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XXIX.
Gräfin Gadenbruck und Erhard ändern ihre Meinung über Herrn v. Schlomm

Gräfin Gadenbruck hat inzwischen bewaffnet mit ihrer hochmütigsten Miene und eisigsten Kälte den Salon betreten und Schlomm, ohne ihm die Hand zu reichen, mit stummem Kopfnicken begrüßt.

Sie und ihr Sohn sind gleichsam in Wehr und Waffen gegen den Besucher.

Aber Hochmut und Kälte sinken rasch zusammen wie Strohfeuer, als sie aus der Haltung und Schlomms ersten Worten erkennen, daß ein gebrochener Mann vor ihnen steht, der vor Demut und Scham kaum den Blick zu heben wagt …

»Wollen Sie vor allem verzeihen, gnädigste Gräfin und Sie, Graf Gadenbruck, daß ich es wage, Sie persönlich in Ihrem Hause zu belästigen. Aber es ließ sich nicht anders machen … es wäre mir unmöglich gewesen, die traurigen Erklärungen, die ich Ihnen über die Vorgänge in meinem Hause abzugeben habe – schriftlich zu machen. Daß ich die Kränkungen, die Ihrer Nichte auf Wolfeck widerfuhren, auf das tiefste bedaure, daß weder mein Sohn noch ich vorher darum wußten oder daran glaubten – davon bitte ich überzeugt zu sein. Was geschah – geschah hinter unserem Rücken, ohne daß wir es verhindern konnten …« beginnt Schlomm stockend, worauf ihn Gräfin Gadenbruck – freundlicher, als sie es dem »Seifenfabrikanten« gegenüber je für möglich gehalten hätte – unterbricht.

»Dann ist es ja gut, Herr v. Schlomm. Es freut mich sehr, zu hören, daß Sie und Ihr Sohn der Sache fernstehen und Urteilskraft genug beweisen, meiner Nichte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen –«

»Nach jeder Richtung hin, gnädigste Gräfin! Unsere Gefühle für sie sind, waren und werden nur die der höchsten Bewunderung und unauslöschlicher Dankbarkeit sein. Um so tiefer schmerzt es mich, daß uns nahestehende Personen es wagten, völlig grundlos so unverantwortliche Beschuldigungen gegen sie zu erheben.«

»Nun, Elisabeth wird gewiß verzeihen, wenn ich ihr Ihre Worte wiederhole, Herr v. Schlomm, und sie daraus ersieht, daß alles sich aufgeklärt hat. Der Diebstahl ist doch aufgeklärt?«

»Ja – er ist aufgeklärt … bis in alle Einzelheiten.«

»Und wer war der Dieb?«

»Niemand.«

»So hat der Ring sich wiedergefunden?«

»Nein. Trotzdem ist alles aufgeklärt, und zwar durch die Person, die schuld an der ganzen Sache ist – durch meine Frau.«

Gräfin Gadenbruck und ihr Sohn starren den Sprecher verständnislos an.

Schlomm fährt, seine heftige innere Bewegung niederkämpfend, rasch fort.

»Ja. Meine Frau ist seit gestern abend schwer erkrankt und mußte heute in aller Frühe nach Lobstein ins Spital transportiert werden. Während der letzten Nacht, wo ich an ihrem Bett wachte, wurde mir aus ihren Fieberphantasien erst die Wahrheit klar. Ohne dies wäre die Sache wohl nie ans Licht gekommen. Meine Frau selbst versteckte den Ring in einem Wandschrank der Bibliothek und beschuldigte dann Ihre Nichte des Diebstahls, um sie dadurch von Wolfeck zu vertreiben, da ich ihr streng verboten hatte, Fräulein Benedikt zu kündigen. Alles war also eine niederträchtig angelegte Komödie … ersonnen von der Braut meines Sohnes – ausgeführt von meiner Frau. In ihren Fieberreden hat sie alles verraten. Daß es seine Richtigkeit damit hat, beweist der Umstand, daß ich den Ring heute morgen tatsächlich in dem erwähnten Versteck fand. Ihre Nichte hatte also in Wahrheit nicht das mindeste mit der Sache zu tun und ist vollkommen gerechtfertigt. Für die ihr widerfahrene Kränkung bin ich selbstverständlich zu jeder Genugtuung bereit … auch dazu, meine Angaben vor Gericht unter Eid zu wiederholen, wenn Sie dies wünschen.«

Schlomm hat mit gesenktem Kopf gesprochen. Schmerz und Scham drücken ihn förmlich zu Boden, das sieht man ihm nur zu deutlich an.

»Das läge wohl nicht in unser aller Interesse, Herr v. Schlomm,« antwortet die Gräfin nach einer kurzen Pause auf seine letzte Bemerkung. »Aber Sie sehen mich fassungslos über Ihre Mitteilungen! Eine Komödie nur … was in bezug auf Sein oder Nichtsein eines jungen Menschenlebens entscheidend werden konnte! Es ist entsetzlich und gar nicht auszudenken, was hätte geschehen können, wenn Ihre Frau die Wahrheit nicht im Fieber verraten hätte …! Eines nur verstehe ich noch immer nicht: Woher dieser abgrundtiefe Haß Ihrer Frau und Baronesse Werndls gegen meine arme Nichte? Was hatte sie ihnen denn getan?«

» Nichts, absolut nichts. Meine Schwiegertochter hatte ihr einmal eine häßliche Szene gemacht, und mein Sohn zwang sie dann, sich deshalb bei Ihrer Nichte zu entschuldigen. Das mag sie ihr wohl nie vergessen haben, nehme ich an. Meine Frau? Um Ihnen das zu erklären, müßte ich weit ausholen, aber ich fürchte, Ihre Zeit damit zu lange in Anspruch zu nehmen, gnädigste Gräfin …«

»Erklären Sie es mir bitte trotzdem, Herr v. Schlomm, ich möchte gern ganz klar sehen.«

Ohne den Kopf zu heben, erzählt nun Schlomm mit leiser Stimme die Vorgeschichte der Diebstahlsbeschuldigung, dabei kurz auch seine zweite Ehe, die Wandlung, die sich in ihm vollzogen, und seine passive Stellungnahme zu Irenes Flirt mit dem Prinzen berührend.

»Es war vielleicht ein Fehler von mir, die Dinge so weit kommen zu lassen,« schließt er gedrückt. »Ich muß mir das heute zum Vorwurf machen. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen – ich ahnte bis vor wenigen Tagen nicht, wie weit die Dinge gediehen waren, und daß Prinz Kelims Interesse sich inzwischen Fräulein Benedikt zugewandt hatte. Aber meine Frau ahnte – wußte es. Bis dahin war sie Ihrer Nichte sehr zugetan, erst als die Eifersucht ins Spiel kam und als sie trachtete, auf alle Weise Fräulein Benedikt aus Wolfeck zu entfernen, erwuchs der Haß. Sie erblickte von da an nur mehr die Nebenbuhlerin in ihr, die zwischen ihr und dem eingebildeten ›Glück‹ stand. Und als ich ihr erklärte, eine Entfernung Fräulein Benedikts nie zuzulassen – bestimmte meine Schwiegertochter sie, den von ihr ersonnenen Plan auszuführen. Da es auf geradem Wege nicht ging, sollte Ihre Nichte durch den fingierten Diebstahl derart eingeschüchtert werden, daß sie Wolfeck freiwillig verließ …«

»Schändlich! Erbärmlich …!« braust die Gräfin von neuem entrüstet auf, verstummt aber sofort, als ihr Blick Schlomm trifft, dessen gebrochene Haltung ihre Entrüstung in warmem Mitleid untergehen läßt.

Nein, sie konnte diesem armen Menschen, der viel besser und edler war, als sie es für möglich gehalten hätte, nicht noch weher tun …

Wie furchtbar schwer mußte es ihm gefallen sein, ihr und Erhard so bittere, demütigende Geständnisse machen zu müssen, und wie schön von ihm, daß er es trotzdem getan! Er hätte ja bloß sagen können, der Ring habe sich wiedergefunden – basta. Aber er hatte es verschmäht, zu lügen und, ohne sich oder seine Frau zu schonen, der Wahrheit die Ehre gegeben. Darin lag Größe. Und für Größe hat Gräfin Gadenbruck immer Verständnis. Und ein stets warmes Herz für leidende Mitmenschen …

Einem innern Impuls folgend, reicht sie daher Schlamm die Hand und schüttelt die seine herzlich.

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Herr v. Schlamm, und hoffe, daß diese Stunde vertraulicher Aussprache uns einander nähergebracht hat, als Jahre eines oberflächlichen Verkehrs. Fortan wollen wir gute Nachbarschaft halten, und ich hoffe, Sie recht oft als Freund in Waldheim begrüßen zu können. Über die Sache aber, die Sie hergeführt hat, wollen wir nicht wieder reden, sie ist geklärt und – daher erledigt.«

Auch Erhard schüttelt Schlomm die Hand und wiederholt die Einladung seiner Mutter.

Schlomm ist Lief bewegt. Seine Augen feuchten sich, als er die Hand der Gräfin in wortlosem Dank an die Lippen zieht.

»Und Komtesse Benedikten? Werden Sie ihr sagen, gnädigste Gräfin, wie alles zusammenhing?« fragt Schlomm, nachdem er seiner Bewegung wieder Herr geworden.

»Sie sollen es ihr selber sagen, Herr v. Schlomm, wir wollen nachher gleich zu ihr. Sie ist bei ihrer Mutter, die, wie Sie ja wissen, heute morgen ankam. Vorher aber möchte ich noch etwas mit Ihnen ins reine bringen wegen Ihrer lieben Kinder …«

»Ach ja – diese armen Kinder …«

»Gar nicht arm, lieber Herr v. Schlomm, denn sie sind ja bei uns in bester Hut, wir sind alle verliebt in sie und verziehen sie nach allen Regeln der … Verziehungskunst! Sie werden sich nachher von ihrem Wohlbefinden selbst überzeugen.«

»Daß es ihnen jetzt und hier gut geht, daran zweifle ich keinen Augenblick, aber …«

»Nun, sie sollen vorläufig überhaupt hierbleiben, darum wollte ich Sie ja eben bitten.«

»Aber das kann ich doch unmöglich annehmen, gnädigste Gräfin!«

»Sie müssen es sogar, weil es gar nicht anders geht. Elisabeth könnte sich keinesfalls von ihnen trennen, und mir fiele es gleichfalls sehr schwer, gestehe ich Ihnen offen. Und Elisabeth könnte doch auch nicht mit ihnen zurück nach Wolfeck in den derzeit frauenlosen Haushalt! Also ist es am besten und richtigsten, sie bleiben mit Elisabeth in Waldheim, das sehen Sie doch ein?«

»Selbstverständlich … nur weiß ich nicht, wie ich Ihnen eine so außerordentliche Güte je vergelten könnte –«

»Sehr einfach: indem Sie täglich kommen, um sich von dem Gedeihen Ihrer Kinder persönlich zu überzeugen! Sie würden ja besonders abends die Einsamkeit daheim recht schmerzlich empfinden, und für uns wird es stets eine angenehme Bereicherung unseres zurückgezogenen Lebens sein, wenn Sie auf ein paar Plauderstunden kommen, nicht wahr, Erhard?«

»Gewiß, Mama hat wie immer recht. Also schlagen Sie ein, Herr v. Schlomm! Auch Elisabeth wird sich außerordentlich freuen!« –

Während Hans Schlomm mit Gadenbrucks nach dem Garten zu den Kindern geht, sitzt sein Sohn in seinem Büro und starrt regungslos auf einen Brief, den ein besonderer Bote kurz zuvor von Haugenbichl für ihn nach der Fabrik gebracht hat.

Der Brief ist kurz und lautet:

 

»Lieber Ronald!

Ich setze Dich hiermit davon in Kenntnis, daß ich unsere Verlobung seit gestern als aufgelöst betrachte, da sich mir eine erwünschtere Partie geboten hat. Du verzeihst wohl, daß es eigenmächtig, und ohne vorher Deine offizielle Genehmigung einzuholen, geschah. Bei dem Mangel jedweden Gefühls füreinander hat dies wohl nichts zu sagen. Du wirst froh sein, von mir loszukommen, und ich – bin es auch!

Edine.«

 

Dem Brief ist eine gedruckte Karte beigelegt, die offenbar den Kommentar zu der sachlichen Mitteilung bilden soll.

 

Edine Baronesse Werndl
Prinz Alexander Kelim

beehren sich, ihre Verlobung bekanntzugeben.

Schloß Haugenbichl
Schloß Ravelsperg

 

Ronald sitzt und liest immer wieder die wenigen Worte, die sein Schicksal entscheiden.

Er kann es nicht fassen – wagt es nicht zu glauben …

Aber allmählich weicht der ungeheure Druck, der während der letzten Monate lastend auf ihm gelegen, von seiner Seele.

Schüchtern, wie die Vögel im Vorfrühling zu singen beginnen – da einer, dort einer – bis die Lieder, immer lauter werdend, in brausendem Jubelchor erschallen, beginnt es in ihm zu klingen …

Frei – frei – frei! Keine Pflicht mehr, sein Herz zu knebeln! Kein Wort, das Erfüllung heischt – keine dunkle, trostlose Zukunft mehr, die ihn angrinst wie ein Gespenst …

Die Sonne scheint wieder, die Weite tut sich auf um ihn – alles voll Blumen und Glück – die Freiheit!

Und ein holdes Frauenbild inmitten all des Glanzes, nach dem er nun die Arme ausstrecken darf …

Es ist mitten am Vormittag. Die Post ist zu erledigen, die Tippmamsell wartet, der Buchhalter, der Betriebsleiter, im Vorzimmer Kunden und Vertreter – Ronald aber vergißt alles. Er springt plötzlich auf, atmet tief, streckt die Arme zum Himmel, als wolle er die ganze Welt umarmen, stülpt seinen Hut auf und stürmt davon …

Nach Waldheim – zu ihr! Kein anderer Gedanke findet daneben Raum in ihm.


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