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Elisabeth hat keine Zeit, sich in der elegant ausgestatteten Halle des Schlosses Wolfeck, das von heute an ihren Aufenthaltsort bilden soll, umzusehen. Kaum hat sie die Schwelle überschritten, tritt ein schwarzgekleidetes Mädchen mit weißer Latzschürze und ebensolchem Häubchen auf sie zu und sagt: »Fräulein Benedikt, die neue Erzieherin, nicht wahr?«
»Ja, die bin ich …«
»Wir haben Fräulein schon dringend erwartet, und die gnädige Frau läßt Fräulein ersuchen, sogleich nach Ihrer Ankunft zu ihr zu kommen. Ich werde mir erlauben, Fräulein zur gnädigen Frau zu führen. Ich bin Anna, das erste Stubenmädchen.«
»Gut, Anna, wir wollen nachher gleich zur gnädigen Frau gehen. Nur den Reisestaub muß ich vorher abspülen und die Kleider wechseln. Wo ist mein Zimmer?«
»Fräulein verzeihen, aber die gnädige Frau befahl ausdrücklich: sogleich nach der Ankunft, und würde sehr ungehalten sein, wenn Fräulein sich erst noch umkleiden wollten vorher …«
Elisabeth Benedikt runzelt die Stirn und preßt die schöngeschnittenen Lippen einen Augenblick fest aufeinander, als wollte sie ein scharfes Wort unterdrücken.
»Führen Sie mich also zu Frau v. Schlomm,« sagt sie dann kurz und etwas hochfahrend.
Man steigt die holzgeschnitzte Treppe, die von der Diele nach dem ersten Stockwerk führt, schweigend hinauf und biegt nach rechts in einen breiten Korridor ab.
Obwohl es erst drei Uhr ist, brennen alle Lichter, und ein Meer von Licht durchflutet alle Räume des Hauses. Überall liegen kostbare Teppiche, überall sind trotz des draußen herrschenden Winters blühende Blumen und Gewächsgruppen in verschwenderischer Fülle angebracht.
Anna macht vor einer Tür halt, klopft an und meldet: »Fräulein Benedikt, gnädige Frau.«
»Ah … endlich! Bitte treten Sie ein, Fräulein. – Anna, Sie können gehen.«
Auf einem mit pfauenblauer Seide überzogenen Ruhebett liegt die Herrin des Hauses, Frau Irene von Schlomm. Ihre etwas zur Fülle neigende Gestalt ist in einen goldfarbenen Kimono gehüllt, kupferfarbenes, kurzgeschnittenes Haar umrahmt etwas wirr ein wunderschön geschnittenes, aber ziemlich ausdrucksloses Gesicht, aus dem zwei feuchtschimmernde blaue Augen Elisabeth neugierig entgegenstarren.
Auf einem danebenstehenden Tischchen liegen ein ovaler silberner Handspiegel, eine halb geleerte Bonbonniere und verschiedene Zigarettenschachteln.
Elisabeth, die dies alles mit einem Blick mechanisch in sich aufnimmt, verbeugt sich leicht.
»Gnädige Frau verzeihen, daß ich im Reisekleid erscheine, aber das Mädchen sagte mir …«
»Daß Sie sogleich zu mir kommen sollten, ganz richtig. Zum Umkleiden haben Sie ja später Zeit … Übrigens willkommen auf Wolfeck, Fräulein Benedikt! Wissen Sie, daß ich Sie bereits erwartet habe, wie der Hungrige einen Bissen Brot? Wir befinden uns nämlich gerade heute in einer ganz schauderhaften Lage … aus der ich Rettung durch Sie erhoffe, liebes Fräulein!«
»Wenn es in meinen Kräften liegt, soll es gewiß gern geschehen, gnädige Frau. Was kann ich tun? Hoffentlich ist keiner meiner Zöglinge krank?«
»Ich glaube nicht … Das fehlte uns gerade noch! Nein, die Rangen sind wohl nur zu gesund … wenigstens tollen sie seit dem Morgen, wo Ihre Vorgängerin Wolfeck verließ, wie die Wilden im Haus herum, so daß meine Nerven schon ganz kaputt sind. Bitte machen Sie nachher kurzen Prozeß und sperren sie alle drei in ein Zimmer ein, damit man endlich Ruhe bekommt, übrigens sind die Kinder Nebensache. Das Schlimmste ist, daß wir abends Gäste erwarten und die Haushälterin, Mamsell Brinken, die sonst alles leitet, heute morgen plötzlich erkrankte. Und gleichzeitig mußte ich meine Kammerjungfer wegen Frechheit davonjagen. Nun herrscht das Chaos … niemand weiß Bescheid, was er tun soll. Ich leide am schwersten unter diesen Zuständen. Wer wird mich ankleiden? Wer mein Haar in Ordnung bringen? Wer das Schminken besorgen, die Tafel decken, der Köchin an die Hand gehen und so weiter? Die Mamsell verstand das alles … ich selbst habe keinen Schimmer davon … Verstehen Sie etwas von Haushalt, Fräulein?«
»Nun – ein wenig wohl …«
»Können Sie schminken – ich meine gut und vorteilhaft schminken?«
»Das habe ich allerdings noch nie versucht.«
»Aber es wird gehen, wenn ich Ihnen die nötigen Winke gebe? Nicht wahr, Sie werden so gut sein und es versuchen? Und mir das Haar ondulieren und bei der Toilette behilflich sein? Ich weiß mir sonst ja wirklich keinen Rat … seit heute morgen liege ich nun so da und zermartere mir verzweifelt den Kopf, wie wir ohne Mamsell und Kammerjungfer zurechtkommen sollen … Bitte, bitte helfen Sie mir aus der Not, Fräulein Benedikt!«
Die letzten Worte werden in kindlich weinerlichem Ton gesprochen. Dabei krallen sich die weißen, ringgeschmückten Hände mit einer verzweifelten Gebärde in das rostbraune Schläfenhaar …
Elisabeth, die erst mit steigendem Befremden die gestellten Zumutungen angehört hat, muß unwillkürlich lächeln. Was für ein komisch hilfloses Wesen ist doch diese junge Frau, und mit welch naiver Selbstverständlichkeit sie von der Erzieherin ihrer Kinder gleich in der ersten Minute Magddienste erwartet …
Indes beschließt Elisabeth, die Sache mit Humor zu betrachten.
»Ich werde mir alle Mühe geben, Ordnung zu schaffen und Ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen, gnädige Frau, obwohl mir diese Dinge immerhin fern liegen« – die kleine Randbemerkung kann Elisabeth doch nicht unterdrücken, fährt dann aber rasch und sachlich fort: – »und ich mit den Gebräuchen des Hauses zu wenig vertraut bin, um für klaglosen Erfolg zu garantieren. Vielleicht erteilen Sie mir daher noch bestimmtere Weisungen …«
»Oh, machen Sie nur alles ganz nach eigenem Ermessen und verfügen Sie über die Dienerschaft, wie es Ihnen beliebt. Unsere Leute sind alle lange im Haus und sonst ganz tüchtig, nur etwas verwöhnt und unselbständig. Die Mamsell war eben der Kopf des Apparates … der nun fehlt. Übrigens werden die Leute Sie schon über alles informieren … besser als ich es könnte, die ich mich grundsätzlich nie um das Hauswesen kümmerte. Hauptsache ist, daß alles möglichst vornehm und imposant arrangiert wird, wie es in reichen adeligen Häusern Sitte ist. Aber Sie scheinen ja aus guter Familie zu sein …« – ein eindringlich prüfender Blick gleitet über Elisabeths vornehme Erscheinung hin, die in dem einfachen, aber sehr elegant und gediegen wirkenden Reisekleid tatsächlich den Eindruck einer Dame aus den besten Kreisen macht – »da werden Sie ja wohl schon ab und zu in vornehme Häuser gekommen sein und wissen, wie alles zu machen ist!«
»Ich denke wohl,« antwortet Elisabeth, während ein kleines belustigtes Lächeln blitzschnell über ihr feingeschnittenes Antlitz gleitet und der Schalk in ihren dunklen, langbewimperten Augen aufzuckt.
»Gut, dann bitte kleiden Sie sich rasch um, sperren Sie die Rangen irgendwo ein und erkundigen Sie sich dann bei Frau Stasi – das ist die Köchin – und Anna nach dem weiteren. Ich glaube, die Fruchtschalen und Konfektschüsseln, sowie die kalten Platten hat die Mamsell immer selbst gerichtet, weil Frau Stasi damit nicht recht Bescheid weiß. Blumen für die Tafel sind aus den Gewächshäusern zu holen. Und die Tischkarten sind zu schreiben. Irgendwer wird wohl die Liste haben – es sind vierundzwanzig Gäste geladen. Dann wären die Weinsorten zu bestimmen, dabei kann mein Mann helfen … Das Souper muß für Punkt acht Uhr fertig sein. Sorgen Sie auch, daß überall warm geheizt ist. Und um sechs Uhr kommen Sie zu mir, Fräulein, um mir beim Toilettemachen behilflich zu sein. Dann …«
»Bürde doch dem Fräulein nicht allzuviel auf, liebe Irene,« unterbricht hier eine dunkle Männerstimme die junge Frau, und gleichzeitig nähert sich von der offen stehenden Tür des Nebenzimmers, an der er bisher horchend und beobachtend gestanden hat, ein gepflegter ältlicher Herr den Damen.
Sein pechschwarz gefärbtes Haar, das stark verlebte Züge umrahmt, besonders aber der feurig und bewundernd auf sie gerichtete Blick seiner schwarzen Augen berühren Elisabeth sogleich so unangenehm, daß sie unwillkürlich die Stirne kraus zieht.
Frau Irene hat nur flüchtig aufgeblickt.
»Ach – du? Störe uns doch nicht, Hans, und vor allem, bitte, mische dich nicht in meine Anordnungen …« – sie macht eine vorstellende Gebärde – »Mein Mann übrigens, Fräulein Benedikt. So, und nun wissen Sie alles und können gleich mit der Arbeit beginnen.« Ein verabschiedendes Kopfnicken, und Elisabeth ist entlassen. Erleichtert aufatmend verläßt sie das Zimmer.
Na, das kann ja gut werden in diesem Hause, denkt sie, da bekomme ich es ja schon in der ersten Stunde ganz gehörig zu spüren, was das Wort Dienstbarkeit bedeutet. Aber nur den Humor nicht verlieren!
Die nächsten Stunden vergehen Elisabeth wie im Fluge. Alles gelingt gut und geht ihr flink von der Hand. Die Kinder brauchen nicht eingesperrt zu werden, sondern versprechen auf ein paar ernste, eindringliche Worte des neuen Fräuleins und das Versprechen, ihnen abends eine Geschichte zu erzählen und Schokolade zu bringen, freiwillig, ihr Wohnzimmer nicht zu verlassen, ein Versprechen, das sie dann auch wirklich halten.
Die Dienerschaft kommt allen Anordnungen willig nach. Anna und Frau Stasi, das Urbild einer sich ihrer Bedeutung bewußten, behäbigen Herrschaftsköchin, haben anfangs versucht, einen vertraulichen Ton gegen Elisabeth anzuschlagen. Aber es bedarf nur eines kühl erstaunten Blickes, um sie sofort zu belehren, daß die neue Erzieherin sich durchaus nicht als ihresgleichen fühlt. Trotz der Freundlichkeit, mit der sie allen Bediensteten begegnet, liegt doch etwas wie eine unübersteigliche Mauer um ihre Person …
Nun ist es sieben Uhr und alles in schönster Ordnung zum Empfang der Gäste bereit. Auch Frau Irenes Toilette ist beendet. Mit geschickten Händen hat Elisabeth nach den ihr erteilten Weisungen das Schminken und Ondulieren besorgt, das rotbraune Gelock geschmackvoll geordnet und der jungen Frau zuletzt das kostbare Abendkleid aus nilgrüner Seide und den brillantbesetzten Smaragdschmuck angelegt.
Frau Irene sieht feenhaft schön aus, zumal ihr ausdrucksloses Gesicht sich nun etwas belebt hat und sie während des Toilettemachens viel und angeregt plaudert. Sie erzählt Elisabeth von den Gästen, die man erwartet, und besonders oft kehrt dabei stets der Name eines Prinzen Sascha Kelim wieder, der sich kürzlich in der Nachbarschaft Wolfecks angekauft habe …
Aber Elisabeth ist viel zu sehr mit den ungewohnten Kammerjungferdiensten beschäftigt und anderseits viel zu harmlos, um zu merken, daß für Irene Schlomm von allen Gästen nur dieser eine in Betracht kommt …
Erst als Frau Irene, sich wohlgefällig im Spiegel betrachtend, hinwirft: »Sie haben ein fabelhaftes Talent zur Kammerjungfer, Fräulein Benedikt! Fifi hat mich nie so günstig zurechtgemacht. Möchten Sie nicht lieber als Kammerzofe bei mir bleiben? Wir können für die Rangen ja morgen nach einer andern Erzieherin telegraphieren …« fährt sie mit blitzenden Augen auf, während glühende Röte ihr Gesicht überzieht.
»Gnädige Frau scherzen wohl nur? Wenn ich Ihnen heute behilflich war, so geschah das aus freiem Willen, aber niemals würde ich …«
»Gott, sehen Sie mich doch nicht an wie eine verkappte Prinzessin, der man die Krone vom Kopf reißen will! Wenn Sie nicht wollen – dann eben nicht. Schade übrigens … ich hätte Ihnen gern das doppelte Gehalt gezahlt. Geschickte Zofen sind viel schwerer zu bekommen als Erzieherinnen.«
»Aber sie haben keinen Anspruch, als Dame behandelt zu werden, und darauf lege ich, wie ich Ihnen bereits brieflich mitteilte, in erster Linie Wert, gnädige Frau! Ich bitte das nicht zu vergessen in Zukunft oder – sich nach einer andern Erzieherin umzusehen.«
»Nun, nun, ich wollte Sie nicht beleidigen, Fräulein Benedikt …«
»Darf ich mich nun entfernen? Ich habe unten an der Tafel noch die Blumensträußchen zu den Tischkarten zu legen,« klingt es kühl von Elisabeths Lippen.
Frau Irene nickt stumm und blickt der sich Entfernenden halb ärgerlich, halb verdutzt nach.
Wie die sich hat – als wäre sie eine Fürstin von Geblüt! stand in dem schönen leeren Gesicht.
Elisabeth aber eilt in heftiger Erregung hinab in den Speisesaal, der zu ebener Erde liegt.
Kammerjungfer! Das wagt diese Frau ihr anzutragen! Ihr, der Reichsgräfin Benedikten, deren Vorfahren seit Jahrhunderten die ersten Stellen im Reich bekleideten, lange, ehe die Welt noch etwas von dem Seifenfabrikanten Schlomm wußte, der sein simples »von« mit schnödem Geld erkauft hatte …
Aber schon eine Minute später zwingt sie, sich selbst beruhigend, ein Lächeln auf die Lippen.
Wozu sich aufregen? Hat sie mit derlei nicht eigentlich rechnen müssen, als sie inkognito hierher kam, um eine Stelle bei reichen Emporkömmlingen anzunehmen? Frau Irene hielt sie doch nur für ein schlicht bürgerliches Fräulein Benedikt! Und hatte sie sich nicht vorgenommen, alle etwaigen Demütigungen mit philosophischer Ruhe und – Humor hinzunehmen? Tapfer durch also! Die »Kammerjungfer« war eben die erste Etappe …«