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II.
Liebe auf den ersten Blick

Nun rasch die Sträußchen aufgelegt! Dann noch die Orchideen und Maiglöckchen zwanglos über die Tafel verstreuen, daß es aussah, als habe es Blumen herabgeregnet …

Wie süß sie dufteten … ordentlich betäubend … und welche Erinnerungen sie weckten an glänzende Festabende in Benediktenberg, als auch ihr noch das Glück verheißungsvoll lächelte …

Genau dieselben blutroten und braungelben Orchideen hatte der alte Lenz auch auf Benediktenberg gezogen …

Was wohl aus dem guten alten Lenz geworden sein mag? Ob der neue Herr ihn behalten hat …?

Elisabeth steht mit schlaff herabhängenden Armen, atmet den Duft der abgeschnittenen Blumen, die in einem Körbchen vor ihr stehen, ein und starrt einen Augenblick traumverloren vor sich hin.

Benediktenberg … ach, das liebe, liebe, alte Benediktenberg, wer es doch vergessen könnte …!

Elisabeth hat keine Ahnung, wie schön sie in diesem Augenblick ist mit dem traumverlorenen Ausdruck in den edel und feingeschnittenen Zügen und dem weichen Schimmer in den dunklen Augen. Hell wie Ährengold liegt das im elektrischen Licht silberig flimmernde Haar, der Mode entgegen, in zwei dicken Zöpfen um den schmalen Kopf. Das halsfreie weiße Lodenkleid schmiegt sich lose um die tadellos gewachsene Gestalt, deren ebenmäßige Linien jedes Künstlers Auge hätten entzücken müssen. Und über der ganzen Erscheinung liegt jenes undefinierbare Etwas von Vornehmheit, Rassigkeit und stolzer Reinheit, das nie erworben werden kann, sondern angeboren sein muß und aus den Tiefen der Seele quillt …

Der Mann, der, unbemerkt von Elisabeth, seit ihrem Eintritt in einer der tiefen, durch schwere Samtvorhänge halb verdeckten Fensternischen steht, wendet kein Auge von ihr und verschlingt das reizvolle Bild gierig mit seinen Blicken.

Donnerwetter ist das ein süßes Geschöpf, das ihm sein Glücksstern da unerwartet ins Haus geschneit hat! Wie angenehm wird ihre Gegenwart die Langeweile von Wolfeck beleben …

Elisabeth hat sich aus ihrer Versunkenheit aufgerafft und nach dem Blumenkörbchen gegriffen. Es hieß sich sputen, gleich konnten die ersten Gäste angefahren kommen. Da hört sie einen raschen Schritt hinter sich und sieht sich umblickend dem Hausherrn gegenüber.

»Darf ich helfen, gnädiges Fräulein?« fragt er geschmeidig, dicht an Elisabeth herantretend, leidenschaftliche Bewunderung in den nachtschwarzen Augen.

Noch deutlicher als oben bei der ersten Begegnung in Frau Irenes Zimmer fühlt Elisabeth ein Gefühl heftigen Widerwillens gegen diesen Mann in sich aufsteigen. Unwillkürlich tritt sie einen Schritt zurück.

»Danke, Herr v. Schlomm, ich komme am besten allein zurecht … bin auch gleich fertig,« antwortet sie kalt und legt rasch die noch fehlenden Sträußchen auf die Tischplätze.

»So spröde, meine Schönste? Nun, ich hoffe, Sie werden künftig den Vater Ihrer Zöglinge gnädiger behandeln, und wir werden noch gute Freunde werden … Warum ließen Sie mich übrigens nicht rufen zur Auswahl der Weine? Meine Frau sagte Ihnen doch …«

»Es war nicht nötig. Franz wußte Bescheid – so brauchte man Sie nicht zu bemühen.«

»Aber es wäre mir ein besonderes Vergnügen gewesen! Können Sie sich nicht vorstellen, wie grenzenlos ich mich hier in Wolfeck langweile, und wie glücklich ich bin, einen Vorwand zu haben, von da oben loszukommen? Neben dieser Frau, die nur eine Puppe ist und einzig Sinn für ihre Schönheit hat …«

»Herr v. Schlomm …« will Elisabeth ihn entrüstet unterbrechen, aber er faßt nach ihren Händen und hält sie fest.

»Nein, bitte, lassen Sie mich aussprechen. Es ist gut, wenn Sie die Verhältnisse hier im Hause gleich klar übersehen. Irene ist meine zweite Frau, und ich habe sie ihrer Schönheit wegen, die mich einst blendete, geheiratet. Heute bin ich ein einsamer, unglücklicher Mann, der nach einem Wesen dürstet, das ihn versteht …«

Es ist Elisabeth gelungen, ihre Hände frei zu bekommen.

»Ich verbiete Ihnen, in diesem Ton und über derlei Dinge, die mich weder angehen noch interessieren, zu mir zu sprechen, Herr v. Schlomm,« stößt sie empört heraus. »Entfernen Sie sich, oder Sie zwingen mich, den Raum zu verlassen, ehe meine Arbeit getan ist …«

Sie rafft das Blumenkörbchen auf und tritt auf die andere Seite der Tafel, wo sie hastig Blüten über den weißen Damast zu streuen beginnt. Schlomm aber ist ihr nachgekommen.

»Wie kann man so grausam sein, wenn man so entzückend schön ist!« sagt er vorwurfsvoll und macht eine Bewegung auf Elisabeth zu, die sie erschreckt.

In diesem Augenblick öffnet sich die Korridortür, und ein junger Mann tritt ein, bleibt aber bei dem nicht mißzuverstehenden Anblick, der sich ihm bietet, wie angewurzelt stehen.

»Papa … du hier?«

Schlomm ist ärgerlich über die Störung zurückgefahren, faßt sich aber rasch und sagt mit dem harmlosesten Gesicht der Welt: »Ach, da bist du ja, Ronald! Und sogar schon in Abendkleidung! Da kann ich dich ja gleich mit unserer neuen Hausgenossin bekanntmachen. Gestatten Sie, Fräulein Benedikt: Mein Sohn Ronald … mein ältester Sohn aus erster Ehe und mein Nachfolger in der von mir gegründeten Fabrik. Fräulein Benedikt, die neue Erzieherin deiner Stiefgeschwister.«

Elisabeth rührt sich nicht. Schweratmend und sehr blaß lehnt sie am Tisch, vergeblich nach Fassung ringend.

Ronald Schlomm wendet sich an seinen Vater.

»Ich glaube, Papa, Mama erwartet dich bereits drüben im Salon. Die ersten Gäste werden gleich da sein.«

»Ganz wohl – ja – ich gehe schon …« Schlomm entfernt sich eilig, sichtlich froh, aus dem Bereich der durchdringend auf ihm ruhenden Augen des Sohnes zu kommen …

Ronald nähert sich Elisabeth.

»Hat mein Vater Sie sehr erschreckt, gnädiges Fräulein?« fragt er in gepreßtem Ton.

Sie schüttelt stumm den Kopf, aber er merkt wohl, wie ihre Hände zittern und wie mühsam ihr Atem geht.

Ein weicher Ausdruck fliegt über Ronalds Gesicht, den für gewöhnlich darauf lagernden strengen Ernst mildernd. Dies glattrasierte Männerantlitz mit den festen, bestimmten Linien ist in jedem Zug voll Energie. Schwarzes kurzgeschnittenes Haar umrahmt es, schwarze Brauen und Wimpern beschatten zwei dunkelgraue, sternartig aus dem bräunlichen Gesicht leuchtende Augen von seltsam ernstem, eindringlichem Ausdruck.

»Ich bitte Sie im Namen meines Vaters um Vergebung, gnädiges Fräulein und hoffe, Sie vergessen diesen unliebsamen Zwischenfall, wenn ich auch vollkommen ermessen kann, wie peinlich Sie dies erste Erlebnis in unserem Hause berühren muß …«

»Ich möchte fort … hier kann ich nicht bleiben … nie bisher hat jemand gewagt, mir so zu begegnen … und ich gab doch bei Gott nicht den leisesten Anlaß dazu …« stammelt Elisabeth mit gesenktem Blick und noch ganz verstört.

»Davon bin ich überzeugt. Aber Sie dürfen die Sache nicht allzu tragisch nehmen. Es war eine der Entgleisungen meines Vaters, die bei ihm leider ab und zu vorkommen, seit er sich von den Geschäften zurückzog und hier auf Wolfeck zur Ruhe setzte. Seine zweite Frau bestand darauf, weil sie sich einbildete, als Gattin eines Seifenfabrikanten sich nicht die ersehnte Stellung in der Gesellschaft erringen zu können. Vater aber ist noch zu jung zum Nichtstun, und da er außer für Sport keine Interessen hat, langweilt er sich und sucht Zerstreuung beim weiblichen Geschlecht … leider! Daß er sich diesmal so grob in der Persönlichkeit vergriff, kann niemand schmerzlicher bedauern als ich, indes bitte ich Sie herzlich, ihm zu verzeihen und keine übereilten Entschlüsse aus dem Vorkommnis zu ziehen.«

»Aber ich kann doch nicht hierbleiben und mich womöglich Wiederholungen derartiger Dreistigkeiten aussetzen!«

»Sie werden sich nicht wiederholen. Ich werde ein ernstes Wort mit Papa reden, und da ich ziemlichen Einfluß auf ihn habe, glaube ich Ihnen das Versprechen geben zu können, daß Sie fortan völlig unbelästigt auf Wolfeck bleiben werden.«

»Sie müssen doch begreifen, wie peinlich mir nach dem Vorgefallenen schon eine Wiederbegegnung mit Ihrem Vater wäre! Nein, nein … ich will fort … am liebsten noch heute …«

»Das wäre unmöglich, weil Sie heute gar keinen Zug mehr zur Abreise hätten. Die Station Lobstein hat keinen Nachtverkehr mit Bruck. Morgen werden Sie ruhiger sein und alles in anderem Licht sehen. Ich bitte Sie also noch einmal herzlich, geben Sie Ihren Entschluß, uns wieder zu verlassen, auf! Wir brauchen Sie so nötig hier! Speziell ich habe Ihr Kommen im Interesse meiner Geschwister voll sehnsüchtiger Hoffnung erwartet, und die Güte und Herzenswärme, die ich in Ihrem Gesicht lese, Fräulein Benedikt, rechtfertigen diese Hoffnung.«

Elisabeth macht eine ungeduldige Schulterbewegung, als wolle sie sagen: Was geht mich das an?

Da sagt Ronald Schlomm traurig: »Ich weiß, ich bin Ihnen ein völlig Fremder, und meine Bitten können daher von keinem Einfluß auf Sie sein. Aber wenn schon nicht mir zuliebe, so bleiben Sie um Ihrer Zöglinge willen, die so nötig ein warmfühlendes Wesen um sich brauchen! Es hätte keinen Sinn, verschweigen zu wollen, was Sie ja selbst sehr bald merken würden, falls Sie sich doch zum Bleiben entschließen sollten: Es ist vieles hier im Haus nicht, wie es sein sollte … und die armen Kinder sind es, die am meisten darunter leiden … wenn sie sich dessen auch jetzt noch nicht bewußt sind!«

Sein Ton, der schwer von Sorgen ist, läßt Elisabeth zum erstenmal aufblicken. Und jetzt zum erstenmal sieht sie in das junge, ernste, weit über seine Jahre hinaus gereifte Männerantlitz, versinkt ihr Blick staunend und seltsam betroffen in den klaren grauen Augen …

Diesen Augen, die fest und eindringlich auf ihr ruhen und die sie kennt … obwohl sie sie nie zuvor gesehen …

Auch Ronald scheint betroffen und bewegt.

Mit leisem Ton schließt er: »Diese reichen Kinder sind sehr arm. Niemand außer mir hat ihnen bisher Liebe gegeben. Und ich habe so wenig Zeit für sie … um ihretwillen bitte ich – bleiben Sie!«

Elisabeth nickt stumm, ohne den Blick von ihm losreißen zu können, und ihm ergeht es ebenso. Sekundenlang herrscht Schweigen im Raum, aber beide empfinden es nicht drückend, ja werden sich seiner kaum bewußt. Etwas Wunderbares, das sie nicht begreifen, das sie tief erschüttert und zugleich seltsam froh macht, schwebt zwischen ihnen …

Ein Auto, das draußen ratternd die Schloßrampe emporfährt, reißt sie jäh aus ihrer Versunkenheit.

Ronald greift hastig nach Elisabeths Hand, zieht sie an die Lippen und drückt einen Kuß darauf.

»Sie bleiben also! Ich danke Ihnen, gnädiges Fräulein!«

»Ja, ich bleibe, und nun – gute Nacht, Herr v. Schlomm.«

Als Elisabeth das Kinderzimmer betritt, findet sie die Kinder bereits schlafend in ihren Betten. Rosa, das zweite Stubenmädchen, hat sie zur Ruhe gebracht und entfernt sich nun beim Eintritt der Erzieherin, da sie unten gewiß schon dringend erwartet wird, um den Gästen beim Ablegen der Kleider behilflich zu sein.

Elisabeth tritt an die kleinen Betten und vertieft sich in den Anblick der Kinder, die in ihren weißen, spitzenbesetzten Nachthemdchen mit den schlafgeröteten Bäckchen aussehen wie schlafende kleine Engelchen. Bildhübsch sind alle drei.

Inge, die älteste, kaum achtjährige, hat einen trotzigen Zug um die roten Lippen, und die Stirn unter den schwarzen Locken etwas kraus gezogen, während ihre um ein Jahr jüngere Schwerer Feechen ein rosiges, blondlockiges Kind ist, das auch im Schlaf den Schelm nicht verleugnen kann. Der Süßeste aber ist der kleine sechsjährige Walter, dessen Mündchen halb offen steht und dessen geballte Fäustchen wie zwei Rosenknospen auf der blauseidenen Decke liegen.

Elisabeth, die Kinder überhaupt sehr liebt, kann sich nicht satt an ihm sehen. Schade, daß sie ihr Versprechen in bezug auf eine Geschichte und die Schokolade nun nicht mehr erfüllen kann! Morgen will sie es nachholen. Und liebhaben will sie die drei … oh, sehr liebhaben!

Trotzdem ist sie froh, daß die Kinder heute schon schlafen und sie den Abend für sich allein hat.

Es ist eine wunderliche Unruhe in ihr, und sie kann gar keine Ordnung in die verwirrt durcheinanderjagenden Gedanken bringen …

Leise und behutsam küßt sie die drei schlafenden Kinder, dreht das Licht aus und geht nach ihrem anstoßenden Schlafzimmer, dessen Tür sie nur angelehnt läßt.

Dieses ist elegant und mit allem modernen Komfort ausgestattet, wie sämtliche Wohnräume auf Wolfeck. Durch eine Tapetentür gelangt man in ein kleines Ankleidekabinett, an das ein eigenes Badezimmer stößt. Dort befindet sich die Waschgelegenheit, ein an der Wand angebrachtes großes Marmorbecken mit Warm- und Kaltwasserleitung. Die Zentralheizung verbreitet überall gleichmäßige, wohltuende Wärme.

Äußerlich waren die Erzieherinnen auf Wolfeck jedenfalls über alle Erwartungen gut untergebracht …

Sonst …? Nun, man mußte abwarten. Jedenfalls lag in bezug auf die ihr anvertrauten Kinder eine schöne große Aufgabe vor ihr, der sie sich mit ganzem Herzen widmen wollte. Das machte wohl auch, daß Elisabeth sich schon heute am ersten Abend innerlich so froh bewegt fühlt wie seit langer Zeit nicht mehr …

Nein – eigentlich überhaupt noch nie zuvor. Während sie mechanisch Koffer und Handgepäck auspackt und ihre Sachen in den Schränken unterbringt, wandern ihre Gedanken rastlos und sprunghaft teils zurück in die Vergangenheit, teils zu den Ereignissen der letzten Stunden.

Wie viel hat sie eigentlich in den wenigen Stunden seit ihrer Ankunft hier schon erlebt! Mehr fast als in ihrem ganzen bisherigen Leben …

Dinge, an die sie nie gedacht, die sie nie für möglich gehalten hätte, sind auf sie eingestürmt und haben ihr bisher so ruhiges seelisches Gleichgewicht völlig in Unordnung gebracht. Wie aus der Bahn geworfen kommt sie sich nun vor …

Die Kästen sind eingeräumt, die Koffer leer. Elisabeth steht einen Augenblick unschlüssig vor dem kleinen Damenschreibtisch, auf dem sie eben als letztes ihr Schreibzeug untergebracht hat.

Wollte sie nicht noch Mama schreiben? Hat sie es ihr nicht fest versprochen, gleich über Reise und Ankunft und Wolfeck und die Familie Schlomm zu berichten?

Ja … aber sie ist so unruhig. Nein, sie kann heute wirklich nicht mehr schreiben. Was auch? Noch ist alles zu dunkel und unklar, um Bericht darüber erstatten zu können. Mama wäre ja auch vor Schreck und Empörung außer sich geraten, wenn sie ihr von Frau v. Schlomms Kammerjungfervorschlag oder von der unverschämten Dreistigkeit des Hausherrn geschrieben hätte.

Und Mamas Sorgenlast war gerade schon groß genug! Wozu sie noch mit diesen Dingen beunruhigen? Als ob ihr armes gutes Mamachen nicht genug mit ihrem eigenen Leben zu tun hätte, das so hart und bitter geworden war, seit Papa starb.

Sie, die Zarte, Verwöhnte, konnte sich nun von der kleinen Pension kaum für zwei Stunden täglich eine Aufwartefrau halten, mußte mit jedem Groschen geizen und konnte sich nicht den kleinsten Komfort gestatten. Drei Treppen hoch wohnte sie in einer winzigen Mietwohnung – sie, die früher in den weiten Räumen von Benediktenberg von Luxus und Dienerschaft umgeben gelebt, nur in eigenen Wagen gefahren und die stolzesten Namen des Hochadels in ihren Salons versammelt gesehen hatte.

Und Bruder Viktor, der einstige Generalstabsoffizier, dessen Begabung ihm eine glänzende Laufbahn verhieß, mußte sich heute in Linz als kleiner Bankbeamter herumdrücken und noch froh sein, daß er durch Vermittlung eines Bekannten diesen bescheidenen Posten bekommen hatte.

Vorbei Glanz und Herrlichkeit … vorüber das schöne, innige Familienleben, das einst alle auf Benediktenberg vereinte, wenn die Brüder zu Weihnachten oder auf Urlaub dahin kamen und sie dann stets so froh und glücklich zusammen waren.

Alles, alles vorbei …

Der Tod hatte Ernte gehalten, das Unglück war hinter ihm eingezogen. Drei Brüder fielen im Kriege, der Vater starb unerwartet an Lungenentzündung, das Familienvermögen ging verloren, das liebe alte Stammschloß mußte verkauft werden …

Ach, der Umsturz hatte die Benediktens besonders hart getroffen! Und sie konnten einander nicht einmal trösten und stützen, denn die Not hatte sie auseinandergerissen.

Nein, Mamachen sollte sich nicht auch um ihretwillen noch Sorgen machen müssen. Sie wollte ihr heute nicht mehr schreiben und morgen dafür einen fröhlichen, langen Brief, in dem sie ihr alles auf Wolfeck im rosigsten Licht schilderte …

Elisabeth tritt ans Fenster und blickt hinaus in das nächtliche Dunkel. Ihr Zimmer muß nach dem Park zu liegen, denn sie erkennt die Umrisse hochaufragender Bäume und dunkler Flächen, zwischen denen sich grauweiße Kieswege winden.

Der Himmel sieht voller Sterne. Elisabeth muß an Ronald Schlomms Augen denken. Leuchteten sie ihr nicht geradeso geheimnisvoll und beruhigend und vertraut entgegen wie die Sterne da oben, die schon auf Benediktenberg die Freunde ihrer Kindheit und ersten Jugend waren?

Wie Heimat grüßte es sie aus diesen klaren Augen …

Und plötzlich durchzuckt sie die Erkenntnis, daß alles andere, was ihr auf Wolfeck begegnet ist, im Grunde belanglos war gegen die Begegnung mit Ronald Schlomm.

Sie allein ist es, die Unruhe und Verwirrung in ihr Inneres trug, die sie nicht loskommen läßt von jenen paar Minuten des Beisammenseins, die einen so nachhaltigen Eindruck in ihr hinterließen wie nichts je zuvor …

Heftig erschrocken preßt Elisabeth die Hände auf das schwer und beklommen schlagende Herz.

Nein, nein, das ist ja Unsinn … Das kann doch gar nicht sein! Was geht sie dieser fremde Mann an!

Und doch weiß sie in derselben Minute mit unzweifelhafter Gewißheit, daß sie nicht der Kinder wegen, sondern nur Ronald zuliebe ihren Entschluß, Wolfeck zu verlassen, aufgegeben hat …


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