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»Nun sagen Sie mir, lieber Herr Doktor, was halten Sie davon?«
Kaum hatte die Tür sich hinter Herrn Flatterer geschlossen, als der Oberregierungsrat von seinem Stuhl aufsprang und mit auf die Tischplatte gestützten Fäusten neben dem Doktor-Kommissar stand:
»Was halten Sie davon?« wiederholte er.
Splittericht dachte nach. Es dauerte eine ganze Weile, bis er antwortete:
»Vorläufig gar nichts, Herr Oberregierungsrat. Der ominöse Brief kann von Gott weiß wem geschrieben sein. Es kann ihn Canist auch ... selber geschrieben haben ... wenngleich ich nicht recht einsehe, weshalb er das getan haben sollte. Das Geld ist eine Tatsache, daran läßt sich nicht deuteln. Vielleicht ist der Canist irgendwie Vorsteher einer Frachtkasse oder dergleichen in seiner Bank –?«
Der Oberregierungsrat ging in dem geräumigen Zimmer mit großen Schritten auf und ab:
»Ich glaube nicht daran, Herr Doktor, daß Canist sich den Brief selbst geschrieben hat. Ich weiß zufällig genau, daß er schon seit ... warten Sie mal, schon seit Freitag in dieser schrecklichen Besäuftheit umherzigeunert. Er kommt mal ins Geschäft, will scheinbar arbeiten, kann aber natürlich nicht. Dann bringen sie ihn mit 'n paar Kollegen oder Kassenboten nach Hause. Man sieht ihn in Gott weiß welchen Kneipen von der niedrigsten Destille bis zum Luxus-Restaurant. Manchmal wird er rausgeschmissen oder auch verhaftet, auf die Wache gebracht, wo man ihn am andern Morgen wieder laufen läßt. Und das geht so sechs, auch acht Tage. Heute ist Mittwoch ...« Der Oberregierungsrat zählte an den Fingern: »Freitag, Sonnabend, Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch – also sechs Tage ... In dem Zustand ist der Kerl gar nicht fähig, einen so vernünftigen Brief zu schreiben. Flatterer sagte mir vorhin, sie hätten schon bei der Post angefragt, tatsächlich wäre der Brief«, Henderson hielt den Umschlag Splittericht vor die Augen, »am Montag nach achtzehn Uhr aufgegeben worden und Dienstag früh etwas nach acht zugestellt. Die Frau des Canist ...«, er blickte in das vor ihm liegende Protokoll, »Else mit Vornamen, hat den Brief selbst angenommen und ihn ihrem Säufer von Mann gegen Mittag gegeben, der damit sofort wieder losgezogen ist. Die arme Person hatte natürlich keine Ahnung, was sie ihm da gab, in was für ein Unglück sie ihn damit stürzte.«
»Man wird Canist daraus keinen Vorwurf machen können, Herr Oberregierungsrat. Für mich besteht kein Zweifel, und das Gericht wird dieser Ansicht wohl oder übel folgen müssen, daß er die Unterschlagung dieser Summe unter Ausschluß der freien Willensbestimmung begangen hat.«
»Was haben Sie ihm denn da vorhin eigentlich zugeflüstert, Doktor?«
Henderson sah den Doktor-Kommissar listig an.
»Ich habe nur: ›Mörder‹ zu ihm gesagt und dann: ›Bankhaus Lindström‹. Und diese beiden kategorischen Imperative haben irgend etwas in seinem Unterbewußtsein ausgelöst, wovon wir nichts wissen.«
»Und was denken Sie nun, Doktor? Hat er etwas mit dem Morde zu tun oder ist er bloß in seiner Bezechtheit in die Sache hineingeraten?«
»Etwas mehr doch«, sagte Splittericht langsam, »irgendeine Verbindung ist da vorhanden ... Wenn wir aber davon ausgehen, daß der Mörder, der die ›Annonce‹ gemacht hat, in der Bank angestellt ist ... Nein«, sagte der Detektiv plötzlich ganz entschieden, »so kommen wir nicht zum Schluß. Das geht alles so wirr und wüst durcheinander, darin muß sich jede Logik verheddern.«
Er dachte einen Augenblick nach: »Vielleicht will der eigentliche Täter den Canist als Sündenbock brauchen ... will durch ihn die Polizei von seiner Fährte ablenken oder doch wenigstens Zeit gewinnen. Er rechnet mit dem, was so im allgemeinen vom Publikum gesagt wird: wenn die Polizei erst mal irgend jemand gefaßt hat, dann sucht sie nicht weiter.«
»Das ist aber ein großer Irrtum«, der Oberregierungsrat klopfte mit der vollen Hand auf die Tischplatte, »da wären meine Leute ja eine schöne Trottelbande!«
Splittericht lächelte: »Verzeihung, Herr Oberregierungsrat, das ist ja auch nicht meine Ansicht.«
»Ich weiß, ich weiß, lieber Doktor ...! Wenn Sie so dächten, dann könnten wir natürlich auch nicht so gute Freunde sein, wie wir es tatsächlich sind. Aber da täuscht sich nicht nur das Publikum, sondern auch der Herr Mörder ganz gewaltig! Hier liegt eine Sache vor, bei der handelt es sich um die Ehre der Kriminalpolizei! Die Sache müssen wir rauskriegen, und wir werden sie rauskriegen!«
Splittericht nickte ernst:
»Gewiß, Herr Oberregierungsrat. Aber darf ich jetzt mal hinübergehen zu Kriminalrat Barker?«
»Bitte sehr. Und seien Sie so gut und kommen Sie, ehe Sie wegfahren, noch mal zu mir.« – – –
»Lieber Freund«, sagte der Doktor-Kommissar zu dem Kriminalrat, mit dem ihn Klugheit, Menschenkenntnis und das gleiche warme Herz verbanden, »ich möchte nur gern mal die Karte des verewigten Zalewski ansehen.«
»Verewigt ist gut«, sagte der stets ironisch geladene Barker und putzte sein Monokel.
»Meinen Sie, daß den Herren vom Brecheisen und vom schnellen Griff die Pforten der Ewigkeit verschlossen bleiben?«
»Das nicht, mein Freund.« Er stand auf, hinkte zum Fenster, das er aufriß.
»Der Teufel soll die dicke Luft holen ... war schon im Feld kein Freund davon, und nun erst hier in den Räumen des heiligen Bürokratius ... Also den Herrn Oberleutnant vom k. und k. Infanterieregiment.«
Er pfiff ein paar Takte des bekannten österreichischen Marsches und rief einem seiner Beamten zu:
»Buchstabe Z! ... Z, wie Zacharias oder wie Zwiebel!«
»Ich habe aber heute keine auf der Stulle, Herr Kriminalrat«, entgegnete der Beamte, ein dicker Berliner.
»Na ja, is schon gut!« Der Kriminalrat winkte mit der Hand. Dann leise zu Splittericht:
»Ist sonst ein ganz tüchtiger Mensch, der Katzke ... aber er hat 'ne unglückselige Leidenschaft für Zwiebeln. Der ganze Erkennungsdienst stinkt manchmal danach ... Übrigens, Doktor, warum lassen Sie den Toten nicht ruhen, was wollen Sie von ihm?«
»Ich will feststellen, ob Zalewski immer schon so hart gearbeitet hat.«
Der andere verstand die Anspielung sofort:
»Sie meinen mit dem Brecheisen? ... Nein, er war früher ›Ballonfahrer‹.«
Splittericht blickte zuerst überrascht und fragend hinüber, dann begriff er:
»Ach so, Sie meinen Erpresser?«
»Tja«, sagte der andere, »und darum kommen Sie zu mir? ... Sonst sehe ich Sie das ganze Jahr nicht ... schöne Freundschaft ist das!«
»Übertreiben Sie doch nicht, Barker! Sie sind der einzige Mensch ...«
»Den Sie nicht für einen ausgemachten Esel halten? Danke!«
»Nun versuchen Sie doch mal ernst zu sein!«
Splittericht nahm sein Notizbuch heraus.
»Lassen Sie stecken! Ich gebe prinzipiell keine Interviews!«
»Ach, und wie gern, wenn ich nur Beziehungen zur Presse hätte! Dann hätte ich's leichter, von Ihnen was zu erfahren.«
Der Beamte brachte den Karton mit der gewünschten Kartenserie. Und auf jeder Karte befand sich das Bild eines Verbrechers in dreifacher Ausführung: rechtes und linkes Profil und von vorn. Mit geübten Händen fand der Doktor-Kommissar das gesuchte Foto. Er nickte mehrmals:
»Also wie ich es mir dachte ... drei, vier, fünf Vorstrafen, darunter einmal zwei und einmal drei Jahre wegen Erpressung. Wie alt war denn der Herr Oberleutnant eigentlich?«
Er sah vorn die Daten unter den Fotos nach. »Denken Sie mal, schon achtunddreißig! Dabei sah der Mensch – ich sehe ihn noch vor mir auf dem hellen Teppich im Tresor liegen – er sah aus höchstens wie achtundzwanzig ... Also so einer waren Sie, lieber Herr Leutnant?!«
»Ja«, machte der Kriminalrat, »der liebe Verstorbene war ein kluges Kind. Er hat sich auch im Kriege niemals dem Granatfeuer ausgesetzt, war weit hinten in der Etappe und schwer beschäftigt mit der Verfrachtung von galizischen Klavieren und anderen Wertgegenständen. Ich habe zufälligerweise seinen Lebenslauf gelesen: einen derartigen Halunken hat es wohl kaum ein zweites Mal gegeben ... aber nebenbei ein vielseitiger Herr, nur ein bißchen empfindlich gegen Blausäure.«
»Barker!« warnte Splittericht, weil der Kriminalrat sich gar keine Mühe gab, besonders leise zu sprechen.
»Na ja, is ja gut! Ich bin artig und zahm wie ein kleines Kaninchen. Also Sie wissen, was Sie wissen wollen, Herr Doktor?«
»Danke schön, lieber Freund, jetzt weiß ich, was ich mir vorher bloß gedacht habe.«
»Und was werden Sie jetzt machen?«
»Jetzt besuche ich den braven Husaren-Albert da drüben.«
Splittericht deutete nach dem Fenster, durch das man die Gitterfenster des Polizeigefängnisses sehen konnte.
»Gott segne Sie, geliebter Leisetreter!«
Splittericht ging, den Kopf schüttelnd über den Unverbesserlichen, der doch in seiner Arbeit der ernsteste und zuverlässigste Mensch von der Welt war.
Im Polizeigefängnis öffnete ihm Herrn Hendersons Ausweis und seine Beliebtheit bei den Gefängnisbeamten leicht jede Zelle. Er durfte auch ohne die Anwesenheit eines Aufsehers mit dem Gefangenen reden.
»Wollen Sie mir ein paar Fragen beantworten, Holtbuer?«
»Gewiß, Ihnen gern, Herr Doktor.«
»Der tote Zalewski war früher auch Erpresser?«
Holtbuers mächtiger Schädel ging auf und nieder:
»Und was für einer, Herr Doktor! So was von gefährlichem Strolch ist noch nich dagewesen. Er ließ dem, den er erst mal in de Mache hatte, auch nicht das Hemde! Der wollt' es janz und jar wissen! Da gab's kein Wenn und kein Aber! Das heißt, wenn das Äffchen nich sofort mit de janze Münzensammlung rausrückte, denn lernte er bei Zalewski auf die Stelle treten! So was von ›Ballonfahrer‹ hat es nicht wieder gegeben!«
Splittericht hatte den Westfalen nicht mit einem Wort unterbrochen. Jetzt sagte er rasch:
»Und den, der die ›Annonce‹ gebracht hat, hat er den vielleicht auch getrampelt?«
Husaren-Albert blickte förmlich ängstlich:
»Ja, woher wissen Sie denn das, Herr Doktor?«
»Ich weiß noch mehr, Holtbuer! Noch viel mehr ... Der Zalewski ist ein Opfer seiner Erpressungen geworden. Der, von dem ihr die ›Annonce‹ habt, der hat den Leutnant ermordet, vergiftet. Nicht bloß darum, weil er die anderthalb Millionen allein in die Tasche stecken wollte, sondern vor allen Dingen, weil er den los sein wollte, der ihm das Leben abfraß und der ihn ewig in Angst hielt ... wegen seiner früheren Schandtaten wahrscheinlich.«
Husaren-Albert schüttelte langsam den Kopf:
»So ist es nich ... nich ganz, aber beinah ...«
»Na, wie denn?«
»Das weiß ich auch nicht.«
Der Westfale dachte eine Weile nach. Dann sagte er langsam:
»Es gibt einen Menschen ... eine Frau ... die ich gut kenne ... die weiß es! Und, Herr Doktor, wenn Sie mir ein bißchen helfen, daß die in Moabit mich nicht zu sehr vermackeln ... und das können Sie, wenn Sie wollen ...« Der Einbrecher, der auf seinem Schemel am Tisch saß, blickte so gläubig zu Splittericht auf, daß der lachen mußte. »Ja, Herr Doktor, das können Sie, und Sie können sogar noch mehr! Was Sie sagen, glauben die Richter, aber unsereiner, der kann reden, wie er will, uns glauben sie ebenso wenig wie nachher dem Rechtsanwalt. Und Sie, das weiß ich, Herr Doktor, Sie wer'n mir auch helfen! Und darum tu' ich auch was für Sie! Ich sage Ihnen den Namen, wo Sie die Strippe wiederfinden, die Sie jetzt verloren haben.« Er deutete mit seinem ungeschlachten Zeigefinger auf die Stirn des Detektivs.
Splittericht fragte:
»Und wer ist das?«
»Die schwarze Alma.«
Splittericht nickte mehrmals: »Meine Ahnung«, murmelte er, »meine Ahnung.«
Husaren-Albert nickte ebenso: »Ja, Ihre Ahnung, Herr Doktor, aber der Name is von mir.«
Da kam dem Detektiv ganz plötzlich eine Idee.
»Wissen Sie auch, Holtbuer, daß die schwarze Alma Sie eigentlich verpfiffen hat?«
Der Starke mit dem strohblonden Storrhaar horchte auf:
»Wieso? ... Wieso, Herr Doktor?«
»Na, sie hat zu Kommissar Starkmann gesagt, Sie wären in den Diana-Sälen. Assistent Nebeltau hat's mir heute erzählt.«
Holtbuer pfiff einen langen Ton.
»Sooo ... na, da will ich Ihnen auch was erzählen, Herr Doktor. Sagen Sie doch die schwarze Alma, ich lasse sie schön grüßen, und fragen Se mal, was der Mixer macht.«
»Heißt der Mann so?«
»Nee, aber er is es mal gewesen.«
»Und weiter wollen Sie mir nichts sagen, Holtbuer?«
»Nee, Herr Doktor, ich weiß auch nicht viel mehr. Ich weiß bloß, daß der, den Sie suchen, wahrscheinlich 'n Bekannter von die schwarze Töle is ...«
»Und Sie meinen, das ist der Mixer?«
Dem Westfalen schien es schon leid zu sein, daß er so viel gesagt hatte. Mit verkniffenen Lippen blickte er auf die weiß getünchte Zellenwand und hob seine kaltblauen Augen zu dem hochliegenden rechteckigen Gitterfenster, durch das der graue Schneehimmel in die Zelle sah:
»Ich vermassle nicht gern einen ... aber verbeckern tu' ich schon lange keinen.«
›Verbeckern heißt vergiften‹, dachte Splittericht. Doch er tat keine Frage weiter. Er reichte dem Einbrecher die Hand und ging.
Ehe er das Polizeipräsidium verließ, suchte er, wie versprochen, Herrn Henderson noch einmal auf. Nicht nur, um Abschied zu nehmen. Er hatte ihm Wichtigeres zu sagen.
»Sie sind ein drolliger Mensch.« Henderson schüttelte den graumelierten Kopf. »Nun verhaften wir schon mal einen in der Mordsache, und da sollen wir ihn wieder freilassen!«
»Ja, Herr Oberregierungsrat. Es kann sich ja doch nur um ein paar Tage früher oder später dabei handeln. Canist kann gar nicht in Haft bleiben. Ich habe eben noch mal mit Doktor Rangower gesprochen, und der sagte mir auch, der Suff löst bei Canist wahrscheinlich Dämmerzustände aus, die die Anwendung des § 51 absolut rechtfertigen. Man könnte den Mann unmöglich haftbar machen für das, was er im Delirium tut, das bei ihm in besonderem Maße in der Form der Bewußtseinshemmung auftritt.«
»Und Sie meinen, Herr Doktor ...?«
»Jawohl, Herr Oberregierungsrat. Ich bin der festen Überzeugung, daß uns Canist, der vielleicht schon morgen seine fünf Sinne wieder beisammen haben wird, daß uns der Mann weit mehr auf freien Füßen nützen kann, als wenn wir ihn hier festhalten. Wenn Sie gestatten, werde ich gleich noch einmal mit dem Herrn Konsul reden. Ich zweifle nicht, daß er mir beipflichten wird. Darf ich vielleicht hier bei Ihnen ...?«
Splittericht deutete auf das Telefon, und der Oberregierungsrat gab ihm selbst den Hörer.
Der Detektiv bekam die Verbindung schnell. Und wie er es vorausgesagt hatte, war der Konsul auch jetzt mit seinem Vorschlage durchaus einverstanden: Er habe nicht das geringste Interesse daran, daß Canist bestraft würde oder daß man ihn dort auch nur festhielte ... wenn der Herr Oberregierungsrat ...
Der nickte, als Splittericht ihm des Konsuls Ansicht bekanntgab:
»Ja, die Haftentlassung hängt allerdings von dem Vernehmungsrichter ab. Aber wenn ich mit dem Landgerichtsrat Beckenthin spreche, ich glaube, der wird unsere Bitte kaum abschlagen.«
»Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Herr Oberregierungsrat, wenn Sie das so bald wie möglich täten!«
In Splitterichts graublauen Augen lag bei dieser Bitte jener Schimmer von List und Schalkheit, den Henderson kannte und der ihn auch jetzt neugierig machte:
»Sagen Sie doch schon, was Sie da wieder für eine Teufelei vorhaben, Herr Doktor!«
Splittericht überlegte:
»Eigentlich spreche ich nicht gern über meine Pläne ... nicht etwa aus Geheimniskrämerei, aber ich habe da so'n kleinen Aberglauben ... ich meine immer, wenn man so viel vorhererzählt, dann wird nichts aus der Sache, Herr Oberregierungsrat.«
»Aber Sie wollen doch, daß ich den Canist freigebe?«
»Ja, das möchte ich allerdings ... und Sie meinen, daß ich Ihnen dann auch Aufklärung schuldig bin über das, was ich vorhabe?« Herr Henderson nickte.
Splittericht kaute ein bißchen an der Oberlippe:
»Sehen Sie, Herr Oberregierungsrat, erstens mal wird dieser Canist, der eine außerordentliche Energie besitzen soll, der wird sich jetzt sofort wie ein Schweißhund in den Riemen legen und die Fährte des Mörders, wenn er sie hat, bis dahinaus verfolgen ... außerdem aber habe ich eine Vermutung, ich könnte beinahe sagen, eine Gewißheit. Es muß doch einer an Canist ein Interesse haben, und zwar kein freundliches. Warum schickt er ihm denn die fünfzigtausend Mark?«
»Meine Kalkulation ist so, Herr Oberregierungsrat: Der Mörder, der ja doch zweifellos in der Bank gut orientiert ist, der hat dem Canist, den er genau kennt, von dem er weiß, daß er Tourensäufer ist, die fünfzigtausend Mark geschickt – nicht so sehr, um den Mordverdacht auf Canist zu lenken, als deswegen, weil er ihn von der Straße haben wollte. Ja, dieser verschlagene Bursche hat ein ganz besonderes Interesse daran, daß Canist eine Zeitlang von der Bildfläche verschwindet ... daß er sozusagen zunächst einmal unschädlich gemacht wird, und zwar unschädlich für den eigentlichen Täter!
Und diese Nichtswürdigkeit, Herr Oberregierungsrat, die will ich ihm durchkreuzen. Ich glaube, wir könnten keinen besseren Mitarbeiter finden als gerade diesen Conrad Canist!«
Henderson lächelte: »Da Sie es wünschen, lieber Doktor, werden wir Herrn Canist heute noch oder wenigstens morgen herauslassen.«