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Splittericht stellte seinen Wagen bei der Weddingkirche ab. Die Turmuhr schlug zweimal ... halb vier ... er bat einen Sipo, auf das Auto achtzugeben. Dann ging der Detektiv in seinem nachlässig schlendernden Schritt nach der Boyenstraße, bog in diese ein und kam auf der linken Seite an dem Restaurant »Zur schwarzen Alma« vorüber.
Diesen lockenden Namen hatte ein Maler schwungvoll mit schwarzer Farbe auf die Scheibe gepinselt. Jetzt klebte aber innen am Glase ein Zettel, auf den eine ungelenke Hand die Worte: »Das Lokal ist vorläufig geschlossen« gemalt hatte. Hinter diesem Zettel hing ein gelber undurchsichtiger Vorhang an Holzringen von einer Messingstange, und diese Stange war so hoch angebracht, daß es unmöglich war, von außen in das Lokal hineinzusehen. Weiter rechts war ein zweites Fenster, ebenerdig wie das erste, aber viel weniger breit, das gehörte zu dem Raum, den die Wirtin als Privatzimmer für sich reservierte.
Splittericht kannte die Kneipe genau. Er dachte nicht daran, stehenzubleiben und Beobachtungen anzustellen. Sein Blick erhaschte alle diese Einzelheiten im Fluge. Im Nachbarhaus hatte ein Schuhmacher ebenfalls zu ebener Erde seinen Laden. Dort trat Splittericht höflich grüßend ein. Kaufte eine Dose Schuhcreme und verwickelte den Meister, der gerade seinen Kaffee trank und die Zeitung dabei las, in ein Gespräch über das Geschäft, über den Verkehr hier in der Straße, ob viel Laufkundschaft wäre, daß leider die Leute nicht mehr so viel auf das gute Aussehen ihres Schuhwerks gäben wie früher und daß gerade die Handwerker, auf die der Staat den größten Wert legen sollte, bei der Verteilung der Güter heute schlechter wegkämen als jeder andere.
Meister Knieriem bestätigte das aus voller Überzeugung: lieber säßen sie in der Kneipe und leerten eine Molle nach der anderen, als daß sie sich die Absätze gerademachen ließen.
»Ja«, meinte Splittericht, »aber zu gut kann das Geschäft auch nicht gehen ... ich meine die Kneipen – da nebenan hat schon wieder eine zugemacht.«
Um des Schusters strubbligen Mund zuckte es:
»Sie meinen die ›schwarze Alma‹? ... Ach, das ist was anderes! Den Saftladen hat die Polizei abgedichtet.«
»Warum denn?«
»Na, da verkehrt doch meistens nischt anderes als Klemm und Greifenberg oder Klau und Lange.«
Splittericht hob langsam den Kopf:
»Ach so ... ist die Frau denn verhaftet?«
»Woher wissen Sie denn, daß es 'ne Frau ist?« sagte der Schuster.
»Na, steht doch dran: ›Zur schwarzen Alma‹ ...«
»Ach so, ja. Nee, verhaftet is se nicht ... 's noch gar nicht lange her, da habe ich sie gesehen ... ich stand vor der Tür und sprach mit 'n Kunden, da ging sie vorbei.«
»Allein?«
»Nee, aber warum wollen Sie denn das wissen?«
»Ach, ich kenne sie eigentlich schon von früher, die schwarze Alma.«
»Wohl so 'ne Art Stiefliebste von Ihnen?«
Splittericht mit einem vieldeutigen Lächeln:
»Ist sie denn noch so hübsch?«
Der Schuster zuckte die Achseln:
»Jott, wie man's nimmt. Ne ganz ansehnliche Person is se ... wie alt wird sie denn sein? – Vielleicht dreißig ... aber die andere ist hübscher.«
»Ach, es waren zweie?«
»Ja, so'n kleiner schwarzer Lockenkopf. Die ist wirklich zum Anbeißen.«
»So, so ...«, der Detektiv sah nach der Uhr, »wenn man so ins Plaudern kommt, da vergeht die Zeit. Na, auf Wiedersehen, Meister.«
Und als er den Laden verließ, ging er erst eine ganze Strecke die Boyenstraße hinauf, ehe er umdrehte und auf der anderen Seite wieder zurückkam. Von dort beobachtete er, wieder der Kneipe gegenüber, das Geschäft abermals. Auch jetzt zeigte sich weder Leben noch Bewegung hinter der großen gelben Gardine. Splittericht ging rasch über den Damm, der von dem Schneefall der Nacht noch viel flockiges Weiß zeigte, und trat schnell ins Haus. Es war, wie er vermutet hatte: das Lokal besaß einen zweiten Zugang vom Hausflur.
Hier war trübes Licht, aber der Detektiv hatte sofort die Stablaterne bei der Hand und tupfte mit ihrem gelben Lichtring über die Türschwelle.
Es war deutlich zu sehen: frische Schneespuren eines Frauenfußes führten ins Lokal ... die schwarze Alma war also zu Hause und ihre Begleiterin wahrscheinlich auch.
Der Detektiv hielt sich nicht auf. Er war schon wieder draußen und ging nach rechts, zur Chausseestraße hin. Einen Augenblick hatte er daran gedacht, bei Frau Alma Olecki anzuläuten, aber den Gedanken gleich wieder verworfen. Wenn sie ihn erst näher kannte, dann war später ihre Beobachtung erschwert, wenn nicht unmöglich. Vor allen Dingen wollte er die Macht jenes seltsamen Zauberwortes an ihr erproben, das Husaren-Albert ihm zulegt gesagt hatte.
»Der Mixer ...?« Was mochte sich hinter dieser doch gewiß harmlosen Vokabel verstecken?
So ging er bis zur Kirche, stieg dort in seinen geschlossenen Wagen und fuhr wieder in die Boyenstraße. Er hielt vor einer Destillation, die schräg gegenüber von der schwarzen Alma, aber im Parterre des Hauses lag. – Bremste gerade vor dem Eingang, stieg vorsichtig aus und ging in das Lokal. Dort suchte und fand er einen Fensterplatz, von dem aus er bequem die Kaschemme drüben beobachten konnte.
Er ließ sich ein Glas Bier geben, an dem er kaum nippte. Dann fragte er den Wirt nach dem Telefon, das – angenehmerweise – auf dem Korridor des Lokals lag, der nach der Küche führte. Er suchte die Telefon-Nummer der Frau heraus. Es dauerte aber eine geraume Zeit, bis sich an der anderen Seite des Drahtes jemand meldete:
»Hier Olecki ... wer dort?«
Splittericht antwortete nicht gleich. Er wollte sich über den Ton der Stimme klar werden.
»Wer dort?« fragte die Frau noch einmal.
»Ist Frau Olecki selbst am Apparat? Ich möchte sie gern selber sprechen.«
»Ja. Hier ist Alma Olecki ...«
In diesem Augenblick hörte der Detektiv, der wieder einmal Glück hatte, wie die Wirtin zu jemand, der neben ihr stehen mochte, deutlich sagte:
»... 'nen Augenblick, Annette, ich komme ja gleich!«
Annette? Splittericht horchte auf. War das etwa ...
»Na, was wünschen Sie denn?« klang die Stimme von drüben. »Was wollen Sie eigentlich? Hier ist Alma Olecki!
»Ich soll Ihnen einen Gruß bestellen, verehrte Frau ...«
»Von wem denn ... wer läßt mich denn grüßen?«
Splittericht, der seine Stimme dumpf und rauh hatte klingen lassen, erwiderte jetzt beinahe unverständlich:
»Der Mixer.«
»Wie? Was? Wer läßt mich grüßen?«
»Der Mixer.«
Drüben blieb es eine ganze Weile still. Dann leise, fast zaghaft:
»Bist du es denn wirklich, Teddy?«
Und Splittericht mit halbem Lachen:
»Na wer denn sonst. Ich muß dich sprechen. Alma ... ja?«
»Gleich?«
»Ja, wenn's geht, sofort ... ich bin hier bei Staller am Neuen Tor.«
»Ich komme, Teddy! ... Ich nehme mir'n Auto und flitze runter zu dir!«
»Lieb! ... Und sieh dich vor der Tür mal um, ehe du reingehst ...«
»Na, selbstredend ...! Ich kenne sie doch alle, die Heimlichen! Also Wiedersehen.«
Splittericht hängte den Hörer an und ging nach vorn ins Restaurant an seinen Platz.
Nicht zehn Minuten später trat Frau Alma im hellen Lammpelz mit der modefarbenen Kappe auf dem schwarzen Haar aus dem Hausflur – Splittericht erkannte die Dame, die heute früh vor dem Warenhaus stand, sofort wieder!
Er wartete fünf Minuten, dann ging er hinüber, schritt schnell durch den Torweg und klingelte zweimal kräftig an dem Türeingang zum Lokal. Sein scharfes Ohr hörte drinnen ein Geräusch, als schliche eine Katze. Es war glücklicherweise kein Mensch in der Nähe. So schlug er mit der Faust ein paarmal gegen das mißfarbige Holz:
»Machen Sie auf! ... Kriminalpolizei.«
Behutsam und wohl voller Angst wurde die Tür, die nach außen aufging, geöffnet:
Annette, die Zofe, stand auf der Schwelle.
Splittericht zeigte einen Ausweis:
»Ziehen Sie sofort Ihre Kleider an und kommen Sie mit.«
Annette fing an zu schluchzen.
»Wenn Sie sich im geringsten sträuben, muß ich Sie verhaften lassen. Seien Sie vernünftig, es geschieht Ihnen nichts, aber Sie müssen sofort mitkommen.«
Splittericht stand in der Tür, die offen blieb, damit ihm das Mädchen nicht etwa nach vorn entwischte. Ein paar Frauen aus dem Hause gingen vorbei, die sahen sich neugierig um.
Dann stand die kleine Schwarzlockige mit ihren von Tränen verdunkelten Augen in Hut und Mantel vor ihm, und zwei Minuten später saß sie an Splitterichts Seite in dem graublauen Wagen, der sie rasch entführte.
Eine Stunde später war Alma Olecki wieder in der Boyenstraße. Sie ging gerade wie vorher der Detektiv mehrere Male auf der anderen Seite hin und her, mißtrauisch nach ihrem Lokal hinüberäugend. Dann behutsam in den Flur des Hauses tretend, achtete sie darauf, daß niemand sie beobachtete, und lauschte an der Tür zum Lokal lange Zeit, ehe sie aufschloß und in ihre Wohnung ging. Drin hielt sie sich nicht lange auf. Vielleicht eine Viertelstunde. Dann kam sie mit einem großen Lederkoffer heraus auf die Straße, sah sich ungeduldig nach einem Wagen um, stieg, als ein Auto vorfuhr, behende, den schweren Koffer ohne Mühe meisternd, hinein und fuhr davon.
Noch an demselben Nachmittag war die Kriminalpolizei da. Herr Flatterer und seine Leute durchstöberten die Kaschemme »Zur schwarzen Alma« bis in die geheimsten Winkel. Aber sie fanden nichts, was man auch nur hätte beschlagnahmen können. Später gingen Fahndungsblätter und der Steckbrief mit dem Bilde von Alma Olecki nach allen Richtungen der Windrose. Aber die schwarzhaarige Frau war und blieb verschwunden. Nie gewann man Klarheit über die Rolle, die sie vielleicht bei dem Bankeinbruch gespielt hatte.