Washington Irving
Gottfried Crayon's Skizzenbuch
Washington Irving

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Weihnachten.

Aber ist die alte, alte, gute alte Weihnachtszeit dahin? Nichts als das Haar ihres guten, grauen, alten Kopfes und Bartes ist geblieben. Gut, so will ich das haben, da ich sehe, daß ich doch nicht mehr von ihr bekommen kann.
Lärm und Schreien nach Weihnachten.
Es war zur Weihnachtszeit
    Für Groß und Klein im Saal
Ein gutes Feu'r bereit,
    Und jeder fand ein Mahl.
Die Nachbarn lud man ins Haus,
    Bewillkommt jeden treu,
Und stieß den Armen nicht aus,
    Als diese alte Mütze noch neu.      
Altes Lied.

Nichts übt in England einen angenehmern Zauber über meine Einbildung aus, als die Ueberbleibsel der Festtagsgebräuche und der ländlichen Spiele früherer Zeiten. Sie rufen die Bilder zurück, welche sich meine Phantasie an dem Maimorgen des Lebens zu schaffen pflegte, als ich die Welt nur aus Büchern kannte und sie ganz für so hielt, wie die Dichter sie schilderten; und in ihrem Geleite ist all das Liebliche jener ehemaligen rechtlichen Zeit, wo ich mir, vielleicht eben so unrichtig, die Welt weit häuslicher, geselliger und vergnügter denke, als jetzt. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß sie alle Tage schwächer und schwächer werden, indem die Zeit sie allmählig wegspült, noch mehr aber durch die neueren Moden verdrängt. Sie gleichen jenen malerischen Bruchstücken der gothischen Baukunst, welche wir an verschiedenen Orten im Lande, theils von der verzehrenden Zeit angegriffen, theils, in den Zusätzen und Veränderungen späterer Tage verloren, untergehen sehen. Die Dichtkunst hängt indessen mit liebevoller Zärtlichkeit an den ländlichen Spielen und den Festtags-Lustbarkeiten, von denen sie so manche ihrer Gegenstände entlehnt hat – wie der Epheu sein reiches Laub um den gothischen Bogen und den verfallenden Thurm windet, indem er ihre wankenden Ueberbleibsel zusammenhält und sie gleichsam in sein Grün einhüllt.

Unter allen alten Festen jedoch erweckt das Weihnachtsfest die eindringlichsten und innigsten Gedankenverbindungen. Es ist ein Anklang von feierlichem, heiligen Gefühle darin, welches sich in unsere gesellschaftliche Fröhlichkeit mischt, und den Geist in einen Zustand geheiligten erhöhten Genusses empor trägt. Die Kirchentexte sind um diese Zeit ungemein zart und begeisternd. Sie beziehen sich auf die schönen Erzählungen von der Entstehung unseres Glaubens und den Hirtenauftritten, welche die Ankündigung desselben begleiteten. Sie nehmen während des Adventsmonats allmählig an Gluth und Pathos zu, bis sie an dem Morgen, welcher den Menschen Friede und Freude brachte, in vollen Jubel ausbrechen. Ich kenne keine großartigere Wirkung der Musik auf das Gefühl, als wenn ich das volle Chor und die tönende Orgel einer Weihnachtsmusik in einer Cathedrale aufführen höre, welche jeden Winkel des gewaltigen Gebäudes mit siegender Harmonie erfüllt.

Es ist auch eine schöne aus jenen Zeiten herstammende Einrichtung, daß dieses Fest, welches die Verkündigung der Religion des Friedens und der Liebe feiert, Veranlassung geworden ist, die Familienkreise zu vereinigen und die Bande verwandter Herzen, welche die Angelegenheiten und Vergnügungen und Bekümmernisse der Welt beständig zu lösen streben, wieder enger aneinander zu knüpfen; die Kinder der Familie, welche in das Leben hinaus verschlagen worden und weit auseinander gewandert sind, zurückzurufen, sie wieder um den väterlichen Herd, wie an einen Sammelplatz süßer Neigungen zu versammeln, um da, unter dem liebevollen Andenken der Kindheit, wieder jung zu werden und sich wieder zu lieben.

Es liegt in der Jahreszeit selbst etwas, das dem Weihnachtsfeste einen Reiz verleiht. Zu anderen Zeiten bereiten die bloßen Schönheiten der Natur uns schon einen großen Theil unserer Vergnügungen. Unsere Gefühle streifen hinaus und verbreiten sich auf der sonnigen Landschaft, und wir »leben draußen und überall.« Der Gesang des Vogels, das Murmeln des Baches, der wehende Duft des Frühlings, die sanfte Wollust des Sommers, der goldene Prunk des Herbstes; die Erde mit ihrem Gewande von erfrischendem Grün, der Himmel mit seinem dunkeln, herrlichen Blau und seiner Wolkenpracht; alles dieß erfüllt uns mit stummem und doch lebendigem Entzücken, und wir schwelgen in der Wollust der bloßen Sinnlichkeit. Aber in der Tiefe des Winters, wo die Natur aller ihrer Reize beraubt liegt und in ihr Leichentuch von gehäuftem Schnee gehüllt ist, wenden wir uns zu geistigen Quellen, um daraus Vergnügen zu schöpfen. Während das Wüste und Oede der Landschaft, die kurzen düstern Tage und die dunkeln Nächte unsere Wanderungen beschränken, halten sie unsern Geist auch ab, umherzustreifen, und machen, daß wir die Vergnügungen eines gesellschaftlichen Kreises desto mehr schätzen lernen. Unsere Gedanken drängen sich mehr zusammen; unser freundliches Mitgefühl wird um so stärker angeregt. Wir fühlen den Reiz unserer gegenseitigen Gesellschaft desto mehr, und werden dadurch, daß wir in unserm Genuß auf einander angewiesen sind, um so mehr zu einander hingezogen. Das Herz spricht zu dem Herzen; und wir schöpfen unser Vergnügen aus dem tiefen Borne des lebendigen Wohlwollens, welcher in den stillen Behältern unsers Herzens verborgen liegt; und der, wenn man aus ihm schöpft, den reinsten Stoff häuslicher Glückseligkeit gewährt.

Die tiefe Dunkelheit draußen macht, daß das Herz sich erweitert, wenn man das Zimmer betritt, das mit der Gluth und Wärme des abendlichen Feuers erfüllt ist. Der röthliche Feuerschein verbreitet einen künstlichen Sommer und Sonnenglanz in dem Zimmer, und erhellt jedes Gesicht zu einem freundlichen Willkommen. Wo gestaltet sich das biedere Antlitz der Gastfreundlichkeit zu einem gemüthlichern, herzlichern Lächeln? – wo ist der schüchterne Blick der Liebe lieblicher beredt als bei dem Winterkamin? und wenn das hohle Sausen des winterlichen Windes durch den Saal tönt, an der entfernten Thüre rasselt, um die Fenster pfeift, und den Schornstein herabbrauset, was kann angenehmer sein, als das Gefühl der ruhigen, unbesorgten Sicherheit, womit wir in dem behaglichen Zimmer umher und auf die Scene häuslicher Fröhlichkeit hinblicken?

Die Engländer haben, vermöge der bei ihnen in allen Ständen vorherrschenden Anhänglichkeit an ländliche Sitte, jene Lustbarkeiten an festlichen Tagen, welche die Stille des Landlebens auf eine angenehme Art unterbrechen, stets geliebt; sie beobachteten, in früherer Zeit, mit besonderer Strenge alle religiösen und gesellschaftlichen Weihnachtsgebräuche. Es ist begeisternd, selbst die trockenen Einzelnheiten zu lesen, welche einige Alterthumsforscher von der sonderbaren Fröhlichkeit, den abenteuerlichen Aufzügen und der gänzlichen Hingebung zu Lust und ungebundener Geselligkeit gegeben haben, womit diese Feier begangen wurde. Es war, als ob jede Thüre dabei sich öffnete, jedes Herz sich aufschlösse. Es brachte den Bauern und den Pair einander näher und vermischte alle Stände in einen warmen, edeln Erguß der Freude und Gemüthlichkeit. Die alten Hallen der Burgen und Herrenhäuser ertönten von der Harfe und dem Weihnachtsliede, und ihre gewaltigen Tafeln erseufzten unter der Last der Gastfreiheit. Selbst die gemeinste Bauerhütte bewillkommte die festliche Jahreszeit mit grünem Schmuck von Lorbeern und Stechpalmen – der Schein des erfreulichen Feuers schimmerte durch die Fensterladen, und lud den Fremden ein, die Thürklinken aufzuheben, und sich dem schwatzenden Haufen anzuschließen, der um den Herd saß und den langen Abend durch sagenhafte Schwänke und oft erzählte Weihnachtsgeschichten verkürzte.

Eine der am wenigsten angenehmen Wirkungen der Verfeinerung der neuern Zeit ist die Zerstörung, welche sie unter den herzlichen alten Festtagsgebräuchen angerichtet hat. Sie hat die scharfen Umrisse und lebendigen Formen dieser Verschönerungen des Lebens gänzlich verwischt, und die Geselligkeit zu einem glatteren, glänzenderen, aber gewiß weniger charakteristischen Verkehr herabgebracht. Viele von den Weihnachtsspielen und Festlichkeiten sind gänzlich verschwunden, und, wie des alten Falstaff's Xeres-Sekt, zu Gegenständen des Nachdenkens und des Streits unter den Erläuterern geworden. Sie blühten in Zeiten voller Geist und Fröhlichkeit, als die Leute das Leben auf eine rohe, aber herzliche und kräftige Weise genossen; in wilden, malerischen Zeiten, welche der Dichtkunst ihren reichsten Stoff und dem Drama die anziehendste Mannichfaltigkeit von Charakteren und Sitten geliefert haben. Die Welt ist weltlicher geworden. Es gibt mehr Zerstreuung und weniger Vergnügen. Die Freude hat sich zu einem breitern, aber auch seichtern Strome ausgedehnt; es hat manche jener tiefen ruhigen Bette verlassen, worin es sonst durch den stillen Busen des häuslichen Lebens lieblich dahinfloß. Die Gesellschaft hat einen aufgeklärtern und gebildetern Ton angenommen, dagegen aber mehrere von ihren stark hervortretenden, örtlichen Eigenthümlichkeiten, ihren häuslichen Gesinnungen, ihren ehrlichen Vergnügungen am Herde eingebüßt. Die sagenhaften Gebräuche des goldherzigen Alterthums, seine lehnshafte Gastfreiheit und gutsherrlichen Schwelgereien sind mit den Ritterburgen und den stattlichen Herrenhäusern verschwunden, in denen sie gefeiert wurden. Sie paßten sich zu der düstern Halle, der großen eichengetäfelten Gallerie und dem mit Tapeten behängten Gastzimmer, schicken sich aber nicht mehr für die hellen, prachtvollen Säle und die bunten Putzgemächer der neueren Villa.

So sehr jedoch die Weihnachten um ihre alten und festlichen Ehren verkürzt sind, so bleibt diese Zeit in England doch noch immer voll der herrlichsten Aufregungen. Es ist erfreulich, zu sehen, wie das Gefühl der Häuslichkeit, welches in dem Herzen eines jeden Engländers einen so ausgezeichneten Platz behauptet, ganz in Bewegung geräth. Die Anstalten, welche überall getroffen werden, um die gesellige Tafel in Stand zu setzen, welche Freunde und Verwandte abermals vereinigen soll; die Geschenke von Leckerbissen, welche weggesandt werden und ankommen, diese Zeichen der Achtung, die alle wohlwollenden Gefühle neu beleben; die immergrünen Sträucher, welche in den Häusern und Kirchen befestigt werden, – Sinnbilder des Friedens und der Freude; alles dieses hat die wohlthuendste Einwirkung auf das Hervorrufen angenehmer Gedankenverbindungen, und auf die Erregung wohlwollender Gefühle. Selbst der Gesang der Weihnachtssänger nimmt sich, so roh auch diese Art Meistersängerei sein mag, im Ohre des Spätwachenden in einer Winternacht wie eine vollkommene Harmonie aus. Wenn ich durch sie in der stillen feierlichen Stunde geweckt worden bin, »wo der tiefe Schlaf den Menschen befällt,« habe ich mit stillem Vergnügen ihnen zugehört, und wenn ich zugleich an die heilige, fröhliche Veranlassung dachte, habe ich beinahe den himmlischen Chorgesang zu hören geglaubt, welcher der Menschheit Frieden und Freude verkündete.

Wie herrlich verwandelt doch die Einbildungskraft, wenn diese geistigen Einwirkungen sie beschäftigen, Alles in Melodie und Schönheit. Sogar das Krähen des Hahnes, wenn man diesen zuweilen in der tiefen Ruhe des Landes hört, »wie er seinen befiederten Gattinnen die Stunde der Nacht verkündigt,« schien den gemeinen Leuten die Annäherung dieses heiligen Festes zu verkünden:

Man sagt, daß immer, wenn die Zeit sich naht,
Wo die Geburt des Heilands wird gefeiert,
Der Morgen-Vogel singt die ganze Nacht;
Dann darf kein Geist umhergehn, sagen sie,
Die Nächte sind gesund – kein Stern kann schaden,
Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern,
So heilig ist und gnadenvoll die Zeit.Shakspeare.

Welches Herz könnte bei der allgemeinen, sich in dieser Zeit rührenden Aufforderung zur Fröhlichkeit, dem raschen Treiben aller Geister, der Regung aller wohlwollenden Triebe unempfindlich bleiben? Es ist in der That die Zeit aller erwachenden Gefühle – die Zeit, wo nicht allein das Feuer der Gastfreiheit in dem Saal, sondern auch die gemüthliche Flamme des Wohlwollens im Herzen auflodern soll.

Die Auftritte früher Liebe steigen lebendig empor über die unfruchtbare Oede der Jahre, und der Gedanke an die Heimath, mit dem Dufte häuslicher Freude vermischt, belebt den ermattenden Geist, wie der arabische Lufthauch zuweilen die Frische der entfernten Felder zu dem müden Pilger in der Wüste hinüberträgt.

Obgleich für mich, den Fremden und Gast in diesem Lande – kein geselliger Herd glüht, keine gastfreie Hütte mir ihre Thüre öffnet, noch der warme Druck der Freundschaft mich an der Schwelle bewillkommt – so fühle ich doch den Einfluß dieser Zeit aus den glücklichen Blicken Derer, die um mich sind, auch in meine Seele strahlen. Gewiß, die Glückseligkeit spiegelt sich zurück, wie das Licht des Himmels; und jedes vom Lächeln verklärte, von unschuldiger Fröhlichkeit glühende Antlitz ist ein Spiegel, welcher Anderen die Strahlen eines erhabenen, immer frischen Wohlwollens zusendet. Wer sich finster von dem Anblicke der Glückseligkeit seiner Mitmenschen abwenden, und düster und in sich gekehrt in seiner Einsamkeit dasitzen kann, wenn Alles um ihn her fröhlich ist, mag wohl Augenblicke großer Erregung und selbstischer Zufriedenheit haben; er entbehrt aber ganz der geistigen und geselligen Mitgefühle, welche den Reiz der fröhlichen Weihnachten ausmachen.


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