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Siebentes Kapitel.
Beim Film

Ich glaube, daß es wenigstens zweimal soviel englische Baronets in New York geben muß wie in London. Mit dreien von ihnen habe ich mich in einer einzigen Nacht auf den Bänken des Madison-Square, wo sie meist zu schlafen pflegen, angefreundet. Ich habe mir sagen lassen – für die Wahrheit kann ich mich allerdings nicht verbürgen –, daß man an jedem schönen Nachmittag Hunderte von ihnen im Zentral-Park-Zoo sehen kann, wie sie hungrig zuschauen, während man die Tiere füttert. Im Vergleich dazu ist das Vorkommen der hohen Aristokratie sehr spärlich, selbst Honourables (das ist: jüngere Söhne) sind selten, und ich habe nur einen einzigen wirklichen Pair getroffen. Seinem Beruf nach war er ein Sammler von Wohltaten, und er gestand ganz offen ein, daß er sich seinen Titel aus philanthropischen Gründen angemaßt habe. Fast ebenso zahlreich wie die Baronets sind die Hauptleute der englischen Armee vertreten. Sie haben selbstverständlich entweder bei der Garde oder bei den Ulanen gedient. Ich habe nie einen englischen Offizier von einer anderen Waffengattung oder anderem Rang unter den Obdachlosen getroffen, bis auf einen Feldmarschall, mit dem ich ein paar Tage lang sehr vertraut war und der sich damit befaßte, daß er Kindern, die man etwas kaufen geschickt hatte, das Geld abnahm. Er war übrigens nur aus Cuba, und es wurde in unseren Kreisen lebhaft angezweifelt, ob er überhaupt das Recht habe, einen höheren Rang zu beanspruchen als den eines Generals.

Wenn die New Yorker Witzblätter einen englischen Aristokraten darstellen wollen, so begaben sie ihn immer mit einer Aversion gegen den Buchstaben H. Dieser Glaube ist so weit verbreitet, daß, als vor einiger Zeit der Herzog von Connaught New York besuchen sollte, sich die Honoratioren dieser Stadt, welche Aussicht hatten, ihm vorgestellt zu werden, stundenlang darin übten, alles ohne H auszusprechen, mit der freundlichen Absicht, daß er sich bei ihnen ganz wie zu Hause fühle. Jeder Mensch, der so viele englische Baronets im Exil getroffen hat wie ich, wird verstehen, woher dieser Glaube kommt. Als ich vorübergehend selbst die Baronetswürde annahm, konnte ich nie begreifen, wieso mich die simpelste Wirtin sofort als Betrüger entlarvte. Bis ich dann drei Wochen lang mit einem andern Aristokraten als Gehilfe bei einem Italiener arbeitete, der einen Erdnüssestand an einer Ecke der Sixth-Avenue hatte, entdeckte ich die wahre Ursache: ich hatte nicht den richtigen Akzent. (In London sind es allerdings eher die Droschkenkutscher als die Aristokraten, die das H nicht aussprechen.) Wenn ich sage, ich war Gehilfe, so muß ich erklären, daß der Italiener gern ein bißchen trank und daß Sir Allured – ich meine meinen Kollegen – und ich abwechselnd den Stand während seiner Abwesenheit betreuten und dafür, je nach Zeitaufwand und Geschäftserfolg, Erdnüsse im Werte von zwei bis drei Cent als Lohn erhielten. Erdnüsse sind kolossal sättigend und eine Zeitlang lebte ich buchstäblich von nichts anderem. Dann aber hörte ich, es sei verboten, die Eichhörnchen im Zoo damit zu füttern, weil sie davon die Räude bekämen – und so entschloß ich mich, meine Diät zu ändern.

In die Erdnüssebranche kam ich, nachdem ich meine Stelle bei Herrn Cholmondely aufgegeben hatte. Heute hätte ich wahrscheinlich bei einigem Glück meinen eigenen Stand, wäre ich nicht eines Tages einer alten Kundin, dem Fräulein Lamartine vom Operettentheater begegnet. Sie war das liebe Mädl, das mich in Herrn Cholmondelys Geschäft mit Sandwiches bewirtet hatte, und als sie hörte, all meine irdische Habe bestehe aus drei Kragen, die ich bei mir in der Tasche herumtrage, bis ich es mir einmal leisten könne sie putzen zu lassen, schlug sie mir vor, ich solle zum Film gehen. Sie war selbst dabei, und sie glaubte, sie könne mir behilflich sein, dort unterzukommen. Ich wußte nicht, was ich dort zu machen hätte, aber als sie mir sagte, ich bekäme drei bis fünf Dollar täglich, war ich sofort bereit.

Theaterleute sind sprichwörtlich freigebig, in New York wie überall. Als wir uns darüber einig waren, daß meine Kleider nicht darnach seien, Vertrauen zu erwecken, führte sie mich zu einem ehemaligen Kollegen, der in East-Side wohnte. Und da er nicht mehr Geld hatte als sie, bot er mir freundlich an, mir seinen einzigen Anzug zu borgen, der außerordentlich elegant war und in dem ich mich der Schützenheimer-Film-Gesellschaft vorstellen sollte, während er selbst so lange im Bette bliebe, bis ich zurückkäme. Was er getan hätte, wenn ich nicht gekommen wäre, schaudere ich zu denken. Zur Ehre meines Vaterlandes darf ich sagen, daß ich der Versuchung widerstanden habe. In Anbetracht meiner Nationalität paßten mir seine Kleider ganz gut – der durchschnittliche New Yorker hat ein Vorurteil gegen englischen Schnitt und zieht eine Art Kleidung vor, in die er sich fünffach wider den kalten Atem der Welt einwickeln kann. Ich bekam die Stelle.

Das amerikanische Bühnenpersonal besteht hauptsächlich aus englischen Schauspielern, die daheim kein Auskommen finden können. Wenn der englische Schauspieler auf der Sprechbühne keinen Erfolg hat – was gar nicht selten ist –, so geht er zum Film. Bei der Schützenheimer-Gesellschaft waren sehr viele Engländer – mit dem gehörigen Einschlag an Baronets und Hauptleuten.

Ich habe nie eine angenehmere Zeit erlebt. Das einzig Mißliche daran – allerdings etwas sehr Ernstes – war die Notwendigkeit, um sechs Uhr früh aufzustehen. Das Schützenheimer-Atelier war auf der anderen Seite des Hudson, und die Arbeit begann um acht. Sie drehten in jener Woche einen streng moralischen Film, der die üblen Folgen der Spielsucht zeigte. In einer Szene wandert der Spieler in den Wald und fällt in Schlaf. Über seinem Haupte entspinnt sich ein wütender Kampf zwischen einer Legion von Teufeln und seinem Schutzengel. Ich war einer von diesen Teufeln, obwohl der Regisseur meinte, ich sei etwas zu dick für diese Rolle. Ich weiß, ich war ein hervorragender Teufel. Mein Kostüm war schwarz und eng anliegend und ich trug Hörner und einen Schwanz. Der Platz, wo wir diese Szene arbeiteten, war im Wald, ungefähr drei Meilen vom Atelier entfernt. Wir fuhren, vollkommen kostümiert, im Auto der Filmgesellschaft hin, aber wir bekamen eine Panne und mußten zurückgehen. Fräulein Lamartine, die der Engel war, und ich wollten einen abgekürzten Weg gehen und konnten dann die anderen nicht mehr finden. Nachdem wir etwa eine Stunde herumgeirrt waren, kamen wir zu einer Reihe von Häusern, die noch im Bau begriffen waren. Dieser Teil von New Yersey, wird allmählich zu Vororten ausgebaut, so daß dort halbfertige Straßen und jungfräuliche Wälder ganz komisch durcheinander gemischt sind. Vor dem letzten Hause sahen wir einen Arbeiter, der mit irgend etwas beschäftigt war, und ich ging zu ihm hin, um ihn nach dem Weg zu fragen. Sobald er mich erblickte, fiel er auf die Knie und beteuerte, er habe nur einen kleinen Schluck genommen und sein Gelübde fast gar nicht gebrochen, und wenn ich ihm nur dieses einzige Mal noch schonen wolle, so werde er solange er lebe keinen Tropfen mehr trinken. Als Fräulein Lamartine hinzutrat, ganz in Weiß und mit goldenen Flügeln, da begann er vor Freude zu weinen, daß sein Gebet erhört sei.

Es war meine eigene Schuld, daß ich nicht bei den Schützenheimern blieb. Ich hatte nämlich herausgefunden, daß ich zu der Siebenuhrfähre nur dann zurechtkommen könne, wenn ich die ganze Nacht vorher aufbleibe. Einer von den Filmleuten gab mir eine Empfehlung an einen Mann, der eine Schaubude in Coney-Island, gegenüber dem Luna-Park, hatte, und der dringend einen indischen Magier brauchte. Er zahlte weniger als die Filmgesellschaft, aber da die Arbeit erst um drei Uhr nachmittag begann, so bewarb ich mich um den Posten und bekam ihn.


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