Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eines Nachmittags, als es läutete, sagte Bienle: Es ist wieder eine Überraschung, so wie damals, als deine Mutter kam.

Es klopfte. Auf Enzios »Herein« öffnete sich die Tür, seine Wirtin stand auf der Schwelle: Da wär ein junges Fräulein, das Sie sprechen möchte. Den Namen hat sie nicht sagen wollen, aber sie käme aus der Heimat.

Enzio bekam einen Todesschreck: wenn das Irene wäre! Ehe er aber etwas antworten konnte, schob sich zwischen Tür und Wirtin Pimpernell herein und sagte: Störe ich?

Durchaus nicht! rief er fröhlich und erleichtert, komm nur ganz herein! – Pimpernell tat es, dann sah sie auf Bienle und dachte: O Gott, wer ist denn das nun wieder?!

Enzio stellte vor, und Bienle ihrerseits hörte erleichterten Herzens, daß dieses nicht Irene war, sondern jenes Mädchen, von dem ihr Enzio soviel Komisches erzählt hatte. Sie fand sie übrigens gar nicht komisch und eher hübsch als häßlich.

Bist du nicht gewohnt, Enzio, um diese Stunde Tee zu trinken? fragte Pimpernell: zu Hause tatest du es doch früher immer! – Das heißt: du möchtest selber einen haben? – Ganz aufrichtig und unter uns gesagt: sehr gern! Sie erhob sich. – Was willst du denn? – Er muß doch gekocht werden! – Halt, sagte Enzio. Auf dieses Wort hin blieb sie sogleich stehn. Er wechselte mit Bienle einen Blick. Sie verstand ihn und sagte zu Pimpernell: Ich glaube, ich weiß besser, wo alles steht – und erhob sich ebenfalls. Auf diese Worte hin verzog Pimpernell den Mund zu einem halb mokanten, halb vertraulichen breiten Lächeln, wobei sie mit etwas gesenktem Kopf eine Art von innig-süßem Blick auf Bienle heftete und ihre Nase krauste, ganz so, wie Enzio es ihr öfters vorgemacht hatte. – Schnell schau ich weg, sonst muß ich lachen, dachte Bienle.

Wo wohnst du denn? fragte Enzio. – Zwölf Minuten von hier entfernt! Ich habe es genau abgemessen. – Sie zog einen Stadtplan aus ihrer Ledertasche: Siehst du, hier ist deine Straße, und da ist die meinige, wenn man an der Kirche vorbeigeht, dann macht man einen Umweg. Man kann schon vorher, ehe der Platz kommt, das ganze Stück abschneiden. Merk dir das, es ist eine Ersparnis von mindestens zwei Minuten; Fräulein, ich würde an Ihrer Stelle den Spirituskocher etwas weiter von der Gardine fortsetzen, wenn sie eine Zugluft erfaßt, kann die schönste Feuersbrunst entstehn. – Es weht ja aber hier im Zimmer gar keine Zugluft, sagten Bienle und Enzio wie in einem Atem. Pimpernell antwortete hierauf nichts, sah noch einen Augenblick auf den Apparat hin und wandte sich mit einem Achselzucken zu ihrem Plan zurück, was etwa heißen sollte: Ich habe meine Pflicht getan und euch gewarnt. Bienle wechselte mit Enzio einen geheimen, lustigen Blick. – Sie ist gegen Bienle genau so wie damals gegen Irene! dachte er, ohne sich gekränkt zu fühlen, ja, er begrüßte es mit einer Art Genugtuung, denn es belebte sogleich noch mehr seine still verhaltene Zärtlichkeit zum Bienle. Das Wasser begann zu kochen, sie goß den Tee ab, stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich dann neben Enzio auf das Sofa, ganz selbstverständlich, da dieses ihr gewohnter Platz war, während Pimpernell wie ein richtiger Besuch im Sessel saß. Wieder verzog Pimpernell ihr Gesicht, sah aber sogleich mit offiziellem Ernst zur Decke, als Bienle sie aus ihren ahnungslosen Augen voll und ruhig ansah. – Enzio fühlte die verschwiegene Spannung, und das gab seiner Empfindung zum Bienle eine ganz besondere Süße. Heimlich tastete er mit der linken Hand unter dem Tisch zu ihr hin, suchte ihre Finger und spürte mit Wonne ihren Druck. Immer enger ward die Umschlingung, schließlich ruhten ihre Hände gefaltet ineinander, und Bienle mußte sich beherrschen, ihr ruhiges Gesicht beizubehalten, wie sie den wachsenden Druck verspürte, der immer heißer und stärker zu sagen schien: Dich liebe ich und niemand weiter. Ein seliger und stiller Rausch war das, ein leises Fluten heimlich bewegter Kreise ohne feste Horizontbegrenzung.

Und währenddes erzählte Pimpernell von ihrer Tätigkeit: Mein Chef ist ein angenehmer Mann, ganz jung und unverheiratet, ich habe es auf den ersten Blick herausgehabt, daß er in mich verschossen ist. Er ist ein reizender, entzückender Mensch. – Heirate ihn doch, sagte Enzio phlegmatisch und spürte bei diesen Worten einen festen Druck von Bienles Hand. Dieses liebe Kind genoß voll und unschuldig das Bewußtsein ihres Glücks, die Sicherheit, daß Enzio ganz ihr gehöre, daß dieses Mädchen ihr Glück niemals gefährden könne. Und das war ihr wie eine unbewußte Entschädigung für alles Schlimme, was sie durchgemacht hatte. –

Was treiben Sie eigentlich? fragte Pimpernell plötzlich, irritiert, obgleich sie von dem heimlichen Hin und Wider unter dem Tisch keine Ahnung hatte. – Ich? sagte Bienle, erschrocken, auf einmal Mittelpunkt zu werden. Dann sah sie auf Enzio, als wenn der die Antwort geben müsse. Nichts! fügte sie hinzu, da Enzio schwieg. – Oho! sagte er jetzt, ich denke, du tust grade genug! Waschen, bügeln, kochen, Zimmer in Ordnung bringen, ich meine, das ist schon ziemlich viel! – Pimpernell zog ein säuerliches Gesicht: Haben sie denn gar keine künstlerischen Tendenzen? – Bienle sah sie an. Enzio antwortete statt ihrer: sprich doch nicht so gespreizt! Das macht hier keinen Eindruck, dazu sind wir viel zu natürlich! Bildest du dir etwa ein, daß du künstlerische Tendenzen hast? Mit deinem Puppenmachen? Das mag ja alles ganz hübsch und nett sein, aber mit Kunst hat es nichts zu tun. – O bitte, es sind Reformpuppen! – Pimpernell war vor Ärger über Enzios Zurechtweisung rot geworden. Mit seinem Angriff auf Puppen hatte er ihren Lebensnerv getroffen. Er freute sich, wie er diesen Ärger merkte, und wollte sie gern noch etwas weiter strafen. – Puppen sind sowieso schon etwas Gräßliches! Habe ich nicht recht, Bienle? – O nein, sagte sie, etwas verlegen, Puppen sind doch ganz hübsch! – So! und ich weiß, daß du mir einmal erzählt hast, du habest nie mit Puppen spielen mögen, wie du klein warst. Ich weiß sogar noch ziemlich genau deine Worte; du sagtest: Ich habe mir immer die süßen kleinen Nachbarskinder geholt, und die Eltern von den Kindern sagten: Dem Bienle, so klein wie's ist, kann man mehr vertrauen als dem besten Kindermädchen! Das wird einmal eine gute Mutter werden! Habe ich recht oder nicht? Puppen, sagtest du, wären dir immer tot und dumm vorgekommen, denn sie wären nicht weich und warm! Habe ich recht, Bienle, oder nicht? – Begreift denn Enzio gar nichts?! dachte sie, indem sie ihn, ohne zu antworten, mit ihren blauen Augen sprechend ansah.

Übrigens sind Puppen wunderschön, fuhr Enzio fort, der ihren Blick endlich verstand und außerdem dachte, Pimpernell sei nun genugsam zurechtgewiesen, und er sah mit einem sachlichen und unbefangenen Blick auf sie. Pimpernell hatte mit einem verkniffenen Gesichte zugehört. Jetzt war sie über die letzte Wendung sehr erstaunt, schüttelte den Kopf und meinte: Enzio, Enzio, in deinem Hinterstübchen sieht es putzig aus! Du hast gar keine festen Meinungen. Mir scheint, dir fehlt der rechte Lebensernst; dich müßte das Leben einmal tüchtig unter seine Fuchtel nehmen! Du wechselst beständig deinen Standpunkt. – Pimpernell, sagte Enzio gelassen, du bist ein Schaf. – Das mag wohl sein, aber dann bist du ein noch größeres. – Wie unfreundlich! dachte er. Sie dagegen dachte: O Gott, dies ist ja alles furchtbar! Erst bringt er mich so weit, daß ich seinetwillen meine Stellung aufgebe, und nun ist er so?!

Mußt du nicht nachmittags in dein Geschäft? fragte er nach einer Weile. – Das laß nur meine Sorge sein! Ich weiß schon, was ich darf! antwortete sie, rührte sich nicht und sah ihn mit beinah haßerfüllten Augen an, während sie sich doch nur gequält fühlte.

Sie geht nicht fort, da läßt sich nichts machen! dachte Enzio, in dem der Wunsch immer lebhafter geworden war, mit Bienle nun wieder allein zu sein.

Sag mal, Pimpernell – sprach er plötzlich in einem ganz andern, frischen, herzlichen Ton, du konntest doch früher als Kind so wundervoll eine Militärkapelle nachmachen. Kannst du das noch? – Mit solchen Dummheiten gebe ich mich nicht mehr ab. – Ich meine aber: ob du es noch kannst? – Habe ich es einmal gekonnt, so werde ich es wohl auch jetzt noch können. – Mach es doch mal vor, Pimpernell! – Fällt mir nicht ein; sagte sie energisch – damit ich hier auch noch ausgelacht werde! – Es lacht dich niemand aus! Also: mach doch mal! – Sie rührte sich nicht; er trat von hinten auf sie zu, streichelte ihr die Wange und sah dabei auf Bienle. – Pimpernell! – sagte er einschmeichelnd-zärtlich: Mach doch mal! – Sie hielt den Kopf ganz still, dann sah sie mit einem scheuen Blick an ihm empor, so daß er dachte: Nein, ich will sie nicht noch weiter treiben. Auch Bienle sah diesen Blick, und alles, was sie dachte, war: das arme Mädchen.

Pimpernell sah, daß es aussichtslos war, heute mit Enzio allein zu reden. Deshalb brach sie ihr beharrliches Sitzen endlich ab und erklärte, sie müsse gehn. Er hielt sie nicht zurück. Sie reichte ihm die Hand und sagte, sie werde bald einmal wieder bei ihm vorsprechen, darauf wandte sie sich für einen Augenblick ans Bienle, verzog ihr Gesicht wieder zu einem höflich-innigen Lächeln und sagte: Adieu, mein liebes Kind, es hat mich aufrichtig gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen!

Nun, wie gefällt sie dir? fragte Enzio, als sie fort war. – Bienle zuckte mit den Schultern. Unheimlich kommt's mir vor – sagte sie endlich. – Unheimlich? Nanu! Wieso? – Ich weiß nicht, sie kommt mir halt unheimlich vor! So, als wenn's einmal mit der Schere auf einen losgehn könnt'!

Enzio lachte schallend, dann küßte er sie und sagte: Deine Menschenkenntnis, Bienle, ist zu niedlich! Schade, daß sie ihre Militärkapelle vorhin nicht doch zum besten gegeben hat! Ich hätte sie schon dazu gebracht, wenn ich gewollt hätte! – Du mußt aber nicht so zärtlich zu ihr sein, Enzio, ich glaube, sie versteht das falsch. Es ist doch auch nicht aufrichtig von dir! Und du mußt mich nicht dabei so ansehn, als wenn du dich heimlich über sie lustig machst!


Pimpernell hatte die Idee gefaßt, Enzio zu heiraten. Sehr leicht würde es nicht sein, ihn dazu zu bringen, aber sie hatte Zeit; auf Umwegen mußte es gelingen. Vorläufig schlug sie die Wege ein, die ihr die vorerst zu begehenden schienen. Enzio merkte, daß etwas im Werk war, aber über das letzte Ziel ihrer Absichten war er doch im unklaren.

Schon am übernächsten Abend war sie wieder bei ihm. Dieses Mal war er allein. Er schien nicht sehr erfreut, zunächst, aber sie trug ein äußerst kleidsames Kostümchen mit halblangen Ärmeln, und an den Ohren die Haarschnecken wie in ihrer Kindheit, was sehr hübsch zu ihrer stumpfen Nase stand. – Pimpernell, sagte Enzio erstaunt, du bist ja um zehn Jahre jünger geworden? Er konnte sich nicht enthalten, ihr einen Kuß zu geben. Dann setzte er sich animiert neben sie aufs Sofa und fragte: Möchtest du wieder einen Tee haben? Ich habe hübsche kleine Kuchen. – Wenn ich ganz offen sein soll, sehr gern. – Immer offen! rief er gut gelaunt, erhob sich und bereitete den Tee selber. – Welches Gehalt hat eigentlich dein Vater? fragte sie beiläufig, nachdem sie die Rede auf den Kapellmeister gebracht hatte. – Er nannte es. – Aber damit könnt ihr doch nicht so großartig leben, wie ihr tut. – Doch, sagte Enzio, den diese Indiskretion verdroß. Sie ließ das Thema sogleich fallen, und dachte: Also wird wohl ziemliches Vermögen da sein.

Nun, sagte er, als er sich wieder zu ihr setzte, erzähl mal! – Was soll ich denn erzählen? – Ich weiß nicht, irgend etwas Lustiges. – Mir ist wahrhaftig nicht lustig zu Sinn. – Ich denke, du bist so ausgefüllt von deinem Beruf? Und dann: der nette neue Direktor ...! – Das war ja doch bloß so von mir hingesagt, oder vielmehr: du hast mich falsch verstanden. Er ist wirklich ein reizender Mensch, aber vorläufig interessiert er mich durchaus nicht. Enzio, würdest du mir wohl ein Glas frisches Wasser holen? So sprach sie, und sah dabei zum Schreibtisch. Enzio erhob sich sogleich und ging zur Küche. Sowie er hinaus war, huschte sie zum Fenster, wo sie, als sie eintrat, einen Brief mit einer Mädchenhandschrift hatte liegen sehn. Zuerst die Unterschrift: Deine Irene. Nun rasch den kurzen Inhalt. – Den hatte sie sich anders gedacht. – Erst als er draußen war, fühlte Enzio mit Bewußtsein jenen Blick des Pimpernell zum Schreibtisch. Jetzt beeilte er sich, schlich auf Zehenspitzen zurück und öffnete dann schnell, aber ganz leise, die Tür. Pimpernell blickte vom Sofa auf. Danke, sagte sie und streckte die Hand aus.

Nun, sprach er, als sie wieder beieinandersaßen, wie hat dir denn meine Freundin gefallen? – Pimpernell hatte sich auf diese Frage schon sorgfältig vorbereitet: In ihrer Art vorzüglich! sagte sie und nickte wohlwollend und anerkennend. – Was heißt das: in ihrer Art? – Ich meine als das, was sie ist; als ein hübsches, harmloses, nettes Mädchen, an das man keine weiteren Ansprüche stellt, denn das tust du doch natürlich nicht. Ich verstehe es ganz gut, daß du dich einmal für eine Zeit mit ihr abgibst, sie hat eine ausnehmend hübsche Larve und scheint in ihrem Wesen wirklich reizend zu sein; ich möchte sie gern einmal wiedersehn, wenn es sich zufällig so macht. – Enzio sah sie halb von der Seite an: das nennt man Taktik; dachte er. – weißt du, fragte er, was sie über dich gesagt hat? Du hättest ein so harmonisches, wohltuendes Wesen. – Pimpernell lächelte: Einen solchen Blick hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Nun, dann haben wir ja gegenseitig von uns die beste Meinung. Aber glaubst du nicht, Enzio, daß sie eifersüchtig werden könnte, wenn wir uns öfter sehn? Die Mädchen aus solchen Ständen denken doch immer nur an das Eine und Einzige, und sind für alles andre blind. Die Tochter von einem Wagnermeister ... – Woher weißt du denn, daß ihr Vater Wagnermeister ist? fragte er erstaunt. – Pimpernell machte eine leichte Kopfbewegung, dann schien sie nachzudenken: Das hast du mir doch selbst gesagt! – Ist mir nicht eingefallen! – Woher sollte ich es denn sonst wissen? – Du könntest vielleicht im Adreßbuch nachgeschlagen haben! schlug er vor, und traf damit das Richtige. – Ich? im Adreßbuch? sagte sie eifrig, – wenn ich noch nicht einmal ihren Familiennamen weiß?! – Den habe ich doch genannt, als ich euch vorstellte! – Pimpernell sah in die Luft. So? den habe ich dann wieder vergessen. Kurz und gut: wenn ihr Vater Wagnermeister ist... oder nun irre ich mich wohl? Er ist wahrscheinlich etwas ganz anderes? – Enzio wurde irre. Hatte er ihr wirklich hierüber Auskunft gegeben? Oder tat jetzt Pimpernell absichtlich so unwissend und unsicher? Dann war sie viel raffinierter, als er bisher angenommen hatte. – Nein, nein, du hast ganz recht, sagte er; aber nun sprich endlich aus, was du sagen willst. – Ich meine: Mädchen aus solchen Familien haben viel primitivere Vorstellungen als unsereiner, und ich möchte sie um Gottes willen nicht beunruhigen. Ich möchte nicht den Schein auf mich laden, als wolle ich störend zwischen euch treten. Du dachtest wahrscheinlich: ich sei in dich verliebt. Das ist durchaus nicht der Fall. Ich mag dich als einen Jugendkameraden gern, das ist alles. – So, sagte Enzio kühl. Aber im nächsten Moment verstand er diese Taktik wieder und dachte: Sie hat ganz recht, wie sie es macht, aber nun will ich sie beim Wort nehmen, denn es ist wirklich besser, wenn wir uns nicht so oft sehn; es quält sie nur, und Bienle scheint zu fürchten, daß ich mich in sie verlieben könnte; ausgesprochen hat sie es nicht, aber ich glaube doch, daß sie Ähnliches denkt. – Schön! sagte er, ich empfinde ganz so wie du. Du hast viel zu arbeiten, ich habe viel zu arbeiten, da ist es wohl das beste, wenn wir uns nur gelegentlich einmal sehn. – So sollst du es nicht auffassen, für einen Jugendfreund habe ich immer ein Stückchen meiner freien Zeit übrig. Ich werde dich niemals stören; du darfst mich immer fortschicken, wann du willst. Ich freue mich, daß du ein Mädchen gefunden hast, das dir so nahesteht, und wünschte, daß dieses Verhältnis eine längere Dauer habe, als ich leider fürchten muß.

Als sie ihm Adieu sagte, hielt er sie am kleinen Finger fest: Trag doch dein Haar immer so! Wir haben heut so nett zusammen gesprochen, das kommt nur daher, daß du dein Haar so trägst wie früher. Er wollte sie noch hinabbegleiten, aber sie meinte: Bleib lieber oben, die Leute denken sonst vielleicht, daß du deiner Freundin untreu seist. – Und auf der Treppe sagte sie noch einmal: Ich muß mich eilen, denn ich habe eine Verabredung! – So, mit wem denn? – Du brauchst nicht alles zu wissen. – Eine enge Freundschaft? – Sollte sie sagen: ja? Das war nicht klug von ihr. Wenn sie nein sagte, so war das auch nicht klug. 5o sprach sie denn: Man weiß nie, wie solche Freundschaften sich entwickeln und muß alles der Zeit überlassen.

Ob sie wohl wirklich eine andere Freundschaft sucht oder schon eine gefunden hat? dachte Enzio, wie er allein war. Sie sieht doch reizend aus! Ein Gefühl, ähnlich der Eifersucht, regte sich in ihm, bei dem Gedanken, daß nun ein andrer das nehmen würde, was ihm selbst hätte gehören können. Ach was! dachte er darauf, das ist es ja: sie will mich eifersüchtig machen! Erweckt Hintergründe, die nicht da sind!

Das nächstemal brachte Pimpernell ein Bändchen Novellen mit: Gib sie deiner Freundin, ihre gänzliche Unberührtheit ist zwar sehr hübsch, aber sicher werdet ihr beide Anregung davon haben! Vielleicht lest ihr sie zusammen. Ich könnte mir denken, daß ihr Momente habt, wo ihr nicht wißt, was ihr miteinander reden sollt. Enzio lächelte innerlich über diese neue Wendung und meinte: Wie klug du bist, Pimpernell! – Sie sah ihn mit halb unsicherm Blick, halb teilnahmvoll an, sprach aber nichts weiter über diese Sache.

Sie ist doch ein grundgutes Geschöpf! sagte Enzio zu Bienle: denk dir, sie sorgt sich, daß wir beide uns langweilen! Bienle hatte ein unbehagliches Gefühl, aber sie schwieg, da Enzio so gänzlich unbefangen schien.

Die Aufmerksamkeiten mehrten sich, sie gingen in direkte Geschenke über, und Pimpernell nannte Bienle, wenn sie von ihr sprach: »das kleine Pusselchen«. Sie hatte sie inzwischen mehrere Male wieder bei Enzio getroffen, und war von der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit gewesen. Sehr erstaunt war er, als sie ihm eines Tages mitteilte, sie habe Bienle in ihrer Wohnung besucht: Ein Stübchen hat sie, recht, recht bescheiden eingerichtet, aber doch ganz niedlich, alles in allem.

Wie oft hatte Enzio früher Bienle gefragt: Wie sieht deine Stube aus? und dann ihre Beschreibungen angehört, wie ein Außenstehender, der niemals ein Heiligtum betreten durfte, das ihm ein für allemal verschlossen war. Jetzt kam dies Mädchen und tat mit selbstverständlicher Leichtigkeit, was er nicht konnte. Zudringlich erschien ihm Pimpernell. Sie dagegen glaubte alles recht gut gemacht und eine neue Ecke in seinem Herzen erobert zu haben. Sie wiederholte diesen Besuch sehr bald, und Bienle sagte zu Enzio: Ich wollte, sie käme lieber nicht zu mir! – Magst du sie denn nicht? – Bienle schwieg erst, dann schüttelte sie aber doch den Kopf: Ich hab halt immer das Gefühl, als wenn sie nicht aufrichtig sei, und doch ist sie so lieb und nett zu mir, daß ich mich dann vor mir selber schäme. – Schick sie doch fort, wenn sie wiederkommt! schlug er vor. – Das möcht ich auch am liebsten, aber ich trau mich nicht. – Oder laß ihr sagen, du wärest nicht daheim, sie kann doch nicht kontrollieren, ob das wahr ist.

Das tat Bienle wirklich. Aber sie hatte nicht mit Pimpernells Spürsinn gerechnet: Sie witterte die Wahrheit, und einmal, als sie wieder abgewiesen war, stellte sie sich lange draußen auf die Straße, so, daß sie selbst vor Blicken geschützt war, und spähte zu ihrem Fenster hinauf, bis sie konstatieren konnte, daß ihr Verdacht berechtigt war. Ach Gott, wie gräßlich! dachte sie, eilte nach Hause, hielt es aber da auch nicht aus, war kurz darauf bei Enzio, erfuhr, daß er ebenfalls nicht daheim sei, überzeugte sich durch den Augenschein und dachte: Soll ich nun zurücklaufen und sehn, wie er sie abholt? Das wollte sie zuerst auch, bis ihr einfiel, daß sie wahrscheinlich doch zu spät anlangen würde.

Deutlich begann sie zu bemerken, wie beide sich von ihr zurückzogen, daß sie mit einem Worte »unerwünscht« sei, wie sie es vor sich selber ausdrückte. Sie begriff Enzio nicht; manchmal glaubte sie schon dicht vor dem vorläufigen Ziel ihrer Wünsche zu sein – und dann war es wieder, als mache Enzio sich nur über sie lustig. – Ich fühle es doch ganz deutlich, daß er mich eigentlich liebt!



 << zurück weiter >>