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Zwanzigstes Kapitel.
Auf nach Osten!

Erfahrung ist, ohne Zweifel, sehr nützlich in der Kunst der Dampfkesselheizung, wenn man das zu seinem ständigen Beruf machen will. Aber das will niemand, außer es stünde ihm sonst nur die Wahl lebenslänglicher Strafarbeit oder des elektrischen Stuhls frei. Wenn man sich mit dieser Kunst nur als Amateur befaßt, kann man dabei ohne besondere Geschicklichkeit auskommen. Immerhin braucht man dazu eine Menge Kraft in den Armen, ein gesundes Herz und gesunde Lungen. Wenn man zu Schnupfen disponiert ist, wird man es gesünder finden, einen Mord zu begehn.

Trotzdem hat man, nach meiner Erfahrung, als Dampfkesselheizer eine Menge Vorteile. Erstens muß er sich nicht waschen. Er kann es ja tun, wenn er will – ich habe nie gehört, daß es eine Verordnung dagegen gibt –, aber da höchstens das Abziehn der Haut etwas nützen könnte, so gibt er sich da nicht erst viel Mühe. Aus ähnlichen Gründen braucht er sich um Kleider nicht zu kümmern. Schließlich wird er von seinen Vorgesetzten, den Offizieren, dem Kapitän, dem Säckelmeister, den Ingenieuren und allen anderen so behandelt, als sei er ein Herzog. Ich weiß, daß dies nicht der allgemeine Eindruck ist, aber ich spreche aus persönlicher Erfahrung. Es ist allerdings wahr, daß ich während meiner Beschäftigung auf dem Ozeandampfer, der von New York nach England fuhr, zu jener glücklichen Familie gehörte, die man Streikbrecher nennt.

Es war eher Zufall als Bestimmung, daß ich Heizer und Streikbrecher wurde. Es ging mir damals in New York ganz gut, das heißt, ich hatte sehr oft satt zu essen. Und was noch mehr ist, ich hatte glänzende Aussichten. Glücklicher als der Esel im Sprichwort, hatte ich drei deutliche Laufbahnen vor mir. Ich hatte die Möglichkeit – ja, wirklich – Geistlicher zu werden. Das Angebot kam aus Connecticut, von meinem alten Freunde Wolff, der mir schrieb, er glaube, irgendwo in meinem Innern lägen Kräfte der Gnade versteckt. Und zwei seiner Bären seien tot und der dritte habe sich Unannehmlichkeiten zugezogen, weil er versucht habe, das Weib eines angesehenen Gemeindemitglieds zu umarmen. – Dann begegnete ich zufällig dem Kapitän Lane, der sich mit Heiratsabsichten trug, und ich erfuhr von ihm, daß Helgas Vater das Dauerangebot gemacht habe, mir in seinem Betrieb eine Anstellung zu geben, die etwas mit Maschinschreiben zu tun hatte. Nebenbei erfuhr ich von Kapitän Lane, daß Helga selbst ihm versichert habe, ich sei ein russischer Prinz, der vor dem Zorne seines Onkels, des Zaren, geflüchtet sei, und so merkte ich zu meiner Freude, daß ihre Gesundheit durch jenes Tauchbad nicht gelitten hatte. – Mein Freund Dempsey war wieder an seinen Posten zurückgekehrt, und als ich ihm erzählte, wie man mich, in Amicus für einen Detektiv gehalten habe, meinte er, ich könne, bei einiger Protektion, die er mir bieten wollte, in das Polizeiheer eintreten, mit der guten Aussicht, Detektiv zu werden.

So standen meine Aussichten am besten, als ich New York verließ, obwohl, wie ich hoffe, nur für einige Zeit. Unfähig, zwischen den verschiedenen blendenden Möglichkeiten zu entscheiden, zauderte ich. Man erwartete einen Streik in einem der großen Hotels am Central-Park. Es gibt freilich fast immer einen drohenden Hotelstreik in New York, aber von diesem erfuhr ich zufällig durch einen Mann, den ich in Macgregors Bar traf. Man erwartete, daß man für ein oder zwei Wochen Aushilfskellner brauchen werde und mir fiel ein, daß ich keinen Frack habe. Der Streik sollte kaum vor vierzehn Tagen ausbrechen, und während die New Yorker Schneider mir hartnäckig Kredit verweigerten, gab es einen in London, auf dessen unbegrenztes Vertrauen ich noch immer bauen durfte. Ich rechnete mir aus, daß ich gerade Zeit hätte, nach London zu fahren, mir dort Kleider zu verschaffen und rechtzeitig zurück zu sein, um mich um die Arbeit zu bewerben.

Gerade damals bekam ich durch das Versehen irgendeiner Zeitung das Geld, das sie mir schuldig war und das, zusammen mit den fünfundachtzig Cent, die ich mir erspart hatte, für die Rückreise – Zwischendeck – genügte.

Das entschied, und ich wollte gerade meine Karte lösen, als ich von dem Seemannsstreik, den der Himmel gesandt hatte, erfuhr, und so bekam ich die Überfahrt umsonst und noch fünfzehn Dollar dazu. Gottlob! Ich war als Heizer hundertmal besser daran, als die unglücklichen Zwischendeckpassagiere, die ungefähr ein Pfund pro Tag gezahlt und dafür das Privileg hatten, mit sich herumstoßen zu lassen.

Ich glaube, eine so gemischte Gesellschaft von Heizern war seit Noahs Tagen nicht beisammen. Die Autoritäten auf dem Dampfer waren nur darum besorgt, das Schiff nach England hinüberzubringen, wo kein Streik war und wo sie damit rechnen durften, eine ordentliche Mannschaft anzuwerben; deshalb nahmen sie jeden, den sie bekommen konnten. Viele von uns waren noch nie auf hoher See gewesen, und da die Fahrt ziemlich stürmisch war, könnte nur die zarte Feder einer Romanschriftstellerin den Szenen des ersten und zweiten Tages im Heizraum gerecht werden. Wir brauchten zur Überfahrt elf Tage statt sieben und als wir den Hafen erreicht hatten, waren die meisten von uns rekonvaleszent. Ich war bei meinen Vorgesetzten sehr beliebt, denn ich war dumm genug, mich nicht seekrank zu stellen, bis es dann zu spät war, und so hatte ich wirklich viel Arbeit mit Kohlenschaufeln. Es war das eine sehr harte Arbeit, besonders da es häufig geschah, daß man auf dem Kopf stehen mußte, während das Schiff noch nicht wußte, wie es einer besonders schrecklichen Woge ausweichen solle. Wir Heizer waren überall gewesen und hatten alles getan, vom Milchkarrenschieben bis zur Leitung eines Kohlentrusts, alles, nur nicht Dampfkesselheizen. Unter uns gab es auch Neger, und alle waren sie durch einen merkwürdigen Zufall nahe Verwandte von Booker Washington, alle, außer einem einzigen, der religiös veranlagt war. Er stammte in direkter Linie von einem Heiligen-Drei-König – von Balthasar – ab und war sehr stolz darauf.

Ein Streikbrecher darf nicht erwarten, beliebt zu sein; aber ich muß sagen, daß niemals vorher oder nachher so viele Leute darnach begierig waren, meine Bekanntschaft zu machen. Sie pflegten, fünfzig auf einmal, um die Werft der Schiffsgesellschaft herumzustreichen und uns um Interviews zu ersuchen, während sie Ziegel- und Pflastersteine, Knüttel und Revolver emporhielten, um uns damit aufzumuntern. Wir hatten nicht das Glück, persönlich mit ihnen zusammenzukommen; wir wurden auf einem Schlepper an Bord gebracht, indem wir von der East-River-Werft, an der anderen Seite der Insel, abfuhren, und sobald wir einmal an Bord waren, blieben wir da. Sie ließen den Mut nicht sinken, und als die Reise begann, heuerten sie eine Anzahl von Schleppbooten und begleiteten uns zum Hafen hinaus, während sie uns »Lebewohl« und andere Freundlichkeiten durch das Megaphon zuriefen. Im übrigen war das angenehme Gerücht verbreitet, daß sich in den Kohlenvorräten wahrscheinlich Dynamitbomben finden würden, das heißt, erst dann finden, wenn sie schon im Ofen wären und wir zum Himmel flögen.

Wenn das ein Nachteil ist, so hat Streikbrechen auch seine Vorteile. Nach den schlechten Erfahrungen, die sie mit ihren letzten Angestellten gemacht hatten, gaben sich die vorgesetzten Herren ordentlich Mühe, einem das Leben angenehm und glücklich zu gestalten. Man muß keine Sorge haben, daß die Passagiere streiken, denn wenn sie das täten, wäre das nur zum Vorteil der Schiffahrtsgesellschaft, die sie in Ketten legen, mit Brot und Wasser füttern ließe, und so Geld sparen würde. Mit uns konnten sie das nicht tun, außer sie wollten ewig mitten im Atlantischen Ozean bleiben wie der fliegende Holländer. Wir versäumten keine Zeit, sie die Lage der Dinge wissen zu lassen – ich meine diejenigen unter uns, die nicht seekrank waren.

Am Tage nach unserer Abfahrt von New York erklärten die Kühnsten unter uns, wir könnten unmöglich arbeiten, wenn wir nicht bessere Kost bekämen. Bis dahin hatten wir die gleiche Kost wie die Zwischendeckpassagiere bekommen, aber von da an bekamen wir die Verpflegung der Kabinen zweiter Klasse, und was wir übrigließen, bekam das Zwischendeck. Nach ein oder zwei Tagen fühlten wir uns wieder unzufrieden – diesmal waren es mehr – und der Kapitän, der Oberingenieur, der Säckelmeister, alle entschuldigten sich der Reihe nach bei uns und sagten, wir könnten alles haben, was wir nur wünschten – und die unglücklichen Zwischendeckpassagiere mußten wieder herhalten. Niemals vorher ist mir die erstaunliche Geduld (wenn das das rechte Wort dafür ist) der Armen so zu Bewußtsein gekommen. Es waren hauptsächlich Italiener aus den pennsylvanischen Kohlenminen, die auf Urlaub nach Italien zurückfuhren. Es gab einen geringen englischen Einschlag und keine Amerikaner darunter. Es war das ein amerikanisches Schiff und die Amerikaner wußten Bescheid. Die Reisenden zahlten so viel, als sie in einem guten englischen Hotel hätten zahlen müssen, und doch wurden sie angeschrien, beschwindelt, schlecht behandelt, von jedermann – vom Kapitän und Steward bis hinunter zum Schiffsjungen.

Sie schliefen auf Matratzen, die mit muffigem Seegras gefüllt waren. Ich war mit dabei, als wir bei unserer Ankunft in England die Matratzen über Bord leerten, und ich werde das so bald nicht vergessen. Sie hatten drei eiserne Waschbecken und kein Wasser zum Waschen – es waren ihrer an die hundert – und so wuschen sie sich während der ganzen Fahrt überhaupt nicht. Von einem Bad ließen sie sich nicht einmal träumen – davon sprachen nur die Ankündigungen der Schiffahrtsgesellschaft – und die Klosetts hätten jedes Schwein, das sich je im Kot gewälzt hat, beleidigt. Fast alles Essen, das sie bekamen, war ungenießbar, das Fleisch übelriechend und so weiter. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß die Schiffsmannschaft es zurückwies. Zu ihrem Glück war das Zwischendeck nicht überfüllt. Wie es auf der umgekehrten Route sein muß, wenn das Schiff vom Bug bis zum Heck voll besetzt ist, läßt sich nicht ausdenken. Dies war, wie gesagt, ein amerikanisches Schiff, aber es hatte keine geringeren Preise als die Schiffe der anderen Staaten; sogar die französischen sind besser; und die deutschen behandeln die Zwischendeckreisenden wirklich menschlich. Kein Tag verging, ohne daß ich Gott dankte, daß er mich vor einem solchen Schicksal bewahrt und mich zu einem Heizer und Gentleman gemacht habe.

Es war das aus vielen Gründen eine angenehme Reise. Erstens gab es auch nicht einen Hauch von Disziplin, was die Bemannung betraf. Zwei Drittel von uns – Heizer, Stewards, Matrosen oder wie immer die technischen Ausdrücke sind – waren nie vorher an Bord gewesen. Die unglücklichen Offiziere erkannten bald, daß es nutzlos sei, uns irgendwas zu lehren, und so machten sie alle Arbeit selbst. Die übrigen unter uns verbrachten die Zeit mit Brummen, Kartenspielen und Münzenwerfen, wenn wir nicht mit den jungen Damen vom Zwischendeck koketierten. Außer Dienst, verbrachten wir die meiste Zeit mit den Zwischendeckpassagieren – was natürlich streng verboten war –, und sehr nette Leute waren es, mit einer grenzenlosen Geduld, wie schon gesagt. Ich machte mir das Vergnügen und versuchte unter ihnen eine Verschwörung gegen den Schiffsapotheker, dessen Benehmen mich ärgerte, anzuzetteln, und ich glaube, es wäre auch etwas daraus geworden, hätte nicht einer unter ihnen eine Mandoline und ein anderer eine Guitarre besessen. Deshalb widmeten sie all ihre Zeit statt Meutern und Morden, Tanzen und Singen. Die Männer waren natürlich in der Überzahl und so mußten Männer mit Männern tanzen, und sie walzten wunderschön. Einige Anglosachsen versuchten Foxtrott und Teddybär-Blue einzuführen, aber sie hatten damit kein Glück.

Wir kamen schließlich wohlbehalten im Hafen an, mehr durch Glück als durch Verdienst, wie ich wenigstens glaube, und ich behob mein Geld und stieg in den lieben kleinen Spielzeugzug und sauste gegen London, durch die hübsche Landschaft, die so sauber und rein und süß aussieht, daß man in fortwährender Angst ist, jemand könnte ein Stück Papier aus dem Fenster werfen und die Landschaft verderben. Es war das eine seltsame Reise, und ich glaube kaum, daß ich es besonders wünsche, noch einmal einen streikbrechenden Dampfkesselheizer zu spielen. Aber ich habe eine Weisheit gewonnen, die mehr wert ist als das. Wenn mirs nächstens sehr schlecht geht und ich nach Amerika will, so werde ich nicht als Zwischendeckpassagier reisen. Ich werde es als blinder Passagier versuchen und dabei noch Geld sparen. Ein blinder Passagier bekommt ebensogute Kost und die Behandlung ist viel besser!

 

Ende

 


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