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Elisabeth ist in ihrem Zimmer angelangt, gerade als draußen unter Blitz und Donner und Sturmgebraus die ersten Regentropfen fallen.
Sie setzt sich auf einen Stuhl und überlegt, was sie nun tun soll? Packen? Abreisen? Es wäre Erlösung gewesen nach all dem, was sie in diesem Haus schon hat erdulden müssen …
Aber darf sie die Kinder verlassen um der zornwütigen Laune einer unbeherrschten Frau willen? Was wurde dann aus ihnen? In welche Hände kamen sie möglicherweise? Sollte das Gute, das sie in ihre jungen Seelen gesät hatte, verkümmern – ihr bisheriges Werk umsonst getan sein?
Elisabeth beschließt endlich, Herrn v. Schlomm die Entscheidung zu überlassen, dessen Auto sie eben unten einfahren hört.
Ihm muß sie das Vorgefallene ohnehin unverzüglich mitteilen, schon um ihrer eigenen Ehre willen. Weder er noch Ronald sollen irre an ihr werden und auch nur ein einziges Wort von dem glauben, was ihnen Irene Schlomm vorlügen wird.
So beordert Elisabeth Rosa, ihr und der Kinder Abendessen heraufzubringen, da letztere ermüdet seien und nachher gleich zu Bett sollten. Sie waren in der Tat stark ermüdet von der langen Fahrt und all den neuen Eindrücken, kämpften schon während des Essens mit dem Schlaf und schliefen dann, als Elisabeth sie zu Bett gebracht hat, fast sofort ein.
Eben als sie sich bei Herrn v. Schlomm zu einer Unterredung melden lassen will, klopft er selbst bei ihr an, und an der Erregung, die sich in seinem Gesicht ausdrückt, erkennt Elisabeth sogleich, daß er bereits mit seiner Frau gesprochen hat.
»Liebes Fräulein Benedikt,« beginnt er, »ich komme mit schwerem Herzen zu Ihnen, Sie für das unqualifizierbare Benehmen – leider finde ich keinen andern Ausdruck dafür – meiner Frau um Vergebung zu bitten! Irene hat mir erzählt, was vorgefallen ist, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie entsetzt und untröstlich ich bin, daß Ihnen in meinem Hause so etwas begegnen mußte!«
»Trotzdem Ihre Frau Ihnen die ganze Sache doch wohl anders gefärbt mitgeteilt hat, als sie sich tatsächlich verhielt? Erlauben Sie daher …«
»Oh, Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen, Fräulein Benedikt – ich kenne Sie, kenne meine Frau und kenne auch den Prinzen, der, unter uns gesagt, ein Lumpenhund ist, zur Genüge, um mir die Wahrheit auch ohne Erklärungen Ihrerseits ziemlich richtig zusammenzureimen.«
»Erlauben Sie trotzdem, daß ich sie um meiner selbst willen wiederhole.«
»Wenn es Ihnen Erleichterung verschafft – bitte ich selbstverständlich darum.«
Elisabeth erzählt nun klar und anschaulich, was sich zugetragen hat, berichtet auch von den früheren Annäherungsversuchen des Prinzen und der Szene, die ihr Irene schon seinerzeit im Park, als sie den Kindern Märchen erzählte, gemacht hatte.
»Ich habe bisher Ihnen gegenüber über alles dieses geschwiegen, Herr v. Schlomm, weil ich der Sache keine besondere Bedeutung beimaß und es unter meiner Würde fand, darüber zu sprechen. Jetzt aber habe ich doch das Gefühl, daß Sie es wissen müssen, um ganz klar zu sehen.«
»Dieser Lumpenhund!« sagt Schlomm, die Faust ballend, als Elisabeth schweigt. »Nun – fast genau so habe ich mir vorgestellt, daß sich die Dinge abgespielt haben. Ich kann Sie nur nochmals inständig bitten: Vergeben Sie meiner Frau! Sie ist ja im Grunde gutmütig, aber hemmungslos und jähzornig und weiß dann nicht, was sie spricht …«
»Das habe ich gemerkt und trage ihr gewiß nichts nach. Aber sie hat mir gekündigt, und so leid es mir tut –«
»Um Gottes willen, Sie werden das doch nicht ernst nehmen und wirklich daran denken, uns verlassen zu wollen?« unterbricht Schlomm sie erschrocken. »Das können … das dürfen Sie doch mir und den Kindern nicht antun! Was fingen wir denn an ohne Sie? Die Kinder würden ja krank, wenn Sie sie verließen! Liebes, gutes Fräulein Benedikt, versprechen Sie mir, daß Sie daran nicht mehr denken wollen!«
Ein schwaches Lächeln gleitet über Elisabeths Antlitz. Sie denkt daran, wie oft sie während ihres Hierseins schon hat gehen wollen, um ihrer inneren Ruhe willen – und doch ist sie immer wieder geblieben.
Weil auch ihr Herz an diesen fremden Kindern hängt und sie eine Trennung von ihnen schwerer ertragen würde als das Leid und die Demütigungen, die sie hinwegtreiben wollten …
Sie reicht Schlomm die Hand.
»Wenn es wirklich Ihr Wunsch ist, daß ich bleibe, tue ich es gern. Ich wollte Ihnen die Entscheidung überlassen. Daß ich mit ganzem Herzen an Ihren Kindern hänge, wissen Sie ja.«
*
Am nächsten Vormittag, während Elisabeth auf Bitten der Kinder nach vollendetem Unterricht einen Spaziergang nach der Wolfecker Försterei unternimmt, wo man sich von dem Wohlbefinden der jungen Jagdhunde und des schon ganz zahm gewordenen Rehes überzeugen will, stattet Edine Frau v. Schlomm den versprochenen Besuch ab.
Sie findet Irene wie gewöhnlich in einem ihrer bunten, phantastisch gemusterten Seidenkimonos auf dem Diwan liegend und noch ganz außer sich infolge der gestrigen Ereignisse.
Edine sieht die Spuren jüngst vergossener Tränen und merkt sofort, daß es etwas Ernstes gegeben haben muß.
»Mein Gott, Irene, wie siehst du aus? Ganz verstört … und sogar geweint hast du? Was ist denn geschehen?«
»Schreckliches … Ach, Edine, ich bin die unglücklichste Frau von der Welt! Verlassen … verraten … und zu all dem noch blamiert durch den eigenen Mann …«
Und sie berichtet aufgeregt, was sich gestern im Park zugetragen hat.
Edine hört gespannt und innerlich sehr befriedigt zu.
Also mit dem lieben Sascha scheint es endgültig aus zu sein. Er mag offenbar nichts mehr wissen von Irene … was Edine übrigens schon lange vermutet hat … Und der Benedikt war endlich gekündigt worden …
»Ich begreife wirklich nicht, worüber du dich so aufregst, Irene,« sagt sie trocken, als die Freundin vor neuerlich ausbrechenden Tränen nicht weiterzusprechen vermag. »Die Hauptsache ist doch, daß wir nun die Benedikt los sind! Die war doch die größte Gefahr für dich und … auch für mich. Mit Sascha wird sich, wenn sie erst weg ist, schon ein Ausgleich finden …«
»Aber wir sind sie ja gar nicht los!« schluchzt Irene. »Ich habe dir noch nicht alles erzählt … höre nur. Als Hans abends heimkam und ich ihm alles erzählte …«
»Wie – du hast ihm alles erzählt?«
»Selbstverständlich – warum sollte ich nicht? Er ist ja so gut und hat mich immer am besten verstanden … auch gestern hat er mich so schön getröstet …«
»Ein selten … nachsichtiger Ehemann! War er denn nicht eifersüchtig, Saschas wegen? Aus deiner Erregung muß er doch gemerkt haben, wie nahe dieser deinem Herzen steht!«
»Ich glaube nicht, daß er sich darüber Gedanken macht. Hans neigt nicht zur Eifersucht und weiß doch auch, daß ich eine anständige Frau bin, die nie etwas Unrechtes täte, solange sie seinen Namen trägt … Aber höre nur weiter. Hans war also sehr nett und versuchte mich zu beruhigen. Aber als die Rede auf die Kündigung der Benedikt kam, zog er andere Saiten auf. Die dürfe unter keinen Umständen aufrechterhalten bleiben. Die Benedikt bleibe, weil sie den Kindern unentbehrlich sei, und diese dürften nicht leiden unter meinen Streitigkeiten mit Sascha. Es war genau wie schon einmal, als ich der Benedikt kündigen wollte, nur daß wir diesmal noch viel heftiger aneinandergerieten, weil ich doch durchaus nicht nachgeben wollte …«
»Glaubst du, daß dein Mann vielleicht auch in die Person verliebt ist, weil er sich gar so für sie einsetzt?«
»Nein, das bestimmt nicht! Es ist ihm wirklich nur um die Kinder zu tun, an denen er ja in der letzten Zeit förmlich einen Narren gefressen hat.«
»Und das Endergebnis?«
»Ich mußte schließlich nachgeben, weil er erklärte, mir sonst jeden weiteren Verkehr mit Sascha verbieten zu wollen. Aber du kannst dir denken, wie rasend vor Wut ich bin! Mich so zu blamieren – Hans hat dann die Benedikt gestern abend noch selbst gebeten, zu bleiben und sich für mich bei ihr entschuldigt! Stell' dir nur vor, wie ich jetzt dastehe vor der Person! … Wie sie sich ins Fäustchen lachen wird! … Und solange sie nicht fort ist, habe ich ja auch keine ruhige Stunde Saschas wegen … kann gar nicht auf Versöhnung hoffen, nun wo ich weiß, daß nur sie zwischen uns steht …«
Irenes Tränen beginnen abermals zu fließen.
»Ja, sie muß fort … unbedingt! Und da es nicht anders geht, muß sie dazu gebracht werden, rasch und freiwillig zu verschwinden. Aber eigentlich, liebe Irene, bin ich heute ja verabredetermaßen gekommen, um dir … den Weg dazu zu zeigen. Es fragt sich nur, ob du meinen Plan ausführen willst …«
»Alles – alles will ich tun, wenn es nur zum Ziel führt!« ruft Irene stürmisch und blickt die Freundin erwartungsvoll an. »Richtig, du hattest ja einen Plan … Darauf vergaß ich ganz in meiner Aufregung … Sage ihn mir nur schnell …«
»Er erfordert aber viel Kaltblütigkeit und Selbstverleugnung von dir …«
»Ich werde beides haben – sprich nur endlich!«
Edine rückt ihren Stuhl ganz dicht an den Diwan heran und beugt den roten Lockenkopf so nahe an Irenes Ohr, daß beider Wangen sich fast berühren. So besprechen beide leise flüsternd den Plan, dem ein junges unschuldiges Herz zum Opfer fallen soll …
Edine bleibt heute nicht zu Tisch, sondern fährt, ohne Ronalds Kommen abzuwarten, gleich nach beendeter Unterredung nach Haugenbichl zurück.
Irene läßt sich ihre Mahlzeit auf ihrem Zimmer servieren, nachdem sie ihrem Mann erklärt hat, noch zu angegriffen zu sein, um sich anzukleiden, und besonders, um Fräulein Benedikt vor Zeugen zu begegnen.
Sie sehe ja ein, daß sie gestern zu weit gegangen sei und bereue es. Sie sei auch bereit, dies der Benedikt selbst mit ein paar versöhnlichen Worten zu sagen, wenn diese sie vielleicht im Lauf des Nachmittags aufsuchen und ihr so Gelegenheit dazu geben wolle.
Hans Schlomm ist ehrlich gerührt durch diesen Beweis von Einsicht und übermittelt die Botschaft gleich nach Tisch stolz Elisabeth.
»Ich wußte es ja und sagte Ihnen gleich, daß meine Frau im Grund ihres Herzens gutmütig ist! Man muß ihr nur Zeit zur Erkenntnis lassen.«
»Und wann soll ich …«
»Oh, am besten recht bald. Die Kinder nehme ich auf mich. Ich gehe heute nicht mehr in die Fabrik – jetzt, wo Ronald wieder da ist, kann ich's mir ja wieder bequemer machen – und werde daher einen Spaziergang mit den Kleinen machen. Vielleicht kommen Sie uns dann, wenn Sie bei meiner Frau waren, nach? Wir gehen nach der Sägemühle, wo ich ohnehin zu tun habe.«
»Gut, ich werde nachkommen.«
Auch Elisabeth ist innerlich erstaunt über den raschen Umschwung in Frau v. Schlomms Gesinnung und kann sich ihn nur dadurch erklären, daß die schöne Frau eben einem unbeherrschten, launenhaften Kinde gleicht …