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Irene stand, den Rücken gegen das Fenster gekehrt, im Hintergrund des Zimmers, als er eintrat. Unschlüssig, aber mit liebendem Blick sah sie auf ihn hin. Er blieb in einiger Entfernung von ihr stehn. – Warum gibst du mir nicht die Hand?! fragte sie erstaunt. – Er hob den Blick bis zu ihrem Mund. – Was ist denn? Was hast du denn? Du siehst ja ganz verändert aus! Mein Gott, ist es so schlimm mit dir? – Seine Lippen begannen leise zu zucken. Sie war ganz zu ihm herangetreten und legte die Hand auf seine Schulter. – Nimm dich doch etwas zusammen, sagte sie mit ihrer ruhigen, klaren Stimme, die ein wenig zitterte – ich verstehe dich nicht, Enzio. – Das kannst du auch nicht. – Ich weiß nicht, wie es in dir aussieht, nein, – aber hat das mit dir und mir zu tun? Ist es denn so schlimm, daß du wie aus Stein mir gegenüber sein mußt? – Er erwachte etwas aus seiner Dumpfheit, nahm ihre Hand und küßte sie. Er fühlte selbst, daß seine Art befremdlich, unverständlich auf Irene wirken mußte.

Jetzt zum ersten Male sah er voll auf ihr Gesicht, wie rein und fest waren alle ihre Züge!

Grade dich wiederzusehn habe ich mich gescheut! sagte er, um sein sonderbares Wesen wenigstens etwas zu erklären – ich weiß, daß außer meiner Mutter niemand so an mich glaubt wie du. Ich hatte das Gefühl, als müßtest du deutlich in mir lesen, wie es in mir aussieht.

All das verstehe ich nicht! Ich begreife nicht, wie jemand um seine Kunst leiden kann; vielleicht, weil ich das selbst nie durchgemacht habe und auch nie Ähnliches an meinem Vater sah. Er hat so oft gesagt, daß er das nur vom Hörensagen kennt. – Ihm tat Irenes Stimme wohl; er hörte kaum auf den Inhalt ihrer Worte, ihr Klang allein war ihm beruhigend.

Sie saßen sich jetzt gegenüber. Er schloß die Augen und ließ sie weiterreden. Sie erzählte von ihren eignen Arbeiten: Sie habe eine Figur vollendet, ihr Vater wolle, daß sie sie auf die große Ausstellung schicke, aber sie habe keine Lust dazu. – Warum nicht? fragte er, noch immer mit geschlossenen Augen. – Ich weiß nicht, ich habe eben keine Lust dazu.

Enzio dachte an sich selbst. Er hatte sich vergeblich bemüht, irgend etwas zu schaffen, das vollendet wäre, sein höchster Wunsch war, sich einmal einen Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen, und hier saß ihm ein Mädchen gegenüber, das in der Stille eine immer reifere Entwicklung nahm, scheinbar mühelos und ohne Kämpfe, bis sie imstande war, ein wirkliches Kunstwerk zu schaffen, und nun, wo es geschaffen war, behielt sie es für sich. – Liegt dir denn nichts daran, bekannt zu werden? – O ja, ich denke es mir ganz schön, aber lieber wollte ich, daß man bekannt würde, ohne daß die Menschen etwas von einem sähen; nein, mir liegt auch nichts daran, bekannt zu werden. Was man arbeitet, macht man doch nur für sich selbst. – Irene, ich glaube, du mußt ganz glücklich sein. – So sprach er, und hielt die Augen noch immer geschlossen. Ein Schweigen folgte, und wie er sie endlich öffnete, begegneten sie ihrem Blick; ein paar Sekunden ruhten ihre Augen ineinander, dann sahn sie voneinander fort. Endlich erhob er sich.

Bleibst du noch lange hier? fragte sie. – Ich weiß nicht. Am besten wäre es, ich ginge fort, ein für allemal, und niemand wüßte wo ich bliebe. – Enzio! sagte sie mit verhaltener Stimme – rede nicht so – ich wollte lieber, meine ganze Arbeit läge zerschmettert am Boden, als daß ich glauben müßte, daß du im Ernste sprichst!

Enzio erblaßte. – Irene, sagte er mühsam, ich verdiene es nicht um dich, daß du so redest. Sprich so nicht wieder, du weißt nicht, wie es in mir aussieht.

Er wandte sich hastig zur Tür. Sie blieb im Zimmer stehn. Er kam noch einmal zurück. Leb wohl! sagte er und küßte ihre beiden Hände. – Enzio, rief sie, das klingt, als wolltest du nicht wiederkommen; du bist ja wie von Sinnen! Hast du mich denn gar nicht lieb? – Frage mich nicht; ich darf dein Leben nicht an das meine ketten, mit mir würdest du nur unglücklich!


In Enzio war die ganze Vergangenheit frisch aufgewühlt, was er gestorben glaubte, war stark in ihm erwacht. Dies einzige Wiedersehn hatte ihm gezeigt, daß sein Gefühl für Irene nur geschlummert hatte.

Ich darf sie nicht wiedersehn! Ich fühle: Sehe ich sie wieder, dann lasse ich mich ganz in die alte, frühere Liebe zurückziehn. Das muß vorbei sein, dies Glück habe ich mir ein für allemal verscherzt. Und wer sagt mir denn, ob ich sie wirklich liebe, ob dieses nicht nur wieder ein kurzes Aufflammen ist? Ich kenne mich jetzt gut genug, ich muß wieder fort, Gott weiß wohin!

Aber zum Fortgehn fehlte ihm der Mut. Hier war er wenigstens zu Hause, hier hatte er seine Mutter, den letzten Halt, der ihm geblieben war. Arbeiten, – nur arbeiten.

Er versuchte es wieder mit Anspannung aller seiner Kräfte. – Arbeite nicht! sagte Caecilie, als neue Verzweiflungsausbrüche kamen, es kann ja nichts dabei herauskommen! – Nie wieder wird etwas dabei herauskommen, auch wenn ich gesund und frisch wäre!

Dieser Gedanke hatte sich in ihm allmählich festgesetzt wie eine fixe Idee.

Und selbst wenn es so wäre! sagte Caecilie einmal zu ihm als letzten Trost: selbst wenn du einsehn müßtest, wenn es mit unumstößlicher Gewißheit feststände, daß du als Musiker nie etwas erreichen wirst – so bleibt noch ein andrer Weg. Du bist jung genug, um ein ganz neues Studium anzufangen. – Als was? fragte er stumpf. – Als was du willst. Du könntest Jurist, Mediziner oder irgend etwas anderes werden.

War das seine Mutter, die das sprach?

Sie sahn sich an. Da wandte sich Caecilie ab und schluchzte. Was war aus ihren Hoffnungen, aus dem Inhalt ihres Lebens geworden!

Arme Mutter! sagte er leise und streichelte ihr Haar. Wenn du wüßtest, wie unendlich lieb ich dich habe! Wie es mich quält, dich weinen zu sehn! Wenn ich dich nicht hätte, wäre alles, alles hin! Aber vielleicht bin ich doch noch nicht verloren! Vielleicht – wenn mein Leben wieder glücklicher würde – aber ich darf ja nicht! Seit ich Irene wieder sah, ist es, als sei ein Fünkchen Licht in mich zurückgekommen! Irene liebt mich, und jetzt, die letzten Tage, wo ich sie nicht sah, hat der Gedanke an sie mich nicht mehr verlassen, wenn ich jetzt umkehrte, wenn ich doch noch auf sie hoffen dürfte – vielleicht würde dann noch alles gut.


Er sah Irene wieder. Täglich war er bei ihr. Die alte Leidenschaft hatte sein Herz voll in Besitz genommen. Mühsam beherrschte er sich, bis es in ihm durchbrach.

Du, Irene, bist meine einzige Rettung, mit dir zusammen würde ich meine Kunst und mich selber wiederfinden; dich habe ich als Kind geliebt und dich liebe ich noch. Jetzt ist es mir, als wäre ich die ganze Zeit mit dir zusammen gewesen! als hätte ich nie einen andern Menschen gesehn! Hast du mich so lieb, Irene, wie ich dich? – Ich habe dich ebenso lieb wie früher, und nie einen andern geliebt! Ich habe mich all die Zeit nach dir gesehnt! Laß uns zusammenbleiben, Enzio! Die ganzen Jahre habe ich gewußt, daß du mich liebtest. Und ich habe mich oft gegrämt, daß du so wenig schriebst! Enzio! Warum hast du so wenig geschrieben?! – Er küßte sie heftiger. – Frage mich nichts mehr, ich habe es ja auch nicht gewußt, daß du mich so liebtest! – Aber dieses Mal, sagte Irene und lächelte, machen wir es nicht wie damals, als du in meinem Zimmer lagst, als wir uns nur heimlich lieb hatten! – Du willst es deinen Eltern sagen? – Irene nickte: Sie wissen es schon lange, aber wo es nun bald alle Menschen wissen werden, sollen sie die ersten sein, denen ich es noch einmal sage!


Caecilie war glücklich. Sie atmete erleichtert auf und dachte: Gott sei Dank, daß es so kam! Dies wird Enzio jetzt auf ganz andere Gedanken bringen!

Wirklich schien es so. Seine Züge wurden frischer, mit neuer Hoffnung begann er in das Leben zu sehn.

Richard schien erfreut über die Wendung in seinem Schicksal. – Dieser Enzio hat doch enormes Glück! sagte er zu seiner Mutter. Aber sie meinte: Nach allem, was ich von ihr weiß, und wie ich sie kenne, paßt sie nicht zu ihm. Weißt du, Richard, daß ich früher manchmal gedacht habe, du selbst sollest dieses Mädchen heiraten? – Ich? ich eigne mich nicht zum Heiraten. Ich habe dazu keine Zeit.



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