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Achtes Kapitel.
Der Magier von Coney-Island

Coney-Island ist der Prater der New Yorker. Es besteht aus einer langen Straßenreihe von vorstadthaftem Charakter, und einer Unzahl von kleinen Alleen, die nur für Fußgänger bestimmt sind und zum Meere führen. Coney-Island mit seinen hölzernen Schaubuden – dort war ich eine Zeitlang indischer Magier.

Auf den hervorragend künstlerisch ausgeführten Tableaux, die die Front des Zeltes bedeckten, in welchem ich meine magischen Künste vorführte, war ich als Brahmane der obersten Kaste dargestellt, und zwar mit weißem Bart und auf einem Teppich sitzend, umringt von orientalischem Huris. In Wirklichkeit hatte ich keinen Bart, und es gab einen ganz erbärmlichen Mangel an Huris. Statt dessen gab es eine bärtige Dame – vollkommen echt und ziemlich rührend, wenn man sah, wie sie die obere Partie ihres Antlitzes mit einem Eifer und Ernst puderte, die weit über den Zweck hinausgingen –, ferner eine Dame mit vier Beinen, der magerste Mann der Welt, und dann ein Riese – ich glaube, der zaghafteste der Welt; außerdem zwei schreckliche Mißgeburten von Negerinnen, als Bärenmenschen ausgerufen, und eine Schlangenbeschwörerin, angeblich echt orientalisch, aber keineswegs das, was man sich unter einer Huri vorstellt.

Wir waren auf kleinen Tribünen verteilt, die im Innern des Zeltes aufgestellt waren, jede so groß wie ein großer Speisetisch. Alle zehn Minuten machte ein Ausrufer den Rundgang und beschrieb uns einem verehrten Publikum, das zehn Cent Eintrittsgeld bezahlt hatte. Von diesem Ausrufer erfuhr man, daß ich sowohl ein Magier sei und ein Brahmane der vornehmsten Kaste, als auch ein Fakir und ein Guru. Um die Wahrheit zu gestehen, ich hatte ihm selbst vorgeschlagen, daß ich ein Guru sein solle, und die Idee gefiel ihm. Keiner von uns beiden wußte, was das Wort bedeute – ich hoffe, es ist nichts Unanständiges –, jedenfalls hatte es eine orientalische Atmosphäre an sich. Ich sei der Vertraute einer langen Reihe von indischen Vizekönigen; ich habe König Eduard, Kaiser Wilhelm und den Präsidenten der Schweizer Republik von chronischen Gesichtskrämpfen geheilt; ich sei herübergekommen, um die westlichen Hänge der Rocky-Mountains nach Heilkräutern zu durchsuchen, und auf meiner Heimreise nach Mofusselbad habe man mich gegen eine enorme Gage dahin vermocht, daß ich die Reise in Coney-Island unterbreche. Ich bekam zwölf Dollar wöchentlich und zwei Mahlzeiten täglich, und hatte die Erlaubnis, im Zelt zu schlafen, wenn die Finanzen flau waren – aber das alles erwähnte der Ausrufer nicht.

Meine eigentliche Aufgabe war, kleine Flaschen mit Zahnschmerztinktur zu verkaufen zum herabgesetzten Preis von zehn Cent pro Stück – an gekrönte Häupter nie billiger als um hundert Dollar abgegeben, und auch dann nur an Potentaten in etwas gedrückten Vermögensverhältnissen. Zu diesem Zweck hatte ich einen Turban, eine olivfarbene Haut, einen Gong, den ich in geschäftslosen Augenblicken mit den Fäusten bearbeitete, und ein orientalisches Gebet, das ich kniend anstimmte, während ich abwechselnd mit der Stirn gegen den Boden schlug und die Hände gegen Himmel hob. Es war ein ausgezeichnetes Gebet und es hatte hervorragenden Erfolg. Es war auch eine ausgezeichnete Zahnschmerztinktur; ich stellte sie selbst her, vor den Augen des Publikums, aus einer großen Wurzel, die wie Käse aussah und so roch, wie sich ein Schwein das Paradies vorstellt. Ich kochte die Tinktur in einer indischen Metallschale über einem Holzkohlenfeuer. Ich pflegte das Publikum in einem blumigen Englisch anzureden – eine wahrhaft herzbewegende Ansprache –, die Herr Czartorisky, mein Chef, sich von einem Redakteur der »New York American« hatte verfassen lassen. Gewöhnlich war das Publikum davon vollkommen befriedigt, aber eines Abends sprach mich ein junger Mann, ein Schlaumeier, in meiner Muttersprache an. Er war in Begleitung einer jungen Dame, zu der er ganz laut sagte, ich sei ein Schwindler, und darüber ärgerte ich mich, denn ich mußte mir mein Brot doch schwer verdienen. Er sagte, er habe eine lange Zeit in Calcutta gelebt. Die junge Dame schlug ihm vor, er solle mich entlarven, und zu diesem Zweck ging er nach vorne, während die Menge erwartungsvoll dastand. Ich spürte, wie der Ausrufer hinter mir so zitterte, daß die Tribüne schwankte, aber ich war nicht beunruhigt. Ich hatte in den Augen des Jünglings einen flehenden Ausdruck bemerkt, der deutlicher sprach als hundert Kabeltelegramme. Demnach, als er mich in einer unbekannten Sprache anredete, antwortete ich ihm in einem Hindudialekt, über den ich selbst erstaunt war. Wir hatten eine nette kleine Plauderei zusammen, zur Bewunderung aller Zuhörer, wonach ich ihn auf Englisch als »Lord Sahib« begrüßte und ihm sagte, er erinnere mich an Lord Curzon, der zwei Dutzend Flaschen meines Spezifikums gekauft habe, und ich hoffe, er würde ihm nicht nachstehen. Er war ein sehr netter Junge; er kaufte ein Dutzend Flaschen und gab mir eine Fünf-Dollar-Note dafür – mindestens ein Drittel seines Wochenlohns, wie ich glaube. Aber wenn du, lieber Leser, den Blick in den Augen der jungen Dame hättest sehen können, so hättest du begriffen, daß es für ihn so viel wert war. Ich gab ihm meinen Salaam, als er, rot vor Freude, wegging, nannte ihn »Lord Sahib aller Elefanten« – und die junge Dame küßte ihn, noch bevor sie aus dem Zelt waren. Das Publikum rief »Hoch!«, und in weniger als fünf Minuten war mein ganzer Vorrat ausverkauft. Ein sehr einfältiges Volk, diese große amerikanische Nation, einfältiger sogar, glaube ich, als die Engländer. Ich will damit nicht sagen, daß sie keinen Vorausblick hätten. In der nächsten Woche bekam ich zwei schriftliche Heiratsanträge, und in beiden wurde verlangt, ich müßte alle anderen Weiber weggeben, die ich vielleicht schon in Indien habe. Die eine Dame fügte hinzu, ich dürfe von ihr nie verlangen, auf einem Kamel zu reiten.

Wir waren in der Tat eine glückliche kleine Familie, und manche von den Abendmahlzeiten, die wir im Zelt nach Sperrstunde einnahmen – das heißt, um ungefähr 1 Uhr früh –, waren vollkommene Liebesmähler. Czartorisky, der viel zu freigebig war, als daß er es je zu etwas hätte bringen können, stellte das Essen bei, das immer das gleiche war – Bier, Frankfurter und gekochte Maiskolben. Das sind die Hauptspeisen von Coney-Island. Es gibt dort an die tausend Etablissements, die sich mit dem Verkauf von Frankfurter Würstchen beschäftigen, und das ist nicht einmal viel, wenn man bedenkt, daß in einer guten Saison die tägliche Besucherzahl siebenstellige Ziffern annimmt und daß davon jeder mindestens ein Paar Frankfurter ißt.

Ich war ein Narr – und das wußte ich schon damals –, daß ich einen solchen Posten aufgab, aber ich konnte die Bärenweiber einfach nicht ertragen. Ich glaube nicht, daß ich heikler bin als irgendwer anderer, aber an der Verwachsenheit dieser Weiber war etwas so Greuliches, daß sich mir der Magen hob, sooft ich sie sah. Ich dachte, ich würde mich an sie gewöhnen, aber das gelang mir keineswegs, und noch dazu hatte ich das unangenehme Glück, daß mich die beiden – es waren Schwestern – gern hatten und zu mir kamen, um zu plaudern.

Ich hielt es drei Wochen lang aus – es war tatsächlich ein unaufhörlicher Akt von Heroismus, das muß ich selbst sagen – und dann begann die Dame mit den vier Beinen die Werke des Arnold Bennett mit mir zu diskutieren (das ist wirklich wahr, obwohl man es mir nicht glauben wird) –, und diese Kombination war mir denn doch zu viel. Ich sagte es Herrn Czartorisky und er verstand mich – er war ein Ehrenmann durch und durch –, und er stellte mich (bei einem »Muschelbackenfest«) einem Geschäftsfreund vor, der den armseligsten Zirkus besaß, den ich je gesehen habe. Er sagte ihm – und ich glaube, er glaubte es im Augenblick selbst –, ich sei ein echter Ostindier, ein eingeborener Mahout. Ich erwähne das, weil es beweist, daß Herr Czartorisky ein Poet und Künstler war. Sein Freund, dessen Name Wolff war, besaß einen Elefanten, eine armselige, kleine Elefantendame, die den Namen aller Namen trug: Gladys, und er war um ihre Gesundheit besorgt. Er glaubte, sie gräme sich – was gar nicht so unwahrscheinlich ist, wenn man bedenkt, daß es ihre Lebensaufgabe war, sich ohne Grazie auf einem großen Holzball zu balancieren, sich ungraziös in einen Sessel zu setzen und so zu tun, als ob sie Champagner trinke. Er engagierte mich als ihren Pfleger und überdies als Aushilfswärter zu Danny, der ein Maulesel war und als der am stärksten aushauende Maulesel der Welt angepriesen wurde, mit einem Dauerangebot von fünfzig Cent für jede Person aus dem Publikum, der es gelinge, auf ihm, ohne abgeworfen zu werden, zweimal um den Ring zu reiten.


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