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Wenn, tief erstaunt, mein Auge sich erhebt, Im hehren Westminster, wo der Verein Der Könige und all der Edeln lebt In ihren Denkmälern von Erz und Stein; Seh' ich da nicht den Adel umgestaltet, Entblößt des Stolzes und der eiteln Pracht? Die Majestät, die da gutmüthig waltet, Des Pompes baar und ihrer ird'schen Macht? Und wie ein Spielwerk, ein bemalter Stein Nun ihrem stillen Geiste wohlgefällt, Dem einst der Raum zu unbedeutend klein Erschien, wie hoch ihn auch das Glück gestellt? Sein ist das Eis kalter Glückseligkeit, Sterben das Aufthau'n aller Eitelkeit. |
Christolero's Epigramme, von T. B. 1598. |
An einem jener ruhigen und fast schwermüthigen Tag, in der späteren Zeit des Herbstes, wo die Morgen- und Abendschatten sich beinahe vermischen und eine gewisse Düsterkeit über das hinscheidende Jahr werfen, brachte ich mehrere Stunden mit einer Wanderung um die Westminster Abtei zu. Es lag in der Jahreszeit etwas, mit der trüben Pracht des alten Gebäudes Uebereinstimmendes, und als ich über die Schwelle desselben schritt, schien ich in das Gebiet des Alterthums zurückzuschreiten, und mich unter den Schatten früherer Jahrhunderte zu verlieren.
Ich trat von dem einen Hofe der Westminster Schule durch einen langen, niedrigen, gewölbten Gang ein, der beinahe wie ein unterirdischer aussah, und nur an einer Stelle durch kreisrunde, in die dicken Mauern gebrochene Oeffnungen schwach erleuchtet wird. Aus diesem finstern Gang hatte ich eine entfernte Aussicht auf die Kreuzgänge, und sah die Gestalt eines alten Kirchendieners, in seinem schwarzen Mantel, der unter den düsteren Gewölben, wie ein Gespenst aus einem der benachbarten Gräber, sich dahinbewegte. Der Zugang zur Abtei durch diese dunkelen mönchischen Ueberbleibsel, bereitete das Gemüth auf die feierliche Betrachtung derselben vor. Die Kreuzgänge haben noch immer etwas von der Ruhe und Abgeschlossenheit früherer Tage. Die grauen Mauern sind durch die Feuchtigkeit farblos geworden, und verfallen vor Alter; über den Inschriften der Grabmale hat sich eine Decke von weißlichem Moose gebildet, und die Todtenköpfe und andere Sinnbilder des Grabes gedunkelt. Die scharfen Spuren des Meißels sind an den reichen Bogenverzierungen verschwunden; die Rosen, welche die Schlußsteine verzierten, haben ihre blattreiche Schönheit verloren; Alles trägt die Spuren der allmähligen Zerstörung der Zeit, welche dennoch, selbst in ihrem Verfall, etwas Rührendes und Angenehmes hat.
Die Sonne warf einen gelben, herbstlichen Strahl in die breiten Kreuzgänge, beleuchtete einen dürftigen Rasenfleck in der Mitte, und erhellte einen Winkel des gewölbten Ganges. Zwischen den Bogengängen hindurch erblickte das Auge zuweilen eine kleine Stelle vom blauen Himmel, oder eine vorüberziehende Wolke, und sah die von der Sonne vergoldeten Zinnen der Abtei sich zu dem blassen Aether erheben.
Während ich die Kreuzgänge durchschritt, zuweilen dieses gemischte Gemälde von Herrlichkeit und Verfall betrachtend, und zuweilen die Inschriften auf den Grabsteinen zu entziffern suchend, welche das Pflaster unter meinem Fuße bildeten, ward mein Auge durch drei, roh in Stein ausgehauene, aber durch die Tritte mancher Geschlechter beinahe verwischte Gestalten angezogen. Es waren die Bildnisse von drei früheren Aebten; die Grabschriften waren gänzlich verwischt; nur die Namen, die man wahrscheinlich in späteren Zeiten aufgefrischt hatte, waren geblieben. (Vitalis Abbas 1082, Gislebertus Crispinus Abbas 1114 und Laurentius Abbas 1176) Ich blieb eine Weile stehen und dachte über diese zufällig erhaltenen Ueberbleibsel des Alterthums nach, welche so, wie Wracke auf dieser entfernten Küste der Zeit erhalten, nichts verkünden, als daß solche Wesen vorhanden waren und dahingegangen sind, und keine Moral lehren, als die Nichtigkeit des Stolzes, der noch in seiner Asche Ehrenbezeigungen fordern zu können und in einer Inschrift fortzuleben hofft. Ein wenig länger, und selbst diese schwache Erinnerung wird verschwunden sein, und das Denkmal selbst aufhören, als ein Andenken zu dienen. Während ich so auf die Grabsteine herabblickte, wurde ich durch den Ton der Abteiglocke aufgeschreckt, welche von Pfeiler zu Pfeiler zurückhallte, und in den Kreuzgängen widertönte. Es ist beinahe erschreckend, dieses Mahnen der dahingeschwundenen Zeit unter den Gräbern ertönen und das Verflossensein einer Stunde ankündigen zu hören, welche, wie eine Welle, uns vorwärts gegen das Grab gerollt hat. Ich setzte meinen Spaziergang nach einer Bogenthüre fort, welche in das Innere der Abtei ging. Wenn man hier eintritt, dringt die Größe des Gebäudes, im Contrast mit den Gewölben des Kreuzgangs, gewaltig auf das Gemüth ein. Das Auge blickt mit Erstaunen auf die gekoppelten Säulen von riesenhaften Verhältnissen, mit Bogen, welche von ihnen bis zu einer so erstaunlichen Höhe emporsteigen, und den Menschen, der an ihren Fußgestellen umhergeht, und, im Vergleich mit dem Werk seiner Hände, selbst zur Unbedeutsamkeit herabgesunken ist. Der weite Raum und die Düsterkeit des Gebäudes erzeugen eine tiefe und geheimnißvolle Ehrfurcht. Wir wandeln bedachtsam und leise umher, als ob wir fürchteten, das heilige Schweigen des Grabes zu unterbrechen; während jeder Fußtritt an den Wänden entlang widertönt, unter den Gräbern rauscht, und uns die Stille noch fühlbarer macht, welche wir unterbrochen haben.
Es scheint, als ob das Ergreifende des Ortes die Seele niederdrücke, und den Beschauer zu einer geräuschlosen Ehrfurcht zwinge. Wir fühlen, daß wir von den vereinten Gebeinen der großen Männer früherer Zeit umgeben sind, welche die Geschichte mit ihren Thaten und die Erde mit ihrem Ruhme erfüllt haben.
Und doch erregt es beinahe ein Lächeln über die Eitelkeit des menschlichen Ehrgeizes, wenn man sieht, wie Alle im Staube zusammengedrängt und gepreßt sind; welche Kargheit beobachtet worden ist, einen kleinen Winkel, eine finstere Ecke, einen kleinen Fleck Erde, denen zuzutheilen, die im Leben kaum Königreiche befriedigen konnten; und wie manche Gestalten, Formen und Künste angewandt werden, die zufällige Aufmerksamkeit des Vorübergehenden auf sich zu ziehen, und auf wenige kurze Jahre, einen Namen der Vergessenheit zu entreißen, der einst die Gedanken und die Bewunderung der Welt zu fesseln gedachte.
Ich brachte eine Zeitlang in dem »Dichter-Winkel« zu, welcher das Ende eines der Kreuzflügel der Abtei bildet. Die Denkmale sind überhaupt einfach, denn das Leben der Gelehrten bietet für den Bildhauer kein weites Feld dar. Shakspeare und Addison hat man Bildsäulen zu ihrem Andenken errichtet; der größere Theil der Verstorbenen aber hat Büsten, Medaillons, und zuweilen bloße Inschriften. Der Einfachheit dieser Andenken ungeachtet, habe ich immer bemerkt, daß die Besucher der Abtei am längsten bei ihnen verweilen. Ein freundlicheres und angenehmeres Gefühl tritt an die Stelle der kalten Neugier oder der vagen Bewunderung, womit sie die glänzenden Denkmale der Großen und der Helden betrachten. Sie bleiben bei diesen wie bei den Gräbern von Freunden und Genossen stehen; denn, in der That, es besteht zwischen dem Schriftsteller und dem Leser eine Art von Gemeinschaft. Andere Leute werden der Nachwelt nur durch die Geschichte bekannt, welche immer schwächer und dunkler wird: aber die Verbindung zwischen dem Schriftsteller und seinen Zeitgenossen ist immer neu, lebendig und unmittelbar. Er hat mehr für sie, als für sich selbst gelebt: er hat die ihn umgebenden Genüsse aufgeopfert, und sich von den Vergnügungen des geselligen Lebens ausgeschlossen, um desto genauer sich mit entfernten Gemüthern und entfernten Zeiten zu befreunden. Wohl mag die Welt sich seinen Ruhm angelegen sein lassen; denn er hat ihn nicht durch Gewaltsamkeiten und Blutvergießen, sondern durch die ihr emsig bereiteten Genüsse erworben. Wohl mag die Nachwelt dankbar gegen sein Andenken sein; denn er hat ihr eine Erbschaft hinterlassen, die nicht in leeren Namen und hochtönenden Thaten, sondern in ganzen Schätzen von Weisheit, den hellfunkelnden Edelsteinen der Gedanken und den goldenen Adern der Sprache, besteht.
Aus dem Dichter-Winkel setzte ich meine Streiferei nach dem Theile der Abtei fort, welcher die Gräber der Könige enthält. Ich wanderte zwischen dem umher, was einst Capellen waren, nun aber von den Gräbern und Denkmalen der Großen eingenommen ist. Bei jeder Wendung begegnete ich irgend einem ausgezeichneten Namen, oder der Erinnerung an irgend ein in der Geschichte berühmtes Haus. Wenn das Auge in diese finsteren Kammern des Todes blickt, sieht es sonderbare Bildnisse; Einige knieend, wie zum Gebete, in Nischen; Andere auf den Gräbern mit fromm gefalteten Händen ausgestreckt; Krieger in ihrer Rüstung, als ruhten sie von der Schlacht aus; Prälaten mit Krummstäben und Bischofsmützen, und Edelleute in Staatsgewändern und mit Wappenkronen, als ob sie auf dem Paradebett lägen. Beim Betrachten dieser so seltsam bevölkerten Räume, die doch so still und öde sind, scheint es beinahe, als ob wir ein Haus in jener fabelhaften Stadt beträten, wo Alles plötzlich in Stein verwandelt worden war.
Ich blieb stehen, um ein Grab zu betrachten, worauf ein Ritter in voller Rüstung lag. An dem einen Arme hatte er einen großen Schild; die Hände waren betend auf der Brust gefaltet; das Gesicht war beinahe ganz von der Sturmhaube bedeckt; die Beine waren gekreuzt, zum Zeichen, daß der Krieger die heiligen Kriege mitgemacht habe. Es war das Grabmal eines Kreuzfahrers; eines der kriegerischen Schwärmer, welche so seltsam Religion und Romantik vermischten, und deren Thaten das Verbindungsglied zwischen Thatsache und Dichtung, zwischen Geschichte und Feenmährchen bilden. Es liegt etwas ungemein Malerisches in den Gräbern dieser Abenteurer, welche so mit den rohen Wappenschilden und der gothischen Bildhauerarbeit verziert sind. Sie passen zu den alterthümlichen Capellen, in denen man sie gewöhnlich findet, und wenn man sie betrachtet, entzündet sich die Einbildungskraft wohl bei dem Gedanken an Sagengeschichte, Romanendichtungen, und den ritterlichen Prunk und Glanz, welchen die Dichtkunst über die Kriege für das Grab Christi verbreitet hat. Sie sind die Ueberbleibsel von durchaus vergangenen Zeiten; – von Wesen, die ganz aus dem Gedächtniß entschwunden sind; – von Sitten und Gewohnheiten, mit denen die unsrigen keine Verwandtschaft haben. Sie sind wie Gegenstände aus einem fremden, weitentfernten Lande, von welchem wir keine gewisse Kenntniß haben, und über das alle unsere Begriffe unbestimmt und verschwebend sind. Es liegt etwas ungemein Feierliches und Ehrfurchtgebietendes in diesen Bildern auf den gothischen Grabmälern, die wie im Todesschlafe oder im Gebete der Todesstunde ausgestreckt daliegen. Sie machen einen unendlich tieferen Eindruck auf mein Gefühl, als die phantastischen Stellungen, die gesuchten Gedanken und die allegorischen Gruppen, welche man auf den neueren Denkmalen in Ueberfluß findet. Auch die Trefflichkeit mancher alten Grabschriften hat auf mich einen ungemein großen Eindruck gemacht. Man hatte in alten Zeiten eine schöne Art, Dinge ganz einfach zu sagen, und sie doch mit großem Stolz zu sagen, und ich kenne keine Grabschrift, aus welcher ein stolzeres Bewußtsein von Familienwerth und edler Abkunft spräche, als eine, worin von einem adeligen Hause gesagt wird, »daß alle Brüder tapfer und alle Schwestern tugendhaft gewesen wären.«
In dem Kreuzflügel, dem Dichter-Winkel gegenüber, steht ein Denkmal, welches zu den berühmtesten Werken der neuern Kunst gehört, was mir aber eher gräßlich als erhaben zu sein scheint. Es ist das Grabmal der Mrs. Nightingale, von Roubillac. Der Untersatz des Denkmals ist so dargestellt, als öffneten sich seine marmornen Thüren, und ein bekleidetes Geripp tritt heraus. Das Gewand fällt von seinen fleischlosen Knochen, wie es seinen Pfeil nach seinem Opfer schleudert. Sie sinkt in ihres erschreckten Gatten Arme, welcher mit vergeblicher und fieberhafter Anstrengung den Streich abwenden zu wollen scheint. Das Ganze ist mit furchtbarer Wahrheit und Lebendigkeit ausgeführt; wir glauben beinahe das kreischende Triumphgeschrei auf den geöffneten Kinnbacken des Gespenstes zu hören. – Warum sollen wir aber den Tod mit unnützen Schrecken zu umgeben, und Gräßlichkeiten um das Grab Derer, die wir lieben, zu verbreiten suchen? Das Grab sollte mit allem umgeben werden, was Zärtlichkeit und Verehrung für die Todten einflößen kann; oder was die Ueberlebenden für die Tugend gewinnen mag. Es ist ein Ort, nicht des Elends und Abscheus, sondern des Schmerzes und des Nachdenkens.
Während man in diesen düsteren Gewölben und schweigenden Kreuzgängen umherwandert, und die Andenken der Todten genauer betrachtet, erreicht zuweilen der Ton des geschäftigen Lebens von Außen das Ohr; das Rollen eines vorüberfahrenden Wagens; das Gemurmel der Menge; oder vielleicht das leichtsinnige Lachen des Vergnügens. Der Gegensatz ist, mit der todtengleichen Stille umher zusammengehalten, auffallend, und es macht einen eigenthümlichen Eindruck auf das Gefühl, wenn man die Wogen des thätigen Lebens in den Mauern des Grabes dahinströmen und daran anschlagen hört.
Ich fuhr fort auf diese Weise von Grab zu Grabe, und von Capelle zu Capelle zu gehen. Der Tag nahm allmählig ab; die fernen Tritte der um die Abtei Wandernden wurden weniger und weniger häufig; die sanft tönende Glocke rief zum Abendgebet, und ich sah in der Entfernung die Chorknaben in ihren weißen Chorhemden, durch den Kreuzgang ziehen und den Chor betreten. Ich stand vor dem Eingange zu Heinrich des Siebenten Capelle. Eine Treppe führte, unter einem tiefen und düstern, aber prächtigen Bogen, hinauf. Große metallene Thore, reich verziert und schön gearbeitet, drehen sich schwerfällig auf ihren Angeln, als ob sie stolz es wehren wollten, daß die Füße gewöhnlicher Sterblichen dieses prunkvollste aller Gräber beträten.
Beim Eintritt wird das Auge von der Pracht der Architektur und der kunstvollen Schönheit der ins Einzelne gehenden Bildhauerarbeit geblendet. Selbst die Mauern sind zu fortlaufenden Zierrathen geworden, mit Bildhauerarbeit ausgelegt, und Nischen darin ausgehauen, in welchen Bildsäulen von Heiligen und Märtyrern stehen. Der Stein scheint, durch die geschickte Arbeit des Meißels, seiner ganzen Schwere und Dichtigkeit beraubt zu sein, wie durch Zauberkraft frei da zu hangen, und die reich verzierte Decke mit der wunderbaren Regelmäßigkeit und luftigen Sicherheit eines Spinngewebes ausgeführt zu sein.
Die Seiten der Capelle entlang sind die hohen Stühle der Ritter vom Bathorden, reich auf Eichenholz, obgleich mit den grotesken Verzierungen der gothischen Architektur, geschnitzt. Oben auf den Stühlen sind die Helme und Helmzierden der Ritter, mit ihren Schärpen und Schwertern befestigt, und über diesen hängen ihre Banner mit den Wappen in Farben darin, wobei Gold, Purpur und Hochroth gegen die kalte graue Bildhauerarbeit der Decke sonderbar absticht. Mitten in diesem großen Mausoleum steht das Grab seines Stifters, sein Bild mit dem seiner Gemahlin, auf einem prachtvollen Grabe ausgestreckt und das Ganze von einem herrlich gearbeiteten metallenen Gitter umgeben.
Es ist eine traurige Starrheit in dieser Pracht; dieser seltsamen Mischung von Gräbern und Siegeszeichen, diesen Sinnbildern des lebenden und aufstrebenden Ehrgeizes, dicht neben Denkmalen, welche den Staub und die Vergessenheit andeuten, worin Alles früher oder später sich auflösen muß. Nichts flößt dem Geist ein tieferes Gefühl der Verlassenheit ein, als wenn man den schweigenden und verlassenen Schauplatz früheren Lebens und Prunkes betritt. Indem ich rundum die leeren Stühle der Ritter und ihrer Waffenträger, und die Reihen der bestaubten, doch prächtigen Banner betrachtete, welche einst vor ihnen hergetragen wurden, beschwor meine Einbildungskraft das Schauspiel herauf, als diese Halle einst von der Tapferkeit und Schönheit des Landes erglänzte; leuchtend von dem Prunk der Juwelen der Vornehmen und von kriegerischem Pomp; belebt von so manchen Fußtritten und dem Gesumme einer bewundernden Menge. Alles dieß war vorüber; das Schweigen des Todes hatte sich wieder des Ortes bemeistert, und wurde nur zuweilen von dem Zirpen der Vögel unterbrochen, die ihren Weg in die Capelle gefunden und ihre Nester in den Friesen und Fahnen gebaut hatten – sichere Anzeichen der Einsamkeit und Verlassenheit.
Als ich die Namen las, welche auf den Bannern standen, fand ich, daß sie Leuten angehörten, welche weit und breit in der Welt zerstreut sind. Einige davon wogten auf entfernten Meeren umher; Andere standen in entfernten Ländern unter den Waffen; Andere nahmen an den geschäftigen Intriguen an Höfen und in Cabinetten Antheil; und Alle waren bemüht noch eine Auszeichnung mehr in diesem Wohnsitze der Schattenehren zu verdienen, den trübseligen Lohn eines Grabdenkmals.
Zwei kleine Gänge an jeder Seite dieser Capelle geben ein rührendes Beispiel von der Gleichheit, welche das Grab hervorbringt; welches den Unterdrücker auf eine Stufe mit dem Unterdrückten stellt, und den Staub der bittersten Feinde vermischt. In einem ist das Grabmal der stolzen Elisabeth, in dem andern das ihres Opfers, der liebenswürdigen, unglücklichen Maria. Es vergeht keine Stunde des Tages, wo nicht irgend ein Ausruf des Mitleids über das Schicksal der Letztern, mit dem des Unwillens über ihre Unterdrückerin gemischt, hier gehört wird. Die Mauern von Elisabeth's Grab hallen fortdauernd von den Seufzern der Theilnahme wieder, welche am Grabe ihrer Nebenbuhlerin erschallen.
Eine ganz eigenthümliche Schwermuth ruht auf dem Seitengange, wo Maria begraben ist. Das Licht fällt spärlich durch die von Staub verfinsterten Fenster herein. Der größere Theil des Platzes liegt in tiefem Schatten, und die Mauern sind von der Zeit und dem Wetter beschmutzt und gefärbt. Eine marmorne Bildsäule der Maria liegt auf dem Grabe, das rundum mit einem eisernen, sehr zerfressenen Gitter umgeben ist, auf welchem ihr Landes-Sinnbild, – die Distel, angebracht ist. Ich war vom Umhergehen ermüdet und setzte mich neben dem Denkmal nieder, über das bewegte und verhangnißvolle Leben der armen Maria nachdenkend.
Der Ton der einzelnen Fußtritte in der Gegend der Abtei war verhallt. Nur dann und wann konnte ich in der Entfernung die Stimme des Priesters hören, der das Abendgebet herlas, und die schwachen Responsen des Chors. Diese hörten eine Zeitlang auf, und Alles ward schweigend. Die Stille, die Einsamkeit und Dunkelheit, welche allmählig rund umher sich zu verbreiten anfingen, gaben dem Orte einen großartigern und feierlichern Anstrich:
Denn in dem stillen Grab wird kein Gespräch, Kein froher Freundestritt, der Liebe Stimme, Des Vaters treuer Rathschlag nicht gehört, Denn nichts ist hier als gänzliches Vergessen, Staub und ein endlos Dunkel. |
Plötzlich schlugen die tiefen Töne der Orgel an mein Ohr, die mit doppelter und abermals doppelter Kraft erschollen, und sich gleichsam in großen Wogen des Klanges daherwälzten. Wie gut stimmt ihre Kraft und Größe mit diesem mächtigen Gebäude zusammen! Mit welchem Prunk schwellen sie in seinen gewaltigen Gewölben an, verbreiten ihre erhabenen Harmonien durch diese Höhlen des Todes, und machen das stille Grab klangreich. – Und nun steigen diese Töne in triumphirendem Rufe, heben ihre wohlzusammenstimmenden Laute höher und höher, und thürmen Ton auf Ton. – Und nun hören sie auf, und die sanften Stimmen der Chorsänger vereinigen sich zu lieblichen Wellen der Melodie; sie steigen empor und schwirren an der Decke entlang und scheinen in diesen hohen Gewölben wie die reinen Lüfte des Himmels umherzuspielen. Wieder erhebt die Orgel ihren alles durchdringenden Donner, drängt die Luft zum Klange zusammen, und wälzt ihn fort auf die Seele. – Welche langgezogenen Halte! welche feierlich sich dehnenden Laute! Sie wird kräftiger und mächtiger – sie erfüllt das gewaltige Gebäude und scheint die Mauern zerreißen zu wollen – das Ohr ist betäubt – die Sinne sind überwältigt. Und nun schwingt sie sich in vollem Jubelton empor – erhebt sich von der Erde zum Himmel – die Seele selbst scheint, davongetragen auf dieser reißenden Fluth des Wohllauts, himmelan zu eilen!
Ich saß eine Zeit lang da, in die Art von Nachdenken verloren, in welche uns die Musik sehr oft versetzt; die Abendschatten verdunkelten sich allmählig um mich her; die Denkmale überzogen sich mit einer dunkelern und dunkelern Färbung, und der entfernte abermalige Ton der Glocke deutete den schwindenden Tag an.
Ich stand auf und schickte mich an, die Abtei zu verlassen. Als ich die Stufen hinabstieg, welche in den Haupttheil des Gebäudes führen, fielen meine Augen auf den Schrein Eduard's des Bekenners, und ich stieg die kleine Treppe hinan, welche zu demselben führt, um von dort aus eines allgemeinen Ueberblicks über diese Wildniß von Gräbern zu genießen. Der Schrein erhebt sich auf einer Art Platform, und dicht darum her sind die Gräber mehrerer Könige und Königinnen. Von dieser Höhe blickt das Auge, zwischen Pfeilern und Grabtrophäen hindurch, auf die Capellen und die Räume hinunter, die mit Gräbern angefüllt sind, wo Krieger, Prälaten, Hofleute und Staatsmänner in ihren »Betten der Dunkelheit« ruhig schlummern. Dicht neben mir stand der große Krönungsstuhl, der in dem barbarischen Geschmack eines entfernten, gothischen Zeitalters, roh aus Eichenholz geschnitzt ist. Die Scene scheint beinahe wie mit theatralischer Kunst so eingerichtet, einen tiefen Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Hier war der Anfang und das Ende menschlichen Prunkes und menschlicher Macht deutlich zu sehen; hier war, buchstäblich, nur ein Schritt vom Throne bis zum Grabe. Ist es nicht, als ob diese unzusammenhängenden Denkmale bloß deßwegen zusammengestellt wären, um der noch lebenden Größe eine Lehre zu geben? – um ihr, selbst in dem Augenblicke ihrer stolzesten Ueberhebung, zu zeigen, wie bald die Nichtachtung und Geringschätzung ihr zu Theil werde; wie bald sie die Krone, welche ihre Stirn umgibt, zurücklassen, sich in den Staub und die Erniedrigung des Grabes hinlegen, und von den Gemeinsten aus der Menge mit Füßen treten lassen muß. Denn es ist seltsam zu sagen, selbst das Grab ist hier kein Heiligthum mehr. Es liegt ein empörender leichter Sinn in einigen Gemüthern, welcher sie mit erhabenen und heiligen Dingen ihr Spiel treiben läßt; und es gibt niedrige Seelen, welche sich für die verächtliche Huldigung und die kriechende Unterwürfigkeit, die sie den Lebenden bezeigen, an den erlauchten Todten zu rächen suchen. Der Sarg Eduard's des Bekenners ist erbrochen worden und man hat seinen Ueberbleibseln ihre Leichenzierrathen abgenommen; das Scepter ist aus der Hand der gebietenden Elisabeth gestohlen worden, und das Bild Heinrich's des Fünften liegt kopflos da. Es ist nicht ein Denkmal der Könige, das nicht Beweise lieferte, wie heuchlerisch und vorübergehend die Huldigung der Menschen ist. Einige sind beraubt; andere verstümmelt; andere mit Unzüchtigkeiten und Spottworten bedeckt – alle mehr oder weniger gemißhandelt und entehrt!
Die letzten Strahlen des Tages fielen jetzt schwach durch die bemalten Glasfenster in die hohen Gewölbe über mir; der untere Theil der Abtei war schon in die Dunkelheit des Zwielichts gehüllt. Die Capellen und Seitengänge wurden dunkler und dunkler. Die Bilder der Könige verschwanden in Schatten; die Marmorgebilde auf den Denkmalen nahmen in dem ungewissen Licht sonderbare Gestalten an; der Abendwind wehte durch die kalten Seitengänge wie Grabeshauch; und selbst der entfernte Fußtritt eines Küsters, der durch den Dichter-Winkel ging, hatte etwas Sonderbares und Unheimliches in seinem Schall. Ich trat langsam meinen Rückweg an, und als ich aus dem Thore des Kreuzganges trat, schloß sich die Thür mit einem knarrenden Geräusch hinter mir, von welchem das Gebäude widerhallte.
Ich bemühte mich, die Gegenstände, die ich gesehen, in meinem Gemüthe etwas zu ordnen, fand aber, daß sie schon undeutlich und verworren geworden waren. Namen, Inschriften, Siegeszeichen, Alles hatte sich in meinem Gedächtniß untereinander gemischt, obgleich ich kaum meinen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Was anders, dachte ich, ist diese große Masse von Grabmälern, als eine Schatzkammer der Demüthigung; ein großer Haufe wiederholter Erbauungsreden über die Nichtigkeiten des Ruhms und die Gewißheit der Vergessenheit! Hier ist in der That das Reich des Todes; sein großer Schattenpallast, wo er auf dem Throne sitzt, der Ueberbleibsel menschlicher Größe spottet, und Staub und Vergessen auf die Grabmäler der Fürsten streut. Welch ein leerer Prunk ist am Ende die Unsterblichkeit eines Namens! Die Zeit wendet, unaufhörlich, schweigend ihre Blätter um; die Geschichte der Gegenwart beschäftigt unsere Aufmerksamkeit zu sehr, als daß wir an die Charaktere und Anecdoten denken sollten, welche der Vergangenheit etwas Anziehendes geben; und jedes Jahrhundert ist ein Band, welcher auf die Seite geworfen wird, um stillschweigend vergessen zu werden. Der Götze des heutigen Tages verdrängt den Helden von gestern aus unserm Gedächtniß, und wird dagegen von seinem morgenden Nachfolger verdrängt. »Unsere Vorväter,« sagte Sir Thomas Brown, »finden ihr Grab in unserm kurzen Gedächtniß, und lehren uns die traurige Wahrheit, wie wir wiederum in dem der Ueberlebenden werden begraben werden.« Die Geschichte verbleicht zur Fabel; Thatsachen werden durch Zweifel und Bestreitung verdunkelt; die Inschrift verlöscht von der Tafel; die Bildsäule fällt vom Fußgestelle. Säulen, Bogen, Pyramiden, was sind sie anders, als Sandhaufen, und was sind ihre Inschriften anders, als Züge, die in den Sand geschrieben sind? Was ist die Sicherheit eines Grabes, oder die Dauer der Einbalsamirung? Die Ueberbleibsel Alexander's des Großen sind in den Wind zerstreut, und sein leerer Sarkophag ist jetzt die bloße Merkwürdigkeit eines Museums. »Die ägyptischen Mumien, welche Cambyses oder die Zeit verschont hatte, verzehrt jetzt die Habsucht; Mirazim muß Wunder heilen und Pharao wird als Balsam verkauft.«
Was soll nun dieß Gebäude, das sich jetzt hoch über meinem Haupte erhebt, davor sichern, daß es das Schicksal mächtigerer Mausoleen theile? Die Zeit muß kommen, wo die vergoldeten Gewölbe, welche sich jetzt so kühn erheben, in Trümmern unter den Füßen der Wandelnden liegen; wo, statt der Töne des Wohllauts und des Preises, der Wind durch die zertrümmerten Bogen pfeifen und die Eule von dem verfallenen Thurme schreien wird – wo der freundliche Sonnenstrahl in diese düsteren Wohnungen des Todes brechen, der Epheu sich um die gefallene Säule ranken, und der Fuchsschwanz seine Blüthen um die namenlose Todtenurne hängen wird, als ob er des Todten spotte. So geht der Mensch dahin; sein Name verliert sich aus der Erinnerung und aus dem Gedächtniß; seine Geschichte ist wie ein Mährchen, das erzählt wird, und sein Denkmal selbst wird zur Ruine.