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Zweieinviertel Stunden nach seiner Abfahrt war Splittericht mit seinem Germania-Wagen in der Dresdener Heide. In der Rochlitzer Straße blickte jetzt sturmumweht die kleine Villa von der Hügelwand. Und heute traf der Detektiv die zierliche Madame Pönsgen zu Hause. Sie war eine feine Frau, die früher lange Jahre auf den Brettern gestanden und die niedlichsten Zofen und Dienstmädchen gespielt hatte. Ein älterer Freund hatte ihr dann die Villa »Noisette« (nach der Schokolade genannt, die sie am liebsten aß) geschenkt und dazu die Stellung als Garderobenfrau im Schauspielhaus besorgt. So lebte Madame Pönsgen immer noch für die Bühne, der ihre tiefste Liebe gehörte.
Das alles erfuhr Doktor Splittericht im Verlaufe des Gespräches, das ihn über Marion Lindström und ihr Verbleiben aufklärte. Vor allen Dingen konnte Frau Pönsgen sich gar nicht genugtun in der Bewunderung von Marions blonder Lieblichkeit. Ob sie traurig oder ängstlich gewesen sei? – Nein! Durchaus nicht! Im Gegenteil! Lustig und guter Dinge sei sie gewesen und so lieb! ...
»Bloß der Herr, wohl der Freund oder am Ende gar der Herr Bruder, na mit einem Wort: der Kavalier, der hätte mir nicht gefallen, der nicht! Der hat so etwas Heimliches gehabt, so etwas Unheimliches! Er ist immer um das Fräulein herumgeschlichen, als wenn er sie belauerte oder bewachte ... – Und in zwei verschiedenen Zimmern haben sie geschlafen. Abends um sechs Uhr sind sie mit ihrem großen Wagen hier angekommen und Punkt sieben früh sind sie schon wieder abgefahren. Eine merkwürdige Sache! – Wohin sie gefahren sind, ja, das weiß ich auch nicht. Jedenfalls sind sie dort die Chaussee hinunter gefahren.«
Madame Pönsgen zeigte nach Westen, wo die Chaussee nach der Dresdner Neustadt hinabführte.
»Was war es denn für ein Wagen, mit dem der Herr die junge Dame abgeholt hat?«
»Das war ein Auto, gerade so eins wie das Ihrige, Herr Doktor.«
»Auch so groß, so langgestreckt?«
»Jawohl. Ich möchte meinen, genau so, wie sie eins haben.«
»Hatte es auch dieselbe Farbe wie das meinige?«
»Die Farbe?« – Frau Pönsgen dachte nach. »Ja ich meine, es wäre noch einen Schein dunkler gewesen.«
»Auch dunkelgrün?«
»Ja, mein Herr, das kann ich Ihnen allerdings beim besten Willen nicht sagen. Es war doch so dunkel, daß man eine Katze nicht von einer Maus unterscheiden konnte.«
Splittericht dankte der freundlichen Frau, die ihm, als der Wagen davonrollte, noch lange nachwinkte.
Der Wagen fuhr langsam die Waldstraße hinauf. In einiger Entfernung von der Villa stieg Splittericht aus und besah sich genau seine Reifenspuren und die des Wagens, der vorangefahren war. Die Muster wiesen erhebliche Unterschiede auf. Kein Zweifel, die Mäntel des anderen Wagens waren kein deutsches Fabrikat.
In die Miene des Detektivs kam ein gespannter Zug. Es schien, als wenn eine neue Kombination, ein ganz bestimmter Verdacht in seinem Denken Gestalt annähme. Er betrachtete noch einmal die verschiedenen Radspuren und zeigte sie seinem Schofför, der ebenfalls ausgestiegen war.
»Ich glaube, Herr Doktor, der Wagen hat amerikanische Reifen.«
Splittericht hob langsam den Kopf.
Nun ließen sich die Spuren leicht weiterverfolgen. Marions Entführer war die Heidechaussee entlang bis zur Elbe gefahren, dann weiter den Fluß hinauf über die Eisenbahnbrücke. Da schien es, als sei die Spur verloren. Plötzlich bemerkte Splittericht ein weißes Stückchen Stoff, das er aufhob. Er hatte sich nicht getäuscht, das entführte Mädchen gab – offenbar absichtlich – mit diesem winzigen Stück des Spitzentaschentuchs, das ihr Monogramm aufwies, ein Zeichen.
Als er Dresden im Rücken hatte und eine Chaussee sich an die andere reihte, die jetzt zwar feucht und schmutzig, dafür aber um so spurensicherer waren, war ihm um den Erfolg nicht mehr bange.
In Tharandt erzählte ihm ein Hotelwirt: Gestern abend gegen acht Uhr seien ein Herr und eine Dame in einem großen Tourenwagen bei ihm vorgefahren. Einen Schofför hätten sie nicht gehabt. Die Dame hätte aussteigen wollen, aber der Herr hätte das nicht gelitten und der Kellner hätte dann belegte Brötchen und heißen Tee und Rotwein an den Wagen bringen müssen. Sie hätten sich gar keine Rast zum Essen gegönnt, hätten das Geschirr bezahlt und mitgenommen. Sie mußten wohl große Eile haben.
Auch Splittericht hielt sich nicht auf. Er fuhr nach Freiberg und geriet hier, sowie er aus der Stadt heraus war, mit einem sächsischen Gendarm aneinander. Der war mit dem Hundert-Kilometer-Tempo des Germania-Wagens nicht einverstanden. Splittericht zeigte seine Papiere, den Polizeiausweis und erzählte, was ihn so schnell hier vorbeiführe. Das versöhnte den Gendarmen nicht allein, nein, er war auch imstande, über den schwarzen Wagen Auskunft zu geben, der in der letzten Nacht in Richtung Chemnitz vorbeigesaust wäre.
Sich in den vielen sächsischen Städten und Städtchen zu orientieren, war immer wieder schwierig. Aber Splittericht, als alter Jäger, fuhr um die Orte herum und umschlug so die verlorengegangene Fährte, sie dann frisch wieder aufnehmend.
Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, daß die Verfolgten nach Westen, nach Frankreich oder Belgien flüchteten. Er hatte nichts anderes zu tun, als von Zeit zu Zeit festzustellen, ob sie ihre Route beibehielten.
Er fuhr über Chemnitz. Hier gelang es ihm, den Gasthof zu finden, wo das Paar zum ersten Male eine längere Rast gemacht hatte.
Die Wirtin, mit der er sprach, erzählte enthusiastisch von der schönen, blonden jungen Dame, die mit einem Herrn gestern abend hier angekommen wäre. So gegen neun Uhr konnte es sein. Eheleute waren es nicht, sonst hätten sie wohl nicht zwei Zimmer verlangt ... ja ... und der Herr, der hätte noch in der Nacht wieder abfahren wollen. Aber die Dame sagte kurz und bestimmt: Nein! Sie wolle schlafen. Und ging auf ihr Zimmer und fertig! Aber ganz früh, um sechs, da wären sie dann doch gefahren.
Während er frühstückte, überlegte Splittericht: Wenn der Entführer nach Paris wollte, so kam als nächster Weg der über Frankfurt am Main in Frage. Wenn er sich aber irrte? Wenn dieser Mensch mit Marion vielleicht über Erfurt, Hannover, Bremen ans Meer fuhr und von dort ein Schiff benutzte? Dann war es nicht leicht, ihn rechtzeitig einzuholen, weil zu viel kostbare Zeit verlorenging. Diese Besorgnis ließ ihn sich beim Essen beeilen. Er zahlte seine und des Schofförs Zeche und stand schon auf der Straße vor dem Wagen, als es ihm noch zur rechten Zeit einfiel, den Wirt zu fragen: »Haben Sie das Auto gesehen, Herr Wirt, in dem die beiden Herrschaften kamen?«
»Ja. Ich bin selbst Automobilist, und dann interessiere ich mich natürlich für jeden Wagen, besonders für einen so ungewöhnlich schönen Typ, wie der Cadillac war.«
Splittericht veränderte nicht eine Miene:
»Ein Cadillac? ... Welche Farbe hatte er denn?«
»Schwarz! Glänzend schwarz ... und funkelnagelneu! ... Das sah man, wiewohl er über und über bespritzt war.«
»Ja, und was für eine! ... Ich glaube, mein Herr, die werden Sie gar nicht einholen!«
Der Hotelier war brennend neugierig, den Grund der Verfolgung des Cadillac zu erfahren. Aber Splittericht war bei größter Liebenswürdigkeit sehr zugeknöpft. Er saß schon in den hechtgrauen Samtkissen, winkte durch das geöffnete Fenster und war im Hui davon. Bis Saalfeld hielt er die Spur des amerikanischen Wagens ohne Mühe. Von dort lag die Hauptchaussee nach Blankenburg in neu geschüttetem Schotter. Er mußte über Ilmenau fahren und kam von der Fährte ab. Nach der alten Methode der Schweißhundführer, die er auf der Jagd so oft geübt hatte, griff er sofort zurück auf die Stelle, wo er die Fährte verloren hatte. Dort, in Saalfeld, war er wieder gegen elf Uhr.
Er fuhr nach der Post und ließ sich ein Blitzgespräch nach Berlin geben.
Konsul Lindström war jetzt um elf Uhr zweifelsohne in der Bank. Der Anruf kam sofort. Splittericht überlegte genau, was er sagen wollte. Der Verdacht, der immer stärker in ihm aufwuchs, gab ihm gerade dem Konsul gegenüber nicht das Recht, ihn zu äußern, ehe er die absolute Gewißheit hatte.
»Hier Splittericht. Guten Morgen, Herr Konsul! Ich klingele Sie an, um Ihnen zu sagen, daß alles gut geht und daß Sie sich in gar keiner Weise zu ängstigen brauchen. Ich bin mir noch nicht klar darüber, weshalb Fräulein Marion nach Dresden gefahren ist ... da ist sie übrigens nicht mehr. Der Mensch, der sie die beiden Jahre lang erpreßt hat, hat sie auch zu dieser Reise überredet oder gezwungen. Er hat sie gestern abend aus der Villa Pönsgen fortgeführt. Und daß Fräulein Marion ihm gefolgt ist, darin liegt wieder ein Beweis von der Macht, die er über sie ausübt ... er ist mit der jungen Dame dann in der Richtung Chemnitz abgefahren. In Chemnitz haben sie Rast gemacht. Fräulein Marion ist froh und guter Dinge gewesen. Ich habe einwandfreie Beweise, daß die Spur, die ich verfolge, bis hierher richtig ist ... ja ... ich spreche aus Saalfeld. Hier bin ich abgekommen, aber Sie dürfen versichert sein, Herr Konsul, noch ehe es Abend wird, habe ich sie wieder vor mir. Seien Sie doch, bitte, nur nicht aufgeregt. Das Wichtigste in solchen Dingen ist ein ruhiger, kühler Kopf. Wohin? Das werde ich Ihnen bei meinem nächsten Anruf sagen können. Ich vermute, daß sie von hier nach Nordwesten abgebogen sind und vielleicht über Erfurt nach Hannover und Bremen ans Meer gehen ... Und bei Ihnen, Herr Konsul? ... Ach, Canist ist wieder da ... so ... er redet noch immer dummes Zeug ... ja ... das ist ja auch nicht weiter zu verwundern nach solchem Mordsrausch. Und sonst? So ... Ostermann hat angeklingelt ... wann? ... Um zehn Uhr? ... Also eben erst ... von wo denn? ... Aha ... Von Frankfurt am Main. So ... na ja, das liegt ja doch auf seiner Strecke. Er will nach Paris, nicht wahr, vielleicht an die Riviera ... wer's doch auch so gut hätte! Also, verehrter Herr Konsul! ... Schenken Sie mir weiter Ihr Vertrauen, ich hoffe, ich werde Sie nicht enttäuschen.«
Als Splittericht das Postamt verlassen hatte, setzte er sich in seinen Wagen und sagte zu dem Schofför:
»Nach Frankfurt am Main. Und lassen Sie den Wagen laufen! Holen Sie alles aus der Maschine heraus, was drin steckt!«
Das gab ein lustiges Jagen durch die Felder und Wälder. Ein paarmal mußte der Germania-Wagen stoppen, einmal genügte selbst der Berliner Polizeiausweis nicht, und Splittericht wurde zur Bestrafung vorgemerkt. Aber das ging nun alles in einem hin. Kurz nach eins erreichte das Auto Frankfurt am Main.
Bevor er sich aber ernstlich auf die Suche machte, setzte er sich mit dem Oberregierungsrat Henderson telefonisch in Verbindung. Der war glücklicherweise noch im Präsidium, und der Doktor-Kommissar bekam ihn sofort:
»... Ja, Herr Oberregierungsrat, ich bin jetzt vollkommen überzeugt, daß der Entführer, den ich verfolge, kein anderer als Ostermann ist und daß wir mit Ostermann auch den Raubmörder haben ... wie ...? Das behauptet Canist auch? Dem hat er ebenfalls etwas in den Sekt gegossen? ... Ja, das deutete Konsul Lindström auch an – mit ihm habe ich vor zwei Stunden gesprochen – er hielt das allerdings für betrunkene Phantasien von Canist ... nein! ... Ich bin der Ansicht, Ostermann ist der Täter! Jedenfalls ist der Verdacht gegen ihn so stark, daß er die schärfsten Maßnahmen rechtfertigt ... Ja, wir müssen die Grenzen abriegeln von Italien bis nach Holland rauf ... so gut das irgend zu machen ist. Denn die Zeit ist viel zu kurz, um alle Stationen zu verständigen. Außerdem wird Ostermann, der die Verbindungen genau kennt, bestimmt an irgendeinem ganz kleinen Ort durchzuschlüpfen versuchen. Er wird dazu die Nacht wählen, weil er, wie ich Ihnen sagte, Fräulein Lindström bei sich hat, die wahrscheinlich ohne Paß ist. Obgleich man das nicht wissen kann. Er hat ja Zeit genug gehabt, alles zu besorgen ... ich habe hier in Frankfurt am Main die Spur verloren, aber ich denke, daß ich dem Kerl vor Abend wieder auf den Fersen bin. Jedenfalls hören Sie von mir. Und ich verlasse mich ganz auf Sie, Herr Oberregierungsrat! Auf Wiedersehen.«
Aber obwohl Splittericht die Stadt und die Umgegend nach allen Seiten wie der Blitz durchquerte, hatte er bis drei Uhr noch keine Spur von dem schwarzen Cadillac gefunden. Er klapperte die Tankstellen ab, sprach mit den Vorstehern der Polizeireviere und ließ durchblicken, daß er nicht allein einen Entführer, sondern einen Raubmörder verfolge. Aber trotz allem Interesse, das seine Verfolgung erregte, und trotz aller Hilfe, die Beamte und Private ihm gaben, war es, als sei dieses schwarze Auto vom Abgrund verschlungen. Und nicht ihm, sondern seinem Schofför kam schließlich der rettende Gedanke: Hatte vielleicht der Flüchtige den Wagen irgendwo untergestellt oder mit einem anderen vertauscht?
Ja, das war es! Schon in dem dritten Autogeschäft, vor dem Splittericht hielt, erfuhr er, daß jemand dem Geschäftsinhaber einen Cadillac-Wagen zu ungewöhnlich billigem Preise angeboten habe. Der Händler hätte ihn zwar nicht selbst gekauft, aber den Umtausch mit einem durchreisenden Italiener, der selbst einen Fiat fuhr, vermittelt.
Splitterichts Aufgabe wurde hierdurch verwickelter. Er kannte den Fiat-Wagen nicht, mit Spurenkunde war also nichts mehr aufzustellen. Aber die Richtung, nach der der Verbrecher sich gewandt hatte, wies so einwandfrei nach Westen zur französischen Grenze hin, daß jetzt gar nichts anderes übrigblieb, als einfach draufloszusteuern und dann die Grenzen hinauf weiter nachzuforschen.
Bei Bingen fuhr Splittericht über den Rhein. Es war vier Uhr. Da sah er einen Bettler am Brückenpfeiler sitzen. Er stieg aus und fragte den Mann, wie lange er dort säße. – »Von heute früh an.« Es war ja eigentlich lächerlich, den armen Kerl zu befragen. Aber Splittericht gab ihm ein Fünfmarkstück und ließ sich etwas von ihm erzählen. Und wirklich: das Glück stand wieder einmal an seiner Seite. Der Mann hatte einen Zusammenstoß zwischen einem Lastauto und einem braunen Wagen beobachtet. So gegen elf etwa. Die Insassen, ein Herr und eine Dame, wären mit dem Schrecken davongekommen. Aber das Auto wäre vollständig demoliert worden.
Splittericht ließ sich das Paar näher beschreiben und sah vor sich eine schlanke junge Frau im silbergrauen Pelz mit einer Kappe auf dem sehr blonden Haar.
Der Mann trug ebenfalls einen Pelzrock, dunkelgraues Tuch mit Otterkragen, und schwarzen, weichen, eingekniffenem Hut. Er wäre nicht größer als die Frau gewesen, eher etwas kleiner. Die Dame hätte eine Zeitlang dort am Brückenpfeiler gesessen, gar nicht weit von dem Standort des Bettlers – und dann war sie mit dem Herrn in einem Taxi weitergefahren. Sie hatten zwei Handtaschen und einen ziemlich großen gelben Lederkoffer bei sich, den der Herr nicht aus der Hand gab, obwohl er recht schwer zu sein schien. Er stellte ihn auch selbst in die Autodroschke. Der Bettler hatte gehört, wie der Herr dem Schofför beim Einsteigen zurief: »Nach dem Bahnhof!!«
Waren sie also mit der Bahn weitergefahren? – Das war wenigstens nicht so schwer zu erkunden.
Um zwei Uhr mittags war ein Zug nach Koblenz abgegangen. Und Splittericht brachte es mit seiner immer offenen Hand leicht heraus, daß die Verfolgten tatsächlich diesen Zug benutzt hatten.
Splitterichts Schofför, der all das sah und miterlebte, meinte kopfschüttelnd:
»Sind Sie eigentlich Spiritist, Herr Doktor, daß Sie alles wissen, was in dem Kopf des anderen vorgeht?«
»Nein«, erwiderte Splittericht freundlich, »ich versuche nur, mir mit ein bißchen Logik klarzumachen, was ich selbst tun würde, wenn ich in der Lage des anderen wäre.«
Der Germania-Wagen zog also von neuem eilig und lautlos durch das Land, an kahlen Rebenhängen und an bunten Dörfern vorüber.
Kurz nach fünf Uhr stoppte er in Koblenz, wo der Doktor-Kommissar feststellte, daß die beiden Reisenden, deren Schatten er war, in der Tat die Eisenbahn verlassen und sich in die Stadt begeben hatten. Hier gelang es ihm ohne Schwierigkeit, den Autohändler zu finden, bei dem der Verfolgte einen Ford-Wagen erstanden hatte.
Der Käufer war allein in dem Geschäft gewesen. Von einer Dame wußte der Autohändler nichts. Daraus folgerte Splittericht, daß Marion irgendwo im Hotel die Rückkehr ihres Gefährten erwartet hatte. Er fand auch das Hotel. Aber die Gesuchten waren nicht mehr da. Der Portier sagte, er habe mit Entrüstung gesehen, wie der Herr die schöne junge Frau in den Wagen gehoben habe und davongefahren sei.
Splittericht fuhr durch die Altstadt, die Rheinstraße hinunter. Er hatte sein Hensoldt-Glas zur Hand und sah plötzlich auf der nicht zu stark befahrenen Straße einen Wagen noch weit vor sich, der ihm verdächtig erschien.
»Vollgas!« kommandierte er seinem Schofför und fegte an Automobilen, Fuhrwerken, winkenden Polizisten vorbei wie ein Ungewitter. Er hatte sich von dem Händler in der Stadt sagen lassen, daß der Wagen, den er verfolgte, einen hellgrauen Anstrich mit etwas dunkleren Absätzen hätte. Und dieser Wagen da vor ihm war zweifellos ein grauer Ford-Wagen.
Der Ford hatte gehalten, wer weiß, aus welchem Grunde. In diesem Augenblick startete er wieder. Splittericht sah durchs Glas, daß der Wagen sofort alle Schnelligkeit entwickeln wollte. Aber es gab für den Ford keine Möglichkeit, dem Germania zu entrinnen.
In dem Detektiv begann sich schon, wie immer, wenn er sich seinem Ziel nahe fühlte, der Eifer zu entspannen. Er faßte nach der Pistole in der rechten Manteltasche und fühlte, sie war entsichert. Nun hatten nur der Wagen und der Schofför ihre Schuldigkeit zu tun. Er selbst beobachtete die immer mehr sich verringernde Entfernung zwischen dem Ford und seinem Auto.
Da war es ihm plötzlich und mit den Augen kaum erfaßbar, als würden aus dem Fenster des Ford-Wagens kleine Gegenstände herausgeworfen. Er empfand das mehr, als er es wirklich beobachten konnte. Aber ein aus diesem Gefühl aufspringender Impuls warnte den Detektiv, der seinem Schofför zurief:
»Langsamer!«
Der Mann reagierte wie ein Uhrwerk. Und das war seine und Splitterichts Rettung: zwei Sekunden später flog der Germania-Wagen mit einem Knall zur Seite, über den Fahrdamm, gegen die Bordschwelle der Straße, drehte sich halb um und glitt dann mit aufgerissenen Vorderradreifen schlenkernd und kreischend noch ein paar Gänge weiter.
Fast unmittelbar danach passierte einem Geschäftsauto, das hinter dem Germania-Wagen fuhr, das nämliche.
Der Detektiv riß den Schlag auf, sah, daß nur der Radreifen verletzt war, und befahl dem Schofför, sofort das Reserverad einzuheben. Das war im Umsehen geschehen.
Der Detektiv suchte inzwischen die Straße ab. Und er fand Dutzende von starken Nägeln mit breitem Kopf, die, freigebig über die Straße gestreut, mit ihren, wie es schien, besonders zugefeilten Spitzen in die Luft starrten. Jetzt begriff er die sonderbare Bewegung aus dem voranfahrenden Ford-Auto.
Sein Schofför meinte:
»Der Witz ist uralt. Ich fahre zwanzig Jahre, und damals haben die Händler und Reparaturbrüder schon so'n Heckmeck gemacht, daß sie Nägel auf die Straße schmissen, bloß um das Reparaturgeld zu schlucken.«
Sie fuhren weiter, aber Splittericht scheute sich, die Gangart allzusehr zu beschleunigen. Mit Recht. Nur fünfzig Schritt und das andere Vorderrad wurde auch von einem Nagel durchbohrt.
»Auf diese Weise werden wir sie nie einholen«, meinte der Schofför.
Splittericht erwiderte nichts. Aber ein Lächeln kam in seine Augen, und dieses Lächeln bedeutete nichts Gutes für den Mann, der die Straße mit Nägeln spickte.