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Enzio wuchs heran zu einem Knaben von außerordentlicher Schönheit. Er war so schön, daß die Menschen auf den Straßen erstaunt stehen blieben und ihm nachsahen.

Denk dir, sagte Caecilie eines Tages zu ihrem Mann, Enzio kommt zu mir in mein Schlafzimmer und sagt: Mama, schick Susanne weg; ich mag Susanne nicht mehr; sie ist häßlich. – Der Kapellmeister schmunzelte: Nicht übel, Susanne ist auch nicht mein Geschmack. – Aber er kennt sie doch solange er nur denken kann, und sie ist immer nur liebevoll zu ihm gewesen! Ich habe ihm das auseinandergesetzt, er weinte sogar, sah alles ein und schenkte ihr darauf seinen silbernen Becher. Aber ich verstehe das von Enzio nicht, da er doch soviel Seele hat! – Schickst du nun Susanne fort? – Liebes Kind, sagte Caecilie, du bist zerstreut! klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder.

Enzio weinte oft lange, wenn ihm Caecilie Vorstellungen machte wegen einer begangenen Ungezogenheit, dachte nicht viel über den Sinn ihrer Worte nach, sondern hatte nur den einen Gedanken: Sie soll mich lieb haben! Fühlte er dieses wieder, so schlang er heftig seine Arme um ihren Nacken und ließ seinen blühenden Mund zu einer besonderen Art von Kuß auf ihrer Wange hin und her gehen: Er küßte mit offenen Lippen, sie rollten sich ein wenig und hinterließen nasse Spuren.

Höre, Enzio, sagte sie einmal, so küßt man seine Mutter nicht. – wie denn sonst? fragte er erstaunt. Sie zeigte es ihm, er versuchte es nachzumachen, schüttelte den Kopf und sagte: das finde ich gar nicht schön. – Du küßt doch deinen Vater auch nicht so! – Das ist auch ganz anders! Papa hat Haare auf der Backe.

Übrigens liebte Caecilie an ihm diese Art des Unterschieds in seinen Zärtlichkeiten sehr. In solchen Augenblicken hatte sie ganz das Gefühl, als sei er ihr Junges. Nach ihrer Überzeugung gehörte dieses Kind in allererster Linie ihr; ja sie konnte eine leise Eifersucht zuweilen nicht ganz unterdrücken, wenn er auch zu seinem Vater auf den Schoß kam und mit ihm zärtlich war. – Ich kann dieses anhimmelnde Wesen von dir zu Enzio manchmal nicht ertragen! sagte sie wohl zu ihm, wenn sie allein waren, du machst den Jungen weichlich. – Ich weiß wirklich nicht, antwortete er dann, wie ich es dir recht machen soll, wäre es anders, so würfest du mir wahrscheinlich Kälte vor. – Alles hat doch Maß und Ziel. – Erlaube! du selbst bist zuweilen gänzlich ohne Maß und Ziel. – Das ist nicht wahr; aber wenn es wahr wäre: dafür bin ich auch seine Mutter! Ein Vater muß härter sein mit seinen Kindern. – Dann sah der Kapellmeister weich zur Decke und sagte: Ich werde ihm also von heute ab etwas mehr von meinen Härten zeigen, wenn du es befiehlst. –

Er war nach Laune verschieden gegen seinen Sohn. Oft ließ er ihn vergnüglich in sein Zimmer ein, hieß ihn sich unter den Flügel setzen und da still zuhören, während er spielte, und manchmal beugte er sich plötzlich ungeduldig hinab und sagte mit unfreundlicher Stimme: Geh hinaus. Caecilie konnte aus diesen Symptomen abnehmen, ob ihr Mann zufrieden oder unzufrieden mit sich selber war.

All die Jahre ihrer Ehe war das nun so weitergegangen mit ihm: Ein ewiges Auf und Ab seiner Gefühle für sein eigenes Talent. Bald hörte sie, daß er, wenn das Geschick ihm gnädig sei, ein Werk vollenden würde, das ganz aus innerm Zwang entstanden sei, zuweilen gab es auch einen kleinen Erfolg, aber dann versank immer alles wieder. In ihrer liebenden Seele vergrößerten sich diese Erfolge wie unter einer Lupe, ihre Hoffnungen auf das neue Werk stiegen auf das Höchste, angstvoll hielt sie ihrem Manne alles fern, was ihn zerstreuen, verstimmen konnte, und war oft unglücklich darüber, daß sie nicht mehr, nichts Positives für ihn zu tun vermochte. Sie konnte nur beistimmen, wenn ihr etwas schön erschien, schweigen, wenn ihr etwas nicht gefiel was ihm gefiel, und ihm wieder beistimmen, wenn er ein abfälliges Urteil äußerte, das schon vorher, noch unausgesprochen, auch das ihre war. Er hörte ihre Kritiken gern, und namentlich, wenn sie zuvor etwas gelobt hatte, wünschte er auch Mißfälliges von ihr zu hören. Darin war sie zurückhaltend. So sehr und so offen sie auch aus sich herausging, wenn es sich um Dinge handelte, wo sie sich mit ihm auf gleichem Boden fühlte, so sehr legte sie sich Zwang auf in den andern Dingen, die zu seinem eigentlichen Beruf gehörten. In früheren Jahren war das anders gewesen. Da hatte sie noch frei heraus geäußert, was sie empfand. Ihre Kritik regte ihn damals an, und wenn sie einwendete: ich bin doch kein Musiker, ich verstehe doch von diesen Dingen viel zu wenig – so antwortete er: Aber deine Stimme ist die Stimme des musikalischen Publikums, auf das ich vor allem angewiesen bin.

Jetzt sagte er viel öfter: du verstehst das nicht, du hast kein Urteil, du bist kein Musiker. Und doch machte er ihr dann wieder Vorwürfe, daß sie zu wenig offen sei. Sie empfand und wollte doch nicht empfinden, daß sich ihr Mann in einem ihm ursprünglich fremden künstlerischen Element befand. Aber vielleicht irrte sie sich, wer konnte es wissen! Sie verstand von diesen neuen Kompositionen nichts – so redete sie sich ein – und wollte vor sich selbst nicht wahr haben, daß sie langweilig seien. Manchmal erschien ihr etwas hübsch – niemals tief – und mit einer Art von Erleichterung sprach sie dann lange über diese Stellen. Der Kapellmeister war mit den Jahren empfindlicher gegen eine abfällige Kritik geworden, sowohl in dem Sinne, daß sie überzeugender und bohrender in ihm nachwirkte, als auch in dem andern: daß sie ihn geradezu verletzte, was er aber vor sich selber nicht zugeben wollte. Sie durchschaute diese Schwäche sehr wohl, und war um so trauriger darüber, als sie einsah, daß der Grund hierfür in seinem Bewußtsein des Nichtbessermachenkönnens lag.

War Enzio musikalisch? Es erschien ihr fast wie ein Treuebruch an ihrem Mann, schon jetzt über sein Schaffen hinaus zu denken an ein Menschenleben, das noch so unentfaltet vor ihr lag. Und außerdem: wer wußte denn, wie es mit der Kunst ihres Mannes werden würde? Konnte nicht trotz allem jeder Tag der Anfang von etwas Großem werden?

Enzio schien sich, abgesehen von den Stunden unter dem Klavier, nicht viel um Musik zu kümmern; aber gelegentlich hörte ihn sein Vater leise pfeifen, und einmal traute er seinen Ohren kaum, als er das Thema eines Symphoniesatzes hörte, den er niemals zu Ende komponiert hatte; rein und taktsicher vorgetragen, denn Enzio glaubte sich allein im Zimmer. Dies machte den Kapellmeister sehr glücklich; er pries Caecilie gegenüber den Geschmack seines Sohnes, der gerade diese schöne Melodie behalten, und setzte in einer Anwandlung halb bitteren, halb versöhnlichen Selbsthumores hinzu: So gibt es doch wenigstens einen Menschen, bei dem ich populär werde.



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