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Siebzehntes Kapitel.
Unter der roten Laterne

Es gibt in New York nur drei Leute, die nicht gestehen, daß sie in der Lage sind, ganz genaue Auskunft über die Entstehung aller Polizeiskandale der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu geben. Diese drei Leute sind hohe Polizeibeamte, und ich gehöre nicht dazu. Ich habe tatsächlich einigen Einblick in das Rote-Licht-System gewonnen, und zwar zu einer Zeit, als ich Aushilfstorwärter in einer Spielhölle im eleganten Viertel war. Das geschah, nachdem ich Macgregors Bar verlassen hatte und als mein Varietéabenteuer jämmerlich mißlungen war und während ich mich noch als Journalist versuchte.

Es war ein Stammgast in unserem Café, der mich zuerst dazu verleitete, mein Glück beim Singspiel zu versuchen. Es war das ein Amerikaner – einer der wenigen, die ich in New York gesehen habe – und das bedeutete natürlich, daß er den Plan hatte, das ganze Varietégeschäft in den Vereinigten Staaten aufzukaufen, wobei Großbritannien als eine kleine Kolonie inbegriffen war. Er arbeitete seinen Plan bis in die kleinsten Details aus, wobei er Nächte lang in der Familienabteilung aufblieb, und ich zweifle nicht, er hätte einen wunderbaren Erfolg gehabt, wenn er nur imstande gewesen wäre, die fünf Dollar aufzubringen, die für Stempelpapier erforderlich waren – eine wesentliche Voraussetzung für allen geschäftlichen Erfolg in Amerika. Ich bedaure meine zeitweilige Verbindung mit ihm nicht, denn dadurch kam ich in zufällige Berührung mit einem Mann, der eines der kleinen Tingeltangel auf der East-Side betrieb, und unter seinen Auspizien hatte ich mein Debüt. Mein Auftreten dauerte nur eine Woche und ich kann nicht behaupten, daß ich ausgesprochenen, Erfolg hatte. Aber es war ganz lustig, solange es dauerte. Meine Partnerin war Fräulein Lamartine, an deren Namen man sich noch erinnern wird. Sie ist sehr klein; mich haben meine Feinde dick genannt, und ich habe eine ziemliche Länge. Ich war als Baby kostümiert, in langen Kleidern, und Fräulein Lamartine war als Kindermädchen gekleidet, wie sich das so ein Singspieldichter vorstellt und sie schob mich über die Bühne in einem Kinderwagen, der nur in Amerika dafür gelten konnte. Und wir sangen Lieder und plapperten irgendwas. Ich glaube, wir hatten daran mehr Spaß als unser Publikum. Da dieses meist aus Griechen, Italienern und russischen Juden bestand, glaube ich nicht, daß sie verstanden, was wir sagten. Aber es war sehr nett, und es gab keine Skandale oder andere Unannehmlichkeiten. Wir bekamen danach kein Engagement mehr und so war die Spekulation zu Ende. Ich kann nicht behaupten, daß ich in dieser Zeit viel über das amerikanische Varieté lernte. Der einzige Unterschied, den ich bemerken konnte, war, daß, während man in der alten Welt seine Kollegen erst duzt, nachdem man wenigstens drei Worte gewechselt hat, man in Amerika Leute, die man nie gesehen hat, sogar in Geschäftsbriefen mit Kosenamen anspricht und den Brief mit herzlichen Grüßen und tausend Küssen schließt.

Ich war klug genug, meine kleine journalistische Verbindung in der Zwischenzeit nicht aufzugeben. Aber nichtsdestoweniger begann ich mich um eine andere Beschäftigung umzusehen. Mit den Honoraren steht es in New York womöglich noch schlechter als in London – was ihre Bezahlung betrifft. In London freilich lassen sie einen oft sechs Wochen auf das Geld warten und laden inzwischen die Verantwortlichkeit für die Mahlzeiten des Autors auf die breiten Schultern der Korporation. In New York dauert es häufig bis zu drei Monaten – wie in meinem Fall – und je besser das Blatt, um so länger muß man warten. Ich schrieb einige Artikel für eine New Yorker Tageszeitung, die allgemein für eine der besten gehalten wird. Nach neun Wochen verlangte ich mein Honorar. Der Mann, bei dem ich es verlangte, war darüber sehr ärgerlich und sagte, ich sollte ihn doch nicht mit solchen Kleinigkeiten belästigen. Ich kämpfte mich weitere drei Wochen durch und dann sagten sie mir, sie könnten die Angelegenheit nicht so weit zurückverfolgen. Schließlich bekam ich mein Geld, indem ich in den zweiundzwanzigsten Stock zum Zimmer des Besitzers hinaufging, mich auf die Schwelle setzte und durchs Schlüsselloch jammerte. Kaum waren zwei Stunden vergangen, da sagte er, es ginge ihm auf die Nerven und gab mir eine Anweisung an den Kassier. So etwas mußte ich nicht einmal in London tun.

Meine journalistische Tätigkeit war der Grund, warum ich Spielhöllenbeamter wurde. Ich wollte mich selbst angenehm bekannt machen, auf andern Wegen als durch Nachahmung des armen Lazarus. Ich ging zu meinem alten Schutzpatron, dem Polizisten Dempsey, bat ihn um Vorschläge und er verschaffte mir den Posten. Es war in einem einfachen Haus aus braunem Haustein in einer der Straßen zwischen Sixth-Avenue und Broadway. Die meisten Spielsalons, Bordelle und Nachtlokale sind hier zusammengedrängt und außerdem gibt es da die Wohnungen der Theaterleute und billige Restaurants. Unser Etablissement war sehr diskret, mit Vorhängen an den Fenstern und einer hohen Treppenflucht vor dem Eingangstor. Es gehörte einem Stadtrat und die obern Stockwerke waren an Theaterleute vermietet; wir benützten nur Parterre und Hochparterre. Gleich andern verrufenen Orten in New York wurde unser Lokal mit fast klösterlicher Ehrbarkeit geführt, kaum daß man je Stimmen hörte, die sich über ein Flüstern erhoben, außer am frühen Morgen, wenn man die Betrunkenen bequem auf Sofas im Vorzimmer bettete. Wir hatten eine vornehmere Kundschaft als fast unsere ganze Konkurrenz, und zwar aus einem ziemlich merkwürdigen Grund. Die Polizisten, die im Dienst waren, wiesen nie irgendwelche zufällige Gäste an uns, alles geschah durch Einführung. Sonst, wenn man in New York Lust zum Spiel hat oder zu anderem unehrbaren Amüsement, begibt man sich nach jenem Teil des Broadway zwischen der Ecke des Central-Parks und Macey's – allgemein als »großer weißer Weg« bekannt, wegen seiner Lichtreklame –, fragt den ersten besten Polizisten und der zählt einem eine ganze Reihe von Adressen auf. Man kann natürlich auch einen Taxichauffeur fragen, aber die Etablissements, die er einem empfiehlt, sind gewöhnlich nicht erstklassig.

Da nun meine Hölle von der Polizei nicht rekommandiert wurde, war sie offiziell überhaupt kein Spielsalon. Der Stadtrat und andere hochgestellte Herren, denen der »Laster-Trust« gehört, haben ihn zu einem sehr exakten Geschäft gemacht, bei dem sich jeder ganz genau auf seine Angelegenheiten zu beschränken hat. So darf sich ein Stadtrat, der Spielhöllen betreibt, nicht mit Bordellen befassen. Wenn er es tut, so muß es heimlich sein und auf die Gefahr hin, von der Polizei ausgehoben zu werden, weil er die entsprechenden Bestechungen nicht bezahlt. Unser Besitzer beschränkte, dem Namen nach, seine geschäftlichen Fähigkeiten auf den weiblichen Sklavenhandel, worin er sozusagen Oberdirektor war. Aber er hatte eine napoleonische Seele und trachtete auch nach den höheren Profiten der Spielhölle. So waren wir dem Namen nach ein Freudenhaus und als solches in den offiziellen Registern geführt und zahlten auch nur diesen Bestechungstarif – den kleineren von beiden. Dementsprechend waren wir äußerst diskret und gut geleitet. In diesem Häuserblock konnte man regelmäßig jede Nacht – Sonntag inbegriffen – unzählige Grammaphone die Klänge von »Jeder, jede tut es gern« gen Himmel schmettern hören, von Mitternacht bis neun oder zehn Uhr am nächsten Morgen. Man konnte besoffene Chöre hören, weibliche Stimmen »Mord« kreischen und andere Freudenlaute. Doch niemals aus unserem Haus. Wir hätten ebensogut eine Vereinigung von Bischöfen sein können.

Wir wurden nicht ausgehoben, solange ich dort war und es gab keine Störungen irgendwelcher Art. Das Leben war dort tatsächlich tödlich langweilig, doch die Bezahlung war gut. Und ich lernte eine ganze Reihe von Spielen, die mir bis dahin unbekannt waren. Aber der Champagner war abscheulich – irgendeine schreckliche kalifornische Marke in Perrier-Jouet-Flasehen gefüllt –, und ich hatte Angst vor Diabetes und kündigte.


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