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Tante Emilie schaute bei der Großtante in die Tür. »Darf ich kommen? Christian hält unten mit dem Schlitten und läßt fragen, wann die Herrschaften heute nachmittag zu fahren gedächten?« Es wurde durch Marie Botschaft nach unten geschickt. Tante Emilie aber richtete tausend Grüße aus von allen, man warte mit Sehnsucht auf die beiden Ungetreuen, die es vorgezogen hätten, in der Wohnung der Großtante Weihnachten zu feiern, statt im schönen großen Pfarrhaus zu Buschrode.
»Wir haben ein schönes Fest gefeiert«, sagte Frieda. »Tante Kathinka hat mich gründlich verwöhnt.«
»Ich wurde extra mitgeschickt, um für gründliche Verpackung des kranken Vögleins zu sorgen, ich habe eine Unmasse von Fußsäcken und Pelzen dabei.«
»Ist gar nicht nötig«, meinte Frieda vergnügt, »ich bin wieder ganz gesund und will mich nicht verzärteln lassen. Es ist aber hübsch, daß du mitgekommen bist, Tante Emilie. Oder wolltest du schon wieder abreisen?«
»Behüte! Ich werde doch nicht fortgehen, wenn so liebe Gäste eintreffen. Es ist jetzt in Buschrode eine muntere belebte Zeit. Wir haben schöne Tage hinter uns. Wenn ein Brautpaar im Hause ist, muß es doch hübsch sein!«
»Wie gefällt dir denn Marthas Verlobter, Emilie?« fragte Tante Kathinka.
»Ein reizender Mensch! Wir haben schon große Freundschaft miteinander geschlossen. Ein feiner junger Mann mit gefälligen Manieren. Martha macht wirklich ein großes Glück. Der Mann hat eine Begabung für Musik, kolossal. Wir haben ganz in Musik gelebt, schade, daß er morgen schon abreisen muß.«
Die beiden schwiegen. Frieda sprach es nicht aus, aber sie dachte, es sei gar nicht schade, um so mehr werde sie von Martha haben, die natürlich, solange Riedeck da war, ganz von ihm in Beschlag genommen sein würde. Sie packte nun ihre Sachen zusammen, half der Tante, und als Christian nachmittags mit dem Schlitten hielt, standen sie alle bereit und ließen sich von der treuen Marie tüchtig einpacken, obwohl es weder schneite noch stürmte, sondern ein freundlicher heller Wintertag war.
Der Schlitten glitt so sanft dahin, daß es ein Vergnügen war. Schneewehen gab es keine mehr, die Bahn war vorzüglich, und die Braunen trabten so munter dahin, daß die Fahrt schneller als sonst vonstatten ging. Da war schon der Turm von Buschrode, jetzt tauchte das Dorf auf, und nun ging es auf den Pfarrhof. Frieda klopfte das Herz mächtig, wie würde das Zusammenleben mit Martha sich gestalten? Es konnte vielleicht doch sein, daß der Verlobte es treu und ehrlich mit ihrer Martha meinte.
Noch bevor der Schlitten hielt, wurde die Haustür geöffnet, und Martha eilte hinaus und rief: »Willkommen, willkommen!« Während Martha Frieda herzlich begrüßte, machte Riedeck sich viel mit Tante Emilie zu schaffen, sprach in überschwenglichen Worten seine Freude über die Rückkehr der Tante aus, als wollte er Frieda zeigen, auf welchem vertraulichen Fuß er bereits mit der Tante stehe.
Martha zog ihn aber doch gleich heran und stellte ihn der Großtante vor, die eben sorgsam von ihrem Vater aus ihren Umhüllungen geschält wurde, dann kam sie mit ihm zu Frieda, die von ihrer guten Pflegemutter herzlich begrüßt wurde. Frieda reichte ihm die Hand und sprach einige freundliche Worte. Dann ging man ins Haus und Frieda war froh, daß die erste Begegnung vorbei war.
Frau Charlotte war herzlich und mütterlich wie immer, sagte, wie große Angst sie um Frieda gehabt, als der Schneesturm eingesetzt und sie sie unterwegs gewußt habe. Sie war auch jetzt noch um Friedas Gesundheit besorgt. Die erklärte aber fröhlich, sie sei wieder ganz die Alte, ging dann, um auszupacken, um alle ihre kleinen Gaben und Geschenke an die Familie auszuteilen. Als sie wieder nach unten kam, war in der Weihnachtsstube der Christbaum angezündet, Großtante Kathinka aber und Frieda wurden an die Plätze geführt, die man für sie aufgehoben hatte, und wurden durch reiche Gaben überrascht, besonders Frieda, die ganz als Kind des Hauses betrachtet wurde. Wie froh war sie, daß sie das erstemal von eigenem Gelde auch etwas schenken konnte.
Es wurde an dem Abend viel musiziert. Martha spielte Klavier, und Riedeck begleitete sie auf der Violine. Er war Meister darin; es war ein Genuß, ihnen zuzuhören. Frieda hatte Gelegenheit, ihn verstohlen zu beobachten. Er war ein schlanker junger Mann mit gewandtem Benehmen, darin hatte Tante Emilie recht. Der üppige schwarze Haarwuchs, die großen dunklen Augen in dem bleichen Gesicht hatten für Frieda etwas Unheimliches, während die andern das schön fanden. Die Augen hatten etwas Unstetes und konnten nicht geradeaus blicken. Ein gerader Blick, ein herzhafter Händedruck war ihr Bürgschaft eines ehrlichen Herzens. Beides fehlte ihm. Aber sie hatte sich vorgenommen, nicht zu kritisieren, waren doch alle, wie es schien, von seiner Persönlichkeit so eingenommen, daß man es ihr verargt hätte, wenn sie etwas anderes geäußert hätte. Aber wenn sie sich nicht ganz täuschte, zeigte sich auf der Stirn des Pfarrers eine leichte Wolke, es wollte ihr scheinen, als sei er ein wenig bedrückt, obwohl er sonst neben seinem Ernst eine große Fröhlichkeit zur Schau tragen konnte, war er oft in sich gekehrt und sah still vor sich hin.
Die Mutter machte dem Musizieren ein Ende, indem sie erklärte, es sei am letzten Abend von Riedecks Hiersein wohl an der Zeit, sich noch ein wenig zu unterhalten, auch sei es der erste Abend mit Tante Kathinka und Frieda, man müsse sich doch von ihren Erlebnissen erzählen lassen.
Gleich eilte Riedeck zu Tante Kathinka und rief, indem er sich vor ihr verneigte: »Ja, gnädige Frau, gewiß, Sie müssen uns von Ihren Erlebnissen erzählen.«
Die alte Dame sah ihn verwundert an. »Eine gnädige Frau bin ich nicht, nennen Sie mich schlechtweg Frau Schubert. Besondere Erlebnisse habe ich auch nicht zu berichten, das kann unsere liebe Frieda besser.«
»Wir haben alle Brüderschaft mit ihm gemacht«, flüsterte Emilie der Tante zu, während Riedeck zu Frieda eilte und sie sehr liebenswürdig ansprach. Die Großtante sagte ruhig und bestimmt zu Emilie: »Das hat Zeit bis zum Hochzeitstag. Es war früher keine Sitte, daß man sich gleich duzte.«
Auch Frieda schien es nicht für nötig zu finden. Sie ließ sich das »Fräulein Frieda« ruhig gefallen. Martha schien sehr erfreut, Frieda und ihren Verlobten in einer Unterhaltung miteinander zu sehen. Nun mußte ja ihre Pflegeschwester sehen und erkennen, welch ein Kleinod ihr zuteil geworden war.
Am andern Morgen reiste Riedeck ab. Da gab es Abschiedstränen bei Martha. Nur das Versprechen, Ostern wieder zu kommen, ermunterte und tröstete sie. Frieda fand, daß zuviel aus dem jungen Mann gemacht wurde, besonders auch von den Tanten. Sie konnte sich nicht helfen, sie hatte das Empfinden, daß es hier schöner ohne ihn war. Nach seiner Abreise kam alles mehr ins Gleichgewicht, das Pfarrhaus von Buschrode war wieder, wie es sonst gewesen, nur der Pfarrer war ernster geworden. Hatte er vielleicht im Amte Ärgernisse gehabt, oder bedrückte ihn sonst etwas?
Sie ahnte nicht, daß er im Laufe des Vormittags seiner Frau, die im Studierzimmer bei ihm weilte, mitteilte, daß Riedeck ihn um Geld gebeten hatte. Er habe von früher her Verpflichtungen, sein Studium habe viel gekostet, und er wolle gern vor seiner Hochzeit alles beglichen haben.
»Hast du ihm die Bitte erfüllt?« fragte Frau Charlotte. »Ich habe es mir einige Tage überlegt und habe es nun um Marthas willen getan. Es ist nicht gut, wenn ein junges Ehepaar mit Schulden anfängt. Das hat mich jedoch ein klein wenig mißtrauisch gemacht.«
»Du bist zu argwöhnisch. Denke nur, daß Riedeck keinen Vater mehr hatte, der für ihn sorgte. Da kann ein junger Mann wohl in Schulden kommen. Jetzt, als Musiklehrer, hat er schon eine gute Einnahme; aber der Brautstand kostet etwas. Wie reich hat er Martha beschenkt, dazu die weiten Reisen hierher. Und wenn er Ostern die feine Stelle am Konservatorium bekommt, so kann er dir die tausend Mark bald zurückzahlen.«
»Das hat er versprochen. Wenn ich sehe, daß es ihm mit dem Wiederbezahlen Ernst ist, kann ich es ihm ja immer noch schenken.«
»Das ist recht. Martha ist unsere einzige Tochter. Was du für ihn tust, tust du für sie.«
Es folgten noch einige schöne Tage des Zusammenlebens. Martha und Frieda verkehrten in alter Weise, auch kamen sie sich innerlich wieder näher. Martha sprach viel von ihrer Hochzeit im Mai, bedauerte es sehr, daß Riedeck keine Geschwister habe und seine Mutter ihres Alters wegen nicht kommen könnte. Aber sie wollten sie auf der Hochzeitsreise besuchen, damit sie sie kennenlerne.
An die Aussteuer wurde lebhaft gedacht. Die Tanten hatten Auftrag, in der Hauptstadt Leinenzeug einzukaufen; es sollte alles gut und solide sein, wie es sich für die einzige Tochter der Pfarrersleute schickte.
Als Martha einst auf einem Spaziergang mit Frieda davon sprach, daß sie wohl die Möbel erst an Ort und Stelle kaufen würden, da der Transport unnötige Kosten mache, aber daß sie alles recht elegant einzurichten gedächte, wie es sich für einen zukünftigen Professor der Musik passe, sagte Frieda:
»Nicht zu elegant, liebe Martha, das macht's nicht aus. Einfach aber geschmackvoll, gibt erst ein gemütliches Heim. Nimm nur den besten Schmuck mit in deine neue Heimat, dann wird es jedem wohl sein, der bei euch aus und ein geht. Sieh, ich habe schon oft jetzt meine Beobachtungen gemacht. In dem großen schönen Schloß zu Grünbach ist alles aufs feinste eingerichtet, ein wohliger Kunstsinn herrscht überall, aber es fehlt an der Hauptzierde. Der Geist Christi, der alles verklärt, der Liebe und Frieden verbreitet, er ist nicht vorhanden. Ebenso ist es bei den lieben Doktor Bohners, von denen ich dir erzählt habe. Es ist reizend bei ihnen, sie führen ein gastfreies Haus, sind liebenswerte Menschen, aber der Geist Christi, der alles durchdringt, der fehlt. In deinem Elternhause ist es anders, da wird Geist und Sinn schon durch die Morgenandacht auf Gott gerichtet, bei den Mahlzeiten wird gebetet, abends versammelt sich die Hausgemeinde zu gemeinsamer Andacht und befiehlt sich mit Leib und Seele dem Schutze Gottes; das ganze Leben in eurem Hause zeugt davon, daß man Gott die Ehre gibt. Diesen Geist nimm mit in dein Haus, Martha, dann wird es gesegnet sein.«
Martha wurde rot und verlegen. Fürchtete sie doch, daß es bei ihnen einmal nicht so sein werde?
»Sieh«, fuhr Frieda fort, »das habe ich auch jetzt bei der Großtante Kathinka empfunden. Wie einfach und altmodisch ist es in ihrer Behausung und doch – welch ein Geist des Friedens weht, wieviel Sonnenschein und Liebe geht von dort aus. Ich werde nie die Tage des Krankseins vergessen, die ich bei ihr verleben durfte. Sie ist meinem Herzen dadurch um vieles nähergetreten.«
»Unser Haus wird dir hoffentlich auch lieb werden«, sagte Martha etwas beklommen.
»Gewiß, Martha. Ich denke und hoffe fest, daß du als die Tochter deiner prächtigen Eltern, denen ich so unendlich viel verdanke, das Beste aus ihrem Hause mitnehmen und in das deinige übertragen wirst.«