Washington Irving
Gottfried Crayon's Skizzenbuch
Washington Irving

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Das gebrochene Herz.

                                Noch hört' ich nie
Von treuer Liebe, die der Gram verschont,
Der Gram, der gleich der Raup' die Blätter nagt,
Des schönsten Frühlings-Buchs, der Rose.
Middleton.

Es ist etwas sehr gewöhnliches, daß die, welche über die Jahre der Empfänglichkeit für Gefühlseindrücke hinaus sind oder in dem herzlosen Genuß eines zerstreuten Lebens erzogen wurden, über alle Liebesgeschichten lachen, und die Erzählungen von romantischer Leidenschaft als bloße Erfindungen der Romanenschreiber und Dichter behandeln. Meine Beobachtungen über die menschliche Natur haben mich anders denken gelehrt. Sie haben mich überzeugt, daß, obgleich die Oberfläche des Charakters durch die Sorgen der Welt erkaltet, erstarrt sein mag, oder durch die Künste der Gesellschaft zu einem bloßen Lächeln sich ausgebildet hat, dennoch in den Tiefen des kältesten Busens ein schlummerndes Feuer glimme, welches, einmal angeschürt, ungestüm wird, und zuweilen die furchtbarste Wirkung hervorbringt. In der That, ich bin einer von denjenigen, welche wahrhaft an den blinden Gott glauben und seinen Lehren in ihrem ganzen Umfange anhangen. Soll ich es gestehen? – ich glaube an gebrochene Herzen und an die Möglichkeit, an unglücklicher Liebe zu sterben. Ich betrachte dieß zwar nicht als eine Krankheit, die meinem Geschlechte oft gefährlich wird: allein ich glaube fest, daß manches liebenswürdige weibliche Wesen dadurch einem frühen Grabe zuwelkt.

Der Mann ist ein Geschöpf des Eigennutzes und des Ehrgeizes. Seine Natur führt ihn hinaus in den Kampf und in das Getümmel der Welt. Die Liebe ist nur der Schmuck seines frühern Lebens, oder ein Lied, das in den Zwischenakten gesungen wird. Er strebt nach Ruhm, nach Glück, nach einem Platz im Andenken der Welt und nach Herrschaft über seine Mitmenschen. Aber eines Weibes ganzes Leben ist eine Geschichte der Liebe. Das Herz ist ihre Welt; hier sucht ihr Ehrgeiz zu herrschen; hier sucht ihre Habsucht nach verborgenen Schätzen. Sie schickt ihre Gefühle auf Abenteuer aus. Sie schifft ihre ganze Seele ein, um mit der Liebe zu wuchern, und wenn sie Schiffbruch leidet, so ist ihr Fall hoffnungslos; denn dies ist ein Banquerout des Herzens.

Einem Manne mag fehlgeschlagene Liebe manches bittere Wehe verursachen: sie verwundet vielleicht das Gefühl der Zärtlichkeit – sie vernichtet einige Aussichten auf Glück; allein er ist ein thätiges Wesen – er kann seine Gedanken in dem Gewirr mannichfaltiger Beschäftigungen zerstreuen, oder sich in die Fluth des Vergnügens stürzen; oder, wenn der Schauplatz seiner getäuschten Hoffnungen zu voll von peinlichen Erinnerungen ist, seinen Wohnsitz nach Willkühr wechseln und, gleichsam auf den Flügeln des Morgens, »den äußersten Grenzen der Erde zufliegen und dort ausruhen.«

Allein das Leben des Weibes ist verhältnißmäßig ein unbewegliches, ein abgeschiedenes und sinnendes Leben. Sie ist mehr die Gefährtin ihrer eigenen Gedanken und Gefühle, und wohin soll sie sich wenden um Trost zu finden, wenn die zu Boten des Kummers werden? Ihr Loos ist, gesucht und gewonnen zu werden: und wenn sie unglücklich in ihrer Liebe ist, so gleicht ihr Herz einer Festung, die erobert und geplündert und dann preisgegeben und verödet gelassen wird.

Wie manches helle Auge wird trübe – wie manche rosige Wange wird bleich – wie manche liebliche Gestalt sinkt in das Grab, und Niemand kann die Ursache angeben, wodurch ihr Liebreiz verwelkte! So wie die Taube ihre Flügel an die Seite anschließt, und den Pfeil, welcher ihr die Todeswunde gegeben hat, verdeckt und verbirgt, so ist es die Natur des Weibes, vor der Welt das Wehe verwundeter Liebe zu verbergen. Die Liebe einer zartfühlenden Frau ist immer schüchtern und still. Selbst glücklich, gesteht sie es kaum sich selbst; ist dies aber nicht der Fall, so begräbt sie sie im Innersten ihres Busens, und läßt sie dort unter den Trümmern ihres Friedens sich zusammenschmiegen und brüten. Mit ihr haben alle ihre Herzenswünsche aufgehört. Der große Reiz ihres Daseins ist dahin. Sie vernachlässigt alle die fröhlichen Beschäftigungen, welche den Geist erheitern, die Pulse beleben und die Fluth des Lebens in kräftigen Strömen durch die Adern treiben. Ihre Ruhe ist dahin – die süße Erquickung des Schlafes ist durch finstre Träume vergiftet – und »die trockne Sorge trinkt ihr Blut,« bis ihr abgematteter Körper unter dem geringsten äußern Leiden erliegt. Blickt in kurzer Zeit auf sie, und ihr werdet die Freundschaft auf ihrem frühen Grabe weinen sehen und sich wundern hören, wie ein Wesen, das noch vor Kurzem in all dem Glanze der Gesundheit und Schönheit blühte, so schnell »dem Grab und dem Wurme« zur Beute geworden ist. Man wird euch von einer winterlichen Luft, einer zufälligen Unpäßlichkeit erzählen, welche sie dahingerafft; – allein Niemand kennt die tödtliche Krankheit, die vorher ihre Kräfte aufsaugte, und sie zu einer so leichten Beute für den Verderber machte.

Sie ist wie ein zarter Baum, der Stolz und die Schönheit des Waldes; lieblich seine Gestalt, glänzend sein Laubwerk, allein der Wurm nagt an seinem Herzen. Wir sehen ihn plötzlich verwelkt, wenn er am frischesten und üppigsten dastehen sollte. Wir sehen ihn seine Zweige zur Erde herabsenken, Blatt um Blatt abfallen, bis er, hingeschwunden und verzehrt, in der Stille des Waldes fällt; und wie wir über der schönen Trümmer sinnen, bemühen wir uns vergebens, uns des Sturmes oder des Blitzes zu erinnern, der sie verderbend zusammenschmetterte.

Ich habe mehrere Beispiele von Frauen gesehen, die zu Grunde gegangen sind und sich vernachlässigt haben, und allmählig von der Erde verschwunden sind, als ob sie ihr Leben zum Himmel ausgehaucht hätten; und ich habe mir wiederholt gedacht, daß ich ihren Tod durch die verschiedenen Abstufungen der Auszehrung: Erkältung, Schwäche, Dahinschwinden, und Trübsinn verfolgen könnte, bis ich auf die ersten Kennzeichen verschmähter Liebe käme. Ein Beispiel der Art ist mir jedoch erst neulich erzählt worden: die Umstände sind in dem Lande, wo sie sich zutrugen, wohl bekannt, und ich werde sie gerade so wiedergeben, wie man sie mir erzählt hat.

Man wird sich noch der tragischen Geschichte des jungen E**, des irischen Patrioten, erinnern; sie war zu rührend, um bald vergessen zu werden. Während der Unruhen in Irland ward er wegen Hochverraths angeklagt, verurtheilt und hingerichtet. Sein Schicksal machte einen tiefen Eindruck aus das Gefühl des Volks. Er war so jung – so verständig – so edel – so brav – Alles, was wir an einem jungen Manne gern bewundern. Auch sein Benehmen während seines Prozesses war so großartig und unerschrocken. Der edle Unwille, womit er die Anschuldigung des Verraths gegen sein Vaterland zurückwies – die beredte Ehrenrettung seines Namens – und sein pathetischer Aufruf an die Nachwelt, in der hoffnungslosen Stunde der Verurtheilung – alles dies machte einen tiefen Eindruck auf jedes fühlende Herz, und selbst seine Feinde beklagten die unerbittliche Politik, welche seine Hinrichtung nothwendig machte.

Aber es gab ein Herz, dessen Verzweiflung sich nicht beschreiben ließ. In glücklicheren Zeiten hatte er die Liebe eines schönen anziehenden Mädchens, der Tochter eines jetzt verstorbenen berühmten irischen Advocaten, gewonnen. Sie liebte ihn mit der uneigennützigen Gluth der ersten und frühen Liebe eines Weibes. Als jeder Grundsatz des gewöhnlichen Menschenlebens sich gegen ihn erklärte, als sein Glücksstern unterging und Schmach und Gefahr seinen Namen umdunkelten, liebte sie ihn um seiner Leiden willen nur glühender. Als sein Schicksal dann selbst das Mitgefühl seiner Feinde rege machte, wie groß mußte ihre Angst sein, sie, deren ganze Seele von seinem Bilde erfüllt war! Laßt die sprechen, welche durch die Thore des Grabes sich plötzlich von dem abgeschlossen sehen, was sie auf Erden am meisten geliebt, welche an der Schwelle desselben gesessen haben, – wie Jemand, der allein in einer kalten und einsamen Welt zurückbleibt, aus der Alles, was ihm das lieblichste und liebevollste war, geschieden ist.

Aber dann die Schrecken eines solchen Grabes! so furchtbar, so ehrlos! Dem Andenken blieb hier nichts, wobei es verweilen und das die Bitterkeit der Trennung mildern konnte – keiner jener zärtlichen, wenn gleich traurigen Umstände, welche die Scene des Scheidens so unvergeßlich machen; – nichts, was den Schmerz in jene seligen Thränen hätte auflösen können, welche wie der Thau des Himmels gesendet werden, um das Herz in der qualvollen Scheidestunde wieder zu beleben.

Um ihre verwaisete Lage noch trauriger zu machen, mußte ihre unglückliche Liebe das Mißfallen ihres Vaters erregen, und sie zwingen, das väterliche Haus zu meiden. Hätte jedoch der Antheil und die hülfreichen Dienste von Freunden auf ein Gemüth Eindruck machen können, das der Schrecken so betäubt und in sich geschlossen hatte, so würd' es ihr nicht an Trost gefehlt haben; denn die Irländer sind ein Volk von lebendigem, großartigem Gefühle. Die zarteste und liebevollste Aufmerksamkeit wurde ihr von reichen und angesehenen Familien erwiesen. Man brachte sie in Gesellschaft und suchte durch alle mögliche Arten von Unterhaltungen und Vergnügungen ihren Kummer zu zerstreuen und sie von der traurigen Geschichte ihrer Liebe abzuziehen. Aber es war Alles vergebens. Es gibt Unglücksfälle, welche die Seele ganz niederschmettern und zernichten – welche das Glück in seinem innersten Wesen ergreifen – und es verletzen, daß es nimmer wieder Knospen oder Blüthen treiben kann. Sie weigerte sich nie, Vergnügungsörter zu besuchen, aber sie war dort eben so allein, als in der tiefsten Einsamkeit. Sie ging in trübem Nachdenken umher, anscheinend der Welt um sie her ganz unbewußt. Sie trug ein inneres Wehe, welches aller Schmeicheleien der Freundschaft spottete, und »achtete nicht des Sanges des Zauberers, zauberte er auch noch so kunstreich.«

Der, welcher mir ihre Geschichte erzählte, hatte sie auf einer Maskerade gesehen. Es kann wohl weitgediehenes Unglück sich nicht auffallender und betrübender darstellen, als wenn man ihm an einem solchen Orte begegnet. Es gleich einem Gespenst, einsam und freudenlos, umherwandeln zu sehen, wo Alles froh ist – es in die Gewänder der Freude gekleidet zu sehen, und so bleich und wehevoll aussehend, als ob es umsonst versucht hätte, das arme Herz auf einen Augenblick seinen Kummer vergessen zu lassen. Nachdem sie durch die glänzenden Säle und durch das bunte Gewühl mit einer Miene gänzlicher Abwesenheit gewandelt war, setzte sie sich auf die unterste Stufe eines der Orchester, blickte eine Zeitlang mit leerem Blicke umher, welcher ihre Theilnahmlosigkeit an dem muntern Gewühle zeigte, und begann mit der Launenhaftigkeit eines kranken Herzens, ein kleines klagendes Lied zu singen. Sie hatte eine vortreffliche Stimme; aber bei dieser Gelegenheit war sie so einfach, so rührend, sie athmete eine so kummererfüllte Seele, daß sie einen Kreis stummer und schweigender Zuhörer um sich versammelte, und jeden bis zu Thränen rührte.

Die Geschichte einer so treu und so zärtlich Liebenden mußte in einem Lande, das sich durch seine Begeisterung auszeichnet, große Theilnahme erregen. Sie gewann das Herz eines wackern Offiziers, der sich um das Mädchen bewarb, in der Ueberzeugung, daß, wer dem Todten so treu sei, auch dem Lebenden nur mit Liebe anhangen werde. Sie lehnte seine Aufmerksamkeiten ab, denn alle ihre Gedanken vereinigten sich unwiderbringlich in dem Andenken an ihren früheren Geliebten. Jener beharrte indessen bei seiner Bewerbung. Er forderte nicht ihre Zärtlichkeit, nur ihre Achtung. Er sah sich unterstützt durch ihre Ueberzeugung von seinem Werth, und durch das Gefühl ihrer bedürftigen, abhängigen Lage, denn sie lebte von der Güte ihrer Freunde. Mit einem Wort, er war am Ende so glücklich ihre Hand zu erhalten, obgleich mit der feierlichsten Versicherung, daß ihr Herz unwandelbar einem Andern gehöre.

Er nahm sie mit sich nach Sicilien, in der Hoffnung, daß eine Veränderung der Umgebungen das Andenken an die früheren Leiden verwischen würde. Sie war eine liebenswürdige und musterhafte Gattin, und gab sich Mühe, auch eine glückliche zu werden; nichts konnte aber den stillen und verzehrenden Trübsinn heilen, welcher bis in das Innerste ihrer Seele gedrungen war. Sie verging in einem langsamen, aber hoffnungslosem Hinschwinden, und sank endlich, das Opfer eines gebrochenen Herzens, ins Grab.

Sie war es, zu deren Andenken Moore, der ausgezeichnete irische Dichter, folgende Zeilen dichtete:

                  Sie ist fern dem Land, wo ihr junger Held ruht,
    Und Liebende sich nach ihr sehnen.
Doch wendet sie kalt sich von ihrer Herzen Glut;
    Des Helden Grab birgt das Herz der Schönen.

Sie singt der theuern Heimath wilden Gesang,
    Seine Lieblingslieder in bessern Tagen –
Ach, ihr wißt nicht, wie ihr Herz schmerzlich bang
    Bei den Tönen schlägt, die euch so behagen.

Er lebte für sein' Liebe – er starb für sein Land,
    Beide waren sein einziges Glück im Leben!
Lang fließen die Thränen des Landes, das ihn verkannt –
    Bald wird seiner Geliebten Geist ihn umschweben.

O, grabt ihr ein Grab, da wo die Sonne erwacht,
    Wenn sie verkündet den glorreichen Morgen:
Er umglänzt ihren Schlaf, wie Lächeln auf des Westen Pracht,
    Aus ihrer theuern Insel voll Schmerz und Sorgen.


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