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Die Schlittenfahrt nach Eichberg

Über der ganzen Weihnachtszeit lag es wie ein goldiger Schimmer, das Licht, das von der Krippe zu Bethlehem ausstrahlte, leuchtete in alle Herzen hinein und machte sie so froh. Die Tanten, die gern Kritik übten, vergaßen das Tadeln, Großtante Kathinka schien mit den jungen Mädchen Freundschaft geschlossen zu haben; sie hatte gemerkt, daß sie gern strickten, das trug ihnen Lob ein von der alten Tante, die sonst nur sparsam damit umging.

Am liebsten aber vergnügten sich die Kinder draußen mit Schlittenfahren oder machten mit Hilfe der jungen Mädchen einen Schneemann, was großen Spaß machte. Einmal mußte Christian sogar den großen Schlitten anspannen, um Martha und Frieda mit den Kindern auf ein benachbartes Gut zu fahren. Die Herrschaften, die selbst Kinder und auch Ferienbesuch hatten, hatten sie eingeladen. Das war ein Vergnügen!

Großtante Kathinka ermahnte das junge Volk, sich ja gut zu betragen. Tante Emilie riet Fritzchen, nicht zu schreien, sonst würde man ihn in den Schnee setzen, während Tante Agnes meinte, der Kleinste müßte zu Hause bleiben, er sei noch nicht salonfähig. Aber Frau Charlotte bestimmte, sie sollten alle fahren.

Nun waren sie alle tüchtig eingepackt, und als Otto rief: »Meine Hand guckt noch heraus«, wurde ihm geraten, sie unter die Decke zu stecken, und dann ging's los! Frieda erinnerte sich nicht, je eine Schlittenfahrt gemacht zu haben. Es war ein klarer schöner Wintertag, wie ein Pfeil glitt der Schlitten über die glatte Schneefläche dahin, die bereiften Bäume am Wege glitzerten und funkelten in der Sonne, es war, als habe die Natur sich festlich geschmückt. Die jungen Mädchen konnten sich an der herrlichen Winterlandschaft, die sich ihren Augen darbot, nicht satt sehen, und wünschten, es möchte noch lange so fortgehen. Aber schon tauchte von ferne das Herrenhaus von Eichberg auf, nicht lange dauerte es, und sie fuhren in den Gutshof ein. Die Haustüren öffneten sich, eine ganze Schar von Kindern wurde sichtbar, mit lautem Willkommenruf wurden die Gäste empfangen.

Während die Jugend sich hier herrlich vergnügte, saßen die älteren Herrschaften gemütlich im Buschroder Pfarrhaus beisammen. Großtante nahm den Ehrenplatz auf dem Sofa ein, Frau Charlotte saß ihr zur Rechten, zur Linken hatte Tante Agnes, als die ältere von den beiden Schwestern, Platz genommen, während Frau Zeller mit ihrer Jüngsten im Lehnstuhl saß. Sie sah leidend aus, es war eine große Erholung für sie, daß sie einige Wochen von aller Arbeit, die sie fast allein zu bewältigen hatte, hier ausruhen durfte. Tante Emilie, die draußen etwas zu besorgen gehabt, kam jetzt auch herein. »Nun sind wir Alten wohl alle beisammen«, rief sie, »nur der Schwager fehlt, er studiert wohl schon wieder?«

»Nein, er will auch ein wenig faulenzen«, sagte eine Stimme, und der Hausherr erschien, eine lange Pfeife in der Hand. »Wenn es die Damen gestatten«, er zeigte auf seine Begleiterin, die er nie gern ganz ausgehen ließ. »Gewiß, gern. Rauchen ist gemütlich«, hieß es, und er setzte sich auf den andern Lehnstuhl, Frau Zeller gegenüber.

»Die Kleine bekomme ich nun, Frau Zeller«, bat Tante Emilie. »Gott sei Dank, daß die Mädel einmal fort sind, die machen sie mir immer streitig.«

»Ja, alle wollen sie hier haben«, meinte Frau Zeller, »zu Hause muß sie viel liegen.«

»Nun sage erst einmal, Schwager«, begann Tante Agnes, die Frage lag ihr schon lange auf dem Herzen, »wie kommt ihr zu dem netten Mädchen, der Frieda.«

»Gerade so, wie sie zu allen andern Menschen kommen, die wir hier schon getroffen haben. Du weißt doch, daß dies eine Herberge für alle ist«, sagte Emilie.

Agnes beachtete die Schwester nicht und sagte noch einmal: »Wie seid ihr zu diesem reizenden jungen Mädchen gekommen?«

Der Schwager schmunzelte und sagte: »Sie ist im Herbst mit einer Sternschnuppe vom Himmel gefallen.«

»Schwager, sei gut, erzähle uns doch alles. Man muß doch auch wissen, mit wem man es zu tun hat.«

»Ich glaubte, Charlotte hätte das schon gründlich besorgt, sie pflegte ja –«

»Die steckte vor Weihnachten bis über die Ohren in häuslichen Sorgen, und in den Festtagen gab's auch keine Gelegenheit, man will doch gerne wissen –«

»Frieda Senker ist aus L. gebürtig, hat aber mit ihrer Mutter, einer Witwe, in Steinfeld, einem kleinen Städtchen, ziemlich entfernt von hier, bis zum elften Jahr gewohnt, dann ist ihre Mutter gestorben. Ein entfernter Verwandter, so hatte die Mutter bestimmt, hat sie zu sich geholt, wo sie gelebt hat, bis die Tante starb.«

»Ob sie es dort gut gehabt hat?«

»Die Mutter muß es gedacht haben, sonst hätte sie den Herrn Wilms nicht zum Vormund ernannt. Frieda spricht nicht darüber.«

»Wie ist sie nun aber von da zu euch gekommen?«

»Durch eine Verwandte, die mit der Kleinen bekannt geworden.«

»Es ist die alte Frau Drewes, eine Tante meines Mannes«, fügte Frau Pfarrer erläuternd hinzu.

»Die alte Dame haben wir nie hier gesehen –«

»Sie war schon einmal hier, reist aber schon lange nicht mehr so weit. Kurz und gut, sie schrieb uns, daß das arme Waislein kein Unterkommen habe –«

»Nun, da kann ich mir alles andere denken«, rief Agnes. »Wie könntet ihr jemals einem Menschen die Aufnahme in eurem Hause verweigern?«

Die Großtante, die bis jetzt geschwiegen hatte, sagte nun: »Ich finde es für Martha sehr gut, daß sie eine Pflegeschwester bekommen hat, mit der sie alles teilen muß –«

»Und gerne teilt«, fügte Frau Charlotte hinzu.

»Was wird nun aber, wenn Frieda konfirmiert ist? Wollt ihr sie immer bei euch behalten?« äußerte die Großtante, die an dem Gespräch Interesse zu nehmen schien.

»Das ist eine Frage, die mich auch schon beschäftigt hat«, antwortete der Hausherr. »Wir würden das liebe Mädchen gern als Kind behalten, aber es ist vielleicht ratsamer, sie einen Beruf lernen zu lassen, damit sie auf eigenen Füßen stehen kann. Die Verhältnisse ändern sich im Leben; ich kann nicht wissen, wann Gott der Herr mich abruft, kann auch nicht wissen, ob meine Vermögensverhältnisse dieselben bleiben; es ist alles auf dieser Welt dem Wechsel unterworfen.«

»Ich würde unbedingt dazu raten, daß Frieda nach irgendeiner Seite hin ausgebildet wird.«

»Wenn sie einen Beruf ergreifen soll«, sagte die Pfarrerin, »so wird sie nach meiner Meinung am meisten dazu neigen, Lehrerin zu werden.«

»Sie ist sehr begabt«, fügte der Hausherr hinzu. »Ich habe in den Konfirmandenstunden meine Freude an ihr. In Gottes Wort ist sie zu Hause, daß sie manchen erwachsenen Christen beschämen könnte. Der Segen einer frommen Mutter, die sie sehr sorgfältig erzogen hat, geht mit ihr.«

»Es ist ein anziehendes junges Mädchen«, nahm Emilie die Unterhaltung wieder auf, nachdem eine Pause eingetreten war. »Sie hat auch, soviel ich beobachtet habe, Charakter, weiß, was sie will, hält sich selbst in Zucht und kann sich beherrschen, was unserem Töchterchen abgeht.«

»Da hast du recht, unsere Martha hat etwas Weiches, Hingebendes, oft etwas Schwankendes. Sie ist im Sonnenschein der Liebe groß geworden, Vater und Mutter haben stets für sie gedacht, gesorgt, gehandelt, mir ist oft bange, wie es ihr gehen wird, wenn wir einmal nicht mehr da sind.«

»Nun, ihr seid noch jung, wer wird da schon sorgen wollen«, rief Agnes. »Eure Tochter wird es voraussichtlich einmal sehr gut haben, entweder sie verheiratet sich –«

»Nun halt ein, Agnes, so weit sind wir noch lange nicht. Liebe Frau Zeller, Sie schweigen ganz, unsere Unterhaltung hat für Sie kein Interesse«, wandte sich der Hausherr an die junge Witwe.

»Gerade mehr, als Sie denken. Ich habe die Unterhaltung mit Spannung verfolgt. Aber sie hat mich traurig gemacht. Ich zog eben Vergleiche zwischen Friedas Mutter und mir und sehe, wie weit überlegen sie mir in der Erziehung gewesen ist. Welch eine schwere Verantwortung hat eine Mutter, besonders eine Witwe, die ihrer Lebensstütze beraubt ist. Werde ich meine Kinder stets zum Guten beeinflussen können, da ich selbst so schwach bin? Gerade in der jetzigen Zeit, wo der Unglaube so groß ist, wo Lehrer und Mitschüler oft nichts mehr von Gott wissen mögen.«

»Es ist eine höhere Macht da, die uns Kraft gibt, unsere Pflichten nach Gottes Wort zu vollbringen. Beten Sie für Ihre Kinder und mit ihnen und vertrauen Sie auf die Hilfe dessen, der gesagt hat: ›Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.‹ Sie werden Wunder sehen, liebe Frau Zeller«, sagte der Pfarrer ernst.

»Das will ich«, sagte die Witwe. »Hat Gott mir doch in Ihnen schon eine Hilfe gesandt, die mir viel wert ist. Bin ich im Zweifel und weiß oft nicht das Rechte zu treffen, so darf ich mich an Sie wenden?«

»Zu jeder Zeit. Wünschen Sie mich persönlich zu sprechen, so komme ich gern einmal zu Ihnen; in den Ferien finden Sie hier stets Aufnahme.«

»Das versteht sich«, fügte die Hausfrau hinzu. »Sie werden sehen, wie hübsch es hier im Sommer ist, da wird es den Kindern noch besser gefallen.«

»Wohl kaum. Sie sind jetzt schon durch den Aufenthalt hier so froh, es ist kaum noch eine Steigerung möglich.«

Jetzt wurde die Kleine auf Emiliens Schoß unruhig. »Sie wird müde sein«, sagte die Mutter, »es wird Zeit für sie schlafen zu gehen.« Sie nahm das Kind und ging mit ihm nach oben. Rieke rief die Frau Pfarrer in die Küche, der Hausherr verschwand. Tante Emilie ging ihrer Schwester eilfertig nach, um ihre Hilfe anzubieten, so blieben Großtante und Tante Agnes in ruhiger Unterhaltung allein zurück und rühmten das Pfarrhaus, das als leuchtendes Beispiel in der Gemeinde dastand.

»Wo bleiben aber die Kinder!« sagte Frau Charlotte, als man sich anschickte, das Abendbrot zu essen. »Um 7 Uhr sollten sie spätestens hier sein, nun ist es gleich acht!« – »Ich habe mich auch schon gesorgt, habe schon einige Male am Tor ausgeschaut. Christian pflegt doch sonst pünktlich zu sein, hoffentlich ist nichts passiert«, äußerte der Pfarrer. Die Unruhe teilte sich den Tanten mit, man wußte bei Tische allerlei von Unfällen im Schnee zu erzählen, so daß Frau Charlotte und Frau Zeller immer ängstlicher wurden. Sie beschlossen, dem Schlitten entgegenzugehen. Dem widersprach der Herr des Hauses. »Wenn sie nicht bald kommen, gehe ich selber, es hat gegen Abend wieder geschneit, für Frauen ist so ein Abendspaziergang nichts.« Als er sich etwas später aufmachte, kam er kaum bis ans Tor, als sich das bekannte Klingeln hören ließ und mit dem Ruf: »Sie kommen« eilte alles an die offene Haustür.

»Es war wirklich etwas passiert. Christian hat unterwegs umgeworfen«, sagte der Pfarrer. »Wir wollen Gott danken, daß alles so abgegangen ist.«

»Wir haben Unglück gehabt«, schrien die Kinder, Fritzchen weinte und klagte über Kälte, aber sie standen ja schließlich alle gerade auf den Füßen, zitterten und klapperten aber vor Kälte und schrien alle durcheinander, jeder erzählte den Unfall auf seine Art, aber alle waren darin einig: »Wenn Tante Frieda nicht wieder nach Eichberg zurückgegangen wäre und Hilfe geholt hätte, dann wäre der Schlitten nicht aus dem Graben gekommen!«

Zu ausführlichen Berichten wurde der Gesellschaft keine Zeit gelassen. Sie mußten ihre nassen Kleider ausziehen, und die Tanten waren behilflich, daß es so schnell wie möglich geschah. Fritzchen kam nicht wieder zum Vorschein. Er klagte fortwährend: »Sie haben mir zu viel zu essen gegeben«; bald zeigte sich, daß er recht hatte. Unter jämmerlichem Weinen übergab er sich, wurde dann ins warme Bettchen gelegt und schlief bald ein. Otto prahlte, er ginge noch lange nicht ins Bett. Auf einmal gestand auch er kleinlaut, er habe auch zu viel gegessen; und dann machte er es genau so wie sein kleiner Bruder. Tante Agnes seufzte immer: »Ich habe es gleich gesagt, kleine Jungen dürfen noch keine Einladungen annehmen, das haben wir nun davon.«

Annchen und Mariechen hatten sich brav gehalten, sie durften wieder unten erscheinen, nachdem sie sich umgekleidet hatten. Sie schilderten nun das Unglück ausführlich. Es war ziemlich dunkel gewesen und hatte geschneit, so daß Christian, obwohl Laternen am Schlitten brannten, den Weg verfehlte, dem Graben zu nahe kam und die Pferde nicht mehr zurückhalten konnte. Der Schlitten kippte, alles purzelte in den Schnee.

»Ja, Tante Martha und die Jungen weinten, aber Tante Frieda zog uns alle nacheinander aus dem Schnee, sie sagte, sie friere gar nicht, sie sei an Kälte gewöhnt, dann sagte sie, sie wolle, während Christian bei den Pferden bleiben müsse, schnell nach Eichberg zurückgehen und Hilfe holen.«

»Da hat sie wirklich Geistesgegenwart bewiesen«, rief Tante Agnes.

»Du wirst hier bewundert«, sagte Tante Emilie zu der eben eintretenden Frieda. »Du hast in der Dunkelheit den Weg im Schnee zurück gemacht und Hilfe geholt.« Frieda errötete. »Es war gar nicht so dunkel und zum Glück nicht weit von Eichberg. Herr Dorn rief zwei Knechte und war so freundlich, selbst mitzukommen. So wurden die Pferde wieder aufgerichtet und der Schlitten aus dem Graben geholt.«

»Wo bleibt denn aber Martha.«

»Sie hat sich so aufgeregt, daß ihr der Kopf schmerzt, auch tun ihr von dem Fall alle Glieder weh. Tante Charlotte bringt sie zu Bett.«

»Nun, und dir fehlt nichts, kleine Frieda?« sagte Großtante Kathinka lächelnd. »Bist du nicht auch gefallen? Und der Schnee, die Nässe, haben sie dir nichts getan?«

»Ein wenig fühle ich's auch in den Gliedern, aber ich habe mich umgezogen, morgen wird wohl alles wieder gut sein.«

»Das ist recht!« meinte die Großtante, »so hab ich's gern. Das jüngere Geschlecht kann sonst nichts mehr vertragen, da waren wir Alten anders.«

»Martha ist einmal zarter«, entschuldigte Tante die Nichte. »Sie sieht allerdings kräftiger aus als Frieda, ist es in Wirklichkeit aber nicht.«

Jetzt trat auch der Pfarrer mit den Worten ein: »Nun haben wir die Pferde endlich zur Ruhe. Wir haben sie mit wollenen Decken abgerieben und extra gutes Futter gegeben. Aber der Braune lahmt, er wird einige Zeit geschont werden müssen. Christian ist sehr unglücklich, daß ihm so etwas hat zustoßen können, er meint, er wollte lieber die Wunde am Fuß haben, als daß sein Pferd leiden müsse, er hat seine Tiere sehr lieb. Aber wir wollen Gott danken, daß er Menschen und Tiere behütet hat.«

Am andern Tage war alles wieder frisch. Es wurde noch viel über das Abenteuer gesprochen, dem verletzten Braunen wurden Besuche abgestattet, Christian kratzte sich hinter den Ohren und sagte jedesmal: »Daß mir das passieren mußte, mir is so was noch nich passiert, ich bin immer so ein ordentlicher Kutscher gewesen, ja das bin ich.«

Martha aber umarmte Frieda und meinte: »Wenn wir dich nicht gehabt hätten, lägen wir gewiß noch im Graben.«

Von Eichberg kam der junge Dorn herübergeritten und erkundigte sich, wie der Unfall den jungen Mädchen und Kindern bekommen sei. Er konnte mit guter Botschaft zurückreiten.


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