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»Deine Papiere sind nun da, mein Kind«, sagte der Pfarrer eines Tages zu Frieda, »ich habe schon einige Male an Herrn Wilms deshalb schreiben müssen. Ich sehe daraus, daß du keine Kleinstädterin bist, wie ich erst glaubte, sondern daß du in L. geboren bist. Dein Vater ist Chef eines großen Handlungshauses gewesen.«
»Ja, er war Teilhaber mit einem andern Herrn, wie Mutter mir erzählte. Ich weiß nichts davon, denn ich zählte drei Jahre, als mein Vater starb, davon habe ich eine dunkle Erinnerung. Wir sind dann sehr bald nach Steinfeld gezogen.«
»Deine liebe Mutter hat dann nur ein geringes Einkommen gehabt?«
»Ja, Mutter mußte noch für Geld arbeiten. Sie weinte oft im stillen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. Ich merkte es aber immer und fragte, was ihr fehle. Dann sagte sie, sie könne es mir jetzt noch nicht sagen, später wolle sie mit mir darüber sprechen. Ich glaube aber, der Teilhaber meines Vaters hat es nicht gut mit ihm gemeint.«
»Wie hieß der Teilhaber deines Vaters?« – »Den Namen hat die Mutter nie genannt.« »So, so«, sagte der Pfarrer nachdenklich. »Dein Onkel Wilms hat mir außer den Papieren noch eine kleine Summe Geldes geschickt, es sei aus dem Nachlaß der Mutter, das übrige sei für deine Erziehung gebraucht. Da es nur wenig ist, werde ich es für dich auf die Sparkasse tun, zunächst sorgen wir für dich.«
»Es ist sehr freundlich von dir und der Tante.«
»Wir haben dich gern hier. Du weißt, daß du hier mit unserer Tochter zusammen konfirmiert werden sollst. Die Stunden haben schon ihren Anfang genommen, aber ich denke, du holst es nach. Im übrigen nimmst du bis Ostern an dem Unterricht teil, den ich Martha gebe.« Frieda war für dieses Anerbieten sehr dankbar. Welch ein schönes Vierteljahr stand ihr bevor! Sie hatte oft mit Bangen an ihre Konfirmation gedacht, ihre Verwandten standen mit keinem Geistlichen der Stadt in Beziehung, das Leben in ihrem Hause war nicht angetan, sie in dieser Zeit zu fördern.
Sehr beglückt verließ sie das Studierzimmer. Martha kam ihr entgegen.
»Hat Vater dir gesagt, daß wir die Konfirmandenstunden zusammen haben sollen? Ist es nicht wunderschön?«
»So schön, wie ich es mir früher selbst gar nicht hätte ausdenken können.«
Die beiden Mädchen, erfüllt von dem Gedanken, die Zeit auszunutzen, waren den Tag über ernst gestimmt. Martha teilte der Freundin mit, was sie bereits beim Vater gehabt. Frieda wurde es nicht schwer, Sprüche, Gesänge und Bibelabschnitte nachzulernen, da ihr vieles schon von der Schule her bekannt war.
So verging die Zeit vor Weihnachten, das schöne Fest rückte immer näher. Es wurden große Vorbereitungen getroffen, so daß Frieda erstaunt fragte: »Ihr erwartet wohl vielen Besuch?«
»Eine Menge Tanten kommen, sie stellen sich gewöhnlich zum Fest ein. Und dann gibt's noch eine Überraschung, das sage ich aber nicht eher, als bis sie da ist. Es ist etwas sehr Schönes, auf das ich mich sehr freue. Es bleibt aber noch Geheimnis.«
Geheimnis war auch, was Martha für die Freundin arbeitete. Frieda hätte so gern ihren Wohltätern etwas geschenkt. Aber sie hatte kein Taschengeld, hatte auch keine Gelegenheit, etwas zu kaufen.
Da bot die Mutter den jungen Mädchen eines Tages an, mit ihr in die Stadt zu fahren, wo sie verschiedene Einkäufe zu machen hatte.
»Da wird auch unsere Pflegetochter einkaufen wollen«, rief der Pastor und gab ihr drei Mark, was ihm ein frohes »Danke« einbrachte. »Das müssen wir wohl alle Monate so machen«, meinte er. »Junge Mädchen müssen beizeiten lernen, mit Geld umzugehen, wenn sie einmal gute Hausfrauen werden wollen.«
Die Fahrt mit der Mutter war sehr vergnüglich. Die Läden in Neuburg waren bei weitem nicht so schön als in der großen Stadt, doch hätte Frieda um keinen Preis mit ihrer jetzigen Lage tauschen mögen. Wie ergötzlich war das Geheimtun voreinander in den Läden, wie freundlich waren die Verkäufer und Verkäuferinnen, die alle die Frau Pfarrer von Buschrode kannten und ihr bereitwilligst die Pakete in den Gasthof schickten, wo Christian ausgespannt hatte. Sie freuten sich ja, daß die Frau Pfarrer nicht zum Einkaufen in die Hauptstadt fuhr, sondern daß sie ihre Läden berücksichtigte.
An was hatte die gute Tante nicht alles zu denken, sogar Spielsachen wurden eingekauft. Gewiß hatte sie auch entfernt wohnende Verwandte zu beschenken, dachte Frieda.
Am nächsten Tage mußten die jungen Mädchen tüchtig mit Hand anlegen. Da galt es die Gastzimmer in Ordnung zu bringen, ein besonders großes geräumiges Zimmer gab es im Pfarrhaus, auf das viel Sorgfalt verwendet wurde. Drei große Betten standen bereits drin, es wurden noch einige kleinere hineingestellt, Waschtische hergerichtet, so daß Frieda ganz verwundert fragte: »Wer kommt denn hier herein, es sieht ja wie eine große Familienstube aus?« »Warte es ab«, war Marthas Antwort. Dabei lachte sie schelmisch und fügte hinzu: »Das ist eben das Weihnachtsgeheimnis, übermorgen abend wird alles aufgeklärt sein.« Am folgenden Tage wurden verschiedene Tanten abgeholt. Eine Großtante, hoch in den siebziger Jahren, war noch so frisch und rüstig, daß sie alle andern beschämte. Sie war sehr altmodisch gekleidet und trug große weiße Hauben mit buntem Band verziert. Ihre Lieblingsfarbe war gelb. Wie in ihrer Kleidung, so war sie auch in ihrem Wesen nach der alten Mode, tadelte gern die heutige Jugend und ermahnte sie zur Ehrerbietung gegen die Alten. Sie war nie ohne Strickstrumpf zu sehen, den sie fleißig handhabte, um für die vielen Füße verschiedener Großneffen und Nichten zu sorgen.
Außer ihr waren zwei Tanten angekommen, nicht so alt wie Großtante Kathinka, aber älter als Frau Charlotte, weshalb sie sich berufen glaubten, der jüngeren Schwester oft gute Ratschläge zu erteilen.
»Charlotte, ich würde es so machen, Charlotte, ich würde es so gemacht haben«, – oder: »Mein Rat ist so, wenn du ihn annehmen möchtest.«
Sie waren aber alle sehr munter und vergnügt, einmal deshalb, daß sie aller Sorgen ledig sich hier nach Herzenslust erholen konnten, und dann, weil die Weihnachtsfreude winkte und sie alle in Gemeinschaft mit den Verwandten ein fröhliches Fest zu feiern gedachten.
Frieda, das sonst so stille Kind, wurde durch den Verkehr mit fröhlichen Menschen belebt und angeregt. Ihre Wangen rundeten sich von Tag zu Tag, ihr Gang wurde leichter und elastischer, der Körper verlor immer mehr das Eckige und Steife. Die guten Pfarrersleute sahen es und freuten sich darüber.
Die Gäste waren in den verschiedenen oberen Zimmern untergebracht, nun fehlte noch die Einquartierung für die große Stube. Der Pfarrer war am Morgen früh ausgefahren, Christian hatte die geschlossene Kutsche nehmen müssen. Erst am Abend verkündete das Rollen des Wagens die Ankunft. Martha sah Frieda bedeutungsvoll an. »Jetzt kommen sie«, sagte sie nur, zog Frieda mit sich an die Haustür und rief nach Marie, dem Hausmädchen.
Der Pfarrer öffnete schon selbst den Wagen und reichte einer Dame die Hand, die in tiefer Trauer war. Dann purzelte ein Kind nach dem andern heraus, kleine muntere Burschen und Mädchen. Sie trippelten unbefangen ins Haus, einige riefen: »Sind wir nun da?« Andere fragten: »Ist dies Tante Charlotte?« »Wo sind Martha und Frieda, von denen der Onkel unterwegs erzählt hat.« – »Hier, hier«, rief Martha, die der schwarzen Dame ein kleines Bündel abgenommen hatte, das sie vorsichtig ins Haus trug.
Die schwarze Dame, eine Frau Zeller, bat Martha, die Kleine gleich in das Bettchen zu legen, da sie eben eingeschlafen sei und hoffentlich weiter schlafen werde. Martha gab Frieda einen Wink mitzukommen. Die fragte verwundert: »Wer ist das? Wollen sie alle Weihnachten hier feiern?« – »Ich werde dir alles erklären, wenn wir die Kleine erst sicher untergebracht haben. Sieh, Mutter und ich hatten einen hübschen Einfall. Uns fehlte für die Kleine ein Lager. Da haben wir aus der großen weitbauchigen Kommode ein Schubfach herausgenommen und es mit weichen Betten versehen. Sieh nur, wie herrlich das Kindchen hineinpaßt; es schläft ruhig weiter, nun wollen wir es zudecken, ist es nicht reizend, ein so kleines lebendiges Kind zu pflegen?«
Frieda bestätigte es beglückt; so etwas hatte sie noch nie erlebt. Beide knieten am Lager des schlafenden Kindes, bewunderten seine goldblonden Härchen, das feine Gesicht und die kleinen zierlichen Hände, sprachen aber ganz leise, um es nicht aufzuwecken.
Da wurde die Tür behutsam geöffnet, die junge Frau trat herein: »Ich muß doch sehen, wo Sie mit meinem kleinen Liebling geblieben sind.«
Sie sprach einige freundliche Worte mit den Mädchen und bat sie dann, sich ihrer Kinder unten annehmen zu wollen; sie seien noch etwas fremd, und junge Mädchen verständen es am besten, mit Kindern umzugehen. Sie wolle unterdes das Nötigste auspacken. »Erst mußt du mir schnell sagen, was das alles bedeutet«, bat Frieda die Freundin, als sie das Zimmer verlassen hatten.
»Nun also: Frau Zeller hat vor etwa einem Vierteljahr ihren Mann plötzlich nach kurzer schwerer Krankheit verloren. Vater ist zum Vormund der Kinder bestellt und hat Frau Zeller nun mit allen Kindern eingeladen, Weihnachten bei uns zu feiern. Er sagt: ›Wir haben das große Haus und die gute Pfarre, so wollen wir gern andere, die es nicht so gut haben, einladen.‹ Es macht den Eltern Freude, Gutes zu tun.«
»Das habe ich gemerkt. Euer Haus ist mir schon zur Heimat geworden, doch horch, Martha, unten weinen die Kinder.«
Sie sprangen schnell die Treppe hinunter und eilten in das Vorzimmer, wo Tante Agnes und Tante Emilie um die Kinder bemüht waren. Zwei kleine Knaben von drei und fünf Jahren weinten laut und riefen nach der Mutter, während die kleinen Mädchen sittsam am Tisch saßen und Bilder ansahen, die ihnen die Tanten gegeben hatten.
»Du bist ein ganz unartiger Junge«, sagte Tante Emilie zu dem jüngsten.
»Ich werde mit der Rute kommen«, drohte Tante Agnes. Da hob das Gebrüll erst recht an.
Anders, als Martha ins Zimmer trat. »Kommt einmal mit«, rief sie, faßte den einen an die Hand, Frieda den andern. »Wir wollen euch einmal unsern großen Kater zeigen, er soll eben sein Abendbrot bekommen.«
Die Tränen versiegten sofort. »Wo ist der Kater?« Neugierig gingen sie mit in die Küche.
Da erhob sich in der Ecke ein schwarz und weiß geflecktes Tier, kam mit krummem Buckel und wedelndem Schwanz auf Martha zu, die Milch in die Schale goß und von den Kleinen Brot hineinbrocken ließ. Ei, das war ein Spaß, lauter Jubel erscholl aus der Küche, so daß Tante Agnes, die mit der Rute gedroht hatte, verdutzt ausrief: »Was hat nur die Martha angefangen, das muß eine Tausendkünstlerin sein.«
Als die Kinder wieder hereinkamen, waren sie voll Frohsinn und Heiterkeit, sie konnten gar nicht genug erzählen von dem Kater und seinen Streichen.
Im Eßzimmer fand sich zum Abendbrot eine ansehnliche Gesellschaft zusammen. Frieda staunte über die großen Schüsseln, über die Menge der Butterbrote und dachte im stillen, was wohl Onkel und Tante Wilms gesagt haben würden, wenn an einem Tage solche Massen vertilgt worden wären.
Nach Tisch machten Frieda und Martha sich mit den niedlichen kleinen Mädchen zu schaffen, während die Mutter die beiden Buben zu Bett brachte. Die älteren Frauen saßen bei ihren Handarbeiten, die zum Teil noch zum Heiligen Abend fertig werden sollten.
Annchen und Mariechen waren schon verständige kleine Mädchen, die es der Mutter in jeder Weise leicht zu machen suchten. Das Kleine konnten sie allein besorgen, es war am folgenden Tage aber schon ein Wettkampf zwischen ihnen und den jungen Mädchen, wer das Kindchen warten sollte.
Aber Frau Charlotte rief Frieda und Martha bald ab, es gab in der Küche zu tun, auch am Nachmittag gebrauchte sie ihre Hilfe, da das Mädchen anderweitig beschäftigt war.
Am Heiligen Abend war alles fertig. Tannenduft erfüllte die Luft, die Kinder, voll fröhlicher Ahnung, liefen hin und her oder guckten durchs Schlüsselloch, ob sie etwas erspähen könnten.
»Ich hab ihn gesehen, hab ihn gesehen«, rief Annchen voll Entzücken und tanzte auf einem Bein.
»Was hast du gesehen?« fragte Frieda lächelnd, die eben aus dem Saal kam, wo sie mit der Tante Äpfel und Nüsse abgezählt hatte.
»Den Christbaum!« frohlockte das Kind, das hinter der Tür gestanden hatte und bei ihrem Öffnen den grünen Baum entdeckt hatte.
»Selige, fröhliche Kinderzeit«, dachte Frieda. Sie hatte in den letzten Jahren von solchen Freuden nichts gespürt. Heute abend wollte sie es fröhlich und dankbar wie ein Kind genießen.
Am Nachmittag durften Martha und Frieda in das strohbedeckte Häuschen gehen, wo die Kinder des Tagelöhners, der ständig auf dem Pfarrgehöft arbeitete, schon im Sonntagsstaat auf die Einladung warteten. Sie wußten, es kam jedes Jahr am Nachmittag der Bescheid, sie sollten alle kommen.
Annchen und Mariechen durften mitgehen. Schneeflocken fielen leise zur Erde und im Dorfkirchlein läuteten die Glocken das Fest ein. Es war so feierlich und schön. Es stimmte die Mädchen andächtig, während die Kleinen sich mit Wonne die Schneeflocken um den Kopf wirbeln ließen. »Nun, Mutter Blanksch, sind die Kinder fertig?« rief Martha freundlich.
»Freilich, natürlich, sie sind schon seit einer Stunde in ihren Sonntagskleidern.« Sie öffnete die Tür, da standen ihrer sechs von der ältesten Zwölfjährigen bis zum kleinen zweijährigen Karl.
»Wie wird's nun aber mit Karlchen, in dem Schneewetter kann er nicht gehen?« sagte Martha besorgt.
»Den trag ich 'nüber, Fräulein. Mit muß er, sonsten heult er.« Nun setzte sich der Zug in Bewegung, die Frau mit Karlchen auf dem Arm voran, die Kinder in der Mitte, die jungen Mädchen hinterher. An der Haustür wurde der Kleine abgesetzt, und nun ging's hinein in die verheißungsvolle Stube.
Freundlich empfing Frau Charlotte die Kinder. »Habt ihr denn auch ein Weihnachtslied gelernt?«
Da stellte sich die Zwölfjährige in Positur und begann: »Vom Himmel hoch, da komm ich her.« Sie schnurrte es her, bis Frau Charlotte rief: »Weiter.« Da begann die zweite aufzusagen, dann der dritte, bis das Lied zu Ende war. Die Kleinen hatten ein kurzes Verschen gelernt, alles tadellos, so daß Frau Pfarrer sie streichelte und sagte: »Das habt ihr brav gemacht, dafür kommt nun auch der Heilige Christ!«
Die Kinder hatten schon lange nach dem großen Eßtisch geblinzelt, wo für sie die verschiedensten Gaben lagen. Da gab es warme Jacken und Tücher, Röckchen und Schürzen, auch Spielsachen für die Kleinen, außerdem einen ganzen Korb voll Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen. Unter vielem Knicksen und Danken zogen sie beglückt von dannen.
Als es zu dunkeln begann, sammelte sich die ganze Hausgenossenschaft im vorderen Zimmer. Der Hausherr, der fast den ganzen Tag unsichtbar gewesen war, kam erst jetzt aus der Studierstube, um mit seiner Gattin zusammen den Baum anzuzünden und die letzte Hand an die Bescherung zu legen, die Frau Charlotte mit ihren Schwestern schon vorbereitet hatte. Nun wurde laut geschellt. Mit dem Liede: »O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit«, zog die ganze Schar, die alte Tante Kathinka voran, Martha mit dem kleinen Kind hinterher, durch die weitgeöffneten Flügeltüren in den Saal. Der hohe Christbaum, der in seiner Ecke stand und fast bis an die Decke reichte, war mit vielen Wachskerzen geschmückt, auf der langen weißgedeckten Tafel standen noch etliche kleine Bäumchen. Als das Lied verstummt war, mußten Annchen und Mariechen die Weihnachtsgeschichte aufsagen, und nachdem der Hausherr eine kleine Ansprache an seine Hausgenossen gehalten, worin er alle auf die große Liebe des himmlischen Vaters gegen uns hingewiesen hatte, fuhr er fort: »Und weil Gott uns also geliebt hat, daß er uns seinen eingeborenen Sohn geschenkt hat, darum sollen wir ihn wieder lieben und uns untereinander liebhaben. Diese unsere Liebe wollen wir uns nun beweisen, darum suchen wir einander Freude zu machen, nicht nur durch Geschenke, wie wir sie hier sehen, sondern durch Sanftmut, Freundlichkeit und Lindigkeit gegeneinander. Der Geist der Liebe und des Friedens regiere in unserm Hause und mache uns alle gesinnt, wie unser Heiland auch war, dann werden wir Weihnachten in echt christlichem Sinne feiern.«
Nach dieser Ansprache ging der Pfarrer auf Großtante Kathinka zu und führte sie an ihren Platz. Frau Charlotte aber nahm Frau Zeller, die leise weinend dastand, und zeigte ihr, was man ihr und ihren Kinderchen beschert hatte. Die Tanten suchten sich selber ihre Plätze, und Martha ging mit Frieda dahin, wo sie zwei Plätze entdeckte, die die gleichen Herrlichkeiten aufwiesen. Schwarze Kleider zur Einsegnung, neue Gesangbücher und viele andere Dinge, die Mädchenherzen erfreuen.
Jubel und Frohlocken erfüllte die Räume. Das Kleine krähte laut und zappelte mit Händen und Füßen dem Licht entgegen, die Jungen jauchzten vor Vergnügen über einen Pferdestall, den sie bekommen hatten, die kleinen Mädchen waren schon mit An- und Ausziehen der Puppen beschäftigt. Christian sah schmunzelnd auf seine neue Kutscherweste, während Marie der Hausfrau für die schönen neuen Gewänder dankte.
Martha und Frieda standen nebeneinander und ließen den feinen schwarzen Stoff ihrer Kleider durch die Finger gleiten, nahmen die schönen Gesangbücher in die Hand und freuten sich über die andern nützlichen Gaben. Hatte Frieda je denken können, daß sie einen Weihnachtsabend erleben würde wie diesen! Es kam ihr alles wie ein schöner Traum vor, und doch war es greifbare Wirklichkeit. Sie konnte weiter nichts sagen als: »Martha!«
Dann aber eilte sie zu Marthas Eltern und dankte ihnen herzlich, ebenso allen Tanten, die sie mit Kleinigkeiten bedacht hatten. Und nun ging es zu den Kindern. Die Mutter war mit dem Kleinsten nach oben gegangen, ihr war die Stille Bedürfnis, und doch freute sie sich, daß ihren Kindern von der Liebe anderer Menschen Weihnachten bereitet war. Die jungen Mädchen wurden selbst zu Kindern, während sie sich die schönen Bücher und Spielsachen zeigen ließen. Die Älteren saßen in einer Ecke des Saales und unterhielten sich. Frau Charlotte saß am Klavier und spielte Weihnachtsmelodien, während der Pfarrer sich still in sein Studierzimmer zurückgezogen hatte.
Die schönen Gottesdienste im Dorfkirchlein, das trauliche Beisammensein zu Hause, das gemeinsame Singen der alten lieben Weihnachtslieder, das fröhliche Spielen am Abend mit der Jugend, das alles machte auf Frieda einen unvergeßlichen Eindruck. Das Pfarrhaus in Buschrode stand ihr fortan da als ein Haus, wo selbstlose Liebe im Geiste unseres Heilandes waltete.