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XXIV.
Freundinnen …

» Sie ist fort!« Mit diesen Worten empfängt Irene ihre Freundin Edine, als diese sie am Nachmittag aufsucht.

»Es verlief also alles programmäßig?«

»Ja. Ich spielte meine Rolle genau nach deinen Weisungen, und ich glaube, ich habe sie sehr gut gespielt! Als ich zuletzt mit der Polizei drohte, war sie einfach zerschmettert. Eine halbe Stunde später verließ sie verstohlen wie eine wirkliche Verbrecherin das Haus. Offenbar glaubte sie fest, ich würde wirklich Ernst machen mit der Anzeige und zog die Flucht als einziges Rettungsmittel allem andern vor – genau wie wir erwarteten.«

»Nahm sie Gepäck mit?«

»Nein, sie ging, wie sie war, im Hauskleid, und hat nicht einmal einen Hut aufgesetzt.«

»O weh – dann ist sie am Ende gar nicht abgereist, sondern zu ihrem Geliebten nach Waldheim geflüchtet! Das wäre sehr unangenehm, denn Gadenbrucks werden die Sache sicherlich nicht auf sich beruhen lassen …«

»Beruhige dich, sie ging nicht nach Waldheim, sondern schlug die Straße nach Lobstein – also zum Bahnhof – ein. Vom oberen Turmzimmer aus kann man die Straße fast bis zum Städtchen verfolgen – ich stieg eigens hinauf, um mich zu überzeugen, daß sie wirklich nach Lobstein ging. Es ist also alles in Ordnung, und ihre stillschweigende Flucht ist im Notfall ein wertvoller Schuldbeweis.«

»Das allerdings. Und dein Mann und Ronald? Wie nahmen sie die Sache auf?«

»Anfangs waren sie wie erschlagen, als ich ihnen bei ihrer Heimkehr alles mitteilte, und wollten durchaus nicht an die Schuld der Benedikt glauben, meinten, es müsse ein Irrtum meinerseits vorliegen. Suchten dann beide selbst nach dem Ring, indem sie in meinem Wohnzimmer das unterste zu oberst kehrten. Als sie nichts fanden, suchten sie nach der Benedikt und fragten die Dienstboten nach ihr aus. Aber der Vogel war gottlob schon ausgeflogen und nicht mehr zu finden …«

»Sagtest du etwas von der Drohung mit der Polizei?«

»Gott bewahre, kein Wort. Ich sagte im Gegenteil, daß ich der Benedikt sehr lieb zugesprochen und nicht einmal mit Entlassung gedroht hätte, obwohl ihr erschrecktes Erbleichen ohne weiteres bewiesen hätte, daß sie den Ring tatsächlich genommen habe. Das Schuldbewußtsein habe man ihr nur zu deutlich vom Gesicht ablesen können. Übrigens beweise es ja auch ihre Flucht und das Unterlassen jedes Rechtfertigungsversuches. Wäre sie schuldlos, würde sie doch Hansens Kommen abgewartet haben oder zu ihm in die Fabrik hinausgegangen sein, um ihm die Sache vorzutragen! Ich spielte auch da meine Rolle sehr gut und glaubwürdig, so daß Hans schließlich keinen Verteidigungsversuch mehr wagte und sich in Schweigen hüllte. Offenbar weil meine Argumente seinen blinden Glauben an den Tugendengel doch erschüttert hatten.«

»Auch den Ronalds?«

»Nein, der behauptet noch immer steif und fest ihre Schuldlosigkeit und ist am meisten über ihr Verschwinden beunruhigt. Ich glaube, er fürchtet insgeheim, daß sie sich aus gekränktem Ehrgefühl ein Leid angetan haben könnte. Gleich nach Tisch ging er dann auch nach Lobstein, um ein Telegramm an ihre Mutter aufzugeben mit der Anfrage, ob die Tochter bei ihr sei.«

»Weiß er denn die Adresse der Alten?«

»Sicherlich. Ronald war es ja, der seinerzeit, nachdem er die Benedikt durch ein Büro aufgenommen, nachher noch alle Einzelheiten schriftlich mit ihr abmachte. Übrigens will Ronald, wenn er das Telegramm aufgegeben hat, auch noch in Lobstein die Abgängigkeitsanzeige erstatten, damit hier nach ihr gesucht wird. Ich konnte das leider nicht verhindern.«

Edine runzelt die Brauen.

»Wie ärgerlich, daß Ronald die Sache an die große Glocke hängt! Daraus können uns vielleicht noch Unannehmlichkeiten erwachsen –«

»Wieso? Den wahren Zusammenhang weiß doch niemand als wir beide, und wir werden ihn doch nicht verraten!«

»Ach, was verstehst du davon! Wenn sich die Behörden einmal in eine Sache mischen … Du selbst wärst die erste, die sich durch geschicktes Fragen eines Beamten in Verwirrung bringen … und zum Schluß alles herausziehen ließe!«

»Na, erlaube …«

»Ich will dir für alle Fälle nur sagen, daß ich für meine Person alles glattweg ableugnen würde, wenn es soweit käme. Nötigenfalls würde ich ruhig schwören, keine blasse Ahnung von dem ganz allein in deinem Kopf entstandenen Plan gehabt zu haben, der von dir allein ausgeführt wurde.«

»Das würdest du wirklich tun – mich im Stich lassen?«

»Allerdings! Wenn du dumm oder schwach genug wärest, dich zu verraten. Jeder ist sich selbst der Nächste, und ich sehe gar nicht ein, warum ich meine Haut zu Markt tragen sollte für … deine Angelegenheiten!«

»Entschuldige – du wolltest es doch auch selbst – Ronalds wegen – daß die Benedikt unschädlich gemacht werde …«

»Bah – was geht mich Ronald an? Mag er lieben, wen er will, ich bin nicht eifersüchtig … ich will ihn nur heiraten …« entfährt es Edine unwirsch. Als sie Irenes erstauntem Blick begegnet, fügt sie mildernd hinzu: »Na, ich meine das nur so, daß wir beide uns eben nichts aus der sogenannten ›großen Liebe‹ machen, sondern als moderne Menschen auch eine moderne Ehe führen wollen. Und nun laß uns hoffen, daß die Benedikt wohlbehalten bei ihrer Mutter sitzt und die Dinge damit auch für uns befriedigend erledigt sind. Ich muß nun heim, lebe wohl.«

Kühl trennen sich die Freundinnen.

Da die Landstraße ihr zu staubig, der Feldweg zu heiß ist, schlägt Edine den Rückweg über die Anlagen des Stadtwäldchens ein.

Er ist zwar ein gutes Stück weiter, aber kühl und schattig, und am Zeitverlust liegt ihr nichts. Eigentlich hat sie zu Ebelings wollen, um dort am Tennistraining teilzunehmen. Aber dazu ist es schon ein wenig spät geworden, und die Lust ist ihr auch vergangen.

Sie fühlt sich mißgestimmt, ohne recht zu wissen, warum. Langsam verfolgt sie ihren Weg, als sie plötzlich auf einem Seitenweg Prinz Kelim einherschlendern sieht.

Er kommt von Ravelsperg und will anscheinend ebenfalls durch das Stadtwäldchen nach Lobstein, denn er hat die Richtung dahin eingeschlagen.

Im selben Augenblick, wo Edine ihn erkennt, hat er auch sie gesehen und kommt mit beschleunigten Schritten auf sie zu.

»Welcher Glücksfall, Sie gerade heute so unvermutet zu treffen, Baronesse!«

»Warum gerade heute?«

»Weil ich mich in ekliger Katzenjammerstimmung befinde, mich zu Tode langweile und nicht weiß, was ich mit mir und der Welt anfangen soll! Muß da nicht schon der bloße Anblick einer so schönen, geistreichen Frau, wie Sie, belebend auf mich wirken?«

»Sie brauchen sich keine Mühe mit Komplimenten zu geben, Durchlaucht …«

»Komplimente! Aber ich bitte Sie! Das sollte doch beileibe kein Kompliment sein, sondern nur ein Ausfluß meiner innersten Überzeugung!«

»Und da rechnen Sie nun zum Dank für diese schmeichelhafte ›Überzeugung‹ von mir darauf, daß ich Ihnen die schlechte Laune vertreibe, Durchlaucht?« lacht Edine, deren Verdrießlichkeit beim Anblick des Prinzen rasch verflogen ist.

»Es wäre wenigstens reizend von Ihnen, wenn Sie es täten, indem Sie mir ein Plauderstündchen schenkten. Um so mehr, als ich mich vorhin in Gedanken gerade mit Ihnen beschäftigte …«

»Oh … oh … Da müssen Sie aber schon sehr katzenjämmerlich gestimmt gewesen sein, Durchlaucht!«

»Belieben Sie nicht, all meine Worte ins Scherzhafte zu ziehen, gnädigste Baronesse! Ich dachte wirklich an Sie, und es waren sehr ernsthafte Gedanken, die ich Ihnen widmete … Aber wir wollen nicht hier mitten auf dem Wege stehenbleiben! Wie ist es mit einem Plauderstündchen? Sie wollen, vermute ich, nach Lobstein … haben Sie Eile dahinzukommen?«

»Durchaus nicht, und – Sie?«

»Noch weniger. Darum möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, wir suchen uns eine ruhige Bank und plaudern lieber, als in dieser Hitze nach der Stadt zu laufen. Ich weiß hier gleich in der Nähe solch eine Bank, wo selten Spaziergänger hinkommen und man mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen kann, ungestört zu bleiben. Dort würde es sich sehr nett plaudern lassen!«

»Einverstanden. Führen Sie mich hin.«

Nach ein paar Minuten sind beide an einer ziemlich versteckten Bank am Fuß einer uralten Buche angelangt, deren Äste sich, gleichsam einen Baldachin bildend, dicht darüber verweben, den ganzen Platz ringsum mit Schattenkühle erfüllend.

»Ach – hier ist es wirklich hübsch!«

»Nicht wahr?« Sascha läßt sich neben Edine auf der Bank nieder, zieht seine goldene Tabatiere und bietet ihr Zigaretten an.

»Vor allem eine Zigarette – das macht immer Stimmung. Finden Sie nicht?«

»Gewiß – aber soll ich wirklich hier in den öffentlichen Anlagen rauchen? Wenn nun doch jemand vorüberkäme …«

»Oh – wollen Sie mich gleich in der ersten Minute enttäuschen, Baronesse Edine? Wo ich gerade Sie zu den seltenen Ausnahmen unter den Frauen zähle, die wirklich großzügig sind und sich nicht um die Meinung der lieben Mitwelt kümmern?«

Edine hat bereits lachend eine Zigarette ergriffen und zwischen die roten Lippen gesteckt.

»Beruhigen Sie sich, Durchlaucht, es war nur ein Scherz, und Sie beurteilen mich ganz richtig. Ich zittere wirklich nicht vor den Lobsteiner Spießbürgern! Geben Sie mir, bitte, Feuer.«


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