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Caecilie an Enzio.

Ich wollte über alles dieses, was mit Deinem Vater in Beziehung steht, schweigen, aber da Du mich danach fragst und mir eine Stelle aus Richards Brief mitteilst, will ich Dir nicht die Unwahrheit sagen.

Es ist alles, wie Du denkst, wie ich es zwischen Deinen Zeilen lese. Ich habe es von vornherein so kommen sehen, und es berührt mich fast nicht mehr. Ich bin heiter und zufrieden, wir leben still Und freundschaftlich nebeneinander.

Richard an Enzio.

Enzio, ich muß Dir etwas sagen, ehe Du es vielleicht von andern erfährst: Hier in der Stadt laufen Klatschgeschichten über mich und Deine Mutter um. Ich habe keine Ahnung, ob sie etwas davon weiß, glaube es aber nicht, da ihr Wesen nicht die geringste Änderung zeigt. Ich bin in einer unangenehmen Lage. Ich halte es für notwendig, daß sie hiervon weiß, damit sie, wenn sie will, den Verkehr mit mir abbricht. Anderseits kann ich ihr unmöglich davon sprechen; wünsche auch zu vermeiden, daß zwischen den Beteiligten irgendein Wort ausgesprochen wird. Ich möchte gern, daß Du selbst an Deine Mutter hierüber schreibst.

Caecilie an Enzio.

Du hast recht, wenn Du vermutest, daß ich hierüber Bescheid wußte, und ebenso recht: daß es mir gleichgültig sein darf, wäre ich um zehn Jahre jünger, so würde ich mich vielleicht entschließen, etwas Schönes aufzugeben, das meinem Namen im Munde der Menge einen Anstoß gibt; ja, vielleicht hätte ich mich noch vor ein paar Monaten dazu entschlossen, jetzt nicht mehr. Mögen die Menschen denken, was sie wollen. Die besseren unter ihnen werden doch das Richtige denken, und auf die andern darf man herabsehn, wenn man eine Frau in meinen Jahren ist, die durch ihr ganzes Leben grade ihren Weg gemacht hat. Was die Leute sagen, kann ich nicht abwägen und ins Gleichgewicht setzen zu dem, was ich am Verkehr mit Richard verlieren würde. Ich bin diese letzten Monate innerlich jung geworden, nehme wieder Anteil an allem, was einem frische Kräfte zuführt, und fühle mich so ausgeglichen und wunschlos wie nie in meinem Leben. Ich könnte mehr Verkehr mit gleichaltrigen Menschen haben. Aber ich habe irgendeine Stufe meiner Jugend übersprungen, mir ist, als sei mir etwas genommen gewesen, was andere gehabt haben, das hole ich nun nach, und bin dem Geschick dankbar dafür, daß ich es darf. Ich glaube nicht, daß dies unbescheiden und zuviel gefordert ist.

Enzio an Richard.

Liebster, teuerster und einziger Freund!

Ich weiß nicht, aber ich habe Dich jetzt noch viel lieber als früher. Mir ist, als seist Du außer meinem Freund auch noch mein Bruder. Tu nichts, laß alles wie es ist, meine Mutter weiß Bescheid. Heute nur dies kurze Wort, ich schreibe später mehr.

Der Kapellmeister an Caecilie.

Nachdem Du mir gesagt hast, daß Du kein Wort mehr über jene Angelegenheit mit mir reden würdest, muß ich Dir diese schriftlichen Worte auf Deinen Schreibtisch legen. Du weißt, ich selber sehe dies Verhältnis so an wie es ist. Aber es kann mir nicht gleichgültig sein, was man über Dich redet. Ein Argument habe ich bisher vergessen vor Dir anzuführen: Bedenke, wir wohnen in einer kleinen Stadt, in der man private Angelegenheiten mit öffentlichen Ämtern viel zu sehr verquickt. Du weißt, was für Menschen an den maßgebenden Stellen sitzen, die mich in mein Amt eingesetzt haben und mich aus ihm entfernen können. Ich will nicht sagen, daß mir etwas zu Ohren gekommen sei, aber die Gefahr ist da! Bedenke das! Es wird mir schwer, Dir nochmals zureden zu müssen, da ich weiß, wieviel Dir an diesem Verkehr liegt, was ich übrigens noch immer nicht begreife. Doch das ist einmal so, und Frauen haben ihren eigenen Geschmack. Aber Du wirst es verstehen, daß ich mich diesem Menschen gegenüber nicht äußern kann, daß ich ihm gegenüber tun muß, als wisse ich von nichts. Denke nun nochmals über alles nach, und lege mir, wenn Du Dich nicht noch einmal mündlich aussprechen willst, die schriftliche Antwort in mein Zimmer. Bedenke, daß ich selbst schon genug Anlaß zu bösen Reden gegeben habe. Aber ein Mann hat andere Freiheiten als eine Frau. Bedenke, daß ich eines Tages tatsächlich meine Entlassung bekommen könnte, daß es in Deiner Hand liegt, dies zu verhindern. Ich komme Dir noch mehr entgegen: Ich verspreche Dir, für den Fall, daß Du mir nachgibst, meinerseits nachzugeben – obgleich ich das schon oft versprochen habe. Aber diesmal würde ich mir selbst den Weg abschneiden: durch einen Personalwechsel im Theater. Du weißt, wie ich mit dem Intendanten stehe, ich kann das machen.

Caecilie an den Kapellmeister.

Ich könnte Dir noch einmal mündlich antworten, so, wie es mir natürlicher wäre. Aber ich will es nicht, da ich allein reden und alles kürzer machen will.

Deine Andeutung über eine mögliche Enthebung aus Deinem Posten glaube ich Dir nicht. Deine letzten Andeutungen wirken ebenfalls nicht auf mich. Außerdem – lieber Heinrich – ein solcher Schritt enthält nicht mehr das Erlösende für mich, das Du in ihm enthalten glaubst. Wir sind zwei Freunde geworden, die in nicht allzu großer Nähe nebeneinander hinleben, ich habe mich daran gewöhnt und entbehre nichts mehr dabei. Und schließlich: Dies wäre eine Schlechtigkeit, eine Undankbarkeit von Dir gegen eine Frau, die Dir so nahestand und noch immer nahesteht, dagegen verwahre ich mich aus einer Art von Solidaritätsgefühl. Nun laß uns, bitte, schweigen über diese Angelegenheit, mündlich wie schriftlich. Ich antworte auf nichts mehr, soweit es sie betrifft.

Enzio an Caecilie.

Ich bin froh, daß Du Richard hast! Was Du schreibst, ist mir zu Herzen gegangen. Mich selbst berührt jenes auch nicht mehr so stark, weil es Dich nicht mehr so stark berührt. Ich bin an einem langen Brief für Richard beschäftigt. Sieh ihn als Fortsetzung zu diesem an. Laß Dir vorlesen, was ich über mich darin schreibe. Nicht wahr, wir drei bilden jetzt so eine Art Triumvirat?

Enzio an Richard.

Ich schrieb Dir: Laß alles wie es ist, und ich denke noch heute so. Die besseren unter den Menschen werden doch das Richtige annehmen, und auf die andern darf man herabsehn, wenn man eine Frau ist in den Jahren meiner Mutter, die ihr ganzes Leben lang grade ihren Weg gegangen ist. Ich bin so froh, daß sie diesen Verkehr mit Dir hat! Gleichaltrige Menschen könnten ihr gar nicht soviel geben wie jüngere; jetzt holt sie nach, was andere in früheren Jahren gehabt haben und was ihr selbst irgendwie genommen gewesen ist; ich kann Dir das nicht so erklären.

Letzte Nacht träumte ich, ich säße irgendwo in einem Hause, in dem ein großer Tisch gedeckt wurde für lauter junge Mädchen. Ich sollte auch dabei sein. Ich saß in einem Winkel, während ich das Klappern der Messer und Teller hörte, die man auf die Tafel legte. Da dachte ich auf einmal an Irene und begann zu schluchzen, so daß ich aufwachte. Ich denke wochenlang überhaupt nicht an Irene, da berührte mich dieser Traum um so sonderbarer. Ich danke Dir noch für Deinen langen Brief neulich, über Musikfragen. Aber ich finde doch: mit solchen Dingen verwirrst Du mich nur. Es mag ja alles richtig sein, was Du schreibst, aber vielleicht doch nur für Dich richtig. Jedenfalls erscheint es mir falsch, einen Standpunkt, den man hat, für alle verallgemeinern zu wollen. Ich empfinde ganz anders als Du. Jetzt habe ich mich entschlossen, eine Art Symphonie zu schreiben, und zwar soll es eine dramatische Symphonie werden. Die Themen, von denen ich neulich schrieb, verwende ich dafür. Der erste Teil soll heißen: Der Held! Ich denke mir alles mögliche in diesem Satze, und bin mir nicht klar darüber, ob ich nicht auch eine Worterklärung dazu machen soll, damit man besser versteht, was ich meine. Das erste Allegrothema habe ich etwas verändert. Merkwürdig, wie ein paar Tage, an denen man nicht an einer Sache arbeitet, den Blick schärfer und frischer machen. Jetzt hat es einen großen, starken Schwung, gar nicht zu vergleichen mit seiner allerersten Form, die mir nun fast langweilig erscheint. Zeitweilig arbeite ich auch an dem Adagio. Es hat fast einen Largo-Charakter bekommen, etwas Grüblerisches. Dieser Satz drückt so viel aus, daß ich es in Kürze gar nicht sagen kann. Es gibt viel Chromatik darin, der man durch Veränderung der wechselnden Harmonieabfolgen stets neue Beleuchtung, einen neuen seelischen Charakter geben kann; eine Fundgrube ohne Boden! Ich habe Wendungen gefunden, wie sie mir sonst nirgends bekannt sind. Das Scherzo werde ich aus dem Adagio entwickeln. Es soll den Kampf des Helden mit sich selbst darstellen, oder vielmehr eine verzweifelte Ironisierung und Verneinung alles vorangegangenen Grübelns. Es muß klingen wie ein Spott alles vorher Gehörten, bis der Held sich dann im Schlußsatz durchringt zu einer neuen Wahrheit! Wie wundervoll ist es, solche Aufgaben vor sich zu wissen! Wenn mir jemand heute zehn Millionen, hundert Millionen oder noch viel mehr anbieten würde, unter der Bedingung, daß ich einen andern Beruf ergriffe, ich würde ihn mit Fußtritten die Treppe hinabbefördern! Und ihm von oben seine Kisten mit Gold auf den Kopf werfen, daß er nicht wieder aufstände! Und wenn ich keinen Pfennig Geld hätte, dann würde ich in die Schenken ziehen und dort aufspielen, und ein künstlerisches Vagabundenleben führen, mit offenem Hemd und einer Nelke hinterm Ohr. Man lernt dann irgendwo Zigeuner kennen und tanzt nachts unter dem Sternenhimmel mit einem schönen Mädchen! Ach Gott, die Mädchen! Allmählich denke ich wieder mehr an sie, aber ich dränge die Gedanken zurück. – Aber auch wenn ich ganz einsam leben müßte, so täte ich es lieber, als von dem Gelde dieses verfluchten Kerls mit seinen kurzen Beinen leben! Ich sehe ihn deutlich vor mir, obgleich er noch gar nicht da war (und wohl auch nie kommt). Gegen fette Menschen mit kurzen Beinen habe ich überhaupt ein Mißtrauen, ganz nebenbei gesagt, lieber noch fette mit langen. Ich fange an, dummes Zeug zu schwatzen. Leb wohl.



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