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Eine Shakspeare'sche Untersuchung.
Eine Schenke ist der Zusammenkunftsort, die Börse, der Stapelplatz guter Gesellen. Ich habe meinen Urgroßvater erzählen hören, wie sein Ururgroßvater zu sagen pflegte: es habe, als sein Urgroßvater ein Kind gewesen sei, ein altes Sprichwort gegeben, »daß es immer ein guter Wind sei, der einen Menschen zum Weine hinweht.« |
Mutter Bombie. |
Es ist, in einigen katholischen Ländern, ein frommer Gebrauch, das Andenken der Heiligen durch geweihte Lichter zu ehren, welche man vor ihren Bildern anzündet. Die Beliebtheit eines Heiligen kann demnach an der Zahl dieser Opfer erkannt werden. Der eine vermodert vielleicht in der Dunkelheit seiner kleinen Capelle; ein anderer hat eine einzelne Lampe, welche ihre schwachen Strahlen schräg auf sein Bild wirft, während der volle Glanz der Anbetung an dem Schrein irgend eines berühmten heiliggesprochenen Vaters strahlt. Der reiche Fromme bringt seine gewaltige Wachskerze dar; der eifrige Gottesfürchtige seinen siebenarmigen Leuchter, und selbst der bettelnde Pilger glaubt nicht, daß der Verstorbene von hinreichendem Licht umgeben sei, wenn er nicht ebenfalls seine kleine dampfende Oellampe davor aufgehängt hat. Die Folge ist, daß sie in dem Eifer, zu beleuchten, den Gegenstand ihrer Verehrung oft verfinstern, und ich habe gelegentlich gesehen, wie ein solcher unglücklicher Heiliger bei der Dienstbeflissenheit seiner Anhänger beinahe im Rauch umgekommen ist.
Eben so ist es dem unsterblichen Shakspeare ergangen. Jeder Schriftsteller hält es für seine heilige Pflicht, einen Theil seines Charakters oder seiner Werke zu beleuchten, und irgend eines seiner Verdienste der Vergessenheit zu entreißen. Der Erklärer, an Worten reich, bringt dicke Bände von Erläuterungen ans Licht; die gewöhnliche Schaar der Herausgeber läßt eine Dunstwolke von Dunkelheiten aus ihren Anmerkungen unten auf jeder Seite aufsteigen, und jeder Gelegenheitsschmierer bringt sein Pfenningsdochtlicht des Lobes oder der Untersuchung dar, um die Weihrauchs- oder Dampfwolke noch zu vergrößern.
Da ich alle hergebrachten Gewohnheiten meiner Brüder von der Feder ehre, so hielt ich es nur für meine Schuldigkeit, auch mein Scherflein der Verehrung vor dem Altare des unsterblichen Barden niederzulegen. Eine Zeit lang war ich indessen in großer Verlegenheit, auf welche Weise ich mich dieser Obliegenheit entledigen sollte. Bei jedem Versuche, eine neue Lesart vorzuschlagen, war man mir schon längst zuvorgekommen; jede zweifelhafte Zeile war bereits auf ein Dutzend verschiedene Arten erklärt, und so verdunkelt, daß jede Aufhellung unmöglich war; und was die schönen Stellen betraf, so waren sie von früheren Bewunderern bereits hinlänglich gepriesen; ja der Barde war vor Kurzem von einem großen deutschen Kritiker mit Lob so übergossen worden, daß es jetzt schwer wird, selbst einen Fehler zu finden, aus dem man nicht eine Schönheit herausbewiesen hätte.
In dieser Verlegenheit blätterte ich eines Morgens in seinen Werken, als ich zufällig die komischen Auftritte aus Heinrich dem Vierten aufschlug, und Augenblicks ganz in die tollen Streiche in der Schenke zum Eberkopfe verloren war. So lebendig und natürlich sind diese lustigen Scenen geschildert, und die Charaktere mit einer solchen Kraft und Consequenz durchgeführt, daß man sie im Geiste mit den Thatsachen und Personen aus dem wirklichen Leben vermischt. Wenigen Lesern fällt dabei ein, daß dies sämmtlich ideelle Schöpfungen eines Dichtergehirns sind, und daß in der nüchternen Wirklichkeit nie ein solcher Haufen lustiger Gesellen die einförmige Nachbarschaft von Eastcheap belebt hat.
Ich, meines Theils, überlasse mich gern den Täuschungen der Dichtkunst. Ein Held der Einbildungskraft, welcher nie gelebt hat, ist mir eben so viel werth, als ein Held der Geschichte, der vor tausend Jahren auf der Welt gewesen ist, und wenn man mir diese Unempfänglichkeit für die gewöhnlichen Bande der menschlichen Natur nicht übel nehmen will, so möchte ich den feisten Jack nicht für die Hälfte der großen Leute aus den alten Geschichtsbüchern hingeben. Was haben die Helden aus dem Alterthume für mich oder meines Gleichen gethan? Sie haben Länder erobert, von denen mir nicht ein Morgen gehört; oder sie haben Lorbeeren eingeerntet, von denen ich nicht ein Blatt ererbte; oder sie haben Beispiele von halsbrechender Tapferkeit gegeben, denen zu folgen ich weder Gelegenheit, noch Lust habe. Aber der alte Jack Falstaff! – der gute Jack Falstaff! – der liebe Jack Falstaff! – hat die Grenze des menschlichen Genusses erweitert; er hat große Räume von Witz und Lustigkeit neu hinzugefügt, auf welchen auch der Aermste sich fröhlich ergehen kann; er hat uns ein unerschöpfliches Erbtheil von herzlichem Lachen hinterlassen, um die Menschen, bis auf die späteste Nachwelt hin, fröhlicher und besser zu machen.
Plötzlich kam mir ein Gedanke ein. »Ich will eine Pilgerfahrt nach Eastcheap machen,« sagte ich, indem ich das Buch zuschlug: »und sehen, ob die alte Schenke zum Eberkopfe noch vorhanden ist. Wer weiß, ob ich nicht noch einige sagenhafte Spuren von der Frau Quickly und ihren Gästen auffinde; auf jeden Fall werde ich, wenn ich so die Gemächer betrete, welche einst von ihrer Fröhlichkeit widerhallten, ein eben so großes Vergnügen empfinden, wie der Zecher, wenn er an dem leeren Fasse riecht, das einst mit edelm Weine gefüllt war.«
Kaum hatte ich diesen Entschluß gefaßt, als ich ihn auch ausführte. Ich will der verschiedenen Abenteuer und Wunder, die mir auf meiner Reise begegneten, gar nicht gedenken; nicht der spukhaften Gegenden vor Cocklane; nicht des dahingeschwundenen Ruhms vor Little-Britain und seiner Umgebungen; nicht der Gefahren, die ich in Cateatonstreet und der Old-Jewry lief; nicht der berühmten Guildhall und ihrer zwei verkrüppelten Riesen, des Stolzes und des Wunders der Altstadt, und des Schreckens aller heillosen Jungen; und wie ich den Stein von London besuchte, und, wie jener Erz-Rebell, Jack Cade, mit meinem Stabe darauf schlug.Dieß sind sämmtlich Gegenden und Denkmale, welche in dem Bezirk der Altstadt London liegen. Cock-lane, die Hahnengasse, wo es im Jahre 1762 eine berühmte Spukgeschichte gab. Little-Britain, Klein-Britannien, ist eine der Nebenstraßen der großen, nach dem nördlichen Theile von London führenden Hauptstraße, Aldersgate-street; Cateaton-street und die Old-Jewry, das alte Judenthum, sind Nebenstraßen von Cheapside, der belebtesten Straße der City. Die beiden Riesen sind die Statüen des Gog und Magog; und der Stein von London, the London Stone, steht an der südlichen Mauer der St.-Swithin's-Kirche in Canon-street. Jack Cade, der irische Rebell, welcher unter Heinrich dem Sechsten (1450) eine Empörung in London anzettelte und durch die Vorstadt Southwark nach der Altstadt vordrang, nahm durch einen feierlichen Schlag mit seinem Schwerdte auf diesen Stein von der Stadt Besitz.
Genug, ich langte am Ende in dem fröhlichen Eastcheap an, jenem alten Schauplatze des Witzes und der Schwelgerei, wo selbst die Namen der Straßen von dem Wohlleben zeugen, wie die Pudding-Gasse noch heutiges Tages als Beweis dienen kann. »Denn Eastcheap,« sagt der alte Stowe, »war seiner Geselligkeit wegen immer berühmt. Die Garköche riefen heiße geröstete Rinderrippen, wohlgebackene Pasteten und andere Lebensmittel aus; da war ein Getöse von zinnernen Kannen, Harfen, Pfeifen und Zithern.« Ach! wie traurig hat sich seit Falstaff's und des alten Stowe's lustigen Tagen die Scene geändert! Der tolle Wüstling hat dem betriebsamen Kaufmann Platz gemacht; das Geklapper der Kannen und der Ton der »Harfe und Zither« dem Geräusch der Karren und dem verwünschten Ton der Glocke des KehrichtmannesIn London wird der Kehricht durch Leute abgeholt, welche neben einem mit einem Pferde bespannten Karren in der Stadt umhergehen, und durch eine Glocke auffordern, den Unrath aus den Häusern zu bringen., und man hört keinen Gesang weiter, als vielleicht die Töne einer Sirene von Billingsgate, welche das Lob ihrer todten Makrelen verkündigt.
Ich sah mich vergebens nach der alten Wohnung der Frau Quickly um. Das einzige Ueberbleibsel ist ein Eberkopf, welcher in Stein ausgehauen ist, und der früher zum Schilde diente, jetzt aber in die Scheidewand der beiden Häuser eingemauert ist, welche auf der Stelle der berühmten alten Schenke stehen.
Was die Geschichte dieses kleinen Reichs der lustigen Brüderschaft betraf, so verwies man mich an die gegenüber wohnende Wittwe eines Lichterziehers, welche an dem Orte geboren und erzogen war, und als die untrüglichste Geschichtsquelle der ganzen Nachbarschaft angesehen wurde. Ich fand sie in einem kleinen Hinterstübchen sitzen, dessen Fenster auf einen, etwa acht Fuß im Gevierte haltenden, und wie ein Blumengarten eingerichteten Hof gingen, während eine Glasthür gegenüber einen entfernten Blick auf die Straße, zwischen einem Vorgrunde von Seife und Talglichtern hindurch, zuließ; die zwei Aussichten, welche, höchst wahrscheinlich, die ganzen Fernblicke ihres Lebens und die kleine Welt bildeten, in welcher sie, die größere Hälfte eines Jahrhunderts hindurch, gelebt, sich bewegt und ihr Dasein genossen hatte.
In der Geschichte von Groß- und Klein-Eastcheap, von dem Londoner-Steine bis zum MonumentDem zum Gedächtniß des großen Brandes in London, im Jahre 1666, errichteten Denkmal, unweit der Londoner Brücke., bewandert zu sein, hieß, ihrer Meinung nach, ohne Zweifel, die Geschichte des Weltalls kennen. Bei allem diesen hatte sie jedoch die Einfalt, welche der wahren Weisheit eigen ist, und jene freisinnige, mittheilende Gemüthsart, die ich allgemein bei verständigen alten Frauen bemerkt habe, welche mit den Begebnissen in ihrer Nachbarschaft bekannt sind.
Ihre Kenntniß erstreckte sich jedoch nicht weit in die alte Zeit zurück. Sie konnte keinen Aufschluß über die Geschichte des Eberkopfes, von der Zeit an, wo Frau Quickly den tapfern Pistol heirathete, bis zu dem großen Feuer in London, wo er unglücklicherweise niederbrannte, ertheilen. Er war bald wieder aufgebaut worden, und fuhr fort, unter dem alten Namen und Zeichen zu blühen, bis ein Gastwirth – dem seine Gewissensbisse wegen doppelter Zechen, schlechten Maßes und anderer Uebelthaten, welche dem sündigen Geschlecht der Gastwirthe ankleben, keine Ruhe ließen – sich auf seinem Todtenbette dadurch mit dem Himmel auszusöhnen suchte, daß er die Schenke der Kirche von St. Michael in Crooked-Lane vermachte, um von dem Ertrage derselben einen Caplan zu halten. Eine Zeit lang wurden die Kirchencollegiums-Versammlungen regelmäßig hier gehalten; allein man wollte bemerken, daß der alte Eber sein Haupt unter der geistlichen Regierung nie recht erhob. Er verfiel allmählig, und hauchte endlich, ungefähr vor dreißig Jahren, seinen letzten Odem aus. Die Schenke ward nun zu Läden eingerichtet; die Frau sagte mir jedoch, daß ein Bild derselben noch in der St. Michaeliskirche vorhanden sei, welche gerade hinter der Schenke stehe. Die Neugierde, dieses Bild zu sehen, trieb mich bald weiter zu kommen, und nachdem ich mich über die Wohnung des Küsters belehrt hatte, nahm ich Abschied von der ehrwürdigen Geschichtsquelle von Eastcheap, deren eigene Meinung von ihrer Sagenkunde durch meinen Besuch gewiß um ein Bedeutendes größer geworden war, so wie dieser ein wichtiges Ereigniß in ihrer Lebensgeschichte bildete.
Es kostete mir einige Mühe und viele Nachfrage, den demüthigen Angehörigen der Kirche aufzustöbern. Ich mußte Crooked-Lane und mehrere kleine Gäßchen, Kniee und finstere Durchgänge durchforschen, womit diese alte Stadt, wie ein alter Käse oder ein wurmstichiger Schrank durchlöchert ist. Endlich fand ich ihn in einem Winkel eines schmalen Hofes, der von hohen Häusern eingeschlossen war, und wo die Bewohner eben soviel von dem Himmelslicht genießen, als ein Haufe von Fröschen auf dem Grunde eines Brunnens. Der Küster war ein ruhiger, friedlicher kleiner Mann, sehr demüthig und ergeben; in seinen Augen lag indessen ein gewisses schalkhaftes Blinzeln, und er mochte, wenn man ihn dazu ermunterte, wohl auch dann und wann es wagen, einen kleinen Spaß zu machen, wie ein Mann seines geringen Standes in der Gesellschaft vornehmer Kirchenvorsteher, oder anderer mächtigen Leute der Erde, ihn sich allenfalls erlaubt. Ich fand ihn in Gesellschaft mit dem Substituten des Organisten abseits sitzend, wie Miltons Engel, ohne Zweifel über wichtige Glaubensartikel sprechend, und die Angelegenheiten der Kirche bei einem geselligen Kruge Ale schlichtend; – denn die niedrigen Classen unter den Engländern berathschlagen sich selten über irgend einen wichtigen Gegenstand, ohne Beihülfe eines kühlen Trunkes, um ihren Geist zu erhalten. Ich kam gerade in dem Augenblicke dazu, wo sie mit ihrem Ale und ihrer Erörterung zu Ende waren, und sich anschickten, nach der Kirche zu begeben, um diese in Ordnung zu bringen, und so erhielt ich, als ich ihnen meine Wünsche kund gethan, die gütige Erlaubniß, sie begleiten zu dürfen.
Die St. Michaelskirche, in Crooked-Lane, nicht weit von Billingsgate entfernt, wird durch die Gräber mancher berühmten Fischhändler verherrlicht; und da jedes Gewerbe seine Milchstraße des Ruhms und seine Constellation von großen Leuten hat, so glaube ich, daß das Grabdenkmal eines mächtigen Fischhändlers aus alten Zeiten von den nachfolgenden Geschlechtern des Handwerks mit einer eben so großen Ehrfurcht betrachtet wird, wie sie die Dichter bei dem Anschauen von Virgil's Grab, oder die Soldaten bei dem des Denkmals von Marlborough oder Turenne empfinden.
Ich kann, während ich so von berühmten Männern rede, nicht umhin, zu bemerken, daß St. Michael, in Crooked-Lane auch die Asche des tapfern Kämpen, des Ritters Wilhelm Walworth, enthält, der den trotzigen Gesellen, Wat Tyler, in Smithfield so mannhaft niederschlug; eines Helden, der, als beinahe der einzige Lord-Mayor, welcher sich in der Geschichte durch seine Waffenthaten berühmt gemacht hat, eines ehrenvollen Wappens werth ist, da die Beherrscher von Cockney gewöhnlich als die friedlichsten aller Potentaten bekannt sind.Folgendes war die Inschrift auf dem Denkmale dieses Braven, das bei dem großen Brande unglücklicherweise mit unterging.
Hierunten liegt, der Jedem bekannt,
William Walworth mit Namen genannt;
Fischhändler war er hier in seinen Lebenstagen
Und zweimal Lord-Major, wie's Bücher besagen;
Todt fiel durch seine Mannskraft kühn
Jack Straw vor König Richard hin.
Weil er das that und sich so treu bewährte,
Der König ihn alsbald als Ritter ehrte
Und gab ihm ein Wappen, wodurch er seine That
So wie seine Ritterwürde kund gethan hat.
Er ist von dem Leben hienieden
Im Jahr dreizehnhundert drei und achtzig geschieden.
An der Kirche auf einem kleinen Kirchhofe, unmittelbar unter dem Hinterfenster des ehemaligen Gasthofes zum Eberkopfe, steht der Grabstein des Robert Preston, ehemaligen Kellners in der Schenke. Es ist nun fast ein Jahrhundert, seit dieser ehrliche Kellner guten Getränks seine geräuschvolle Laufbahn beschlossen hat, und dort, innerhalb des Bereichs seiner Kunden, ruhig eingesenkt worden ist. Indem ich seine Grabschrift vom Unkraut befreite, zog mich der kleine Küster mit einer geheimnißvollen Miene zur Seite, und belehrte mich mit leiser Stimme, daß einstmalen, in einer finstern Winternacht, als der Wind tobte, heulte und pfiff, an den Thüren und Fenstern rasselte, die Wetterhähne drehte, so daß die Lebenden auf ihren Betten herausgeschreckt wurden und selbst die Todten nicht ruhig in ihren Gräbern schlafen konnten, der Geist des ehrlichen Preston, der zufällig auf dem Kirchhofe etwas frische Luft schöpfte, durch den wohlbekannten Ruf: »Kellner!« von dem Eberkopfe her, herbeigezogen ward, und plötzlich mitten unter einer lärmenden Gesellschaft, gerade in dem Augenblick erschien, wo der Kirchenschreiber eine Strophe aus dem »lustigen Liede vom Hauptmann Tod« sang, zur Bestürzung mehrerer Miliz-Hauptleute und zur Bekehrung eines ungläubigen Advocaten, der auf der Stelle ein eifriger Christ ward, und nachher, ausgenommen in Geschäften, nie wieder die Wahrheit verdrehte.
Ich bitte zu bemerken, daß ich die Wahrheit dieser Anecdote nicht verbürge, obgleich es wohl bekannt ist, daß die Kirchhöfe und abgelegenen Winkel dieser alten Hauptstadt sehr häufig von unruhigen Geistern heimgesucht werden, und Jedermann die Geschichte von dem Geist in Cock-Lane und von der Erscheinung, welche die königlichen Kleinodien im Tower bewacht, und die so manche herzhafte Schildwachen fast zum Wahnsinn erschreckt hat, gehört haben muß.
Das Alles mag sein wie es will, so scheint dieser Robert Preston ein würdiger Nachfolger des glattzüngigen Franz, welcher den Prinzen Heinz bei seinen Schwelgereien bediente, gewesen zu sein; eben so schnell mit seinem »gleich, gleich, Herr!« sich bereit gefunden, und dabei seinen Vorgänger an Rechtlichkeit weit übertroffen zu haben; denn Falstaff, dessen geprüften Geschmack gewiß Niemand in Zweifel zu ziehen sich unterfangen wird, beschuldigt Franz geradezu, Kalk in seinen Sekt zu thun, während des ehrlichen Preston's Grabschrift ihn seiner Mäßigkeit, der Reinheit des Weines und der Richtigkeit seines Maaßes wegen belobt.Da diese Inschrift reich an trefflichen Lehren ist, so gebe ich sie hier zur Ermahnung für gottlose Kellner. Sie ist offenbar ein Erzeugniß irgend eines feinen Geistes, der einst den Eberskopf besuchte.
Die achtbaren Würdenträger der Kirche schienen indessen von den nüchternen Tugenden des Kellners nicht sonderlich eingenommen zu sein; der Substitut des Organisten, der einen gewissen feuchten Blick hatte, machte einige boshafte Bemerkungen über die Enthaltsamkeit eines Mannes, der unter Fässern aufgewachsen sei, und der kleine Küster bestärkte seine Meinung durch einen bedeutsamen Blick und ein ungläubiges Kopfschütteln.
Bacchus (mit Recht, ihr Zecher, staunet ihr!)
Zeugt' einen mäß'gen Sohn und der liegt hier.
Obgleich er unter Fässern stets gelebt,
Hat er doch jedem Schwelgen widerstrebt.
O Leser, neigst du dich zum Rechten hin,
Denk' Ehren-Prestons stets in deinem Sinn.
Er schenkte guten Wein, gab voll das Glas,
Sein Gutes überbot des Schlimmen Maas;
Ihr, die ihr Bacchus Dienst, wie er, ergeben,
Müßt nach Bob's Ruhm in Maaß und Eifer streben.
Bisher hatten meine Untersuchungen, obgleich sie viel Licht über die Geschichte von Kellnern, Fischhändlern und Lord-Mayors verbreiteten, mich über den großen Gegenstand meiner Nachforschungen, das Gemälde der Schenke zum Eberkopfe, getäuscht. Kein solches Gemälde war in der St. Michaelskirche zu finden. »Gott mit euch und Amen,« sagte ich: »hier endet meine Untersuchung!« So war ich im Begriff, mit der Miene eines getäuschten Alterthumsforschers, die ganze Sache aufzugeben, als mein Freund, der Küster, welcher bemerkt hatte, daß Alles, was die alte Schenke betreffe, meine Neugier reize, sich erbot, mir die besseren Gefäße aus der Sakristey zu zeigen, welche seit undenklichen Zeiten, als noch die Kirchspielsversammlungen in dem Eberkopfe gehalten worden, dageblieben wären. Diese würden in dem Clubzimmer des Kirchspiels aufbewahrt, das, als die alte Wirthschaft verfiel, in eine andere Schenke in der Nachbarschaft verlegt worden war.
Nach einigen Schritten standen wir vor dem Hause Nr. 12, Miles Lane, welches zum »Maurerwappen« heißt, und das Meister Eduard Honeyball, der »Eisenfresser« der Anstalt, inne hat.Shakspeare's lustige Weiber von Windsor. Es ist nicht recht zu begreifen, warum der Verfasser hier den W irth Eisenfresser nennt, da bei Shakspeare, von dem die Benennung entlehnt ist, der Wirth den Falstaff mit diesem Namen anredet. Es ist eine jener kleinen Schenken, deren es im Herzen der Altstadt in Ueberfluß gibt, und welche den Mittelpunkt aller Klatschereien und Neuigkeitskrämerei der Gegend ausmachen. Wir traten in das Schenkzimmer, das klein und dämmerig war; denn in diesen engen Gäßchen vermögen nur wenige Strahlen zurückgeworfenen Lichts zu den Bewohnern hinunter zu dringen, deren heller Tag auf's Höchste ein erträgliches Zwielicht ist. Das Zimmer war in einzelne Räume getheilt, von denen jeder einen Tisch enthielt, der mit einem reinen weißen Tischtuche, zum Mittagsessen, bedeckt war. Dieß zeigte an, daß die Gäste noch von gutem alten Schrot und Korn waren, und ihren Tag gleichmäßig eintheilten; denn es war erst eben ein Uhr. Am untern Ende des Zimmers brannte ein helles Kohlenfeuer, an dem eine Lammesbrust gebraten wurde. Eine Reihe hellglänzender messingener Leuchter und zinnerner Bierkrüge schimmerte den Kaminvorsprung entlang, und eine altmodische Uhr tickte in einem Winkel. Es lag etwas Patriarchalisches in diesem Gemische von Küche, Wohnzimmer und Saal, das mich in frühere Zeiten versetzte und mir sehr wohl gefiel. Das Haus selbst war gewöhnlich, aber Alles hatte jenes Ansehen von Ordnung und Nettigkeit, das von der Oberaufsicht einer wackern englischen Hausfrau zeugte. Eine Gruppe amphibienartig aussehender Wesen, welche Fischer oder Matrosen sein mochten, that sich in einem der Verschläge gütlich. Da ich ein Besuch war, der etwas größere Ansprüche zu machen schien, so wies man mich in ein kleines unansehnliches Hinterzimmer, das wenigstens neun Ecken hatte. Es erhielt sein Licht durch ein Gewölbefenster, war mit altväterischen ledernen Stühlen möblirt, und mit dem Bilde eines fetten Schweins verziert. Es war augenscheinlich nur für besondere Kunden bestimmt, und ich fand hier einen schäbigen Herrn mit rother Nase und einem mit Wachsleinwand überzogenen Hut, in einer Ecke sitzend, und über einem zur Hälfte ausgeleerten Kruge Porter meditirend.
Der alte Küster hatte die Wirthin bei Seite genommen und ihr, mit einer höchst wichtigen Miene, mein Anliegen mitgetheilt. Frau Honeyball war eine ansehnliche, fette, geschäftige, kleine Frau, und keine schlechte Stellvertreterin des Musters aller Wirthinnen, der Frau Quickly. Es schien ihr Vergnügen zu machen, gefällig sein zu können; sie eilte daher die Treppe hinauf in die Archive ihres Hauses, wo die kostbaren Gefäße des Kirchspielsclubs aufbewahrt werden, und kehrte lächelnd und knixend wieder zurück, das Geschirr in den Händen.
Das erste, was sie mir darreichte, war eine lackirte eiserne Tabaksdose, von riesenhafter Größe, aus der, wie sie mir sagte, die Kirchenversammlung bei ihren bestimmten Zusammenkünften seit undenklichen Zeiten geraucht hätte, und die nie von gemeinen Händen entweiht, oder bei gewöhnlichen Gelegenheiten gebraucht werden dürfe. Ich empfing sie mit gehöriger Ehrfurcht; aber wie groß war mein Entzücken, als ich auf dem Deckel derselben eben das Bild erblickte, dem ich nachforschte! Hier war das Aeußere der Schenke zum Eberkopfe dargestellt, und vor der Thür der ganze lustige Haufe bei Tische, in voller Schwelgerei zu sehen, mit jener wunderbaren Treue und Kraft gemalt, womit die Bildnisse berühmter Generale und Commodore auf Tabaksdosen, zum Besten der Nachkommen, dargestellt sind; um jedoch allem Irrthum zu begegnen, hatte der kluge Maler die Namen von Prinz Heinz und Falstaff an die Sitze der Stühle geschrieben.
Innen am Deckel befand sich eine fast verwischte Inschrift, meldend, diese Dose sei ein Geschenk des Sir Richard Gore, für den Gebrauch der Kirchspielsversammlungen in der Schenke zum Eberkopfe, und daß sie von seinem Nachfolger, Herrn Johann Pinckard, im Jahr 1767 ausgebessert und aufgeputzt worden sei. Dieß ist eine getreue Beschreibung dieses erhabenen und ehrwürdigen Ueberbleibsels; und ich frage, ob der gelehrte Scriblerius seinen römischen Schild, oder die Ritter von der Tafelrunde den langgesuchten heiligen Graal, mit mehr Entzücken betrachtet haben.
Während ich mit begeisterten Blicken darüber sann, gab mir Frau Honeyball, welcher der Antheil, den ich daran nahm, sehr wohl gefiel, eine Trinkschale oder einen Becher, ebenfalls der Kirchspielsversammlung zugehörend, und von dem alten Eberkopfe herstammend. Der Inschrift daran zufolge, war er ein Geschenk des Ritters Franz Wythers, und wurde, wie sie mir sagte, sehr werth gehalten, da man ihn für sehr »antik« ansähe. Dieses letzte Urtheil wurde von dem schäbigen Herr mit der rothen Nase und dem mit Wachstuch überzogenen Hute bestätigt, den ich stark im Verdacht hatte ein Abkömmling in gerader Linie von dem tapfern Bardolph zu sein. Er fuhr auf einmal aus seinen Betrachtungen über den Krug Porter empor, und rief, einen Kennerblick auf den Becher werfend, aus: »Ja, ja! dem thut der Kopf auch nicht mehr wehe, der diesen da machte!«
Das große Gewicht, welches neuere Kirchenvorsteher auf dieses Denkmal der alten Schwelgerei legten, machte mich Anfangs verlegen; aber nichts schärft den Blick so sehr, als antiquarische Untersuchungen; denn ich sah augenblicklich, daß dieser Becher nichts anderes sein konnte, als eben der »halb liebevolle aber vergoldete Becher,« auf welchen Falstaff seinen treulosen Schwur abgelegt hatte, und welcher, natürlich unter ihren Kleinodien, als ein Beweis dieser feierlichen Verpflichtung aufbewahrt worden war.»Du schwurst mir auf einen halb vergoldeten Becher, als du in meiner Delphinstube, an dem runden Tische, bei einem Steinkohlenfeuer saßest, am Mittwoch in der Pfingstwoche, als der Prinz dir den Kopf blutig geschlagen, weil du seinen Vater mit einem Chorsänger in Windsor verglichen hattest; da schwurst du mir, als ich dir deine Wunde auswusch, du wolltest mich heirathen und mich zu einer Mylady, deiner Gemahlin, machen. Kannst du es leugnen?« Heinrich der Vierte. Thl. 2.
Die Wirthin erzählte mir jetzt eine lange Geschichte, wie der Becher von Geschlecht zu Geschlecht gegangen sei. So unterhielt sie mich auch von mehreren Einzelheiten über die würdigen Kirchenvorsteher, welche sich so ruhig auf die Stühle der alten lustigen Gesellen von Eastcheap gesetzt haben, und, wie die Erklärer Shakspeare's, ganze Rauchwolken zu seiner Ehre aufsteigen lassen. Diese will ich übergehen, weil meine Leser nicht so neugierig über dergleichen Gegenstände sein werden, als ich. Genug, die Leute die in der Gegend von Eastcheap wohnen, glauben, ohne Ausnahme, daß Falstaff und sein lustiger Haufe dort wirklich gelebt und geschwelgt habe. Ja, es gibt mehrere angebliche Anecdoten in Betreff seiner, noch unter den ältesten Besuchern des Maurer-Wappens, welche diese, als von ihren Voreltern auf sie vererbt, ausgeben; und Herr M'Kash, ein irischer Haarkräusler, dessen Laden auf eben der Straßenseite liegt, wie der Eberkopf, erzählt noch mehrere trockene Witze von dem feisten Jack, welche nicht in den Büchern stehen und worüber er seine Kunden fast vor Lachen platzen macht,
Ich wandte mich jetzt zu meinem Freunde, dem Küster, um noch einige weitere Nachforschungen anzustellen, fand ihn aber ganz in Nachdenken vertieft. Sein Kopf war ein wenig auf eine Seite gesunken; ein schwerer Seufzer erhob sich aus der Tiefe seiner Brust, und ob ich gleich keine Thräne in seinem Auge zittern sah, so bemerkte ich doch deutlich, daß einer seiner Mundwinkel feucht geworden war. Ich folgte der Richtung seines Auges durch die offenstehende Thür, und fand, daß es nachdenklich auf der süßduftenden Lammesbrust ruhte, welche in träufelnder Fettigkeit vor dem Feuer briet.
Jetzt dachte ich erst daran, daß ich, in dem Eifer meiner tiefgehenden Untersuchung, den armen Mann von seinem Mittagsessen abhielt. Mein Magen bellte aus Mitgefühl; ich drückte ihm einen kleinen Beweis meiner Dankbarkeit und Anerkennung in die Hand, und entfernte mich mit herzlichen Segenswünschen für ihn, für Frau Honeyball und den Kirchspielsclub in Crooked Lane, wobei ich meinen schäbigen, aber spruchreichen Freund mit dem wachstuchenen Hut und der rothen Nase nicht vergaß.
So habe ich denn eine »langweilig-kurze« Erzählung von dieser anziehenden Untersuchung gegeben, zu deren Entschuldigung ich, wenn sie zu kurz und unbefriedigend ausgefallen sein sollte, nur meine Unerfahrenheit in diesem Zweige der Literatur anführen kann, welcher in der gegenwärtigen Zeit mit Recht so beliebt ist. Ich weiß wohl, daß ein gewandterer Erläuterer des unsterblichen Barden die Materialien, die ich hier nur berührt habe, zu einem ansehnlichen, wohl verkäuflichen Werke ausgesponnen haben würde, das die Lebensbeschreibungen des Wilhelm Walworth, Jack Straw und Robert Preston, einige Nachrichten von ausgezeichneten Fischhändlern in St. Michael, die Geschichte von Groß- und Klein-Eastcheap, geheime Anecdoten von der Frau Honeyball und ihrer hübschen Tochter, deren ich nicht einmal erwähnt habe, eines Frauenzimmers nicht zu gedenken, das die Lammesbrust besorgte (und das, wie ich bemerkte, ein schmuckes Mädchen, mit einem hübschen Fuße und Knöchel war) – in sich begriffen haben würde, wobei das Ganze durch den Aufruhr Wat Tyler's, Lebendigkeit erhalten hätte, und durch das große Feuer in London beleuchtet worden wäre.
Alles dieß lasse ich als eine reiche Fundgrube hinter mir, welche spätere Erläuterer bearbeiten mögen; auch zweifele ich nicht, daß die Tabaksdose und der »halbvergoldete Becher,« welche ich jetzt an das Tageslicht gebracht habe, später Gegenstände zu Kupferstichen hergeben, und beinahe eben so viele bändereiche Abhandlungen und Streitschriften erzeugen werden, als der Schild des Achilles, oder die weitberühmte Portland-Vase.