muskatennuß und gutem Cheshire-Käse. Der Hacking (große Wurst) muß bei Tagesanbruch gekocht sein; sonst müssen zwei junge Männer das Mädchen (d. h. die Köchin) bei den Armen nehmen, und mit ihr rund um den Markt und unser Steinkohlenfeuer laufen, bis sie sich ihrer Trägheit schämt.« – Anm. des Verf. »Unsere alten Spiele und örtlichen Gebräuche,« sagte er, »trugen sehr dazu bei, dem Landmann Liebe zu seiner Heimath einzuflößen, und da der Adel ihm behülflich ward, sich zu einem behaglichern Dasein heraufzuarbeiten, gewann er mehr Anhänglichkeit an seinen Gutsherrn. Sie machten die Zeiten fröhlicher und wohlwollender und besser, und ich kann in Wahrheit mit einem unserer alten Dichter sagen:
Ich liebe sie – die strenge Pünktlichkeit, Und anspruchsvolle Würde derer, Die so harmlose Spiele gern verbannten, Hat auch viel alte Rechtlichkeit verscheucht. |
»Die Nation,« fuhr er fort: »ist verändert; wir haben unsern einfachen. treuherzigen Bauernstand beinahe verloren. Er hat sich von den höheren Classen losgerissen, und scheint zu glauben, sein Interesse sei davon getrennt. Er ist zu klug geworden, fängt an, Zeitungen zu lesen, lauscht den Bierhaus-Politikern, und spricht von Reform. Ich denke, ein Mittel, ihn in diesen harten Zeiten bei guter Laune zu erhalten, würde sein, wenn der Adel und die höheren Stände mehr Zeit auf ihren Gütern zubrächten, sich mehr unter das Landvolk mischten, und die lustigen alten englischen Spiele wieder in den Gang brächten.«
Dieß war des guten Squire's Plan, die öffentliche Unzufriedenheit zu stillen, und, in der That, er hatte einst versucht, seine Lehre in Ausübung zu bringen, und vor wenigen Jahren, während der Feiertage, nach altem Style offenes Haus gehalten. Die Landleute verstanden indessen nicht, bei dieser öffentlichen Ausübung der Gastfreiheit ihre Rollen zu spielen, und es ereigneten sich mehrere sonderbare Vorfälle; der Landsitz ward von allen Landstreichern der Gegend überlaufen; und es kamen in einer Woche mehr Bettler in die Nachbarschaft, als die Kirchspiel-Polizeibeamten in einem Jahre wegschaffen konnten. Seitdem hat er sich damit begnügt, den anständigen Theil der benachbarten Landleute am Weihnachtstage in die Halle einzuladen, und Fleisch, Brod und Ale unter die Armen zu vertheilen, damit diese sich in ihren eigenen Wohnungen einen frohen Tag machen könnten.
Wir waren noch nicht lange wieder zurück, als aus der Entfernung der Klang der Musik gehört wurde. Ein Haufe Bauernbursche, ohne Röcke, die Hemdsärmel abenteuerlich mit Band gebunden, die Hüte mit grünem Laube geschmückt und mit Knitteln in der Hand, kamen den Baumgang herauf, und eine Menge Dorfbewohner und Landleute folgten ihnen. Sie blieben vor der Thüre der Halle stehen, wo die Musik eine eigenthümliche Weise aufspielte, und die Bursche einen sonderbaren und verwickelten Tanz aufführten, vorschreitend, wieder zurücktretend, und ihre Knittel zusammenschlagend, genau den Takt der Musik einhaltend, während Einer, der auf eine närrische Weise einen Fuchsbalg auf dem Kopfe hatte, dessen Schwanz ihm über den Rücken hinabhing, um den Kreis der Tänzer herumsprang und unter manchen hanswurstenartigen Geberden eine Weihnachtssparbüchse schüttelte.
Der Squire betrachtete dieses phantastische Schauspiel mit großer Theilnahme und Freude, und gab mir eine ausreichende Nachricht über den Ursprung desselben, den er in die Zeiten verfolgte, wo die Römer die Insel besaßen, und mir bündig bewies, daß dieß ein Abkömmling in gerader Linie von dem Schwerdttanze der Alten sei. »Er sei nun,« sagte er, »beinahe ganz außer Gebrauch; er habe indessen zufällig Spuren davon in der Gegend gefunden, und dazu ermuntert, daß er wieder gäng und gebe würde, ob ihm gleich, die Wahrheit zu sagen, gar zu leicht am Abend eine rohe Prügelei und gespaltete Köpfe folgten.«
Als der Tanz geendet war, ward der ganze Haufe mit gepökeltem wilden Schwein und Rindfleisch und starkem Hausbier bewirthet. Der Squire selbst mischte sich unter die Landleute, und ward mit unbeholfenen Beweisen von Ehrfurcht und Achtung empfangen. Es ist wahr, ich bemerkte zwei oder drei von den jüngeren Bauern, wie sie, mit den Krügen vor dem Munde, sobald der Squire den Rücken wandte, eine Art von Gesicht schnitten und sich einander zuwinkten; aber in dem Augenblick, wo sie mich bemerkten, machten sie eine ernste Miene, und waren ungemein gesetzt. Gegen Meister Simon schienen sie dagegen alle unbefangener zu sein. Seine mannichfaltigen Beschäftigungen und Vergnügungen hatten ihn in der ganzen Nachbarschaft sehr bekannt gemacht. Er kam in jedes Pachterhaus und in jede Hütte, schwatzte mit den Pachtern und ihren Frauen, schäkerte mit ihren Töchtern, und sammelte, wie das Urbild eines umherschweifenden Junggesellen, die demüthige Biene, die Süßigkeiten von allen rosigen Lippen der Gegend umher ein.
Die Zurückhaltung der Gäste wich bald dem Wohlleben und der Gesprächigkeit. Es liegt etwas Gerades und Herzliches in der Fröhlichkeit der niederen Stände, wenn sie durch das Wohlwollen und die Vertraulichkeit der höheren erweckt wird; das warme Gefühl der Dankbarkeit gesellt sich zu ihrer Freude, und ein freundliches Wort oder ein kleiner Scherz, den ein Gönner macht, erheitert das Herz des Untergeordneten mehr als Oel und Wein. Als der Squire sich entfernt hatte, wuchs die Fröhlichkeit – und es wurde viel gescherzt und gelacht, besonders zwischen Meister Simon und einem kräftigen, frisch aussehenden, weißköpfigen Pachter, der der Witzling des Dorfes zu sein schien; denn ich bemerkte, daß alle seine Gefährten mit offenem Munde seine Antworten erwarteten, und, ehe sie sie recht verstehen konnten, in ein lautes Gelächter ausbrachen.
In der That schien das ganze Haus sich der Fröhlichkeit überlassen zu haben; als ich in mein Zimmer ging, um mich zum Mittagsessen anzukleiden, hörte ich den Ton der Musik auf einem kleinen Hofe; ich blickte durch ein Fenster, von wo aus ich denselben überschauen konnte und sah dort eine Bande wandernder Musiker mit Papagenoflöten und Tambourinen stehen; ein hübsches kokettes Hausmädchen tanzte mit einem drallen Bauernburschen eine Gigue, während einige andere Dienstboten zusahen. Mitten in dieser Lustbarkeit erblickte das Mädchen mein Gesicht am Fenster, und lief hocherröthend mit einer schelmisch verlegenen Miene davon.