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Enzio war sehr gegen die Veröffentlichung seiner Verlobung. – Ich will es nicht! Es ist mir peinlich! – Aber Enzio, sagte Caecilie, es ist doch nicht der leiseste Grund vorhanden, so geheim zu tun! Weshalb willst du es denn nicht? – Ich weiß es nicht, aber ich habe Angst davor! – Wovor denn? – Das weiß ich selber nicht. – Und was sollen Irenes Eltern denken? Was wolltest du denen als Grund angeben? Deine Nerven sind noch immer ganz herunter, du siehst Gespenster, wo keine sind!


Irene empfing einen Besuch, allein, in ihrem Zimmer. Es war Pimpernell. Sie hatte einen Brief geschrieben, sie müsse sie in einer hochwichtigen Angelegenheit allein sprechen. Irene ahnte, daß es sich um Enzio handeln würde. Sie fragte sich auch, ob sie ihm etwas von diesem Briefe mitteilen solle, unterließ es aber, indem sie dachte: ich will erst hören, was sie sagt, jedenfalls wird es etwas ganz Verrücktes sein.

Störe ich? fragte Pimpernell, indem sie eintrat. – Da ich auf Ihren Besuch vorbereitet bin, so stören Sie mich nicht. – Ach, das ist ja dasselbe Zimmer, in dem Enzio damals lag, und wo ich ihn besuchte! Nicht wahr, Sie erinnern sich doch wohl noch, als ich hier heraufkam. Unsere Bekanntschaft war allerdings nur eine ganz flüchtige. Damals hingen hier aber andere Gardinen. – Sie sah rund um sich herum, als wolle sie noch andere Gegenstände ihrer Erinnerung auffinden.

Bitte, sagte Irene, wollen Sie nicht Platz nehmen und mir Ihre Angelegenheit mitteilen? – und wies ihr sich gegenüber einen Stuhl an. – Das Bild da drüben kenne ich auch wieder, Ihr Zimmer ist wirklich wunderniedlich eingerichtet.

Irene sah sie mit einem vollen Blicke an, worauf Pimpernell erst grundlos und verlegen lächelte und dann an ihr vorbeisah.

Pimpernell kam nicht mehr mit Büchsen voll gefährlichen Inhalts, sie war inzwischen klüger geworden. Sie hatte sich dieses Ganze sehr leicht gedacht, wie eine Art rächender Engel wollte sie ins Zimmer treten, ihre Worte auf Irene schleudern, die vernichtet zurücksinken würde, und dann sich mit einem ganz besonderen Lachen wieder entfernen; dieses sollte halb höhnisch und halb mitleidig klingen.

Irene blickte noch immer auf sie. Endlich sprach sie: Ich möchte Ihre Zeit nicht unnötig lange in Anspruch nehmen.

Dies brachte Pimpernell in Bewegung; sie besann sich auf sich selbst: Das klang beinah, als wäre sie hier nur geduldet! Als käme sie mit einer Bitte! So sprach man zu Menschen, die man mit einer kleinen Gabe wieder zur Tür hinausschickt!

Ich werde Ihre Zeit nicht zu lange in Anspruch nehmen, antwortete sie, denn Ihre Zeit meinen Sie ja doch bloß, wenn Sie von meiner Zeit sprechen. Was ich zu sagen habe, läßt sich in paar Sätzen erledigen. Also, nicht wahr, Sie wollen Enzio heiraten? Wenigstens las ich in der Zeitung, daß Sie verlobt sind. Ich bin für die Ferien hier bei meinen Eltern, und da fand ich zufällig die Notiz, verehrtes Fräulein! Ich komme, um Sie von einem Schritt zurückzuhalten, der ausschlaggebend unglücklich sein wird für Ihre ganze Existenz!

Irene lehnte sich ein wenig in den Sessel zurück und suchte ein leises Lächeln zu unterdrücken.

Pimpernell bemerkte das, und das Blut schoß ihr zu Kopf: Sie haben keine Ursache, sich über mich lustig zu machen! Ich kenne Enzio hundertmal besser als Sie und weiß Dinge von ihm, von denen Sie keine Ahnung haben, denn er wird sich wohl hüten, Ihnen gewisse Tatsachen zu erzählen!

Irene ging das Blut zu Herzen, aber ihr Blick war nach wie vor ruhig, und sie antwortete: Wenn Sie gekommen sind, um ihn vor mir zu verleumden, so muß ich Sie bitten, es zu unterlassen und sogleich wieder zu gehn. Ich habe keine Lust, das mit anzuhören. – Sie erhob sich: Also sagen Sie in Ihren paar Sätzen: Was wollen Sie?

Pimpernell war ebenfalls aufgestanden. – Schön! wenn Sie es durchaus in ein paar Sätzen hören wollen, so bin ich gern bereit, mich auf das Notwendigste zu beschränken: Enzio hat jahrelang mit einem Mädchen ein Verhältnis gehabt, hat ihr geschworen, sie zu heiraten, dann ist eine andere dazwischen gekommen, eine ganz gewöhnliche Konservatoristin von schlechtestem Ruf, er hat mit beiden auf einmal zusammen gelebt, bis er der ersten überdrüssig wurde und sie davonjagte, und dann hat er, bis er jetzt wieder hierherkam, ein Leben mit Frauenzimmern geführt, die eine wirkliche Jungfrau nicht beim Namen nennen wird. So, das ist es, was ich Ihnen zu sagen hatte, und jetzt, hoffe ich, werden Sie mir danken.

Irene schwieg. Dann sah sie zur Tür und sagte: Da Sie ein so gutes Gedächtnis für dieses Haus haben, finden Sie den Ausgang wohl auch ohne meine Führung wieder.

Das ist also der Dank? O ja, ich weiß noch ganz genau, wo der Ausgang ist! Ich finde mich in jedem Haus zurecht, das ich ein einziges Mal betreten habe, und das Ihrige ist sehr einfach gebaut. Aber hinauswerfen lasse ich mich nicht! Sie wollen natürlich nicht glauben, was ich Ihnen erzählt habe, aber bitte: Führen Sie mir Enzio vor, daß ich ihm Punkt für Punkt ins Gesicht schleudere, und sehn Sie ihn dann an, ob er den Mut hat zu sagen, daß ich lüge! Alles kann ich beschwören auf Ehre und Seligkeit! Er soll mich doch verklagen vor Gericht, wegen Verleumdung, wenn er den Mut hat! Aber er weiß ganz genau: ich könnte noch viel mehr erzählen! Sie denken natürlich, ich rede aus Eifersucht, weil ich Enzio liebte. Die Zeiten sind vorbei! Ich heirate nächsten Monat meinen Direktor! Weshalb ich Ihnen das alles dann erzählt habe? Weil er es auch mit mir versucht hat! Sie sehn mich an, als wollten Sie sagen: Lügen Sie doch nicht so viel! Ich kann Ihnen nur antworten: Fragen Sie ihn selbst, und beobachten Sie dann, ob er nicht rot wird, wenn er meinen Namen hört! Ob er sich nicht in Grund und Boden schämt, wenn er daran denkt, wie er sich gegen mich benommen hat! Und dann: Fragen Sie ihn nach »Bienle«, das ist das Mädchen, mit dem er jahrelang auf das engste zusammen gelebt hat! – Bei diesen letzten Worten empfand Irene einen plötzlichen Stich im Herzen, jäh und kalt.

Und grade damals, als er nach seiner Krankheit hier bei Ihnen wieder abreiste, grade damals war das Verhältnis auf dem Höhepunkt, ich habe das mit meinen eignen Augen angesehn und außerdem hat er es mir mit den unzweideutigsten Worten gesagt! Ich bin Ihnen als Freundin genaht, ich werde Sie kaum jemals wiedersehn, und es drängt mich, von Ihnen jetzt mit einem herzlichen Händedruck zu scheiden, da wir halbe Leidensgenossen sind.

Irene übersah die ausgestreckte Hand und ging auf die Wand zu. – Was klingeln Sie denn da? – Dem Diener, daß er Ihnen unten den Mantel hält. – Nicht nötig, ich habe nur dies Jäckchen an, ich kann mir keine so kostbaren Pelze leisten wie Sie. Adieu! wenn Sie nun immer noch Ihren Enzio heiraten mögen, so kann ich nur sagen; Jedermann nach seinem Gusto!

Hinaus war sie, klopfte aber gleich darauf wieder an und rief: Da muß noch ein Leihbibliotheksbuch von mir liegen!

Sie empfing es durch den Türspalt, ohne Irene zu sehn. – Danke, danke, zu liebenswürdig.

Irene blieb im Zimmer stehn, wie in einer Betäubung.

Alles ist nicht wahr; dachte sie, – diese Kreatur ist wahnsinnig vor Eifersucht. Dann aber dachte sie: Und doch ist alles wahr, wie hätte sie sonst so sprechen können ... o Enzio, Enzio! Sie brach in heftiges Schluchzen aus: Jahrelang hat er mit einem andern Mädchen zusammen gelebt, mehr als einmal hat er mich gedankenlos mit ihrem Namen angeredet, und ich glaubte ihm, als er mir sagte, es sei ein kleines Mädchen, er nahm den Ball, den ich ihm gab, um ihn jenem Kind zu schenken, das hat er übers Herz gebracht, er küßte mich am selben Tage, an dem er abends wieder in ihren Armen war! Eine dunkle Röte flog über ihr Gesicht und sie dachte: Das überwinde ich nicht, nun ist es noch unmöglicher, daß wir zusammenkommen, aber wenn er mich fragt – dieses kann ich ihm nicht sagen, ich kann es niemand sagen, auch meinen Eltern nicht.

Noch ehe Pimpernell von Bienle sprach, war in Irene ein körperliches Gefühl erwacht, das sie selbst wie in eine Entfernung von Enzio trieb, mit einer Stärke, daß es ihr klar vor der Seele stand, daß ihre und Enzios Wege auseinandergingen. Von diesem Grund allein durfte sie zu Enzio und zu ihren Eltern sprechen. Aber erst mußte sie sich Gewißheit schaffen.

Zum Mittagessen erschien sie nicht, den ganzen Tag war sie in ihrem Zimmer eingeschlossen, dann schrieb sie ein Billett an Enzio, er möge am nächsten Morgen zu ihr kommen.


Enzio kam, mit einem unbestimmten Vorgefühl. Sein Herzklopfen wurde stärker, wie er die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufschritt, dann stand er vor ihr, sah, wie sie blaß war, zwang sich zu einem Lächeln und fragte: Du hast mich sprechen wollen? Sie antwortete nicht und wandte den Kopf etwas zur Seite, wie er sie küßte. – Was ist denn geschehn? rief er in steigender Angst. Sie bezwang sich mit ihrer ganzen Kraft und sagte: Laß uns ruhig reden, Enzio, – o, ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll! – Sie hatte sich ins Sofa sinken lassen und den Kopf in ihre Hände vergraben. In Enzio war eine tödliche Ahnung aufgestiegen, es schwindelte ihn leise wie in plötzlicher Übelkeit. – Was ist es? fragte er tonlos. Ihm war wie im Traum; er wußte, was sie sagen würde, und doch – dies konnte es nicht sein, es war unmöglich! Vielleicht – so schoß ein verzweifelter Gedanke in ihm auf – hat sie seit ihrer frühesten Kindheit irgendein tiefes Leiden, von dem ich nie etwas wußte, – und das will sie mir jetzt sagen. – Was ist es? fragte er noch einmal und legte die Hand auf ihr Haar. – Enzio, sagte sie langsam, gestern war jemand bei mir, eine Freundin von dir aus deiner Kindheit – – – Es wurde ihm dunkel vor den Augen. Jetzt wußte er alles, was kommen werde. – Enzio! ist es wahr, was sie mir von dir erzählt hat?

Es folgte ein langes Schweigen, und wie sie endlich aufblickte, saß er da mit totenstarrem Gesicht.

Nun ist es aus, sagte sie langsam. Dies Wort rief das Leben auf seine Züge zurück. Er sprang auf, fiel an ihr nieder und rief: Nein, nein, Irene, sag das nicht! Es darf nicht aus sein zwischen uns, du darfst mich nicht von dir stoßen, wenn ich dich nicht mehr habe, was bleibt mir dann noch übrig? In meinem Herzen habe ich ja immer nur dich geliebt – nein, das ist nicht wahr, das habe ich nicht, aber jetzt liebe ich nur noch dich! Ich habe nicht den Mut gehabt, dir von der Vergangenheit zu erzählen, im Gegenteil, ich habe die furchtbarste Angst ausgestanden, daß du davon erführest; ich wäre der niedrigste Mensch gewesen, wenn ich nicht auch zugleich gedacht hätte: Das alles ist tot, und ich fange ein neues Leben an! Und dieses Mädchen, das jetzt bei dir war: Glaube mir, Irene, ich schwöre es dir: Ich habe sie nie geliebt, sie liebte mich, und nur aus Schwachheit habe ich mich hinreißen lassen zu ihr. Wie bitter habe ich es bereut, als es zu spät war!

Irene legte den Kopf zurück und schloß die Augen: Also die auch – davon wußte ich nichts, das hat sie mir nicht erzählt.

Enzios Gedanken verwirrten sich; es war, als versänke er immer tiefer: Ich wiederhole dir, ich habe sie niemals geliebt, niemals! – Um so schlimmer. – Irene! rief Enzio, ich bin nicht so, wie du denkst! Durch dich habe ich wieder gelernt, mit mehr Mut in die Welt und auf mich selbst zu sehn, – was soll denn werden, wenn du mich jetzt von dir stößt! – Das weiß ich auch nicht, sagte sie und starrte ins Leere – aber nun können wir niemals zusammenkommen. – Irene! du sprichst dir überm Herzen weg! Du hast mich viel zu lieb! Sieh mich nicht so an, – denk doch daran, wie lieb du mich als Kind gehabt hast – ist das denn alles vorbei? – Nein, Enzio, das ist nicht vorbei. Und doch fühle ich seit gestern anders zu dir. Wir können niemals zusammengehören! – Und wenn ich dir schwöre, daß alles hinter mir liegt – – auch dann nicht? Sie bewegte langsam verneinend den Kopf. – Irene! Und wenn jetzt alle Jahre unserer Zukunft schon vergangen wären, und du blicktest auf ein glückliches Leben mit mir zurück, das durch nichts enttäuscht wäre – – würdest du auch dann noch bereuen, mit mir zusammen gelebt zu haben?

Ja.

Aber ist es denn etwas so Entsetzliches, was ich begangen habe, daß es durch mein ganzes Leben nicht von dir verziehen werden kann?

Enzio, sagte Irene, du verstehst mich nicht. Ich habe nichts zu »verzeihn«, das Wort ist mir ganz fremd. Jeder Mensch handelt, wie er muß, und kein anderer Mensch hat das Recht, ihm dreinzureden. Was ich will für mich, verlange ich nicht als Gesetz für alle. Vielleicht mußtest du so leben, wie du tatest, aber mein körperlicher Sinn sagt mir: Es ist mir unmöglich, einem andern anzugehören, der sich nicht so unberührt für mich aufgehoben hat, wie ich mich für ihn. Dies Gefühl läßt sich durch nichts umstoßen. Mein ganzes Leben würde einen Fleck bekommen, wenn ich ihm nicht folgen würde. Vergiß mich, ich werde versuchen, dich auch zu vergessen, es muß sein, es läßt sich nicht mehr ändern.

Das ist dein letztes Wort nicht! Laß eine Nacht darüber hingehn, morgen wirst du nicht mehr so unmenschlich denken. – Ich werde morgen noch genau so denken. – Dann laß noch längere Zeit vergehn! Schreibe mir, wann ich wiederkommen darf, es soll nicht das letztemal sein, daß ich dich sehe! Ich weiß ja doch: Du und ich, wir sind für einander bestimmt! Erinnerst du dich denn nicht mehr an früher? An die Zeit, wo ich dich kennen lernte?

Sie legte den Arm vor ihre Augen: Sprich nicht davon – – o, wenn du wüßtest, wie du mich quälst!

Wie eine Erlösung kam es über ihn. – Es ist noch nicht alles verloren! dachte er, sie hängt noch fest an der Vergangenheit! – Geh jetzt! sagte sie nach einer Weile. – Und wann darf ich wiederkommen? – Sie schwieg; dann sagte sie: Komm wann du willst.

Sie standen sich gegenüber. Enzio sah sie gequält an, dann übermannte ihn seine Leidenschaft, er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Sie wehrte ihn leise ab.


Am Nachmittag redete Irene mit ihrer Mutter. Sie sprach fest und ruhig und sagte dasselbe, was sie zu Enzio gesprochen hatte. – Ich verstehe dich, Irene, so, wie du einmal bist, kannst du nicht anders empfinden. Und doch ist mir, als fehlte noch irgend etwas bei dem, was du gesagt hast. – Ich habe alles ausgesprochen. – Irene sprach die Wahrheit. Jenes persönlich gekränkte, tief verletzte Gefühl war langsam zur Ruhe gegangen, nachdem sie mit Enzio geredet hatte, aber das, was blieb, konnte sie nicht überwinden.

Auch mit ihrem Vater hatte sie ein Gespräch, allein, im Atelier.

Du bist jung, sagte er, und unerfahren. Du weißt nicht, wie es in der Welt zugeht. Was du mir erzählt hast, ist nichts Besonderes. Du findest kaum eine Ehe, so wie du dir denkst, namentlich nicht unter Künstlern. Eine Resignation braucht jede Frau, die heiratet. – Ich glaube, sagte Irene, meine Mutter hat sie nicht gebraucht.

Der Professor nahm seine kurze Pfeife aus dem Mund und heftete einen halb objektiven, halb erstaunten Blick auf sie aus seinen klaren Augen: Da hast du recht, aber wenn es so war, so lag das nicht an meiner extra großen moralischen Stärke, sondern an meiner primitiven Anlage. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht rechts, nicht links geschaut, sondern immer nur gradeaus. Deine Mutter habe ich schon als Schüler geliebt, als sie noch ein ganz kleines Geschöpf war, und mein harter Schädel ließ den Gedanken, den er einmal gefaßt hatte, nicht wieder los. Das magst du nun nennen, wie du willst, aber der Enzio ist darum nicht viel schlechter, weil er links und rechts von seinem Wege abgegangen ist.

Irene suchte ihn zu verstehn, aber sie konnte es nicht. Doch sagte sie: ich will darüber nachdenken.

Am Abend kam sie abermals zu ihm. Nun? fragte er, und stieg von seinem Gerüst herab, – hast du dich besonnen? – Ja, und ich weiß jetzt ganz klar, was ich tun muß. Ich muß auf Enzio verzichten, etwas anderes ist mir nicht möglich. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht denken, aber ein Leben mit ihm zusammen noch weniger. Ich muß mich von ihm trennen, ein für allemal. – Er sah sie an, halb traurig-mitleidig und halb voll Sympathie. Dann – sagte er – bleibt dir nichts anderes übrig, als rasch Schluß zu machen. – Sie ließ den Kopf sinken. – Irene! überleg es dir ein letztes Mal! Du liebst ihn ja noch mit aller Kraft, das sehe ich! Und wenn du erst einmal ein Kind hast – – Nein, sagte sie heftig, ich kann es nicht! Mir ist, als gäbest du mir einen Hammer in die Hand, führtest mich an ein Bildwerk, das du geschaffen hast, und sagtest: Zerschlag es! Ich kann es nicht. Und wenn das Leben wirklich so ist, wie du gesagt hast, dann bleibe ich lieber allein. Aber es ist nicht möglich, es muß noch andere Menschen auf der Welt geben, die nicht so sind. – Und wenn nun Enzio kommt, willst du ihm das sagen? – Ich will ihn nicht wiedersehn, er kann meinen Entschluß nicht mehr ändern, es würde nur eine neue Quälerei.


Enzio verbrachte inzwischen schlimme Tage, hin und her geworfen zwischen Furcht und Hoffnung. Caecilie war vollkommen niedergeschlagen. Ihr erster Gedanke gab ihr ein, selbst hinzugehn und mit Irene zu sprechen. Aber sie tat es nicht; in ihrem Herzen war ein Gefühl, ähnlich der Scham und dem Schuldbewußtsein. Enzio ging herum wie ein Scheinlebendiger, jede Stunde nahm er sich vor, Irene zu besuchen, und immer wieder hielt ihn die Angst zurück.

Was ist denn eigentlich los? fragte der Kapellmeister; seit einigen Tagen finde ich es hier nicht mehr so gemütlich wie sonst! Hast du dich mit deiner Irene gezankt, Enzio? Du bist ja wie verblödet! – Enzio lief aus dem Zimmer, der Kapellmeister sah fragend auf Caecilie. – Ich kann mit dir darüber nicht sprechen, sagte sie. Es ist wirklich etwas vorgefallen, aber ich hoffe noch immer, daß alles vorüber geht! – Also hängt es doch mit seiner Irene zusammen, wie? Und weshalb sagt man mir nichts? Weshalb werde ich von euch immer wie ein Außenstehender behandelt? – Was hat es für Nutzen, fragte Caecilie, mit dir über irgend etwas zu sprechen, was uns angeht? Das haben wir uns im Lauf der Jahre abgewöhnt. Du lebst in deiner Welt, und wir in der unseren. – Das klingt ja so, als ob wir ein ganz getrenntes Leben führten! Bin ich nicht stets zu Enzio ein liebevoller, fürsorglicher Vater gewesen? – Caecilie wollte diese Unterhaltung abbrechen. Was hatte sie für einen Zweck! – Ja, ja, sagte sie, du magst recht haben, auf deine Weise; reg dich nur nicht darüber auf, laß Enzio in Frieden, es würde ihn bloß noch mehr verstimmen, wenn du dich jetzt etwa in seine Angelegenheiten einmischtest. – Nun wollte ich doch, sagte er und wurde lebhafter, daß ein Dritter im Zimmer wäre und anhörte, was wir bis jetzt gesprochen haben: Erst wirfst du mir vor, ich hätte zu wenig Interesse für Enzio, und dann sagst du: Laß ihn nur, es würde ihn verstimmen, wenn du dich einmischtest! Wie soll ich denn nun eigentlich sein? Ich merke schon lange, daß hier etwas im Gang ist. Aber ich wartete und dachte: Man wird doch wohl auch zu mir ein ganz natürliches Vertrauen haben! Soll ich Enzio nachlaufen? Ist es nicht der Sohn, der zum Vater kommen muß? Aber leider Gottes sind bei uns die Verhältnisse auf den Kopf gestellt! Und mir gibt man die Schuld dafür! Und dann diese maßlosen Übertreibungen! Hast du jemals so viel Aufhebens um mich gemacht, wenn ich in früheren Zeiten in einer künstlerischen Verstimmung war, wie um ihn jetzt, die vergangenen Wochen? Und waren meine nicht viel stärker? Durch deine Verwöhnereien hast du den Jungen schlaff gemacht, hättest du mich mehr an seiner Erziehung teilnehmen lassen, so wäre er jetzt ein ganz anderer Kerl! Du wirst dich wohl noch erinnern, daß ich dir oft dreingeredet habe in deine Prinzipien. Aber natürlich, mit der Zeit erlahmt man. Was war die Folge deiner Methode, der Eifersucht, mit der du ihn nur immer ganz für dich haben wolltest? Daß er sich im Lauf der Zeit zurückgezogen hat von mir! Daß er sich in unreifen Jahren schon für eine Art Genie hielt! Daß er als grüner Junge bereits anfing, auf mich und mein Schaffen herabzusehn! Jemand, der von früher Jugend an systematisch von seinem Vater zurückgehalten wird, kann kein kräftiger Mensch fürs Leben werden, dafür lege ich die Hand ins Feuer! – Ich wollte – entgegnete Caecilie – du wärest so gewesen, wie du es dir jetzt einbildest. Daß ich eifersüchtig ihn ganz für mich haben wollte, ist richtig. Aber da wäre der Punkt gewesen, wo du hättest einspringen müssen. Daß du es nicht tatest, hängt mit dem zusammen, weswegen ich ihn so stark zu mir heranzog: deine innere Gleichgültigkeit mir und auch Enzio gegenüber, und später jenes andere, was ich nicht nennen will und was sich bis zum heutigen Tage hinzieht! Kann dabei ein Kind gesund heranwachsen? Nie hast du dich um Enzio ernsthaft gekümmert, außer in ganz frühen Jahren – und auch da nur einseitig – als du anfingst, ihn zu unterrichten. Gabst du einmal einen Rat, so war er falsch oder oberflächlich. Ich bin seine Mutter! Du selbst hast mich mit deiner Kunst langsam immer mehr enttäuscht. War es da ein Wunder, daß ich ganz in Enzio aufging? Daß ich alle meine Hoffnungen auf ihn warf? Jetzt sind sie niedergeschlagen, ich weiß nicht, ob sie sich jemals wieder aufrichten werden. Und das Schlimme ist, daß ich mir sagen muß: du hast trotz deiner Verblendung teilweise recht! Du hast die Schuld, aber ich habe auch die Schuld. Denn das sehe ich klar: Es fehlt Enzio jede Disziplin seiner selbst, die man nur durch Erziehung lernt, und da, wo sie fehlt, ist nur die Erziehung schuld gewesen. Er hat nichts Festes, Unverrückbares in seinem Wesen, keinen wirklichen Schwerpunkt in sich, keine kernhafte Mitte; nun ist er aus seiner Bahn herausgeworfen und kann nicht in sie zurückfinden. Er hat in den letzten Wochen und Monaten menschlich die schlimmsten Kämpfe, Erlebnisse, Enttäuschungen durchgemacht, das alles kommt zusammen, ich habe die furchtbarste Angst vor dem, was noch geschehen kann, wenn er jetzt auch Irene noch verlieren sollte! Ist denn das so schlimm mit der? fragte der Kapellmeister, froh, daß die Unterhaltung eine andere Richtung nahm; – mir scheint, diese Verlobung droht wieder zurückzugehn? – Wenn sie zurückgeht, so weiß ich nicht, was werden soll. – Ich glaube, Caecilie, du übertreibst das Ganze! Sein Trübsinn wird vorbeigehn, so wie er wieder einmal einen Einfall hat, das kenne ich so gut an mir selbst, von früher her! Und kleine Zänkereien kommen oft bei Verlobten vor. Das ist das beste Zeichen, daß die Ehe einmal gut wird. Reg dich nur nicht auf! Damit hilft man nicht und schadet nur sich selber. Ich werde Enzio tüchtig vornehmen, und du sollst sehn, es gelingt mir schon, ihn wieder aufzurichten. Dann wirst du auch empfinden, daß ich noch nicht allen Einfluß auf ihn verloren habe! An mir hat er doch ein gutes Beispiel, wie man alle Schwächen überwindet, durch Arbeit, die dann vom Erfolg gekrönt ist!

Caecilie war innerlich so verzweifelt, daß ihr seine letzten Worte wirklich etwas Mut machten, obgleich sie fühlte, wie ahnungslos verblendet sie waren.



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